25 Jahre WWW: Wie Tim Berners-Lee das Web erfand
Grüne Schrift auf schwarzem Grund: Tim Berners-Lee veröffentlichte die erste Webseite der Welt. Kaum zu glauben, dass das erst 25 Jahre her ist.
Grauer Linoleumboden, Neonlicht. Es ist kein gemütlicher Ort, an dem Tim Berners-Lee anfängt, die Welt zu verändern. In seinem Büro im europäischen Kernforschungszentrum CERN schreibt der britische Informatiker seine Vision von einem weltweiten, verbundenen Informationssystem nieder. Damals, 1989, interessiert seine Idee selbst an seinem Arbeitsplatz kaum jemanden.
Aber Berners-Lee treibt sein Projekt voran, auch wenn er dafür keine Wertschätzung bekommt. Am 6. August 1991, vor 25 Jahren, veröffentlicht er schließlich ein Dokument, das den Lauf der Geschichte verändern wird. In ein Internetforum postet der damals 36-Jährige den Link zur ersten Webseite der Welt. Auf http://info.cern.ch informierte er über seine Entwicklung: das World Wide Web. Der Beginn einer sozialen Revolution.
Das Web hat ihn nicht reich gemacht
Berners-Lee hat kein Star-Appeal, er ist kein Mark Zuckerberg, kein Steve Jobs, kein Bill Gates. Seine Erfindung hat ihn nicht reich gemacht und nicht berühmt. Kaum jemand kennt seinen Namen, obwohl Millionen das Netz nutzen, obwohl es heute über eine Milliarde Webseiten gibt.
Wer mehr über seine Geschichte erfahren will, stößt schnell an Grenzen. Zwar hat der Informatiker ein Buch geschrieben, das den Weg zu seiner Erfindung beschreibt – „Der Web-Report“ heißt es auf Deutsch. Aber damit scheint für ihn alles gesagt. Er ist schwer zu erreichen, hat an einem Interview kein Interesse.
Am CERN aber arbeiten noch Menschen, die dabei waren, als Tim Berners-Lee das Web erfand. „Tim war sehr nett,“ erinnert sich sein Mentor Ben Segal. „Aber einige Leute fanden es schwierig, mit ihm zu kommunizieren. Sein Verstand arbeitete so schnell, dass er Probleme hatte, sich auszudrücken.“ Manchmal habe Berners-Lee so viel auf einmal sagen wollen, dass er zu stottern begann, erzählt Segal im Videotelefonat.
Web und Internet - ein großer Unterschied
Zu Beginn suchte Berners-Lee Rat bei Segal. Der versuchte zu dieser Zeit selbst, in einer Art Untergrund-Aktion das Internet am CERN einzuführen. Wohlgemerkt: Das World Wide Web ist nicht das Internet. Die Verbindung zwischen Computern existiert bereits seit den 1970er Jahren, sie ging aus einem Projekt des US-Verteidigungsministeriums hervor. Das Internet ist wie ein Netzwerk von elektronischen Straßen, die viel beschworenen Datenautobahnen. Infrastruktur also. Das World Wide Web ist eine Anwendung, die das Internet nutzt – so wie auf einer Straße verschiedene Fahrzeuge fahren.
Vor dem Web gab es bereits E-Mails und das sogenannte Usenet. Es stellte seinen Mitgliedern Diskussionsforen in reiner Textform zur Verfügung – ein relativ geschlossener Kosmos. Das Prinzip hinter dem World Wide Web ist dagegen: Sobald jemand ein Dokument, ein Bild, ein Video verfügbar macht, ist es von überall auf der Welt zugänglich und lässt sich verlinken, damit andere es finden können.
Das Internet ist erst einmal suspekt
Tim Berners-Lee kommt – nach einem kurzen Intermezzo einige Jahre zuvor - 1984 ans CERN. Das Forschungszentrum liegt nahe Genf an der schweizerisch-französischen Grenze. Man sieht das Jura-Gebirge, die Skigebiete sind nur zehn Minuten entfernt. Ein angenehmer Ort zum Leben. Doch obwohl das CERN für ehrgeizige Forscher viele Möglichkeiten bietet, ist es eine konservative Einrichtung. Das Internet ist vielen hier suspekt.
Die Wissenschaftler kommen aus allen Teilen der Welt und arbeiten mit völlig unterschiedlichen Computern. Dort speichern sie Daten, die von anderen Geräten aus nicht zugänglich sind. Oft ist es einfacher, andere Ingenieure beim Kaffee nach einer Information zu fragen. Berners-Lee soll in der IT-Abteilung ein Programm schreiben, das die Kommunikation zwischen den Computern am CERN vereinfacht. Aber er denkt viel größer.
Das Projekt wird abgelehnt
Ihn reizt das Internet. Und er interessiert sich für ein Konzept namens Hypertext – Textteile, die durch Querverweise, sogenannte Hyperlinks, miteinander verbunden sind. Zu dieser Zeit kann man mit Links nur innerhalb eines Computers hin- und herspringen. Was wäre, fragt sich Berners-Lee, wenn man mit Links auch andere Computer erreichen könnte? Wenn alle Informationen auf allen Computern der Welt miteinander verlinkt werden könnten?
Im März 1989 setzt sich Berners-Lee also in seinem neonbeschienenen Büro an den Computer und beginnt einen Aufsatz zu tippen, der seine Vision des World Wide Web beschreibt. Der bescheidene Titel: „Informationsmanagement. Ein Vorschlag.“ Um die Chancen zu verbessern, dass sein Forschungsvorhaben angenommen wird, stellt er ein tägliches Problem am CERN heraus: „Die technischen Details vergangener Projekte gehen bisweilen für immer verloren.“ Seine Lösung: ein universelles, verbundenes Informationssystem. Für die Entwicklung mit zwei Mitarbeitern veranschlagt er in einer ersten Phase sechs bis zwölf Monate. Doch das Projekt wird abgelehnt.
HTML, URI, HTTP
Obwohl er das Web nun quasi im Untergrund entwickeln muss, hat Berners-Lee Glück: Sein Chef ist ein entspannter Zeitgenosse. Von der Idee seines Mitarbeiters ist er zwar nicht überzeugt, lässt ihn aber gewähren. Er erlaubt ihm sogar, einen hochmodernen Computer der Firma Next zu kaufen, die von Apples Steve Jobs gegründet wurde. „Sobald du die Maschine hast, kannst du ja dein Hypertext-Ding darauf programmieren“, sagt sein Chef mit einem Augenzwinkern, so schreibt es Berners-Lee in seinem Buch.
Im Oktober 1990 beginnt er auf dem Next-Computer die drei Technologien zu entwickeln, die noch heute die Grundlage des World Wide Web bilden. Deren Abkürzungen klingen kryptisch, sind aber nicht schwer zu verstehen.
Um normalen Text in Text umzuwandeln, der Links enthält, definiert Berners-Lee die „Hypertext Markup Language“, kurz HTML. Außerdem schreibt er das „Hypertext Transfer Protocol“ (HTTP) – eine universelle Sprache, wenn Computer miteinander über das Internet kommunizieren. Als Drittes entwickelt er die URI, kurz für „Universal Ressource Identifier“, eine Zeichenfolge zur eindeutigen Identifizierung einer Ressource – die „fundamentalste Innovation des Webs“, wie Berners-Lee schreibt. Heute werden URIs oft auch als URLs bezeichnet, die Webadressen also.
"Tim war ein absoluter Visionär"
„Für Tim war die Entwicklung eine ziemliche One-Man-Show“, erinnert sich sein Mentor Ben Segal. „Es gab gelegentlich Praktikanten, die ihm halfen, und einen sehr enthusiastischen Kollegen, aber im Grunde machte er fast alles alleine.“ Auch Berners-Lees ehemalige Kollegin Maria Dimou sagt: „Tim war ein absoluter Visionär. Doch zu dieser Zeit hat kaum jemand die weltverändernde Bedeutung des Webs erkannt.“ Am CERN wollte man sich lieber auf Physik konzentrieren.
Aber Berners-Lee ist keiner, der sich bittere Gedanken erlaubt. Ende 1990 entwickelt er den ersten Webserver – eine Software, die auf einem Computer eine Webseite bereithält und es anderen erlaubt, auf sie zuzugreifen. Unter info.cern.ch startet Berners-Lee auch die weltweit erste Webseite, die sein Projekt erklärt. Dort ist zu lesen, was HTTP, URI und HTML bedeuten.
Doch noch kann sich kaum jemand die Seite anzeigen lassen – nur Leute, die wie Berners-Lee einen „Next“-Computer besitzen. Was es zur Seitendarstellung braucht, ist ein Browser, am besten einer, der so einfach ist, dass er auf allen Geräten laufen kann. Und so entwickelt eine Praktikantin für Berners-Lee den „Line-Mode Browser“, der eigentlich nichts anderes macht, als Text anzuzeigen. Grün auf schwarzem Grund, eine Zeile nach der anderen. „Man konnte nur mit der Tastatur navigieren“, sagt Segal. „Jeder Link hatte eine Nummer, man musste die Nummer eintippen, um zu dem Link zu springen.“
Das Web verbreitet sich rasend schnell
In den folgenden Monaten versuchen Berners-Lee und sein Kollege Robert Cailliau das Web am CERN bekannter zu machen. Sie halten Vorträge und reden beim Kaffee über das Projekt. Doch das Interesse ist gering. Und Berners-Lee braucht Unterstützung bei der Weiterentwicklung der Software. Er braucht Hilfe von außen.
Am 6. August 1991 veröffentlicht er den Quelltext zu seinen Erfindungen. Er verlinkt seine Webseite in verschiedenen Internetforen, auch in der Gruppe „hypertext.alt“, in der sich Hypertext-Enthusiasten tummeln. Das ist der Wendepunkt.
Plötzlich bekommt er E-Mails aus aller Welt. Menschen schicken ihm Fehlermeldungen und Anregungen für Verbesserungen. Oder sie schreiben: „Hey, ich habe einen neuen Server aufgesetzt, und er ist richtig cool. Hier ist die Adresse.“
"Tim merkte, dass er die Kontrolle über das Web verlieren könnte"
Maria Dimou ist heute beeindruckt davon, dass Berners-Lee schon damals spätere Entwicklungen des Webs vorhersah. Etwa, dass man dort nicht nur lesen können sollte, sondern auch selbst Inhalte kreieren – posten, editieren, kommentieren. Diese Interaktivität kam erst mit dem Web 2.0 in den 2000er Jahren. „Und er nahm an, dass irgendwann auch andere Medien im Internet sein würden. Etwa der Kühlschrank, der erkennt, wann die Eier alle sind und sie auf die Einkaufsliste setzt“, sagt Dimou. Heute sprechen wir vom Internet der Dinge.
Nachdem die Idee in der Welt ist, beteiligen sich immer mehr Menschen an der Weiterentwicklung der Software. „Viel Programmierarbeit passierte nun in den Staaten. Tim merkte, dass er die Kontrolle über das Web verlieren könnte“, erzählt Ben Segal. Als er ein Angebot vom Massachusetts Institute of Technology, dem MIT, bekommt, nimmt Berners-Lee 1994 an. Er wird dort Professor, obwohl er keinen Doktortitel hat. Und er gründet das World Wide Web Consortium (W3C), das von nun an über die Entwicklung des Webs wacht.
Seine Motivation? "Dass es funktioniert"
Die Zahl der Webseiten wächst rasant: 1993 waren es laut statista.com 130, 1997 schon über eine Million. Im Herbst 2014 gab es über eine Milliarde Seiten. All diese Jahre setzte Berners-Lee sich dafür ein, dass das Netz ein dezentraler und neutraler Ort bleibt. Doch die Entwicklung besorgt ihn. 1994 macht der erste kommerzielle Browser von Netscape das Web massentauglich, der Erfinder wird Milliardär. Zwischen 1994 und 1997 kommen Suchmaschinen auf den Markt – Lycos, Yahoo, AltaVista. 1998 folgt Google. 1995 verkauft der spätere Internetgigant Amazon sein erstes Buch. Facebook beginnt seinen Siegeszug 2004. „Wir haben geträumt, dass das Web durch und durch gut sein würde. Aber das war es nicht. Wir hatten ja keine Ahnung, wie viel Geld im Spiel sein würde,“ sagt Segal.
Er erinnert sich, wie Berners-Lee 1994 gefragt wurde, ob er bald reich sein werde – oder was sonst seine Motivation für die Entwicklung des Webs gewesen sei. Berners-Lee sagte: „Dass es funktioniert. Dass Leute es benutzen.“
Zumindest dieses Ziel hat er erreicht.
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