Digitalisierung in der Pflege: Smarter Anschluss gesucht
Eigentlich müsste der Markt der digitalen Pflegehelfer boomen. Doch im Alltag der Betroffenen spielen neue Technologien kaum eine Rolle.
Fragt man die Deutschen, ob sie sich im Pflegefall digitale und technische Unterstützung vorstellen könnten, ist die Offenheit groß: Nach einer repräsentativen Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) sieht die überwiegende Mehrheit mehr Chancen als Probleme. Selbst die Begleitung zur Toilette durch einen Pflegeroboter finden 51 Prozent der Befragten gut, bei weniger intimen Verrichtungen – etwa der Unterstützung bei der Medikamenteneinnahme – sind die Zustimmungswerte noch erheblich größer. Die größten Bedenken hatten die Befragten bezüglich des Umgangs mit persönlichen Daten.
Solche Stimmungsbilder sind wichtig, haben aber wenig mit dem gelebten Pflegealltag zu tun. Gut drei Viertel der 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt. Den größten Teil schultern Angehörige – in traditioneller Handarbeit. „Robotik in der häuslichen Pflege ist noch in weiter Ferne“, sagt Simon Eggert vom ZQP. Im professionellen Bereich gebe es zwar vielversprechende Ansätze wie den Roboterarm „Panda“, der Pflegekräfte bei der Lagerung und Mobilisierung des Patienten unterstützt. „Marktreif, geschweige denn verbreitet sind solche Cobots (kollaborierende Roboter) aber noch nicht.“
Nun muss es ja nicht gleich ein Pflegeroboter sein. Sogenannte alltagsunterstützende Assistenzlösungen (AAL) haben sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt, und Hersteller haben etliche „smarte“ Lösungen auf den Markt gebracht. Auf der jährlichen AAL-Messe in Karlsruhe kann man besichtigen, was Pflegende entlasten und die Pflegebedürftigen in ihrer Selbstständigkeit stärken soll: Sturzsensormatten, Rauchmelder mit integrierter Herdsteuerung, GPS-Sender, die demenzkranke Personen orten, oder Videosysteme, mit denen Pflegebedürftige nach außen kommunizieren können und umgekehrt.
Viele Anwendungen sind schlicht unbekannt
Eigentlich müsste dieser Markt boomen. Doch das tut er nicht. „Leider haben diese Technologien bislang keine ausreichende Marktresonanz erfahren, obwohl der Bedarf mit jedem Jahr größer wird“, sagt Ansgar Hinz, Chef des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE). Die geringe Verbreitung smarter AAL-Lösungen in den Haushalten älterer Menschen können die Johanniter bestätigen. Viele Möglichkeiten seien sehr sinnvoll, aber schlichtweg nicht bekannt, meint Frauke Engel vom Landesverband Niedersachsen/Bremen. „Wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten.“
Der Hausnotruf ist mit geschätzten 750 000 Nutzern in Deutschland nach wie vor das am meisten verbreitete technische Angebot im Bereich der häuslichen Pflege. Die Basisversion wird bei anerkanntem Pflegegrad von den Pflegekassen bezahlt – weitere Features wie ein aufgeschalteter Bewegungsmelder oder ein Sensor, der misst, ob jemand am Morgen die Kaffeemaschine betätigt, müssen dagegen aus der eigenen Tasche gezahlt werden. „Die Kunden sind durchaus bereit, für Dienste mit Mehrwert zu bezahlen“, sagt Frauke Engel, „nur erkennen sie ihn nicht unbedingt in der Hausautomation.“
Die Techniker Krankenkasse (TK) fordert, dass der Leistungskatalog der Pflegekassen genau um solche Lösungen erweitert wird. „Ohne digitale Unterstützung wird es in Zukunft immer schwieriger werden, die pflegerische Versorgung zu Hause sicherzustellen“, begründet Georg van Elst, Teamleiter für Pflege bei der TK, die Forderung an die Politik.
Bevor die Kassen jedoch Milliarden für neue Systeme ausgeben, muss erst einmal deren Mehrwert bewiesen werden. Derzeit fehlen aber breite, aussagekräftige Studien. Pflegetechnik-Experte Simon Eggert vom ZQP sieht außerdem den AAL-Markt zunehmend mit anderen Smart-Home-Entwicklungen verschwimmen, etwa dem sprachgesteuerten Licht- oder Rollladenschalter. „Vieles, was die Haushaltsführung deutlich vereinfacht, hat Potenzial zur Unterstützung der Pflege.“
Die großen Krankenkassen bieten digitale Unterstützung
Trotzdem – völlig abgehängt vom technischen Fortschritt ist die Pflege nicht. Digitale Anwendungen sind in der professionellen Pflege dort schon verbreitet, wo es um Organisation und Logistik geht. Laut einer Studie des IGES-Instituts für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen setzen immerhin 71 Prozent der ambulanten Pflegedienste die vernetzte Tourenplanung und Leistungserfassung ein. Solche Programme bieten teilweise auch die Möglichkeit zur sprachbasierten Pflegedokumentation. Die Studie zeigt außerdem, dass in der Branche ein großes Interesse an digitalen Lösungen besteht, der Markt jedoch derzeit als sehr intransparent empfunden wird.
Digitale Unterstützung für pflegende Angehörige bieten jedoch die großen Krankenkassen. Auf den Homepages werden etwa kostenlose Online-Pflegekurse, ein Demenz-Coach und ein Pflegenavigator angeboten. Darüber hinaus gibt es in App-Stores digitale Hilfe für die Pflege. Allerdings ist das Angebot bei Weitem nicht so groß, wie man in Anbetracht des wachstumsstarken Marktes der Gesundheits-Apps vermuten könnte. Nach Abzug von Produktwerbungen bleiben derzeit weniger als 40 kostengünstige Applikationen übrig, von denen sich einige auch für pflegende Angehörige eignen.
Das zeigen erste Ergebnisse einer Studie, die das ZQP in seinem neuen Report zu digitaler Technik in der Pflege im Mai veröffentlichen will. Darin finden sich auch Hinweise, worauf App-Anwender achten sollten. Einen Aspekt verrät Mitautor Simon Eggert vorab: „Eine kostenlose App ist niemals kostenlos. Man bezahlt immer – mindestens mit seinen Daten.“
Beatrice Hamberger