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Michael Kempf mit den Auszubildenden an der Brillat-Savarin-Schule, die hier zum Beispiel den Umgang mit der Milz lernen. Dazu fehlt im normalen Betrieb oft die Zeit.
© Doris Spiekermann-Klaas

Wo der Koch-Nachwuchs besonders gefördert wird: Schule der Sterne

Köche sind TV-Stars und machen viel Kohle? In Wahrheit ist Arbeit am Herd beinhart – und Nachwuchs rar. Die Großen der Branche fördern deshalb talentierte Azubis.

Wenn doch nur jeder Tag so wäre. In einem Topf köchelt ein dunkler Fond für die Étouffée-Taube, in einer großen Pfanne schmoren runde Steckrüben-Scheiben auf kleiner Flamme, daneben bekommen ein paar Ananas-Stückchen in der heißen Pfanne eine dunkle Farbe, als der Fruchtzucker unter der Hitze karamellisiert. Ein Geruch von Gewürzen füllt die Großküche an diesem Mittwoch morgen, kurz nach zehn, in der Brillat-Savarin-Schule.

„Ein echter Feinschmecker, der ein Rebhuhn verspeist hat, kann sagen, auf welchem Bein es zu schlafen pflegte“, erklärte der französische Jurist und Pionier des kulinarischen Feuilletons Jean Anthelme Brillat-Savarin vor gut 200 Jahren. Etwas von diesem Geist weht heute durch den Funktionsbau in Weißensee.

20 Auszubildende, Anfang bis Mitte 20, arbeiten an zwei großen Kochinseln. Sie tragen Kochjacken, weiße und schwarze, ein- und zweireihige, feste Schuhe, karierte Hosen, Hauben und Mützen, alle haben einen Löffel zur Hand. „Das ist ganz wichtig: Immer überall probieren!“, sagt Michael Kempf, der gerade pulverisierten Malventee in Nussbutter gerührt hat. „Das ist heute keine Kochshow. Das ist ein Workshop.“

Sähe so der Alltag in der Kochausbildung aus, hätte die Gastrobranche einige Sorgen weniger. Immerhin gibt mit Michael Kempf aus dem „Facil“ heute ein Spitzenkoch ein paar Küchengeheimnisse im Klassenzimmer preis. Kempf, 36, hat zwei Michelin-Sterne und 17 Punkte im Gault Millau, gehört zu den besten Köchen Deutschlands. Seine Mission: das Image der Kochausbildung zu heben.

Kein leichter Job. Rauer Ton, lange Schichten, schwere körperliche Arbeit, permanenter Druck, das alles für mäßigen Verdienst – der Beruf des Kochs gilt als hart. Am härtesten haben es die Azubis, die in der Hackordnung ganz unten stehen. Selbst heutige Branchengrößen erinnern sich nicht gern an ihre Lehrjahre. „Du bist nicht Muttis Wunschkind“, sei eins der zärtlichsten Dinge gewesen, die Tim Raue als Lehrling zu hören bekam. Cornelia Poletto musste so lange Zwiebeln schneiden, bis ihre Hände bluteten. Und Johan Lafer hat anfangs jeden Abend geweint – vor Heimweh und Anstrengung.

Darauf haben immer weniger Jugendliche Lust. In den letzten zehn Jahren haben sich die Bewerberzahlen bundesweit praktisch halbiert. Die Abbrecherquote liegt zwischen 40 und 45 Prozent. Nachwuchsprobleme haben auch Metzger, Bäcker und Restaurantfachleute – vulgo: Kellner/-innen. Doch in keinem anderen Ausbildungsberuf brechen so viele Lehrlinge ab wie bei den Köchen.

Es gibt also Handlungsbedarf. Selbst wenn Berlin etwas besser dasteht – die Abbrecherquote liegt hier nur bei rund 20 Prozent. Seit drei Jahren gibt es an der Brillat-Savarin-Schule das Leuchtturmprojekt Köche Plus. Es soll die Jahrgangsbesten fördern und so einen Anreiz für die Ausbildung schaffen. Neben Auslandspraktika, Unterrichtsprojekten und vertiefenden inhaltlichen Schwerpunkten kommen immer wieder illustre Gäste. Christian Lohse vom „Fischers Fritz“, ebenfalls zwei Sterne, war schon zweimal da.

Man bekommt auf jeden Fall einen Job

Michael Kempf mit den Auszubildenden an der Brillat-Savarin-Schule, die hier zum Beispiel den Umgang mit der Milz lernen. Dazu fehlt im normalen Betrieb oft die Zeit.
Michael Kempf mit den Auszubildenden an der Brillat-Savarin-Schule, die hier zum Beispiel den Umgang mit der Milz lernen. Dazu fehlt im normalen Betrieb oft die Zeit.
© Doris Spiekermann-Klaas

Heute bei Kempf auf dem Stundenplan: Gemüse, Gewürze und Gartechniken. Er zeigt vier Gänge, die typisch für das „Facil“ sind, und bei denen man handwerkliche Dinge lernen kann, die viele Auszubildende in ihren Betrieben gar nicht erst vermittelt bekommen. Einerseits, weil sie allzu oft als volle Arbeitskraft eingesetzt werden, so dass kaum Zeit bleibt, das Handwerk in all seinen Facetten zu lernen. Andererseits, weil längst nicht mehr in jeder Küche alles frisch gekocht wird. Allzu oft ist das wichtigste Werkzeug die Schere, mit der die Tüte geöffnet wird.

Auch deshalb hat Kempf eine Milz mitgebracht. Die ist selbst unter den längst nicht von allen geschätzten Innereien ein Mauerblümchen. Meist landet sie in der Wurst – oder gleich im Hundefutter. In der Zubereitung ist sie nicht unkompliziert. Sie aus dem Fettmantel auszuschaben, erfordert viele geübte Handgriffe. Außerdem im Warenkorb: Bachsaibling, Étouffée-Taube und Steckrübe. Um aus dem bescheidenen Wurzelgemüse etwas Sternewürdiges zu zaubern, muss man sich schon was einfallen lassen.

„Saucen und Fonds sind die Basis jeder guten Küche“, sagt Kempf und gibt den Ananasabschnitt in den Steckrübensaft, dazu Limettenschale und geräuchertes Meersalz. „Um Spannung in das Gericht zu bekommen, braucht ihr eine schöne Säure und etwas Würziges.“ Lena Cramer, die einzige Frau unter den Auszubildenden, wickelt derweil mit einer Gabel den fein geschnittenen Steckrübensalat auf. Er wurde unter anderem mit einem zwölf Jahre im Eichenfass gelagerten Balsamico mariniert.

Wie einige in der Eliteklasse hat Lena Cramer schon vor der Ausbildung gearbeitet. Ursprünglich wollte die 24-Jährige Opernsängerin werden, war Regieassistentin an der Neuköllner Oper. Zwar vermisst sie die frühere Freiheit, schätzt aber die neuen Möglichkeiten. „Man bekommt garantiert einen Job“, sagt sie. „Und du kannst auf der ganzen Welt kochen. Es gibt eine riesige Bandbreite: Großkantine, Sternerestaurant, Almhütte, Kreuzfahrtschiff, Catering, Café – da ist alles möglich.“

Bleibt die Frage: Warum sehen das nicht mehr junge Leute so? Die gesellschaftliche Anerkennung des Kochberufs war ja noch nie so hoch, das Thema Kochen noch nie so präsent wie heute. An einem durchschnittlichen Wochentag laufen 17 Stunden Kochshows im Fernsehen. 1750 Kochbücher erscheinen jährlich in Deutschland, Tendenz steigend. Noch nie konnte man hierzulande so gut essen. Und dann ist da noch der Streetfood-Boom. Abseits der etablierten Gastronomie ist eine regelrechte Jugendbewegung rund ums Kochen entstanden. Wenn der Streetfood-Thursday in der Kreuzberger Markthalle IX richtig brummt, schieben sich 10 000 Menschen zwischen den Ständen hindurch. Die meisten von ihnen unter 30 Jahre alt. Ausgerechnet dieser quicklebendigen Branche also soll der Nachwuchs aussterben?

„Gerade die Kochshows verzerren das Bild des Berufs“, meint Michael Kempf. „Das ist harte Arbeit, auch körperlich.“ Selbst bei ihm macht sich die sinkende Zahl der Bewerber bemerkbar. Vor zehn Jahren bekam das Mandala Hotel, zu dem das „Facil“ gehört, noch 600 Bewerbungen pro Jahr. Heute ist es ein Bruchteil. „Wir haben ganz tolle Auszubildende, aber es ist viel anstrengender, sie zu finden.“ Und man müsse sich intensiver um sie kümmern – mit Einzelgesprächen, Teams mit flachen Hierarchien und regelmäßigem Qualitätsmonitoring der Ausbildungsbetriebe, wie es der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga mittlerweile durchführt.

Nicht zu hektisch!

Aber auch die Bewerber hätten sich geändert, sagt Christian Andresen, Vizepräsident der Dehoga-Berlin. Die verlangen eine anständige Work-Life-Balance, lange Zeit ein Fremdwort im Gastgewerbe. Außerdem brächten sie weniger mit an Vorbildung und Einstellung. Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen, Ausbildung und Arbeit besser organisieren und damit auch attraktiver machen. Die vielen kreativen und fleißigen Quereinsteiger in der Streetfood-Szene zeigen: nicht die Arbeit an sich, sondern die Bedingungen scheinen der Generation Y nicht zu schmecken.

Jetzt ist der Bachsaibling an der Reihe. Wenn Kempf das Messer in die Hand nimmt, sieht alles ganz einfach aus. Ein Schnitt parallel zur Kieme, dort hält er den Fisch fest; mit einer ruhigen Bewegung entlang der Mittelgräte führt er das Messer bis kurz vor die Schwanzflosse.

Kempf gegenüber müht sich Moritz Harlacher mit dem Fisch. Als das Messer feststeckt, versucht er an dem widerborstigen Tier zu sägen. „Zu hektisch, langsamer!“, sagt Kempf. Harlacher ist im dritten Lehrjahr und hat bereits Wirtschaftspsychologie studiert, dabei aber seine tiefe Abneigung gegen Büroarbeit erkannt. Ein Kulturschock war die Kochausbildung nicht, schon während des Studiums hat er als Tellerwäscher gearbeitet. Eine Umgewöhnung aber durchaus. Schichten, die schon mal um fünf Uhr früh losgehen oder erst um drei Uhr früh enden, waren mit dem studentischen Lebensrhythmus nicht gleich in Einklang zu bringen. „Man ist in einer anderen Welt in der Küche.“ Harlacher spricht mit leiser Stimme. Ganz hat er das Vokabular des Wirtschaftspsychologen noch nicht abgelegt: „Wenn es gut läuft, ist das ein Flow-Gefühl, das ist schon genial.“

Michael Kempf mit den Auszubildenden an der Brillat-Savarin-Schule, die hier zum Beispiel den Umgang mit der Milz lernen. Dazu fehlt im normalen Betrieb oft die Zeit.
Michael Kempf mit den Auszubildenden an der Brillat-Savarin-Schule, die hier zum Beispiel den Umgang mit der Milz lernen. Dazu fehlt im normalen Betrieb oft die Zeit.
© Doris Spiekermann-Klaas

Um zwölf ist der Bachsaibling fertig confiert. Teller werden angerichtet, die Malven-Nussbutter über den Fisch geträufelt, der auf einer Sauce mit Staudensellerie, Salatgurke und Granny Smith-Apfel liegt. Die Azubis stehen um die Kochinsel mit Messer und Gabel. „Das ist ja mega! Starker Säuremix“, findet einer. „Boah, das ist mein Ding, Alter“, meint ein anderer. „Nicht so gierig“, witzelt der Ausbildungsleiter. Brillat Savarin wäre zufrieden.

Felix Denk

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