So überstehen Sie die Kontaktsperre: Zehn Tipps von Berlins Quarantäne-Rekordhalter
Keiner in Berlin ist so lange in Quarantäne wie Albrecht P.: Seit 19 Tagen darf er seine Wohnung nicht verlassen. Hier schildert er seine Erfahrungen.
Albrecht P., 24, hat Erfahrung damit, was Bayern und Saarländern bevorsteht – und im Fall einer Ausgangssperre vielleicht bald dem ganzen Land: Seit 19 Tagen darf er seine Wohnung nicht verlassen. An dem Tag, an dem bekannt geworden war, dass das Virus Berlin erreicht hat, wurde er unter Quarantäne gestellt.
Er hatte dem ersten Coronakranken Berlins erste Hilfe geleistet. Albrecht P. wurde zwar negativ auf Corona getestet, es konnten anderthalb Tage nach dem Kontakt keine Coronaviren bei ihm nachgewiesen werden. Als vorbeugende Maßnahme wurde dennoch ein 14-tägiger Hausarrest verhängt.
Der Abschlusstest, den er machen musste, um in die Freiheit entlassen zu werden, fiel jetzt positiv aus. Seine Quarantäne ist darum bis zum 1. April verlängert. Hier gibt er zehn Tipps, wie man am besten damit klarkommt.
1. Aufstehen, ins Bett gehen
Klingt banal, ist es aber nicht. Anfangs habe ich es genossen, auszuschlafen. Nach vier Tagen kam der Punkt, an dem ich dachte: Du kannst ruhig noch ein bisschen liegen bleiben. Du hast ja sowieso nichts zu tun.
Wenn man, wie ich, alleine Zuhause ist und nicht rausdarf, kann man ja leicht in seine eigene Zeitzone reinrutschen. Am Anfang meiner zweiten Woche war einer meiner Tage auf sieben Stunden zusammengeschrumpft.
Am nächsten Morgen war ich müde, weil ich zu viel geschlafen hatte. Seitdem stehe ich früher auf. Dass es acht Uhr geworden ist, was ich als ideale Zeit empfinde, hat einen anderen Hintergrund. Ich hatte am Freitag vergangener Woche einen zweiten Coronatest gemacht. Am Montagmorgen erwartete ich das Ergebnis. Ich wollte bereit sein, um sofort rauszugehen. Doch erst am Mittwoch um halb neun kam der Anruf vom Gesundheitsamt – das Test-Ergebnis war anders als erwartet. Jetzt behalte ich das frühe Aufstehen bei.
2. Morgen-Yoga mit Mady Morrison
Anfangs hatte ich keinen großen Bewegungsdrang. Um ein bisschen Fett zu verbrennen, habe ich mir trotzdem an meinem ersten Wochenende in Quarantäne ein Video mit Zirkeltraining aus dem Internet herausgesucht und auf dem Fernseher abgespielt. Ton runtergedreht, Musik dazu angemacht. Und dann lag ich da: schwitzend auf meinem Wohnzimmerboden und machte Liegestütze oder Sit-ups.
Ich fand es irgendwie unpassend. Wie soll ich es beschreiben? Es ist jedenfalls nicht meine bevorzugte Art und Weise, Zeit in meinem Wohnzimmer zu verbringen.
Normalerweise gehe ich zwei Mal die Woche ins Fitnessstudio. Mich körperlich zu verausgaben, ist für mich ein guter Ausgleich, wenn ich mental gefordert bin. Aber das bin ich ja zurzeit gerade nicht. Ich fühle mich durch das viele Sitzen oft verspannt. So bin ich auf Yoga gekommen. Vorher hatte ich davon nur rudimentäre Kenntnisse.
Auf Youtube bin ich auf Mady Morrison gestoßen, sie ist ziemlich weit oben bei den Suchergebnissen zu finden. Wer sich auskennt, kann vielleicht etwas Besseres empfehlen, aber sie hat unzählige Übungseinheiten zu verschiedensten Themen wie „Schulter“ oder „Energie für den Tag“. Das bringt Abwechslung rein.
Seit ein paar Tagen bin ich jeden Morgen um neun mit einer Freundin, die gerade im Homeoffice arbeitet, zu einem Videocall und gemeinsamem Yoga verabredet. Anschließend plaudern wir noch ein bisschen. Dabei nehme ich mein Sportlerfrühstück auf dem Balkon ein: bestehend aus Kaffee und einer Zigarette. So kommt man gut in den Tag.
3. Das Tief kommt früh. Danach wird es immer leichter
Quarantäne fühlt sich anfangs an wie ein verlängertes Wochenende: gut. Doch am Ende eines verlängerten Wochenendes kommt ja immer der Moment, an dem man wieder in seinen Alltag zurück will. Da ist mir voll bewusst geworden: Du kommst hier wirklich nicht raus! Das war bei mir der schwierigste Punkt.
Je mehr ich meine Tag strukturierte, um so besser ging es mir. Als unangenehm empfand ich nur die Phasen der Ungewissheit. Das war, als ich drei Tage lang auf das Ergebnis meines zweiten Coronatests wartete.
Dass er positiv ausgefallen war und sich die Quarantänezeit damit um zwei Wochen verlängerte, hat mich nicht umgehauen. Einerseits, weil ich jetzt weiß: Ich habe Corona, und die Krankheit verläuft bei mir fast unmerklich. Nicht, dass ich mir groß Sorgen gemacht hätte, aber beruhigend ist es doch.
Andererseits weil ich draußen andere Leute infizieren würde. Ich muss hier drinnen isoliert sein. Das macht die Quarantäne leichter.
4. Mit den Dingen anfangen, die man am liebsten mag
Ich habe mir als erstes in der Quarantäne eine Nudelmaschine bestellt. Ich koche gern. Da ist es sogar von Vorteil, allein zu sein: Ich kann neue Rezepte ausprobieren, und wenn sie nicht gelingen, merke es nur ich. Zuletzt habe ich mit dem Kochen etwas pausiert. Ein bisschen werden Beschäftigungen dadurch entwertet, wenn man sie macht, um die Zeit rumzubekommen.
Die letzten Tage habe ich viel mit Putzen und Papieresortieren verbracht. Denn irgendwann geht das Leben ja weiter, und dann muss ich es nicht mehr machen. Letztens habe ich mir ein Küchenregal bestellt und anmontiert. Es wird mich immer an diese intensive Zeit erinnern.
5. Telefonate terminieren
Viele Freunde rufen spontan bei mir an. Das ist natürlich sehr nett, nervt aber manchmal trotzdem, denn auch in Quarantäne nimmt man sich Aufgaben vor, und bei denen wird man dann ständig unterbrochen. Deswegen hat es sich für mich bewährt, feste Termine für Telefonate auszumachen. Da hat man etwas am Tag, auf das man sich freuen kann.
Am Freitag habe ich mir zu einem Videocall mit einer Freundin eine Flasche Wein aufgemacht. Da kamen Wochenendgefühle auf. Videocalls sind unmittelbarer. Man muss sich nur eine gewisse Lässigkeit angewöhnen. Es muss einem egal sein, wie man gerade aussieht oder ob im Hintergrund Unordnung zu erkennen ist.
Herkömmliche Telefonate haben den Vorteil, dass man, wenn man einen Kopfhörer trägt, nebenher aufräumen oder kochen kann, und der Gesprächspartner merkt es nicht. Darin habe ich mit der Zeit ein ziemliches Geschick entwickelt. Allerdings können Telefongespräche normale menschliche Begegnungen nicht ersetzen. Immer, wenn man auflegt, ist die Wohnung von einer großen Stille erfüllt, die sich auch nicht mit Musik übertönen lässt.
6. Werde dein bester Freund. Du hast gerade keinen anderen
Gegen Ende meiner ersten Woche in Quarantäne fühlte ich mich sehr einsam. So muss es Rentnern gehen, dachte ich: Meine Arbeit war mir genommen, mein Bewegungsradius beschränkt, und ich fürchtete, meine Sozialkontakte zu nerven, wenn ich sie anrief. Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Tagebuch geführt.
Jeden Tag sitze ich jetzt eine Stunde am Computer und sortiere meine Gedanken. Das meiste, was in Quarantäne passiert, findet im eigenen Kopf statt. Es ist interessant, sich darauf einzulassen. Dabei wurde mir bewusst, dass es eine gemeinsame Aufgabe ist, das Virus einzudämmen. Seitdem fühle ich mich weniger allein. Ich leiste, wie viele andere zuhause auch, meinen Beitrag zum Ganzen.
7. Keine großen Ziele setzen
Ich arbeite bei der Bundeswehr, und zu meiner Überraschung rief mich an meinem ersten Quarantänetag mein Truppenpsychologe mit Empfehlungen an. Eine lautete: Ich sollte mir Pläne für die Quarantäne machen. Ich nahm mir vor, meinen Papierkram zu sortieren, mein erstes Semester an der Fernuni Hagen vorzubereiten, das im Mai beginnt, viel zu kochen und Frühjahrsputz zu machen.
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Das klingt nach nicht besonders viel. Doch obwohl die Quarantäne verlängert wurde, bin ich immer noch gut damit beschäftigt. Am Anfang braucht man viel Zeit, um mit der Situation klarzukommen. Außerdem sind zwei oder in meinem Fall vier Wochen schneller vorbei, als man denkt. Wenn man also eine neue Sprache lernen will, wie es Freunde von mir vorhaben, wird man wahrscheinlich nicht weit kommen.
8. Nimm dir Zeit, denn du hast sie
Das fängt schon damit an, dass ich neuerdings morgens mein Bett mache. Sonst bin ich in die Dusche und weiter in die Arbeit gestürzt. Kochen, Essen, wegräumen – alles mache ich sorgfältiger als sonst. Es ist auch sehr angenehm, abends in ein gemachtes Bett zu gehen. Gegen zehn Uhr lege ich mich meist hin und höre noch eine Meditiations-App. Einschlafen ist nach einem Tag nur in der Wohnung nicht immer leicht.
9. Die Situation ist der Wahnsinn. Da ist es ok, ein bisschen wahnsinnig zu werden
Anfangs habe ich stundenlang Netflixserien geguckt. Das fühlt sich schnell schal an. Letztlich geht es darum, sich mit den begrenzten Möglichkeiten hier in der Wohnung etwas einfallen zu lassen, was man tun kann. Dabei kommt man oft auf fast spinnerte Ideen. Ich habe gerade ein Papier zu einem Ball zusammengeknüllt, vielleicht baue ich mir einen Hockeyparcours.
10. Die Flut an Coronameldungen nur begrenzt in die Wohnung lassen
Anfangs habe mich fast gar nicht mit Meldungen über die Verbreitung der Krankheit beschäftigt. Meine Situation ist ja grundlegend von Corona bestimmt, deswegen geht es mir besser, wenn ich mich gedanklich nicht auch noch dauernd damit befasse. Und es hilft ja auch keinem weiter. Mittlerweile höre ich den Podcast des Virologen Christian Drosten und verfolge, was die Tagesschau auf Instagram postet.
Anfangs war in einer What’s-App-Gruppe, in der Bekannte des ersten Infizierten sich austauschten, viel los. Jetzt ist das Gespräch fast eingeschlafen. Nur eines wurde kürzlich geschrieben: Der junge Mann, bei dem ich mich infiziert habe, ist mittlerweile negativ getestet. Das heißt: Er ist wieder gesund.