Psychisch Kranke während der Isolation: „Zu den krankheitsbedingten Ängsten kommen jetzt auch reale“
Sabine Maur ist Psychotherapeutin und versucht die Versorgung aus der Ferne aufrechtzuerhalten. Doch Therapie per Video ist nicht immer erlaubt. Ein Protokoll.
Sabine Maur ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Präsidentin der Landespsychotheraputenkammer Rheinland-Pfalz. Sie setzt sich schon seit längerem für mehr digitale Lösungen in der Psychotherapie ein, in der Corona-Krise versucht sie, psychisch Kranken Jugendlichen und Kindern aus der Ferne zu helfen.
„Die Inhalte der Sitzungen sind jetzt andere: Sie bekommen einen stützenden Charakter. Momentan geht es mehr darum, bei Krisen und Ängsten zu stabilisieren. Denn mit der Schließung von Schulen und Sportstätten fallen viele Dinge weg, die meine Patienten erden und ihnen Freude bringen, wie etwa Sport und Freunde treffen.
"Ich würde niemals richtig tief gehen"
Da müssen wir uns überlegen, wie sie gut für sich sorgen können. Bestimmte Inhalte gehen bei bestimmten Patienten gut. Allerdings würde ich niemals intensiv traumatherapeutisch arbeiten oder richtig tief gehen.
Da braucht es schon die direkte Anwesenheit, um den Patienten notfalls auffangen zu können. Bei älteren Patienten ist wiederum das Problem, dass die das Equipment für Online-Telefonie gar nicht haben.
Wie das Coronavirus unser Leben ändert:
- Eine Hebamme berichtet: "Eine Schwangerschaft kann man nicht absagen"
- Protokoll einer Kassiererin: "Heute war es so schlimm wie nie zuvor"
- Ich gehöre zur Risikogruppe: "Bin ich den andren so egal?"
- Ein Kita-Erzieher hält die Stellung: "Niemand hat gesagt: Toll, dass ihr bleibt"
- Wie ein Polizist den Shutdown durchsetzt: "Die Menschen merken, dass es für uns auch nicht einfach ist"
Dabei sind das diejenigen, die sich ohnehin viel sorgen und mit anderen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben. Da kämpfen wir in den Verbänden politisch darum, dass wir auch Therapiesitzungen per Telefon abhalten dürfen.
Ich habe schon vor Wochen Hygienemaßnahmen eingeführt, etwa Händewaschen bei Betreten der Praxis und ein größerer Abstand. Andererseits sehen wir aber viel weniger Patienten als in einer Hausarztpraxis. Bei uns sind es höchstens acht am Tag.
"Wir müssen umstellen auf Videosprechstunde"
Natürlich ist es eine ethische Frage, ob wir das Risiko eingehen wollen, das Virus weiterzuverbreiten. Andererseits wollen wir psychisch kranken Menschen helfen.
Für uns Psychotherapeuten war superschnell klar, dass wir umstellen müssen auf die Videosprechstunde. Die Frage war: Wie kriegen wir psychisch kranke Menschen trotz der Ansteckungsgefahr versorgt? Deswegen haben alle Verbände versucht, auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einzuwirken. Denn laut der Regeln, die wir mit der KBV vereinbart haben, dürfen wir nur 20 Prozent unserer Sprechstunden über Videotelefonie abhalten.
"Diese Patienten brauchen am dringendsten Hilfe"
Das ist dann überraschend schnell geglückt - normalerweise dauern solche Initiativen in der Gesundheitspolitik ja recht lang. Die Quotierung ist jetzt vorübergehend aufgehoben - zumindest für laufende Therapien. Die psychotherapeutische Sprechstunde und Akuttherapien dürfen wir weiterhin nicht per Video abhalten. Dabei sind das die Patienten, die oft am dringendsten Hilfe benötigen.
Viele meiner Kollegen fahren jetzt ein Mischmodell aus Präsenztherapie und Videotelefonie. Für viele Therapeuten und Patienten heißt es “learning by doing”. Dabei dürfen wir natürlich nicht auf Skype zurückgreifen, es muss schon ein zertifizierter Anbieter sein. Da treten wegen der hohen Nachfrage oft technische Schwierigkeiten auf oder die Patienten haben keine stabile Internetverbindung.
"Es dauerte, bis Patienten und ich zueinanderfanden"
Das ist dann oft recht chaotisch - ich habe jetzt schon drei Anbieter durchprobiert. Also ich vor ein paar Tagen das erste mal eine Videositzung hielt, dauerte es schon recht lange, bis meine Patienten und ich endlich zueinanderfanden.
Ich arbeite hauptsächlich mit Kindern Jugendlichen, die haben kein Problem mit der Technik. Bei Kindern ist die Therapie etwas schwieriger, da arbeite ich oft spieltherapeutisch. Das ist über Videoanruf natürlich schlecht möglich. Aber das Feedback ist positiv, und zwar unisono: Als ich meine Patienten nach der Sitzung fragte, ob wir so fortfahren wollen, haben die die Frage überhaupt nicht verstanden. Natürlich wollten sie.
"Eigentlich sollen Patienten auf Menschen zugehen. Das ist nicht mehr möglich"
Die beschränkte Bewegungsfähigkeit durch das Virus hat besonders für Menschen mit psychischen Erkrankungen negative Folgen: Bei Angststörungen und Depressionen arbeiten wir mit sogenannten Aktivierungen. Patienten sollen raus aus der Meidung und lernen, auf Menschen zuzugehen, sich Situationen zu stellen, die ihnen Angst machen. Das ist jetzt oft nicht mehr möglich. Die praktischen Dinge klappen bei den meisten ganz gut, ist mein Eindruck.
"Jetzt kommen reelle existenzielle Ängste dazu"
Aber zu den Ängsten, die mit der psychischen Erkrankung zu tun haben, kommen jetzt noch reelle existentielle Ängste: Werde ich krank? Oder jemand aus meiner Familie? Was geschieht mit meinem Einkommen? Gerade da ist der therapeutische Kontakt sehr wichtig. Wenn es einem schlecht geht, ist es einfach wichtig, dass einem jemand zur Seite steht.
Was ich bei den Videositzungen auch gemerkt habe: Den Kontakt von Angesicht zu Angesicht ersetzt ein Videoanruf nicht. Deswegen laufen bei den meisten Therapeuten auch die Sitzungen in der Praxis weiter, denn die Patienten empfinden das als geschützten Raum außerhalb des Alltags. Zwei Jugendlich, die ich betreue, sagten mir, dass sie sich schon wieder auf die Praxis freuen.“
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