Schauspieler Sebastian Urzendowsky: „Wo ist es denn nun, das Böse?“
Diese Dreharbeiten haben Sebastian Urzendowsky nachts in seinen Träumen verfolgt: Über Beate Zschäpe im Gerichtssaal und das Versagen des Verfassungsschutzes.
Herr Urzendowsky, in „Heute ist nicht alle Tage“ spielen Sie mit verhärmter Schlägervisage und kahl rasiertem Schädel den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. Wie lange hat es denn gedauert, bis die Haare nachgewachsen sind?
Ein gutes halbes Jahr. Ich hatte ja keine komplette Glatze, sondern nur ein Plätzchen, so hat es unser Maskenbildner Wolfgang Böge genannt. Meine Mutter fand es furchtbar. Zur Konfirmation meiner Schwester bin ich als Skinhead im feinen Anzug erschienen. Da gab es schon ein paar irritierte Blicke und Fragen.
Was haben Sie geantwortet?
Nicht viel. Wir waren von der Produktion angehalten, uns sehr bedeckt zu halten. Die offizielle Sprachregelung ging ungefähr so: „Wir drehen einen geschichtlich gut recherchierten und fundierten fiktionalen Film über die Radikalisierung dreier Jugendlicher in der Nachwendezeit im Osten Deutschlands."
Kostet es viel Überwindung, einen Psychopathen wie Böhnhardt zu spielen? Das ist ja keine fiktive Figur wie im „Tatort“. Sondern einer, der mutmaßlich für zehn Morde steht.
Erst mal ist es eine große Herausforderung und dann kann es durchaus Spaß machen, mal über die Stränge zu schlagen, solange man sich in einem geschützten Raum befindet.
Es macht Spaß, sich als Neonazi auszutoben?
Nein, nein, nein! Natürlich nicht, deswegen spreche ich vom geschützten Raum, im Rahmen eines Spiels, des Schauspiels. Ich werde ja nicht plötzlich zum Nazi. Aber du darfst Aggression rauslassen und kannst die Kraft und den Reiz des Verbotenen genießen, weil du ja weißt, dass alles in einem klar abgesteckten Rahmen stattfindet. Es hat sozusagen keine Konsequenzen. Keiner wird verletzt. Aber es kostet sehr wohl Überwindung, wenn du etwa einen als „Scheiß-Neger“ anbrüllen musst und du dir vorstellen kannst, dass der damit in seinem ganz normalen Leben schon mal konfrontiert wurde. So etwas tut mir weh.
„Heute ist nicht alle Tage“ ist Teil des ARD-Projektes „Mitten in Deutschland“. Drei Spielfilme, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln den NSU-Morden nähern. Ihr Film widmet sich der Sozialisierung der drei mutmaßlichen Täter und endet mit dem Abtauchen in den Untergrund. Anna-Maria Mühe spielt die Rolle von Beate Zschäpe, Albrecht Schuch die von Uwe Mundlos, aber keiner musste sein Äußeres so radikal verändern wie Sie. Von der Natur her sind Sie ein sehr zierlicher Mann, Böhnhardt war ein muskulöser Schlägertyp.
Es war für uns alle drei nicht einfach. Wir haben ein hartes körperliches Training absolviert und streng nach Diät gelebt. Kein Alkohol, kein Zucker. Es ging vor allem darum, so eine Kernigkeit wie von Radfahrern herzustellen: hagere und harte Gesichtszüge. Das mit dem Alkoholverzicht war ja auch in der wahren Geschichte ein Anliegen von Mundlos. Wir als Schauspieler haben das genauso durchgezogen, also: Anna, Albrecht und ich. Wenn beim Dreh am Abend nach der Arbeit alle im Hotel beim Wein zusammensaßen, hatten wir drei Wasser oder Rhabarberschorle. Das schwört einen schon auf besondere Weise auf die Gruppe ein, wenn man sich zu dritt so sehr abkapselt.
So, wie sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ja auch von den anderen in der rechten Szene abgekapselt haben.
Stimmt, das ist eine seltsame Parallele. Wir haben sehr schnell als Gruppe zusammengefunden und sind vor den Dreharbeiten zu dritt nach Jena gefahren. Zu den Garagen, in denen die beiden Uwes ihre Bomben gebastelt haben, aber auch in ihren früheren Jugendklub, wir haben uns sogar mit dem Sozialarbeiter getroffen, der Mundlos und Zschäpe damals betreute. Und wir haben Ingo Hasselbach getroffen …
… den bekanntesten Aussteiger aus der Neonazi-Szene und Mitbegründer der Organisation Exit.
Nach seinem Ausstieg hat er eine wahnsinnige Erschöpfung gespürt, weil er zu seiner Zeit in der Szene konstant auf Adrenalin war. Sogar beim Dreh habe ich das ansatzweise erlebt. Immer auf dem Sprung, andauernd diese explosive und aggressive Stimmung, dieses Lauern darauf, „dass der Türke was Falsches sagt“, damit du ihm eine aufs Maul hauen kannst. Diese latente Aggressivität einer Figur überträgt sich ja ein Stück weit. Und der Zuckerentzug hilft auch. Ich war schon ziemlich fertig, als es vorbei war. Ich habe in dieser Zeit sehr stark geträumt, oft auch sehr gewaltvoll.
"Der Film visualisiert die aufkeimende Liebe zwischen Zschäpe und Böhnhardt"
Haben Sie auch mit Zeitzeugen aus Jena geredet?
Kaum. Ich weiß nicht, ob so eine persönliche Konfrontation etwas gebracht hätte. Vor einem Dreh bei einer Demo in Jena hat mich ein Komparse angesprochen: „Du, den Böhnhardt kannte ich, der hat mir mal eine aufs Maul gehauen!“ Na prima, hab ich mir gedacht, jetzt steht der da draußen, guckt zu und beurteilt dich, wie nah du an den richtigen Böhnhardt rankommst. Das ist nicht sehr hilfreich.
Hatten Sie Kontakt zu Böhnhardts Eltern?
Den hätte ich ganz bewusst nicht gesucht. Ich hätte nicht gewollt, dass die Mutter mich anschaut und sagt: „Du spielst meinen Sohn? Niemals!“ Da denkst du doch sofort, dass dir jede Legitimation fehlt. Außerdem steht nach so einer Begegnung die unausgesprochene Verpflichtung im Raum, den Sohn in gutem Licht darzustellen. Ich habe einen Fernsehbeitrag gesehen, da redet Frau Böhnhardt mit einer Gruppe von Schülern. Sie war früher Lehrerin und spricht mit einem sehr unangenehmen, belehrenden Ton Sätze wie: „Das war für uns auch sehr schlimm, aber da steckt man einfach nicht drin.“ Die anfangs kritischen Schüler sind am Ende komplett eingeschüchtert und reden der Frau nur noch nach dem Mund. Wer weiß, wie es mir ergangen wäre. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob sie sich überhaupt mit mir getroffen hätte.
Im Prozess hat Frau Böhnhardt ihren Sohn als Opfer der Verhältnisse dargestellt, als einen verunsicherten Jugendlichen in der Post-DDR.
Im Zweifelsfall sind immer die anderen schuld. Mutter Böhnhardt hat alles auf Mundlos geschoben, Vater Mundlos alles auf Böhnhardt. Die beiden Uwes werden ja gern auch als Faust und Kopf dargestellt. Der prügelnde Böhnhardt und der intellektuelle Mundlos. Inhaltlich stimmt das wahrscheinlich sogar. Aber damit schaffst du natürlich auch eine Art Gewaltenteilung und kannst immer sagen: Der andere war’s.
Wie sehr hat diese Rolle Ihr Privatleben beeinflusst?
Schon ein bisschen. Ich lebe in einer WG, damals gerade mit einer jüdischen New Yorkerin. Beim Üben laufe ich immer durch mein Zimmer und spreche laut den Text. Im Film gibt es eine Streitszene, da schreie ich: „Dieser verjudete Drecksstaat, sperrt die besten Leute weg!“, und ich brülle auch mehrmals „Drecksjuden!“. Wenn Sie wissen, wer nebenan sitzt, ist das schon ein bisschen peinlich.
Wie hat sie reagiert?
Sie hat gelacht und gesagt: „Ich weiß ja, was du für einen Job hast.“ Damit war die Sache erledigt.
Welche Szene fiel Ihnen am schwersten?
Einmal spaziert Böhnhardt mit seiner Freundin durch einen Park. Sie sind auf ihrer Mission „Sauberes Jena“ und wollen die Stadt von allem „säubern“, was nicht deutsch ist. Im Park also gehen die beiden auf eine junge Mutter zu, die mit ihrem Kind auf dem Rasen steht, und schreien sie an: „Das ist eine deutsche Wiese, die wird gepflegt, da latschst du nicht rüber!“ Sie brüllen so lange und laut, bis das Kind anfängt zu schreien. Anna ist ja selbst Mutter, die hat das wahnsinnig mitgenommen. Diese Szene mussten wir fünf-, sechs-, siebenmal spielen, weil Christian Schwochow immer wieder gesagt hat: Sorry, Leute, das ist es noch nicht. Ihr seid einfach zu weich.
Das passt perfekt ins Klischee. Monster dürfen nicht weich sein.
So einfach macht es sich der Film nicht, er visualisiert auch die aufkeimende Liebe zwischen Zschäpe und Böhnhardt. Die beiden wirken wie eine schiefe Version von Bonnie and Clyde: ein Paar, das Spaß an Gewalt findet. Wir spielen eine Szene in einem Restaurant, die beiden finden gerade zueinander, völlig unsicher in ihren Gefühlen, besonders Böhnhardt, der gar nicht weiß, wohin er mit seinen Fingern soll. Bis da plötzlich am Nachbartisch einer einen dummen Spruch macht. In diesem Moment weiß er wieder, was er machen muss, nämlich dem Typen die Zähne rausschlagen. Da kann er sich wieder als Mann definieren, was er vorher bei dem schüchternen Annäherungsversuch nicht konnte.
Diesen Vorfall hat es wie den mit der Mutter im Park nicht in Wirklichkeit gegeben. Was bringt diese Übertreibung eines Psychopathen?
Diese Momente sind beispielhaft für andere, die es wirklich gab, die aber eben nicht in die filmische Umsetzung passten. Es geht darum, Böhnhardts Charakter nicht nur über einen Einzelfall von Gewalt darzustellen, sondern über ein immer wiederkehrendes Muster. Brutalität gehörte für ihn zum Alltag, Und sie nahm zu, vermutlich bis hin zum mehrfachen Mord. Nach meinem Verständnis geht es dabei nicht um Mensch oder Monster, sondern um einen Menschen, der monströse Sachen macht. Als Schauspieler will ich zeigen, dass dieser Mensch mal zu uns gehört hat. Dass er ein Mensch war im Sinne eines humanen Codes, den er später für einen anderen Code aufgegeben hat. Man muss bei denen schon das Menschliche suchen, sonst nimmt man die Darstellung nicht ernst.
"Ich lese jetzt anders Zeitung"
Im Film sieht man viele Aufmärsche, Horden von Neonazis, die durch Jena ziehen und brüllen: „Hier marschiert die deutsche Jugend!“ Waren das nur harmlose Komparsen, oder wurden die aus der rechten Szene rekrutiert?
Das ist eine lustige Geschichte. Erst sollte das eine Security-Firma machen, weil die Jungs da eh schon alle kurze Haare haben. Das haben dann irgendwie die Leute aus linken Jugendklubs in Jena mitbekommen, die haben uns gesagt: „Das geht nicht, das sind alles stadtbekannte Rechte!“ Also haben sie sich selbst zur Verfügung gestellt.
Jenas linke Jugend ist „Sieg heil!“ brüllend durch die Stadt marschiert?
Ja, und die waren toll! Einmal haben wir ein Neonazi-Konzert nachgedreht, mit 150 Komparsen. Für die nächste Szene mussten sie den Raum verlassen, es kommt also von der Regie die Anweisung: „Alle Nazis bitte raus!“ Einer fängt an, und auf einmal brüllen 150 Männer in Bomberjacken und Abzeichen und Springerstiefeln: „Nazis raus!“ Großartig!
Vor den Dreharbeiten haben Sie den NSU-Prozess in München besucht. Was hat das für Ihre Rolle gebracht?
Wir sind für einen Verhandlungstag hingefahren und haben uns auf Beate Zschäpe konzentriert. Das war vor allem für Anna wichtig, sie hat auch ein paar interessante Beobachtungen gemacht, etwa wie die Zschäpe kurz mit einer Gerichtsdienerin scherzt. Ansonsten war sie völlig zu, eine kleine Frau, überhaupt nicht gruselig. Wir alle haben uns gefragt: Ja, wo ist es denn nun, das Böse?
Hat die intensive Beschäftigung mit dem Thema Sie als Mensch verändert?
Auf jeden Fall! Ich lese anders Zeitung und verfolge das politische Geschehen sehr viel genauer. Und ich habe, zumindest zeitweise, eine große Portion Vertrauen verloren in die Staatsorgane. Auch ich bin dafür, dass die Verfassung geschützt werden muss. Aber der Verfassungsschutz tut genau das nicht, wenn er inkompetent bis fahrlässig handelt und mehr damit beschäftigt scheint, das anschließend zu vertuschen. Das ist fatal. Grundsätzlich habe ich das Bedürfnis, mich zu diesem Staat zu bekennen. Ich will, dass diese Organe mich schützen. Alle Menschen in diesem Land.
Verändert die Auseinandersetzung mit dem Thema NSU auch Ihren Blick auf die aktuelle Situation? In Deutschland gibt es so viele rechte Straftaten wie lange nicht mehr, immer häufiger kommt es zu Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte.
Ich finde es haarsträubend, wenn Parteien, die sich als eher konservativ bezeichnen, auf einmal Angst um Wählerstimmen bekommen und in ihrem Diskurs das übernehmen, was andere viel weiter rechts in die Straße rausschreien. Das ist es, was in den neunziger Jahren direkt nach Lichtenhagen und Mölln passiert ist. Die Rechten haben damals jubiliert, weil sie als Minderheit es geschafft hatten, der Mehrheit diesen Diskurs zu diktieren. Und das mögen wir doch bitte festhalten: Diese Leute, die jetzt gegen Flüchtlinge mobilmachen, sind eine Minderheit. Auch wenn sie von sich behaupten, sie würden für eine schweigende Mehrheit sprechen. Dieser unverschämte Anspruch: „Wir sind das Volk!“ Nein, ihr seid nicht das Volk. Zumindest nicht das ganze. Ich bin auch das Volk, und zum Glück sind wir in der Mehrheit. Dass Leute wie der Seehofer so wenig Instinkt haben, sich vor den Karren der Rechten spannen zu lassen und deren Parolen zu übernehmen, will einfach nicht in meinen Kopf rein. Damit bewirkt man einen Rechtsruck.
Die Arbeit an dem Film hat Sie offensichtlich politisiert.
Ja, schon. Und ich verspüre eine Beunruhigung. Deswegen ist es gut, dass dieser Film jetzt läuft und den Leuten zeigt: Diese finale Konsequenz kann es haben! Es hat überall mit Worten angefangen. Letztens habe ich im ZDF gesehen, wie der Höcke von der AfD im Gespräch mit Dunja Hayali beinahe kumpelhaft sagt: „Na, ein bisschen agitieren darf man ja schon, das ist ja das Wesen einer Demo!“ Nein, das darfst du eben nicht! Wenn in aller Öffentlichkeit von Schießbefehl geredet wird, ist das in der Welt, und wir sind schon wieder ein Stück weiter auf dem falschen Weg.
So engagiert, wie Sie jetzt reden – wird daraus politisches Engagement?
Hui, da fragen Sie mich was! Ich bin ein grundüberzeugter Europäer, und es gibt da dieses großartige Hashtag „Don’t touch my Schengen!“. In diesem Rahmen kann ich mir was vorstellen, aber ich bin noch nicht so weit. Diese Rolle hat mich jedenfalls so aufgewühlt wie keine zuvor. Dafür bin ich dankbar. In diesem Sinne ist mein Engagement erst mal dieser Film, und ich hoffe, dass ich damit etwas bewirken kann. Mal sehen, wo das noch hinführt.
Sven Goldmann, Frank Jansen