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Am Fortnite-Stand konnte man nicht zocken, aber dafür viele Youtuber treffen.
© fk

Mutter und Sohn auf der Gamescom: Verbindung wird hergestellt

Auf der Gamescom wollen sich Mutter und Sohn näherkommen. Sie denkt an Geschichtsunterricht. Er denkt: Alter, krass!

Mutter: Werden sie süchtig?

Die Halle ist ein begehbarer Wunschzettel. Blinkende Tastaturen, Gaming-Stühle, Monitore überall. Und Höllenkrach. Dies ist die größte Computerspielemesse der Welt, die Gamescom in Köln, und der Trip hierher ein Annäherungsversuch.

Mein Sohn Arthur ist 13 und spielt „Fortnite“, genau wie alle seine Freunde. Darin springen 100 Spieler über einer verlassenen Insel mit dem Fallschirm ab. Sie sammeln Waffen und Munition, jeder versucht, möglichst lange zu überleben. Wer als Letzter übrig ist, gewinnt.

Wir Eltern haben Bedenken: Zocken die nicht viel zu lange? Werden sie süchtig? Macht es sie brutal, abgestumpft? Der Sohn ist oft völlig in seiner Welt, und ich will verstehen, was so faszinierend daran ist.

Am „Fortnite“-Stand gibt’s das Spiel nicht, stattdessen kann man Stempel auf einer Pappkarte sammeln und später, nach stundenlangem Herumlaufen, einen Code bekommen. Damit kann die eigene „Fortnite“-Figur im Spiel wie ein Graffiti-Sprayer ein Bild an der Wand hinterlassen.

Und dafür der Aufwand? „Mama, das haben nur ganz wenige!“ – Aha, es geht um soziale Distinktion. Das Spray ist ein Statussymbol. Arthurs Tagesziel: den Code kriegen. Mein Tagesziel: den Sohn verstehen.

Wo kam der denn jetzt her?

Dann treffen wir noch Youtuber am Stand! Solange die hier sind, können wir unmöglich weiter. Das ist nämlich auch ein Statussymbol – ein Selfie mit einem bekannten Youtuber. Mein Sohn bekommt schon Rückmeldungen darauf, da habe ich noch gar nicht mitgekriegt, dass er sie irgendwo veröffentlicht hat. „Schaue ich mir sofort an“, sage ich. „Ich habe dich von dieser Funktion ausgesperrt“, sagt er.

Bei einem Hardware-Hersteller läuft „Fortnite“, wir setzen uns ran, und mein Sohn ist quasi weg. Zu anderen Gamern nimmt er Verbindung auf, zu mir nicht so richtig. Nach zehn Minuten linst er für eine Millisekunde rüber: „Du spielst in einem Modus ohne Gegner.“ Ach? Gut, dann kann ich wenigstens nicht sofort erschossen werden. Nach 20 Minuten habe ich die Grundlagen allein kapiert und ändere den Modus. Arthur ruft: „Du bist in Tilted Towers, das ist der gefährlichste Ort, gleich bist du tot!“ Im rechten Fenstereck steht, wie viele Mitspieler leben, demnach sind schon 78 vor mir gestorben. Dann erschießt mich einer. Wo kam der denn jetzt her? Das passiert mir nicht noch mal! Ich spiele eine neue Runde.

Ich bin Alexander der Große!

Ich verstehe jetzt besser, was Arthur fasziniert. Man will schneller werden, die Freunde sind ja auch „on“, also online, und Arthur ist dauer-on. Die Messe ist sich dessen bewusst, es gibt Veranstaltungen zur Suchtgefahr, allerdings muss ich sie übersehen haben. „Fortnite“, so scheint es mir jetzt, ist im Vergleich harmlos. Es ist bunt, ohne Blut – und wenn sich ein Spieler freut, legt er ein Tänzchen hin. Die anderen Spiele hingegen tragen den Krieg im Namen: „World of Warcraft“, „World War 3“, „Wargame“, sie sind düster, brutal und völlig humorfrei. „Fortnite“ entwickelt jedoch einen Sog, dem sich die Jungs (es spielen vor allem Jungs) nicht leicht entziehen können, zumal die Welt draußen rätselhaft und überfordernd ist. Pubertät.

Langsam begreife ich: Unsere Gedenkkultur, unsere Erzählkultur wird sich durch Gaming ändern. Es bietet fantastische Möglichkeiten für den Geschichtsunterricht. Man könnte jede Epoche in Form eines Games vermitteln. Ich bleibe vor dem Spiel „Anno 1800“ stehen. „Cool!“, rufe ich, „hier geht es um die Industrielle Revolution! Dabei lernst du was!“ „Krass“, sagt Arthur tonlos, „wovon sprichst du?“ Ich stelle mir vor, wie es wäre, historische Ereignisse in der Rolle einer Figur wahrzunehmen. Ich bin Cäsar! Ich bin Brutus! Ich bin Alexander der Große!

Arthur blickt mich verstört an. Womöglich nerve ich.

Fatina Keilani, 50Sohn: Ich darf nicht am Computer essen

Die Gamescom in Köln zieht jedes Jahr Hunderttausende Spielefans aus aller Welt an.
Die Gamescom in Köln zieht jedes Jahr Hunderttausende Spielefans aus aller Welt an.
© imago/Future Image

„Oh mein Gott!“, rufe ich. „Da sind Trymacs und HandOfBlood!“ Am Gesicht meiner Mutter erkenne ich, dass sie keine Ahnung hat, wovon ich rede. Trymacs und HandOfBlood sind populäre Youtuber, die ich mag. Sie haben Kanäle, wo sie unter anderem „Fortnite“-Videos hochladen. Das ist das Spiel, das meine Freunde und ich zocken.

Meine Eltern finden, dass ich das zu viel spiele, ich finde das nicht. Außerdem denken sie, es sei brutal, weil man darin Leute töten muss. Als ob ich das nicht von der Wirklichkeit unterscheiden könnte! Und deshalb sind wir jetzt hier: Mama will verstehen, was am Spielen so faszinierend ist, und ist mit mir zur Gamescom gefahren.

Alter, total krass. Jetzt ist auch noch MckyTv da, und Beneos, alle vier stehen auf der Bühne am „Fortnite“-Stand, ich muss Autogramme und Selfies mit ihnen haben! Die Schlange ist riesig, wir stellen uns an. Dann laufen wir sehr viel herum, wir müssen das Lama finden und das Tanzverbotsschild, denn uns fehlen zwei Stempel, und ich will unbedingt so einen Code, den man nur hier auf der Gamescom kriegen kann. Mama sammelt auch Stempel, dann kriegen wir zwei Codes, und ich kann einen meinem besten Freund Paul schenken.

Wir haben einen Deal

Paul schleppt am Wochenende manchmal seine Playstation 4 zu mir rüber und dann zocken wir richtig lange. Es nervt voll, wenn Mama ständig reinkommt und fragt, ob wir nicht draußen Fußball spielen wollen. „Nein, wollen wir nicht, kannst du bitte rausgehen?“, antworten wir. Wie dumm, sie formuliert es als Frage! Sie müsste schon sagen: „Raus jetzt mit euch!“ und uns das Lan-Kabel wegnehmen. Manchmal spielt Mama aber auch Zimmerservice und bringt uns Essen und Getränke, das ist nett.

Normalerweise darf ich nicht am Computer essen, also nur als Ausnahme. Wir haben einen Deal. Es war Mama irgendwann zu nervig, mich ständig zu ermahnen. Ich habe jetzt keine Zeitbegrenzung mehr beim Zocken, muss aber Bedingungen erfüllen: Die Schule geht vor, und meine Noten müssen stimmen, ich darf Tennis und Musik nicht vernachlässigen, ich muss zu den Mahlzeiten kommen, und um 21 Uhr ist in der Schulwoche Schluss. Das ist bitter.

Hier auf der Gamescom hat Mama bei „Fortnite“ total verkackt, weil sie nicht mal geradeaus laufen konnte und sich in einem Busch versteckt hat. Wie peinlich ist das denn bitte?! Voll komisch ist auch, wenn die eigene Mutter am Computer neben einem sitzt. Zum Glück waren noch andere da, mit denen ich spielen konnte.

Sitzen sei kein Sport

Beim Rumlaufen sagt sie die ganze Zeit Sachen wie: „Assassin’s Creed Odyssey ist ja super Geschichtsunterricht!“ Oder: „Guck mal, Facebook hat jetzt auch eine Gaming-Sparte!“ Oder als wir an einem Kriegsspiel vorbeikommen: „Wer will denn sowas spielen?“ Außerdem frage sie sich, ob die steigenden Umsätze der Games-Branche mit steigendem Übergewicht in der Bevölkerung korrelieren oder so ähnlich. Sitzen sei kein Sport, sagt sie.

Bis wir überhaupt reindurften auf die Gamescom, dauerte es ewig. Wir waren bei der Eröffnung. Es haben Politiker geredet und geredet und geredet. Mama sagte, die hätten absolut nichts kapiert. Dazwischen wurden Games-Neuheiten vorgestellt, natürlich ein ziemlicher Kontrast.

Den Code haben wir schließlich auch bekommen, und in ein paar Tagen können wir ihn gegen ein seltenes „Fortnite“-Spray eintauschen. Damit kann ich während des Spiels an eine Wand oder auf den Boden ein Zeichen malen. Es bringt einem keine Vorteile, aber es beweist, dass man auf der Gamescom war und drei von sechs Aufgaben geschafft hat. Dass ich mit meiner Mutter dort unterwegs war, verrät es zum Glück nicht.

Arthur, 13

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