Ex-DDR-Vertragsarbeiterin in Dresden: Wie Olga Macuacua aus Mosambik Rassismus erlebte – und erlebt
Sie kamen auf Einladung. Willkommen waren sie nicht. Olga Macuacua aus Mosambik war eine von Zehntausenden Vertragsarbeitern in der DDR. Dann kam die Wende.
Die heute 55-jährige Olga Macuacua kam 1986 als Vertragsarbeiterin in die DDR. Zunächst wurde ihr ein Arbeitsplatz im Dresdner Fleischkombinat zugewiesen, den sie jedoch ablehnte, um im Freitaler Glaswerk zu arbeiten. Nach dem Mauerfall verlor sie diese Anstellung und ihren Platz im Wohnheim. Es gelang ihr dennoch, in Sachsen zu bleiben. Einschneidendes Erlebnis wurde für sie 1991 die Ermordung ihres Bekannten Jorge Gomondai, der ehemalige Vertragsarbeiter wurde das erste Todesopfer rechter Gewalt in Dresden nach der Wiedervereinigung. Für die Ausstellung „Anderen wurde es schwindelig“, die noch bis zum 3. Mai 2020 in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main zu sehen ist, protokollierte Malte Wandel das Schicksal von Olga Macuacua. Historische Einordnung: Matthias Meisner.
Ich liebe Dresden und die Region. Ich habe länger hier gelebt als irgendwo anders auf der Welt. Ich bin sehr stolz, dass meine Kinder mit mir gegen Pegida auf die Straße gehen. Wir müssen uns für ein weltoffenes Dresden einsetzen. Gerade in den letzten Jahren ist es wieder schlimmer geworden.
Ich hatte eine sehr schöne Kindheit und Jugend in den 60er und 70er Jahren in Mosambik. Meine Familie war sehr wohlhabend und führte trotz der portugiesischen Kolonialherrschaft ein privilegiertes Leben. Wir wohnten in einem großen Haus mit eigenem Stromgenerator und fließend Wasser. Mein Vater hatte drei Autos und Chauffeure, die meine Brüder und mich in die Schule gefahren haben. Mein Vater war so was wie ein Gemeindevorsteher in der Provinz Chibuto. Er hat die Stellung von meinem Großvater übernommen, der König von Chibuto war. Der Legende nach haben meine Vorfahren mit der Macuacua-Frucht als Wurfgeschoss, ähnlich einer kleinen Kokosnuss, angreifende Völker abgewehrt. Ich bin stolz auf diese Tradition und würde den Namen Macuacua nie aufgeben.
Das Land Mosambik im Süden Afrikas war über Jahrhunderte portugiesische Kolonie und erlangte nach langem Freiheitskampf 1975 seine Unabhängigkeit. Die marxistische Bewegung Frelimo übernahm die Regierung und knüpfte Beziehungen zu sozialistischen Bruderstaaten. 1979 unterzeichneten Staatspräsident Samora Machel und der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker einen Vertrag über die Zusammenarbeit ihrer beiden Länder – und legten so den Grundstein für die Beschäftigung von Zehntausenden mosambikanischen Vertragsarbeitern.
Nach der Unabhängigkeit von Mosambik musste mein Vater ins Gefängnis, weil er mit den Portugiesen zusammengearbeitet hatte. Es war ein Schock für mich. Doch über gute Beziehungen zu den Gefängniswärtern konnte er entkommen und wurde später offiziell freigelassen. Unsere Privilegien verloren wir und zogen nach Cabora Bassa um, wo es einen großen Stausee mit einem Kraftwerk gab, das Strom für Südafrika und Mosambik produzierte. Dort arbeitete mein Vater nun selbst als Fahrer, unter anderem für Familien aus der DDR. Es gab nicht genug Schulgebäude, tagsüber wurden die Klassen eins bis sechs unterrichtet, nachts die Oberstufe. Mein Vater wollte nicht, dass ich nachts zur Schule gehe, und schickte mich in die Hauptstadt Maputo.
In Maputo hat man 1986 viel über die Vertragsarbeiter gesprochen. Einige hatten Heimaturlaub. Sie haben von der DDR geschwärmt, erzählt, dass man dort gute Berufe erlernen kann und ein gutes Leben hat. Sie waren schick angezogen und haben Eindruck auf mich gemacht.
In der DDR sollten die Vertragsarbeiter die an Arbeitskräftemangel leidenden „volkseigenen Betriebe“ unterstützen. Die Mosambikaner waren nach den Vietnamesen die größte Gruppe von Vertragsarbeitern in der DDR. Für meist zwischen zwei bis sechs Jahre wurden sie hergeholt, ein ständiger Aufenthalt war gesetzlich nicht vorgesehen.
In Maputo hatte ich einen Freund, den ich sehr liebte. Als er mich verließ, wollte ich ein neues Leben anfangen – so weit weg wie möglich. Ein Aufenthalt in der DDR schien eine große Chance zu sein, später in Mosambik einen guten Beruf zu finden.
Man konnte sich auf einem Amt in eine Warteliste für den Arbeitseinsatz in der DDR eintragen und den Prozess mit Geld beschleunigen. Mein Vater hatte Kontakt zu Ausländern, über die er günstig an Zigaretten gelangte. Ich verkaufte sie für ihn und sparte meinen Anteil für die Ausreise. Mit dem Geld erhielt ich meinen Reisepass schon nach einer Woche. Ich habe alles heimlich vorbereitet, damit mich niemand aufhält. Im Flieger bekam ich Angst und musste weinen.
Obwohl der Einsatz der Gastarbeiter unter der Überschrift „Völkerfreundschaft“ stand, war eine Integration nicht vorgesehen. Die Arbeiter wurden in eigens eingerichteten Wohnheimen einquartiert, angesiedelt in den industriellen Ballungsgebieten wie Chemnitz oder Dresden. Die Arbeit, die den Ausländern zugewiesen wurde, war in der Regel schwer oder monoton.
Nach der Landung in Berlin-Schönefeld wurden wir auf mehrere Busse verteilt. Hier haben wir zum ersten Mal erfahren, wo unsere Reise hingehen soll. Ein Bus fuhr nach Zittau, andere nach Dresden und Freital. Ich konnte kein Wort Deutsch. In Dresden sollten die Mosambikaner im Fleischkombinat arbeiten, ich wollte das auf keinen Fall. Mit 28 anderen Frauen wurde ich nach Freital gebracht, um im Glaswerk zu arbeiten. Später kamen fünf Männer dazu, die aus gesundheitlichen Gründen nicht im Schlachthof arbeiten konnten.
Wir hatten einen Gruppenleiter aus Mosambik, einen Übersetzer und einen deutschen Betreuer, die uns sagten, was wir machen sollen. In Freital wurden wir jeweils zu dritt auf sehr kleine Zimmer verteilt. Ich war überrascht. In Mosambik haben Ausländer immer allein in großen Villen gelebt. Ich habe mir das in Deutschland genauso vorgestellt. Wir sind nur zwei Wochen in eine Schule gegangen und haben etwas Deutsch gelernt, keine weitere Ausbildung erhalten. Ich sollte am Fließband fehlerhafte Flaschen aussortieren.
Ich dachte, ich gehe lieber wieder zurück. Ich wusste, dass man nach fünf Fehlschichten nach Mosambik zurückgeschickt wird. Doch zu viele Arbeiter wurden schon vom Betrieb heimgeschickt. Sie haben mir einfach kein Gehalt ausgezahlt. Ich hatte kein Geld mehr. Aus Verzweiflung begann ich, wieder zu arbeiten und akzeptierte mein Schicksal.
Ende 1989 waren etwa 94 000 Vertragsarbeiter in der DDR registriert – darunter 16 000 Mosambikaner. Sie lebten oft ausgegrenzt und isoliert. Die meisten verloren nach der Wende ihre Arbeitsverträge und Aufenthaltsgenehmigungen und wurden rasch in ihre Heimatländer abgeschoben.
Das Glaswerk in Freital war in einem schlechten Zustand. Im Winter gab es keine richtige Heizung. Zum Glück habe ich Renate kennengelernt, eine deutsche Kollegin. Sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen und Schnitzel für mich gemacht. Sie war älter als ich und hatte keine Kinder und hat sich wie eine Mutter um mich gekümmert.
Wir waren so jung, als wir in die DDR kamen. In unserer Freizeit haben wir versucht, etwas zu erleben, sind in Discos gegangen. Aber wenn wir unser Wohnheim verließen, mussten wir unseren Personalausweis und die Betriebskarte abgeben. Wenn wir über Nacht wegbleiben wollten, mussten wir das begründen. Es war eigentlich nur möglich, Verwandte, die in anderen Betrieben untergekommen waren, zu besuchen. So sind wir Mosambikaner unter uns geblieben.
Viele meiner Kolleginnen haben sich Freunde gesucht. Ich bin fast vier Jahre alleine geblieben. Meine Cousine war auch Vertragsarbeiterin. Sie versuchte immer wieder, mich zu verkuppeln. Kurz vor der Wende 1989 hat sie auf einer Party einen Angolaner kennengelernt. Sie wollte ihn mir unbedingt vorstellen. Er war der Leiter einer Gruppe von angolanischen Vertragsarbeitern in einem Betrieb in Chemnitz. Ich war erst überhaupt nicht interessiert, aber er hat mir sofort sehr gut gefallen. Wir waren noch nicht lange zusammen, da erfuhren wir, dass alle Vertragsarbeiter in ihre Heimatländer zurückkehren sollen. Uns wurden 3 000 Mark angeboten. Alle meine Kolleginnen aus dem Glaswerk in Freital gingen zurück. Doch mein Freund sagte, es gäbe keine Zukunft für uns in unseren Heimatländern.
Als mein Arbeitsvertrag aufgelöst wurde, ging ich zu ihm nach Chemnitz. Ich war plötzlich ohne festen Wohnsitz und illegal in Deutschland.
Die große Mehrheit der Vertragsarbeiter verließ die DDR. Ein Teil ihres Lohnes sollte ihnen zurück in ihren Herkunftsländern ausgezahlt werden. Das passierte in vielen Fällen nie. Die mosambikanischen Gastarbeiter wurden zu Hause „Madgermanes“ genannt, was so viel heißt wie „verrückte Deutsche“, angelehnt an „Made in Germany“. Bis heute demonstrieren Madgermanes immer wieder etwa vor der deutschen Botschaft für die Zahlung des noch ausstehenden Lohns. Schätzungsweise 2000 bis 3000 Vertragsarbeiter gingen nicht zurück. Wenige bekamen direkt im Anschluss eine Arbeitserlaubnis, andere blieben illegal.
In Chemnitz gab es einen deutschen Pfarrer, der meinem Freund und mir half, eine Ausbildung zum Krankenpfleger und zur Krankenpflegerin in Radebeul zu finden und eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Immer wieder gab es Probleme mit der Verlängerung, aber wir durften bleiben.
1991 wurde ich ungeplant schwanger. Nach einer Untersuchung brach ich in Tränen aus. Mein Freund wollte zunächst, dass ich abtreibe. Wir teilten uns damals ein Zimmer in einem Internat in Radebeul, er konnte sich nicht vorstellen, wie wir mit einem Kind dort leben und unsere Ausbildung abschließen sollten. Schließlich entschieden wir uns aber doch, das Kind zu bekommen.
Der Erste, der vermutete, dass ich schwanger bin, war Jorge Gomondai. Er war ein guter Freund von mir. Eines Tages waren wir gemeinsam in den Niederlanden. Niederländische Schlachtbetriebe versuchten nach der Wende, ehemalige mosambikanische Vertragsarbeiter anzuwerben. Wir wollten uns die Bedingungen vor Ort anschauen. Während der Reise musste ich mich mehrmals plötzlich übergeben. Jorge hat gleich gesagt, dass ich schwanger bin. Wir entschieden uns, nach Dresden zurückzukehren.
Jorge Gomondai war das erste Todesopfer rassistischer Gewalt in Dresden nach der Wiedervereinigung. In der Nacht zum Ostersonntag 1991 attackierte ihn eine Gruppe von 14 Neonazis in einer Straßenbahn und stieß ihn aus dem letzten Waggon. Wenige Tage später starb der 28-Jährige an seinen schweren Kopfverletzungen.
Auf der Trauerfeier in der Dresdner Kreuzkirche hatte ich schon einen großen Bauch. Als wir nach dem Gedenkgottesdienst aus der Kirche kamen, wurden wir wüst beschimpft. „Ausländer raus!“, skandierte eine Gruppe von rechtsradikalen Demonstranten vor der Trauergemeinde. Wenige Wochen später ist mein Freund in einer ähnlichen Situation, wie sie Jorge erlebt hat, nur knapp einer Gruppe von randalierenden Rechtsradikalen entkommen.
Schon zu DDR-Zeiten erlebten viele Vertragsarbeiter rassistische Angriffe – und machten die Erfahrung, dass diese von Polizei und Justiz nicht geahndet wurden. Nach dem Mauerfall verschärfte sich die Situation: Demonstrationen wurden aggressiver und nationalistischer, Wohnheime von ehemaligen Vertragsarbeitern und Geflüchteten angegriffen. 1991 warfen Jugendliche unter dem Beifall von Nachbarn Steine und Molotowcocktails auf eine Unterkunft in Hoyerswerda, in der auch viele Mosambikaner lebten.
Weil ich schwanger war, mussten mein Freund und ich aus dem Wohnheim ausziehen. Wir beantragten bei der Gemeinde eine Wohnung. Mit der Begründung, es wäre zu gefährlich für deutsche Mitbewohner, neben uns zu wohnen, wurden wir in einem völlig heruntergekommenen Mehrfamilienhaus in Dresden untergebracht. Die Fensterscheiben waren alle kaputt und es gab kein warmes Wasser, dafür viele Ratten. Alle anderen Wohnungen in dem Haus standen leer.
Ich habe Vorhänge gekauft und die Fenster immer zugezogen, damit niemand mitbekommt, dass hier Schwarze wohnen. Am 28. Oktober 1991 habe ich eine wunderbare Tochter geboren. Nachts schlief ich mit ihr auf dem Schoß im Sitzen. Ich hatte so Angst, dass die Ratten mein Baby auffressen. Erst auf Druck vom Jugendamt haben wir eine bewohnbare Wohnung gefunden. Es gab kein Bad, aber warmes Wasser in der Küche.
Als ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte, wollten die Behörden, dass ich mit meiner Tochter Deutschland verlasse. Es hieß, dass ich einer deutschen Krankenschwester den Job wegnehme. Meine Chefin schrieb einen Brief. Ich sei unabkömmlich und meine Ausbildung genau auf die Stelle in der Diakonissen-Anstalt Dresden ausgerichtet gewesen. So half sie mir, wieder eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Jahrelang lebte ich mit einer Duldung in Deutschland. Heute habe ich einen deutschen Pass.
Ich arbeite mittlerweile auf einer Palliativstation und mag meinen Job. Immer wieder aber habe ich Patienten, die sich nicht von mir behandeln lassen wollen, weil ich schwarz bin. Erst vor ein paar Wochen bin ich in der Straßenbahn als „Niggerfotze“ beschimpft worden. Als ich mich gesetzt hatte, sagte ein Jugendlicher laut „hier stinkt es“ und öffnete das Fenster hinter mir. Ich schloss es wieder und versuchte, ruhig zu bleiben, als er mich beschimpfte. An der nächsten Station ist der junge Mann ausgestiegen.
1999 habe ich noch meine Jungs bekommen, die Zwillinge. Von ihrem Vater bin ich inzwischen getrennt. Auch meine Kinder werden immer wieder ausländerfeindlich beschimpft. Trotzdem und vielleicht auch gerade deswegen werde ich mich nicht aus dieser Stadt vertreiben lassen. Ich will diesen Leuten nicht nachgeben und ihnen zeigen, dass ich stark und hier zu Hause bin. Meine Kinder sind in Dresden und Radebeul geboren. Das ist unsere Heimat.