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Digitalisierung ist das neue Zauberwort und auch für die Bundeskanzlerin Angela Merkel kein Neuland mehr.
© imago/IPON

Moritz Rinke erinnert sich: Schönes neues Digitalland

Twitternde Politiker, Algo-Trader und der tägliche Cybermobbing an den Schulen: Wie Digitalisierung die Fundamente der Gesellschaft schwächt.

Vor ein paar Tagen hatte ich in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft zu tun, der überparteilichen Vereinigung der Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Unten am Empfang sah ich auf mehreren Monitoren die anberaumten Sitzungen der Fraktionen. „CDU/CSU: 9.00: Digitalisierung“. Bei der SPD: „9.30: Digitalisierung“. FDP: „10.30: Digitalisierung“. Ich sah etwas panisch auf den Monitor von Bündnis 90/Die Grünen: „11.30: „Digitalisierung“. Bei der AfD hatte ich eine monothematische Dauersitzung zur „Begrenzung des Familiennachzugs“ erwartet, sah aber, dass auch die AfD für 14.00 Uhr eine Sitzung zur „Digitalisierung“ angesetzt hatte, zuletzt weigerte ich mich, auch noch auf den Monitor der Linken zu schauen.

Digitalisierung scheint das neue Zauberwort für politischen Aufbruch zu sein, im Koalitionsvertrag steht es 93 Mal. Schon wie Politiker das Wort „Digitalisierung“ im Fernsehen aussprechen, mit einem weihevollen Unterton, als habe man gerade die heilige Botschaft erhalten!

Kriege erfolgen nach Vorgabe von Tweets

Ich finde es ja wirklich löblich, wenn man Termine im Bürgeramt online buchen kann oder ein paar andere Dinge, aber offenbar ist es plötzlich so, dass ALLES digitalisiert werden soll. Wenn sich die Deutschen auf einen Begriff setzen, dann eben richtig. „Die digitalen Fähigkeiten als Schlüsselkompetenz aller Alltagsgruppen“ sollen entwickelt, das Land soll zum „Digitalland“ werden, wie es im Koalitionsvertrag heißt.

Bewunderer der englischen Serie „Black Mirror“ können bei solchen Sätzen panisch werden. Eine Folge zeigt zum Beispiel Menschen, die ihre analogen Fähigkeiten völlig verloren haben und in der Liebe nur noch auf digital zugewiesene Partner verlassen. Die Folge wurde 2011 gesendet und schon nach sieben Jahren scheint die Dystopie von der Wirklichkeit eingeholt worden zu sein.

Doch schon jetzt scheinen sich Politiker gar nicht im Klaren darüber zu sein, wie Digitalisierung die Fundamente der Gesellschaft schwächt und eine neue Logik politischer Debatten begründet hat. Ein twitternder Präsident zerstört jede Form von Verhandlung und Gespräch. Handelskriege mit China oder Militärschläge gegen Syrien erfolgen nach Vorgabe von Tweets. Die digitale Form eines Tweets gibt in der Verkürzung die populistische Steilvorlage, und das in einer Welt, die von Trump über Nordkorea bis zum Nahen Osten und Putin ungeordneter und komplizierter scheint denn je.

Man sollte schnell auf die Straße gehen

Im automatisierten Handlungsprogramm der Banken haben längst Algo-Trader und Autopiloten analoges Denken ersetzt, indem Computer Kauf- und Verkaufssignale generieren, bevor Menschen überhaupt eingreifen können. Und nicht zuletzt die Zerstörung-Erpressungstrojaner, die russische Hacker in westliche Computersysteme setzen, denen nur noch hoch spezialisierte IT-Nerds oder andere Hacker gewachsen sind.

Das alles gehört auch zur schönen Digitalisierung, abgesehen vom täglichen Cybermobbing an den Schulen. Der Schüler der Cults Academy im schottischen Aberdeen, der seinen Mitschüler wegen eines Streits um einen Keks umbrachte, hatte vorher noch bei Google „Wie wird man jemand Nerviges los?“ eingegeben.

Gegen ein Digitalland, wie es der Koalitionsvertrag also vorsieht, sollte man am besten analoge Demonstrationen veranstalten und schnell auf die Straße gehen – solange unser Herz und unser Verstand noch nicht umdigitalisiert worden sind.

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