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Die Gegendemonstranten haben weiße Kreuze dabei - sie symbolisieren die Opfer rechter Gewalt.
© picture alliance/dpa

Die Nahkämpfer: Wie sich der Ort Themar erfolgreich gegen Neonazis wehrt

Tausende Neonazis trafen sich im kleinen Themar. Menschen wie Thomas Jakob wehrten sich, mit Gegendemos und Zäunen. Es hat sich gelohnt - und den Ort verändert.

Wie klingen 6000 Neonazis? Thomas Jakob wird es nicht vergessen. Der 39-Jährige sitzt am Küchentisch seines Elternhauses im thüringischen Themar und beim Gedanken an das, was 2017 hier geschah, bekommt er immer noch Gänsehaut. 300 Meter ist er hier von der Wiese entfernt, auf der vor zwei Jahren eines der größten Rechtsrockkonzerte der deutschen Geschichte stattfand. „Wir können bei uns zu Hause jedes Wort verstehen, was drüben bei den Konzerten gesprochen wird“, sagt er. Damals habe man erst nicht gewusst, wie viele Rechtsextreme gekommen waren. „Aber als die alle ,Heil‘ und ,Rudolf Heß‘ riefen, wurde uns klar: Das müssen Unmengen von Leuten sein. Es war beängstigend.“

Nach diesem Konzertwochenende im Juli 2017 kamen Rechtsextreme immer wieder zu Rechtsrockveranstaltungen nach Themar. Bands mit Namen wie „Sturmwehr“ reisten an, Neonazis trugen T-Shirts, auf denen „Auch ohne Sonne braun“ und „HKNKRZ“ stand, im Festzelt riefen sie „Frei, sozial und national“. Die 2800-Einwohner-Stadt Themar kam zu Bekanntheit. Sie wurde zur Chiffre für raumgreifenden Rechtsextremismus.

Doch es hat sich etwas gedreht. Dass sich Themarer wie Thomas Jakob von Anfang an gegen diese Konzerte engagierten, hat Früchte getragen. Das Zusammenspiel zwischen dem Demokratiebündnis in der Region, den Behörden und der Polizei macht es für die Rechtsextremen immer ungemütlicher. In diesem Jahr floppten zwei Konzerte – bei einem war die Stimmung mies, das andere wurde verlegt und fiel wesentlich kleiner aus als geplant. Thomas Jakob sagt, lange hätten er und seine Mitstreiter das Gefühl gehabt, ihr Engagement sei vergebens. „Das reibt einen irgendwann auf. Deswegen ist es unheimlich wichtig, dass dieses Jahr so gut gelaufen ist.“

Die Unbefangenheit ist verloren gegangen

Die Geschichte von Themar erzählt davon, dass es sich lohnen kann, dranzubleiben. Aber sie erzählt auch davon, wie diese Auseinandersetzung einen Ort verändert. Denn Themar ist heute gespalten, zwischen denen, die laut gegen Neonazis protestieren, und denen, die sagen: Lasst sie doch, die machen doch nichts und räumen ihren Müll hinterher selbst wieder weg. Der Bürgermeister Hubert Böse sagt, die Menschen hätten ihre Unbefangenheit im Umgang miteinander verloren.

An einem verwaschenen Herbsttag läuft Thomas Jakob in einer blauen Windjacke die Bundesstraße entlang, von seinem Elternhaus zur Wiese. Jakob, Sozialarbeiter und Bewährungshelfer, ist in Themar geboren. Wegen des Jobs lebt er in Erfurt, kommt aber an den Wochenenden mit seiner Familie regelmäßig her. Er ist hier auch in der SPD engagiert. Als 2017 bekannt wurde, dass in Themar ein Rechtsrockkonzert stattfinden soll, wusste er, dass er da nicht einfach zusehen kann. Er stieß zum Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit, das sich 2015 wegen der Zunahme rechtsextremer Aktivitäten in Südthüringen gegründet hatte. Auch seine Mutter und seine Schwester waren dabei.

Thomas Jakob versuchte es den rechtsextremen Festivalbesuchern so ungemütlich wie möglich zu machen.
Thomas Jakob versuchte es den rechtsextremen Festivalbesuchern so ungemütlich wie möglich zu machen.
© Maria Fiedler

Am Ortsausgang, direkt hinter der Tankstelle, stoppt Thomas Jakob. Hier auf der Wiese wurden in den vergangenen Sommern Hitlergrüße gezeigt, tätowierte Neonazis schwitzten im Festzelt. Jetzt zeugen noch zwei Reihen metallener Zaunpfähle davon, die das Gelände begrenzen. Das Protestbündnis hat sie 2018 aufgestellt, um die Rechtsextremisten einzuzäunen. „Arierkäfig“, witzeln manche in Themar, „Reichsacker“. Jakob sagt: „Man muss das Ganze auch mit einem Augenzwinkern betrachten.“

Zwei Kilometer entfernt sitzt der, ohne den es all die Konzerte wohl nicht gegeben hätte: Tommy Frenck. Der 32-jährige Koch hat einen Gasthof im Themarer Nachbarort Kloster Veßra. Den „Goldenen Löwen“, untergebracht in einem Fachwerkhaus. Frenck ist einer der umtriebigsten Rechtsextremen der Region, organisiert seit Jahren Rechtsrockkonzerte. 2017 war Frenck Anmelder der Veranstaltung mit den 6000 Neonazis, in den Jahren darauf unterstützte er die Organisatoren von der NPD. Frenck kennt den Besitzer der Festwiese, den Lokalpolitiker Bodo Dressel, gut – er hat gegenüber vom Gasthaus sein Autohaus. Und wenn mal etwas fehlt wie etwa ein Warmwasserspender, dann holt Frenck einen aus seinem Lager und fährt ihn rüber.

Seine Gesinnung trägt Frenck für jedermann sichtbar. Er war mal deutscher Jugendmeister im Gewichtheben, über seinen Körper spannt sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Islamisierung stoppen“. Auf den Hals hat er das Wort „Aryan“ tätowiert. Und auch die Einrichtung der Gaststätte spricht eine eindeutige Sprache: Hinterm Tresen steht ein kleines Schild: „I <3 HTLR“. Ausgaben der Zeitschrift „N.S. Heute“ liegen aus. Es gibt Schlüsselanhänger zu kaufen, auf einem ist ein Mondgesicht mit Hitlerbärtchen geprägt.

Die Festivalwiese. „Reichsacker“ witzeln manche in Themar.
Die Festivalwiese. „Reichsacker“ witzeln manche in Themar.
© Maria Fiedler

Es hat keinen Zweck, Frenck zu fragen, ob er den Nationalsozialismus gut findet. Warum er an Hitlers Geburtstag Schnitzel für 8,88 Euro anbietet. Oder warum der Online-Shop, den er sehr erfolgreich betreibt, „Druck18“ heißt. Frenck behauptet dann, „Druck18“ sei nicht anders als „Check 24“, ein Schnitzel für 7,77 wäre eben zu billig und den Rest interpretiere man selbst hinein. Was im Gespräch mit dem 32-Jährigen vor allem klar wird: Er ist Geschäftsmann und Netzwerker zugleich. Viele Dinge, die er im Online-Shop verkauft, werden in der Region produziert. Jeder Kauf unterstützt sein rechtsextremes Netzwerk. Und nebenbei versucht sich Frenck als Lokalpolitiker, mit seinem rechtsextremen „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ sitzt er im Kreistag. Er veranstaltet Möbelbasare für Bedürftige, im Gasthaus steht neben der Tür ein Haufen Spielsachen – zum Mitnehmen.

„Frenck weiß, wie ein Dorf funktioniert“, sagt Thomas Jakob. Er trete nicht als aggressiver Nazi auf, sondern gebe sich konservativ. In einer Region, in der sich die Parteien irgendwann zurückgezogen hätten, sei Frenck jemand gewesen, der auf einmal etwas angeboten habe. Der den Kümmerer gegeben habe. „Damit konnte er sich verstetigen“, sagt Jakob.

„Wir müssen Themar schützen“

Schon 2015 beobachtet man in Themar und Kloster Veßra die rechtsextremen Umtriebe in der Region. Kurz zuvor hat Frenck den „Goldenen Löwen“ erworben, an verschiedenen Orten in Südthüringen und auch in Kloster Veßra finden Rechtsrockkonzerte statt. 2017 dann wird bekannt, dass auch in Themar Konzerte stattfinden sollen – angemeldet als politische Versammlung. „Themar war ein Ort, der sich vorher noch nie mit Demos auseinandergesetzt hatte. In dem es sehr behütet zuging“, erzählt Jakob. „Wir waren mit der Frage, wie man sich wehren soll, klar überfordert. Wir haben dann angefangen, uns Hilfe zu holen.“ Das Bündnis wendet sich an die Thüringer Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, die sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene auseinandersetzt und im NSU-Untersuchungsausschuss saß. Hilfe holen sich die Themarer auch von der „Mobilen Beratung Thüringen“, die Leute unterstützt, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Als der Tag des großen Konzertes im Juli 2017 naht, hat Thomas Jakob noch eine Idee. Er will verhindern, dass Rechtsextreme in den Ort selbst kommen, dort parken, umherziehen und sich in den Läden mit Alkohol versorgen. Sein Impuls: „Wir müssen Themar schützen.“

Tommy Frencks Gasthaus „Goldener Löwe“.
Tommy Frencks Gasthaus „Goldener Löwe“.
© Maria Fiedler

Er schlägt vor, an jeder Zufahrtsstraße zum Ort eine Versammlung anzumelden, sodass niemand durchkommt. „Das hat funktioniert“, sagt Jakob. Nur hat es auch Nebenwirkungen: „Der Nachteil war, dass manche Bürger nichts mitbekommen haben von den Rechtsextremen. Die haben dann gesagt: Die machen doch nichts.“ Das Einzige, was viele mitbekommen, ist der Gegenprotest überall im Ort. Und der wird kritisch beäugt.

Als das Rechtsrock-Festival im Sommer 2018 naht, versucht das Landratsamt die Veranstaltung zu stoppen – mit der Begründung, die laute Musik störe seltene Vogelarten. Doch das hält vor Gericht nicht stand, auch ein Alkoholverbot wird vor Gericht gelockert – Leichtbier und Radler können am Abend ausgeschenkt werden. Und es hindert die Rechtsextremen auch nichts daran, sich schon vorher an der danebengelegenen Tankstelle zu betrinken.

Am Abend des ersten Tages versammeln sich Themarer Bürger in der evangelischen Kirche. Auch der Thüringer Innenminister ist dabei. Sie gedenken der Menschen, die seit 1990 rechtsextremen Gewalttätern zum Opfer fielen. Für jeden gibt es ein weißes Kreuz, 193 an der Zahl. Die Themarer tragen sie in der Dämmerung zum Festgelände.

Am nächsten Tag: Demokratiefest in der Innenstadt. Insgesamt werden trotz allem 2000 Rechtsextreme an diesem Juliwochenende in der Stadt gefeiert haben.

Mit ihren T-Shirts bringen die Teilnehmer der Konzerte ihre Gesinnung zum Ausdruck.
Mit ihren T-Shirts bringen die Teilnehmer der Konzerte ihre Gesinnung zum Ausdruck.
© imago/Michael Trammer

Die Wende kommt 2019. In Thüringen wird eine Taskforce gegründet, die Kommunen bei Rechtsrockkonzerten unterstützen soll. Das Bündnis um Thomas Jakob meldet zu beiden Seiten des Festivalgeländes Demonstrationen an. Die Aktion ist umstritten unter den Teilnehmern: Will man so nah an die Rechtsextremen ran, sich den ganzen Tag von Rechtsrock beschallen lassen? Thomas Jakob glaubt, dass es nicht anders geht. „Dadurch, dass wir uns getraut haben, so nah an die Nazis ranzugehen, ist das für die unattraktiver geworden.“

Zwei Bands werden von der Bühne geholt

Verwaltung und Polizei ziehen an einem Strang. Das Alkoholverbot hat Bestand, am zweiten Tag darf überhaupt kein Alkohol ausgeschenkt werden, am ersten Abend nur Leichtbier. Die Polizei mietet die Tankstelle an und nutzt sie als Einsatzquartier.

Beobachter berichten von schlechter Stimmung unter den Festivalgästen: Einige hätten sich zwar in Tommy Frencks Gasthof in Kloster Veßra „druckbetankt“, aber auf dem zwei Kilometer langen Fußmarsch nach Themar seien sie wieder nüchtern geworden. Sie hätten an den Demonstranten vorbeigemusst, von denen einige „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ sangen. Der Staatsschutz ist mit Experten für rechtsextreme Musik im Ort. Zwei Bands werden von der Bühne geholt.

Für September ist dann die nächste Versammlung angemeldet, doch wegen Krankheitsfällen bei zwei Bands und einer Einreisesperre soll dann nur ein abgespecktes Event an Frencks Gasthof stattfinden. Das zieht aber deutlich weniger Teilnehmer als geplant an, sodass zum ersten Mal mehr Gegenprotestler als Rechtsextreme vor Ort sind. Für das Bündnis gegen rechts in Themar und Kloster Veßra ist es ein großer Erfolg.

Bevor die Konzerte kamen, hatte man in Themar keine Erfahrungen mit Demonstrationen.
Bevor die Konzerte kamen, hatte man in Themar keine Erfahrungen mit Demonstrationen.
© Maria Fiedler

Besucht man den Bürgermeister Hubert Böse im Rathaus in der Altstadt, wirkt der trotzdem nicht euphorisch. Böse – grauer Pulli, akkurater Bürstenschnitt – ist seit fast 20 Jahren Bürgermeister von Themar. Er war von Anfang an beim Gegenprotest dabei und ist froh, dass der Widerstand in letzter Zeit erfolgreich war. Doch er hat kein gutes Gefühl für die Landtagswahlen. „Ich erwarte ein ähnlich starkes Abschneiden der AfD wie in Sachsen“, sagt er. Für den Protest in Themar wäre es ein herber Rückschlag, würde die AfD hier in der Region ein Direktmandat gewinnen. Sie hat die Unterstützung von Leuten wie Frenck, der von sich sagt, seine Auffassungen und die von Björn Höcke würden sich zu 98 Prozent überschneiden.

Was viele nicht wissen: Themar hat eine tragische jüdische Vergangenheit. Erst 2008 erfuhren die Themarer durch die Recherchen der kanadischen Historikerin Sharon Meen davon. Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wohnten 75 Juden im Ort, ein Teil davon zog weg, der Rest wurde deportiert. „Keiner blieb übrig“, sagt Böse. „Als wir das erfahren haben, war das ein sehr prägendes Erlebnis für uns.“ In der Stadt verlegten die Themarer Dutzende Stolpersteine, es fanden jährlich Veranstaltungen statt, auch mit Nachkommen der jüdischen Bürger. Als 2017 die  Neonazis in den Ort kamen, entschuldigte sich Böse bei den Nachfahren. „Ich hatte auch das Gefühl, ich bin es diesen Menschen schuldig, mich gegen diese Konzerte zu engagieren.“

Die Kirche, für die Themarer ein wichtiger Ort.
Die Kirche, für die Themarer ein wichtiger Ort.
© Maria Fieder

Thomas Jakob und seine Mitstreiter wollen jetzt vor Gericht ziehen. Sie wollen feststellen lassen, dass es sich bei den Rechtsrockkonzerten nicht um politische Versammlungen handelt, sondern um Vergnügungsveranstaltungen. Dann gälten andere Regeln, die Konzertveranstalter müssten sich etwa um eigene Sicherheitsleute kümmern, und das kostet Geld.

Am Samstagabend stand aber erst mal eine Verschnaufpause an: Im Schützenhaus von Themar gab die linke Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ ein Solidaritätskonzert. Es gehe darum, die Menschen zu feiern, die sich dort engagierten, „wo andere schon längst weggezogen sind“, erklärte Sänger Jan Gorkow. Draußen vorm Schützenhaus standen währenddessen 70 Anhänger von Tommy Frenck. Viel ausrichten konnten sie nicht.

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