Martenstein über Berliner Straßennamen: Warum nicht einfach eine "Allee der Diskriminierten"?
Ein Afrikaforscher soll in Wedding gegen eine Sklavenhändlerin ausgetauscht werden. Eine Glosse über die Umbenennung von Straßennamen im Auftrag der politischen Korrektheit.
Im Afrikanischen Viertel, Berlin-Wedding, sollen einige Straßen umbenannt werden. Das Erbe des deutschen Kolonialismus soll getilgt werden. In dem diesbezüglichen Beschluss des Bezirksparlaments heißt es, gewisse Straßennamen stünden „mit dem heutigen Demokratieverständnis nicht mehr im Einklang“. Da erlaube ich mir den Hinweis: Das heutige Demokratieverständnis ist von heute, also heutig.
Menschen von gestern haben fast nie über ein heutiges Demokratieverständnis verfügt. Das konnten sie nicht, aus dem gleichen Grund, aus dem sie keinen Facebook-Account hatten. Im Grunde müsste man, unter dieser Prämisse, fast alles umbenennen, was nach einer Person heißt, die vor 1968 aktiv war.
Forschungsgeschichte in der Kolonialzeit
Betroffen ist unter anderem Gustav Nachtigal, der Stammvater der ethnografischen Feldforschung, ein weltweit bis heute respektierter Afrikaforscher. Er war von den afrikanischen Kulturen fasziniert, lernte zahlreiche Sprachen und kämpfte gegen den Sklavenhandel. Dass er deshalb öfter mal Ärger bekam, versteht sich von selbst. Zitat aus dem Lexikon: Nachtigal war „eine der wenigen Persönlichkeiten der Forschungsgeschichte, die den Afrikanern nicht als überheblicher, mit Rassenvorurteilen beladener Durchreisender gegenübertrat“.
Allerdings war er, zeitweise, in leitender Stellung bei der Kolonialverwaltung tätig. Übrigens ist auch der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg zeitweise in leitender Stellung bei der Nazi-Wehrmacht tätig gewesen, wieso heißen immer noch Straßen nach dem? Ein heutiges Demokratieverständnis hatte der auch nicht.
Die Allee der Diskriminierten
Stattdessen soll eine Weddinger Straße nach Nzinga von Matamba benannt werden. Königin Nzinga kam sehr wahrscheinlich durch die Ermordung ihres Bruders an die Macht. Sie trat zum Katholizismus über, um mit den Portugiesen politisch ins Geschäft zu kommen, die Holländer belieferte sie mit etwa 12.000 Sklaven pro Jahr. Es wird also, wenn alles planmäßig läuft, in Berlin einem Gegner des Sklavenhandels der Straßenname entzogen, um eine Straße nach einer Sklavenhändlerin zu benennen. Dies geschieht im Namen der politischen Korrektheit, denn die Sklavenhändlerin ist ja schwarz und eine Frau, eine starke Frau, genauer gesagt. Moment – wie nennt man das noch gleich, wenn man Personen vor allem nach ihrer Hautfarbe und ihrem Geschlecht beurteilt? Ich glaube, die Fachbegriffe heißen „Rassismus“ und „Sexismus“.
Nobody was perfect, Frau Nzinga so wenig wie Herr Nachtigal. Das Problem der Berliner Straßennamen kann man vielleicht am ehesten dadurch lösen, dass man nur noch nach Eigenschaften benennt, wie wäre das? Opferstraße. Allee der Diskriminierten. Gasse der gesunden Ernährung. Oder, warum nicht, Platz des himmlischen Friedens.
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