Deutscher Alpenverein wird 150: Was gestern Verdienst war, ist heute Verhängnis
Der Deutsche Alpenverein feiert in diesen Tagen runden Geburtstag. Früher hat er die Städter in die Berge gelockt – der Natur hat das nicht gut getan.
Es ist der Gipfel der Gefühle: Wenn die tiefstehende Sonne den Schnee des Hochgebirges glutrot färbt. Wer einmal die Färbung der Felsen gesehen hat, wird das Bild wohl nie vergessen. Der Deutsche Alpenverein (DAV) könnte diese Schönheit in diesen Tagen mehr denn je feiern. Er begeht am 9. Mai sein 150-jähriges Bestehen. Der DAV ist mit über einer Million Mitglieder der größte Bergsportverein der Welt, verpflichtet dem Sport und Naturschutz in 356 Sektionen, in Freizeit und Breite wie in der Spitze. Von Bildungsbürgern, Elitären in einer Münchner Schenke gegründet, steht er heute allen offen – und hat auch die Berge für alle geöffnet.
Es ist sein Verdienst, dass es heute Wege und Hütten zu den Gipfeln gibt: Er half einst, die Bergwelt als Erholungsraum zu erschließen. Alpen-Tourismus und Wintersport etablierten sich – neben Wandern, Klettern, Mountainbiken. Doch inzwischen hat der DAV ein Problem: Es sind schlichtweg zu viele.
Auch Josef Klenner hat das erkannt. Der 69-Jährige ist der Präsident des DAV, geht selbst seit seiner Jugend in die Berge. Er sagt, die Prioritäten hätten sich verschoben in den Jahren. „Das Netz ist seit den 1970er Jahren abgeschlossen. Es gibt genug Hütten und Wege. Man muss nicht mehr bauen – auch für den Schutz der Berge sollte man darauf verzichten.“
Erschließung versus Naturschutz. Das ist das Dilemma, indem der Verband steckt. Die Alpen glühen. Die Erderwärmung lässt die Temperaturen steigen. Gletscher verschwinden. Schon jetzt gibt es weniger von Enzian und Edelweiss, während andere Pflanzen und Tiere sich in immer höhere Hanglagen wagen. In niedrigen Lagen gibt es keine Schneesicherheit mehr. Dann müssen sie künstlich beschneien, was wieder schlecht fürs Klima ist und noch mehr Eis schmelzen lässt. Bis Ende des Jahrhunderts könnten die Alpen so gut wie eisfrei sein. Das bestätigt eine aktuelle Studie von Schweizer Forschern in der Fachzeitschrift „The Cryosphere“.
Der DAV nennt sich selbst heute „Anwalt der Alpen“
Der Verband gibt sich selbstkritisch. „Bei der Erschließung wurde viel Natur zerstört“, sagt Josef Klenner. Es wurden Unterkünfte errichtet, das Bergführerwesen und Wege ausgebaut. Immer mehr Regionen wurden erschlossen. Gasthäuser, Hotels, Skigebiete entstanden. Deshalb gilt nun: Es reicht. „Wir sind gegen neue Skigebiete. Vorhandene modernisieren, ja – das machen wir mit unseren Hütten und anderen Anlagen auch. Aber neue lehnen wir strikt ab.“
Der DAV nennt sich selbst heute „Anwalt der Alpen“. Seit 2005 ist er ein anerkannter Naturschutzverband in Deutschland. Doch das einstige Verdienst ist ihm längst ein Verhängnis. Anfangs ging es darum, dass Menschen in die Berge wollten. So viele wie möglich sollten sich an ihnen und der Natur erfreuen. Damals waren es ein paar hundert. Heute kommen jedes Jahr Millionen. Jetzt ist Klettern auch noch olympisch, wenigstens erst mal 2020 in Tokio. 207 Kletterhallen betreibt der DAV schon. Olympia hat noch mal einen Schub gegeben. Die Mitgliederzahl wächst stetig. Darauf sind sie stolz im DAV – weil die Zahl gegen den Trend klettert, wo es doch mit dem Vereinswesen im Allgemeinen eher abwärts geht.
Ob das nun gut ist? Es treibt wieder noch mehr Menschen in die Berge. Auch wenn sie beim DAV Wert legen auf die naturnahe Begegnung, sagen sie. „Es geht nicht nur ums Klettern. Auch ums Zelten, Kanufahren, die Gemeinschaft.“ Das klingt nach Pfadfinder und ist es wohl auch. Sie versuchen, die zusätzliche Aufmerksamkeit zu nutzen – der neuen Generation wieder Naturnähe und Bewusstsein für sie beizubringen. Wohl auch deshalb haben sie beim DAV die Olympiabewerbung für München 2022 unterstützt – wieder einmal in dem Wissen um das Dilemma, dass eben dieser Wintersport jenem Klima schadet, mit dem sie die Alpen eigentlich schützen wollen.
Als gesellschaftspolitischer Akteur ist der DAV vehement
Sie wollen die Bildungsarbeit mit dem Sport verknüpfen. Über 6000 Jugendleiter haben sie in den Sektionen. Als Buße für den Schaden, der schon angerichtet ist. Sie wollen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen – auch den politischen.
Als gesellschaftspolitischer Akteur ist der DAV vehement – auch, wenn es um Inklusion und Integration geht. In den Sektionen gibt es Kurse für MS-Erkrankte und Rollstuhl-Klettern. Als Geflüchtete nach Deutschland kamen, fasste der Verband einen Beschluss, zu helfen. Es geht um das Miteinander, sagt Josef Klenner. „Wir können gut Rücksicht nehmen. Eine Bergtour richtet sich immer nach dem Schwächsten in der Gruppe.“
Lernen aus den Fehlern der Geschichte, sagt er: Das versuchen sie beim Verband. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hätte es im DAV „völkische Anwandlungen“ gegeben, der Ausschluss von Juden erfolgte schon, noch ehe die Nazis es zur Pflicht machten. „Das war uns eine Lehre“, sagt Josef Klenner. Heute stehen Gedenksteine an den Hütten für jene, die damals ausgeschlossen wurden. Es ist nur ein Teil der Aufarbeitung der wechselhaften Geschichte, die der Verband im Alpinen Museum in München ausgestellt hat.
Selten werden Projekte wegen Naturschutzbedenken abgesagt
Hier kann der DAV etwas tun. Beim Klima kann er nur Schaden begrenzen. Und sieht oft hilflos zu, wenn doch neue Skigebiete gebaut und neue Schneekanonen aufgestellt werden. „Unsere Erfolge sind leider begrenzt. Es ist selten, dass Projekte wegen unserer Bedenken komplett abgesagt wurden.“ Ein Positivbeispiel war das Skigebiet am Riedberger Horn, wo eine Gondelbahn hinüber nach Balderschwang vorgesehen war. „Die Bayerische Staatsregierung hatte das erst durchgedrückt.“ Arbeitsplätze hätten Vorrang, hieß es. Dann aber zog sie doch zurück. „Wir haben gemeinsam mit anderen Naturschutzverbänden wohl genug öffentlichen Druck erzeugt.“
Derlei Erfolge sind selten. Immerhin die Bildungsarbeit trägt Früchte. Zumindest glaubt Josef Klenner daran – Stichwort „Fridays for Future“. Den jungen Generationen ist das Thema Klima und Umweltschutz längst nicht so egal wie den alten. Das gibt dem DAV dann bei allem Frust doch Zuversicht für die nächsten 150 Jahre. „Ich hoffe, dass die dann lebenden Generationen auch noch ins Gebirge gehen und sich an einer halbwegs intakten Natur erfreuen können“, sagt Josef Klenner. Dass es dann noch etwas zum Beschützen gibt – der DAV will und muss mit daran arbeiten.