Lego, Barbie & TKKG: Sexismus-Debatte im Kinderzimmer
Mädchen kriegen einen Frisiertisch geschenkt, Jungs kämpfen mit Schwertern und basteln an einer Werkzeugbank. Beim Spielzeug überleben die ärgsten Klischees. Das soll sich ändern. Lego hat den Anfang gemacht.
Auf den ersten Blick wirkt das Lego-Set „Forschungsinstitut“ wenig spektakulär. Es besteht bloß aus drei Figuren, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Berufen nachgehen: Ein Chemiker hält Reagenzgläser in Händen, ein Astronom wird mit Sternenkarte und Teleskop geliefert, ein Paläontologe schaut durch seine Lupe auf ein zusammensetzbares Saurierskelett, vermutlich ein Tyrannosaurus Rex. Es gab schon aufregendere Lego-Pakete, denkt man, bevor man begreift: Die drei Figuren sind weiblich, erkennbar an den langen Haaren und geschminkten Lippen. Das bedeutet nichts weniger als eine Revolution in der Miniatur-Klötzchenwelt.
Bisher, das haben Feministinnen lange kritisiert, blieben die meisten angesehenen Berufe im Lego-Universum Männern vorbehalten. Polizisten, Piloten, Akademiker – alle maskulin. Frauen fanden sich in den Pappboxen höchstens als ungelernte Hilfskräfte, zum Beispiel als Pizzabäckerin.
Das gehört dringend geändert, forderte Frauenrechtlerin Melitta Walter bereits 2010 – und wünschte sich eine 50/50-Quote für sämtliche Lego-Berufe. Der Hersteller hielt dagegen. Unter anderem mit dem Argument, man könne ohnehin jeder Figur in Sekundenschnelle ein anderes Geschlecht verpassen: einfach den Kopf abmontieren, einen anderen draufstecken – fertig!
Im Februar dieses Jahres flammte die Diskussion neu auf, als der Brief der siebenjährigen Charlotte an die Lego-Zentrale öffentlich wurde. Darin beschwerte sich das Mädchen über einen kürzlichen Besuch im Spielzeuggeschäft: „Alles, was die Lego-Mädchen taten, war zu Hause oder am Strand sitzen und einkaufen, und sie hatten keine Berufe.“ Die Jungs aber dürften Abenteuer erleben, arbeiten und Menschen retten, ja sogar mit Haien schwimmen. Der Brief wurde zehntausendfach im Netz geteilt. Das neue Set mit den drei Forscherinnen, heißt es offiziell, sei keine Reaktion auf Charlottes Brief. Aber zumindest ein Anfang.
Überholte Geschlechterrollen in Spielzeugwelten. Man kann das als First World Problem abtun, als Wohlstands-Wehwehchen von Menschen, die keine echten, existenziellen Probleme kennen. Man kann aber auch die Augen öffnen und etwa den aktuellen Weihnachtskatalog der Kette „Toys R Us“ durchblättern. Dann wird einem angst und bange. Der Spielzeug-Multi zeigt neben den Produkten, die er bewirbt, auch etliche Fotos von wahlweise Jungen oder Mädchen, die anschaulich vorführen, wie das jeweilige Spielzeug zu gebrauchen sei. Die Artikel, die im Katalog von Jungen präsentiert werden: Ritterburgen, Ninja-Waffen, Ritter-, Pirat- und Cowboy-Verkleidung, fernsteuerbarer Baukran, Werkzeugbank, Teleskop. Artikel, die in dem Katalog von Mädchen vorgeführt werden: Miniaturküche, Kaufladen, Küchengeräte-Set, Bügelset, Puppen, Puppenhaus, Frisiertisch, Katze, Ballerinakleid, Glitzerkleid, Prinzessinnenkostüm, Teddybären und ein Plüschpferd, das auf Kommando wiehern kann.
Es ist, als hätten sich die Zuständigen einen Spaß daraus gemacht, die übelsten Geschlechterklischees zu reproduzieren, um alle Feministinnen dieser Welt gegen sich aufzubringen. Wahrscheinlicher ist: Die meinen das ernst.
Alle Mädchen lieben Pink? Von wegen
Gender-Apartheid gilt in der Spielzeugbranche als mehrheitsfähig. In den Filialen von „Toys R Us“ und anderer Ketten gibt es ganze Regalreihen, die sich ausschließlich an Jungen oder Mädchen richten. Eine besondere Rolle spielt dabei die Signalfarbe Pink, die von der Feenpuppe bis zum Fahrradhelm alles einfärbt, wovon Jungs bitte die Finger lassen sollten. Hartnäckig hält sich auch unter Eltern der Mythos, Mädchen zöge es ganz automatisch zu dieser Farbe hin, vielleicht sei das sogar genetisch bedingt. Historiker wissen es besser: Früher galt Rosa als ausgesprochene Jungsfarbe, Mädchen war dagegen Hellblau zugeordnet. Das drehte sich erst im 20. Jahrhundert.
Feindbild Nummer eins von Gender-Aktivisten ist seit sechs Jahrzehnten Barbara Millicent Roberts – Spitzname: Barbie –, die Plastikpuppe mit extrem unnatürlichen Kurven. In ihren Anfangsjahren hatte sie, umgerechnet auf Menschengröße, die Maße 99-48-84. Eine Frau mit solchen Proportionen wäre nicht lebensfähig, weil ihre Organe keinen Platz im Körper fänden. Nach Protesten wurde die Form leicht angepasst, sieht aber heute noch grotesk überzeichnet aus. Gäbe es einen Menschen mit den Proportionen der Barbie, wie sie aktuell in den Regalen steht, müsste diese Person auf allen vieren laufen und wäre nicht imstande, den Kopf zu heben.
Im Laufe der Jahre ist Hersteller Mattel in diverse Gender-Fettnäpfchen getreten: Das Modell „Pyjamaparty-Barbie“ wurde mit einem kleinen Diät-Buch verkauft. Es trug die Aufschrift: „Don’t Eat“. Von Ken wiederum, Barbies männlichem Pendant, plante Mattel 2009 die Sonderausgabe „Sugar Daddy Ken“. Ein älterer Herr, der junge Puppenfrauen gegen sexuelle Gefälligkeiten aushält? Der Hersteller behauptete später, er sei da wohl missverstanden worden. Ken besitze eben einen Hund, der „Sugar“ heiße, mehr nicht.
Barbie bekommt Konkurrenz
Dass überschlanke Barbies mit extremer Wespentaille das Selbstwertgefühl ihrer Besitzerinnen schädigen, bestreitet Mattel bis heute. „Barbies Körper war nie dafür vorgesehen, realistisch zu wirken“, hat die Vize-Chefin der Design-Abteilung kürzlich erklärt. Zudem würden Mädchen ihren eigenen Körper keineswegs mit dem einer Puppe vergleichen, vielmehr seien Eltern oder andere Personen aus ihrem sozialen Umfeld die entscheidende Vergleichsgröße mit Vorbildfunktion. Das sei erwiesen!
Die Wissenschaft sieht das anders. Die Ergebnisse einer Studie an der University of Sussex deuten darauf hin, dass Mädchen im Alter zwischen fünf und acht Jahren ein gestörtes Körperbild drohe, wenn sie mit Barbies spielen. Die zugehörige Veröffentlichung „Does Barbie Make Girls Want to Be Thin?“ geht deshalb von einem erhöhten Risiko der Puppenbesitzerinnen aus, später an Essstörungen zu erkranken.
Seit kurzem hat Barbie Konkurrenz. Der Kulturwissenschaftler Nickolay Lamm hat den Prototypen einer Modepuppe entworfen, deren Proportionen denen einer durchschnittlichen 19-jährigen US-Amerikanerin entsprechen. Das Resultat heißt „Lammily“, ist einen Kopf kleiner als Barbie, gedrungener und hat eine breitere Taille. Nickolay Lamm stellte seine Puppe ins Internet und startete eine Crowdfunding-Kampagne. Innerhalb weniger Tage hatte er eine halbe Million Dollar zusammen, konnte die Fertigung der ersten 20 000 Puppen in Auftrag geben. Die werden gerade mit der Post verschickt, weitere Modelle sind in Planung. Ein ehemaliger Barbie-Manager ist von dem Projekt so angetan, dass er zu Lamm überlief und ihn berät.
Bei "TKKG" hat Gabi wenig zu melden
In den USA wächst der Druck auf die Branchenriesen. Mehrere Initiativen machen Lobby-Arbeit für gendergerechtes Spielzeug. In Großbritannien kämpft die Gruppe „Let the toys be toys“ dafür, dass Überraschungseier nicht mehr blau oder pink eingefärbt werden. Auch in Skandinavien wächst die Bewegung. Die Spielwarenkette „Top-Toy“ wurde gefeiert, weil sie ihren Katalog geschlechtsneutral hielt: Darin greifen Mädchen auch zu Waffen, während Jungen den Fön halten oder Stofftiere an der Leine führen.
In Deutschland ist davon nichts zu merken. Im Gegenteil: Wer im Internet das Berliner Start-up meinespielzeugkiste.de ausprobieren möchte, das Spielzeug verleiht und auf Wunsch gegen neues austauscht, muss gleich zu Beginn die Frage beantworten: „Ist Dein Kind ein Junge oder ein Mädchen?“ Wer sich empört, gilt in Deutschland schnell als Spinner oder Störenfried.
So werden auch die Aktivisten beschimpft, die sich öffentlich über die populäre Kinderbuch- und Hörspielreihe „TKKG“ beschwert haben: Die handelt von drei Jungen namens Tim, Karl und Klößchen sowie dem Mädchen Gabi, die in ihrer Freizeit gern Kriminalfälle lösen, wobei Gabi oft zurückstecken muss („Du nicht, Gabi, das ist Männersache.“).
Wenn sie doch mitdarf, hat sie selten Hilfreiches zur Aufklärung beizutragen. Zum Beispiel in Folge 3, in der die Schüler einen flüchtigen Schwerverbrecher jagen, der mit dem Fallschirm über einem Waldgebiet abgesprungen ist. Sie finden den Schirm, wissen, dass sie auf der richtigen Spur sind. Gabis einziger Kommentar: „Aus dem Stoff könnte man sich doch ein schönes Kleid schneidern.“
Gerade die älteren TKKG-Folgen sind nicht nur aus Gendersicht pädagogischer Quatsch: Die Bösewichter in den Fällen sind Südländer, Roma, arm oder hässlich. Obdachlose werden als Penner verspottet („Wer mit Pennern umgeht, muss den Wind im Rücken haben.“). Tim, der Anführer, droht mit Selbstjustiz und setzt Gewalt präventiv ein.
Dass genderbewusstes Spielzeug auch in Deutschland nachgefragt wird, zeigt das Beispiel der drei Lego-Wissenschaftlerinnen. Das Set „Forschungsinstitut“ ist gerade ausverkauft. Wer eines zu Weihnachten verschenken will, muss auf Ebay mitbieten.
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