Ausstellung über schnelle Mode: Die dunkle Seite der Mode
Die Ausstellung Fast Fashion zeigt, wie die Textilindustrie Menschen, Tiere und Umwelt ausbeutet.
Lidewij Edelkoort kann sich nicht mehr für die Mode erwärmen. Dabei gehört die niederländische Trendforscherin zu den einflussreichsten Figuren der internationalen Szene. Unlängst distanzierte sie sich in ihrer jährlichen Präsentation auf der renommierten Konferenz „Design Indaba“ ganz klar von der gegenwärtigen Mode. Die Ausbildungen seien fehlleitend, die verheerenden Zustände in Ausbeuterbetrieben unzumutbar, das saisonale Trend-Diktat bewege sich fern jeder Realität. „Die Mode ist engstirnig und positioniert sich außerhalb der Gesellschaft. Ein sehr gefährlicher Schritt“, sagt Edelkoort. Ihr Interesse habe sich weg von der Mode hin zur Kleidung verlagert. Ihr vernichtendes Urteil: „Fashion is dead.“ Das saß.
Claudia Banz sieht das so ähnlich. Sie kuratierte für das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg die Ausstellung „Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“. Wenn er den Ausstellungsraum betritt, strahlen dem Besucher zunächst Bilder von der Berliner Fashion Week entgegen, Sequenzen aus den Schauen von Marina Hoermanseder und Bobby Kolade, perfekt sitzende Outfits an perfekt geschminkten Models.
Weiche Angora-Pullover und schreiende Kaninchen
Doch in der eigens produzierten Videoinstallation findet der glatte Modetraum ein jähes Ende. Es erscheinen Bilder aus asiatischen Textilfabriken, vor Erschöpfung schlafende Näherinnen zwischen Bergen billiger Modeprodukte wechseln sich mit den Models ab, aus Berlin wird Bangladesch. Eine Frau lächelt werbewirksam aus ihrem weichen Angora-Pullover heraus, im nächsten Augenblick werden einem schreienden Kaninchen bei lebendigem Leibe die Haare ausgerissen. Willkommen in der Realität.
Auf diese Realität ist die Öffentlichkeit spätestens im April 2013 aufmerksam geworden. Beim Einsturz eines neunstöckigen Fabrikgebäudes in Bangladesch wurden 1127 Menschen getötet, größtenteils Textilarbeiterinnen. Einmal mehr waren die Arbeitsverhältnisse in der Bekleidungsproduktion Thema. Für Claudia Banz war die Katastrophe ein Anstoß. „Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Sonst zeigen wir im Museum für Kunst und Gewerbe nur die schöne und glamouröse Seite der Mode. Es gibt aber eben nicht nur die Haute Couture, sondern auch die Fast Fashion.“
Für eine Bluse bekommt eine Näherin in Bangladesch 15 Cent
Anhand eines szenografischen Parcours zeichnet die Ausstellung den komplexen Weg nach, den ein Kleidungsstück aus dem mittleren und unteren Preissegment von Entwurf und Präsentation über Produktion und Transport bis zum Konsumenten zurückgelegt. Auf diesem Weg gibt es zahlreiche Opfer. Neben den Arbeitsbedingungen und den katastrophalen Zuständen in der Tierhaltung berichtet die Ausstellung auch von weniger bekannten Misständen wie der enormen Umweltbelastung durch die Modeindustrie. „In der Bekleidungsproduktion werden bis zu 7000 schädliche Chemikalien verwendet“, sagt Claudia Banz. „Damit gehört die Textilindustrie zu den fünf größten Chemieverbrauchern.“
Obwohl es in der Ausstellung eher um Information geht als um Exponate, sind gerade die künstlerischen Inszenierungen besonders anrührend. In der bekannten Fotoserie „Beyond Fashion“ setzt die Fotografin Susanne Friedel der westlichen Werbeästhetik Zitate von Textilarbeiterinnen entgegen. Da ist die indische Näherin, die täglich so lange arbeiten muss, dass sie ihre Tochter nur einmal in der Woche wach sehen kann. Oder chinesische Arbeiterinnen, die sich aus Angst, ihre Stellung zu verlieren, den sexuellen Übergriffen ihrer Vorarbeiter stumm beugen. Daneben steht der Lohn, für den sich die Arbeiterinnen ausbeuten lassen: Für eine komplette Bluse bekommt eine Näherin in Bangladesch 15 Cent, für einen Schal in Rumänien 9 Cent. Wer danach noch kann, hört in einem Video der Künstlerin Taslima Akhter zwei marokkanische Arbeiterinnen erzählen. Die Frauen teilen sich ein kleines Zimmer; einmal zu heiraten, können sie sich nicht vorstellen. „Wenn du einen Mann hast, dann hast du auch Kinder. Wie sollten wir die jemals ernähren?“, sagen sie.
Das Licht am Ende des Tunnels
Das „Slow Fashion Labor“ einen Raum weiter soll zeigen, dass es auch anders geht. „Es gibt Licht am Ende des Tunnels“, sagt Claudia Banz. „Viele Ansätze aus der Materialforschung, die sich in der Breite noch durchsetzen müssen, schlagen den richtigen Weg ein. Außerdem informieren wir über sinnvolle Zertifikate, die einwandfreie Modeprodukte kennzeichnen. Auch Second-Hand-Formate wie der Kleiderkreisel oder Tauschbörsen sind gute Alternativen zum herkömmlichen Modekonsum.“ In diesem Raum ist Berlin noch einmal Thema: Zum Beispiel wird der Masterstudiengang „Sustainability in Fashion“ der Modeschule Esmod vorgestellt, der speziell auf das Design nachhaltiger Mode hin ausbildet. Auch die Abschlusskollektion einer Absolventin wird ausgestellt.
Das „Slow Fashion Labor“ verdeutlicht jedoch eines: Noch stecken die alternativen Konzepte zur ethischen Bekleidungsproduktion in den Kinderschuhen. Wichtigstes Mittel zur Erneuerung der Textilindustrie bleibt das Umdenken der Gesellschaft. „Wir wollen mit unserer Ausstellung nicht den moralischen Zeigefinger erheben, aber uns ist wichtig, Zusammenhänge herzustellen“, sagt Claudia Banz. „Wir wollen verdeutlichen, dass der Konsument mit seinen Entscheidungen viel Einfluss nehmen kann. Wenn sich einige Besucher dieser Macht bewusst werden, haben wir viel geleistet.“
Die Ausstellung Fast Fashion, die Schattenseiten der Mode im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe läuft noch bis zum 20. September 2015
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