Helfer berichten: Wie sich Berlin gegen Ebola wappnet
Sie stand in Liberia am Tor der Ebola-Station. Bald 8500 Infizierte zählt die Weltgesundheitsorganisation in diesen Tagen - und mehr als 4000 Tote. Jetzt ist die Helferin zurück in Deutschland. Irgendwann könnte auch in Berlin der erste Patient auftauchen.
Wieder dieser gespenstische Schluckauf. Als Wencke Petersen ihn bemerkt, scheint das Schicksal des jungen Mannes bereits besiegelt. Er würde das riesige Tor im Maschendrahtzaun nicht mehr lebend passieren, würde ein weiterer Ebola-Toter in Monrovia werden, der Hauptstadt Liberias. Durchfall und Erbrechen hatten ihn geschwächt, dazu Fieber. Kopfschmerzen? Ja, sagt der Patient, während ihn der Schluckauf quält – ein schlechtes Zeichen. Am nächsten Tag macht ein Bluttest aus dem Verdacht eine Gewissheit: Der Mann ist infiziert, in einer Stadt, in der es schon so viele Ebola-Kranke gibt.
Das erzählt Wencke Petersen – 41 Jahre, Logistikerin, Arzthelferin – im Garten der Charité in Wedding. Da ist Petersen, brünette Locken, braun gebrannt, vor nicht einmal einer Woche aus Monrovia zurückgekehrt, wo sie für „Ärzte ohne Grenzen“ am Eingangstor der Ebola-Station im Einsatz war.
8500 Ebola-Infizierte, mehr als 4000 Tote
„Du schaffst das“, ruft sie dem jungen Mann in Monrovia nach, als sie ihn später vor einem Behandlungszelt sieht und weiß selbst nicht, ob sie daran glauben soll. „Iss und trink! Halte durch!“ Mit ihren Kollegen bespricht Petersen jeden Morgen, wie viele Kranke nachts gestorben sind, ob neue Zelte fertig werden. „Elwa 3“ in Monrovia ist das größte Ebola-Behandlungszentrum, das „Ärzte ohne Grenzen“ je gebaut hat. In den fünf Wochen, in denen Wencke Petersen dort ist, wächst es zu einer Zeltstadt. Mehr als 200 Matratzen liegen hier – lange nicht genug für die Verzweifelten vor dem Maschendrahttor.
Bald 8500 Ebola-Infizierte zählt die Weltgesundheitsorganisation WHO in diesen Tagen, mehr als 4000 starben an dem Virus. Die allermeisten in Afrika. Doch seit sich Krankenschwestern auch in Spanien und den USA infiziert haben, wächst in der westlichen Welt die Sorge vor Ebola.
Erster Infizierter in Berlin?
Die wachsende Nervosität ist spürbar. In Berlin hieß es am Montag, dass in der Stadt der erste Infizierte an diesem Dienstag erwartet wird – und in der Senatsverwaltung für Gesundheit klingelten sofort die Telefone. Erst am Sonntag hatte die Feuerwehr in Wilmersdorf einen Wohnblock abgesperrt – ein Anrufer hatte fälschlicherweise behauptet, in einer Kneipe sitze ein Ebola-Betroffener. Und im August war ein komplettes Jobcenter in Prenzlauer Berg abgeriegelt worden, 600 Menschen saßen fest, weil eine Frau unter Fieber, Durchfall und Kopfschmerzen litt – Symptome, wie sie auch bei Ebola auftreten. Die Frau aus dem Jobcenter hatte sich mit Malaria angesteckt. Und auch die Nachricht vom ersten Berliner Ebola-Patienten am Montag erwies sich als Fehlalarm.
Im Senat und in den Kliniken aber befürchten einige, dass dies nur eine Frage der Zeit sein könnte. Die Bundesregierung hatte kürzlich erklärt: „Das Risiko, dass Reisende die Krankheit nach Deutschland oder Europa mitbringen, ist gering, aber nicht auszuschließen.“ Dann müssen die trainierten Abläufe funktionieren, die Informationsketten stehen, dann müssen Entscheidungen getroffen werden, die womöglich ganze Kieze betreffen.
Seuchenalarm erlaubt "Anwendung von Zwangsmitteln"
Für Berlin gilt der Seuchenalarmplan aus dem Haus von Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU). Besteht der Verdacht, dass jemand mit dem tödlichen Virus infiziert ist, muss der Patient dort isoliert werden, wo der Verdacht aufgetreten ist. Das kann eine Kneipe, ein Jobcenter oder eine Arztpraxis sein, aber auch eine U-Bahn oder ein Taxi. Das Absperren des Ortes darf „unter Anwendung von Zwangsmitteln“ erfolgen, Polizisten würden Häuser oder Bahnhöfe sperren. Der diensthabende Amtsarzt wird gerufen, kann er Ebola nicht ausschließen, kommt ein Infektionsfahrzeug der Feuerwehr. Der Betroffene wird in dem Spezialwagen in die Sonderisolierstation der Charité in Wedding gebracht. Es ist die größte Deutschlands, hier werden Patienten mit hochansteckenden Infektionserkrankungen behandelt, Ebola wie Lungenpest wie Pocken. Die Station besteht aus einem frei stehenden Pavillon mit zwei oberirdischen und zwei unterirdischen Etagen. Im Quarantänefall kann sie weiträumig abgesperrt werden.
An der Charité: Unterdruckzimmer und Blutproben
Dort wird der Patient in einem Unterdruckzimmer, aus dem kein Virus entweichen kann, von Schwestern und Ärzten in einer Art Raumanzug betreut. Bis zu 20 Patienten können versorgt werden. Fast 200 Charité-Mitarbeiter sind dafür ausgebildet. Parallel zur Diagnostik schicken die Ärzte eine Blutprobe an das Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Nur im Hochsicherheitslabor dort kann der Ebola-Verdacht letztendlich bestätigt oder widerlegt werden.
Deutschland tut zu wenig
Dass ein Betroffener mit Ebola-Diagnose in Afrika in ein Flugzeug steigt und in Tegel oder Schönefeld ankommt, gilt als nahezu ausgeschlossen. Afrika-Verbindungen landen in Frankfurt (Main), Düsseldorf, Hamburg und München. Dort ist man auf hochinfektiöse Krankheiten eingestellt, die Airports habe eigene Isolierstationen, die Patienten müssten die Flughäfen nicht verlassen. In Tegel und Schönefeld gibt es keine Isolierstation. Doch in Berlin könnten Sonderflüge landen – etwa, weil eine afrikanische Regierung darum gebeten hat, weil eine internationale Organisation einen betroffenen Mitarbeiter unbedingt in Berlin betreuen lassen will oder weil die Stationen in den anderen Städten zunehmend belegt werden.
Ebenfalls möglich ist, dass ein Pilot im Anflug auf Berlin kurzfristig einen Verdacht meldet. Dann wird die Maschine auf dem Vorfeld abgestellt. Das Flugzeug bleibt geschlossen, der Amtsarzt kommt. Kann er Ebola nicht ausschließen, gilt der Seuchenalarmplan. Die Gesundheitsexperten der Stadt seien gewappnet, heißt es sogar aus der Opposition im Abgeordnetenhaus. Wenn es hapere, dann eher mit den Absprachen zwischen den Behörden.
Bundesregierung holt einen Krisenprofi
Aus internationaler Perspektive tut Deutschland aber zu wenig: Die WHO klagt über die Untätigkeit der westlichen Welt ebenso wie die Regierungen in Afrika und die Hilfsvereine. Die Bundesregierung hat vergangene Woche deshalb Walter Lindner zum Ebola-Sonderbeauftragten ernannt. Am Sonntag reiste Lindner – eigentlich deutscher Botschafter in Venezuela – nach Westafrika, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Lindner soll die Hilfe aus sechs Bundesministerien und einem guten Dutzend Hilfsorganisationen koordinieren. Er war schon Chef des Krisenreaktionszentrums des Auswärtigen Amtes, Afrikabeauftragter der Bundesregierung und Botschafter in Kenia, als es dort 2008 zu Massakern kam. Vorher arbeitete er als Sprecher des früheren Außenministers Joschka Fischer. Der Mann ist also krisenerprobt, fürchtet sich vor kaum etwas und weiß, wie man mit afrikanischen Regierungen redet, ohne als Kolonialist wahrgenommen zu werden. Wenn er am kommenden Wochenende aus Westafrika zurückkehrt, dürfte klarer werden, wie Deutschland am besten helfen kann.
Bundeswehr und Rotes Kreuz in Afrika
Bisher hat die Bundesregierung 17 Millionen Euro für die Ebola-Hilfe eingeplant. Dass es dabei nicht bleiben wird, hat Lindner schon angedeutet. Doch die praktischen Probleme mit der Hilfe an Ort und Stelle sind beträchtlich. Die Bundeswehr und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) haben Erkundungsmissionen in Monrovia. Das DRK hat zudem eine Delegation nach Sierra Leone geschickt. Dort soll eine Ebola-Station der Internationalen Rotkreuzgesellschaft in Kenema um 50 Betten erweitert werden.
Kenema ist eine der am stärksten betroffenen Städte in Sierra Leone. Doch in Monrovia ist die Not womöglich noch größer. Hier sind bislang die meisten Menschen an Ebola gestorben. Und die Lage für Helfer ist unübersichtlich, Liberia tut sich schwer damit, sie sinnvoll zu dirigieren. Die Isolierstationen im Land werden von Hilfesuchenden überrannt. Nur jeder fünfte Ebola-Kranke in Liberia finde ein Bett, schätzt die WHO.
Am Tor in Liberia muss immer wieder Kranke abweisen
Wencke Petersen sitzt in der Berliner Herbstsonne und erzählt von ihren Zwölf-Stunden-Schichten am Maschendrahttor in Monrovia. Dieser Dienst, die Kranken je nach Lage Schritt für Schritt in die Station zu lassen, gilt als besonders hart. Auch unter Veteranen, die schon in Haiti, Kongo und Südsudan im Einsatz waren. Der Einsatz ist schlimm, auch wenn man gekommen ist, um zu helfen, muss das Tor mitunter geschlossen bleiben. Wenn sich Petersen in Schutzmontur bis auf einen halben Meter dem Maschendrahtzaun näherte, erwartete sie jedes Mal ein anderes Drama. Immer wieder musste sie Menschen abweisen, die an anderen schweren Krankheiten litten und nirgendwo Hilfe fanden. Sie musste freundlich, aber bestimmt erklären, dass das Zentrum nicht für jeden besorgten Bürger einen Test anbietet. Sie musste viel zu oft Todkranke nach Hause schicken. Den Onkel mit seinen Nichten. Eine Mutter mit kleinen Kindern. „Das war am schlimmsten“, sagt sie. „Man weiß, dass bald der Rest der Familie infiziert sein wird.“
Charité-Tropenmediziner: Ebola wie Buschfeuer
Ebola sei wie ein Buschfeuer, sagt Matthias Borchert vom Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit der Charité. Je gewaltiger es wird, desto weiter sprühen die Funken. Und jeder Funke einzelne muss mit aller Kraft gelöscht werden. Nigeria hat das vielleicht gerade rechtzeitig geschafft. 20 Fälle, 900 Kontaktpersonen, 18 500 Besuche während der Quarantäne. „Wir wollen jede Übertragungskette verstehen“, sagt Forscher Borchert, während er letzte E-Mails liest und abschickt. „Aber wie soll das gehen, wenn es tausende Fälle sind? Damit wäre jedes Land überfordert.“
Barrikaden, Gewalt, Slums
Als er im Mai mit einer Kollegin über die Dörfer in Guinea zog, hatte er höchstens eine dunkle Ahnung, welcher Feuersturm sich im westafrikanischen Dreiländereck zusammenbraute. Noch sah es nach einem ganz normalen Ausbruch aus, ähnlich wie die letzten drei, die Borchert als Epidemiologe begleitet hatte. Widerstand in der Bevölkerung, Gerüchte, Panik. Alles wie immer. Und ein bisschen anders. Während die Menschen in dieser Region alle dieselbe afrikanische Sprache sprechen und die Grenzen für sie nie Bedeutung hatten, können sich die englisch- und französischsprachigen Gesundheitsverwaltungen nur über die Hauptstädte verständigen. Wenn sie endlich einen Dorfältesten von der Seuchenbekämpfung überzeugt hatten, bezichtigten ihn andere sofort der Korruption. Wütende junge Männer streckten ihnen provozierend die Hand entgegen. „Hier gibt es kein Ebola!“ Immer wieder trafen sie auf Barrikaden, ihnen flogen Steine entgegen. Dann kehrten sie um. Ihre Ebola-Landkarte war voller weißer Flecken. Das bezwungen geglaubte Buschfeuer konnte unbemerkt neu auflodern. Es fraß sich seinen Weg in die Slums der Großstädte. Nun ist Matthias Borchert wieder in Monrovia, vier Wochen lang soll er dem amerikanischen International Rescue Committee helfen, dort ein neues Ebola-Behandlungszentrum mit 100 Betten zu eröffnen. „Normal sind 20“, sagt er. Dann sei man froh, wenn 10 oder 15 belegt sind. Jetzt bringen ganze Familien ihre Kranken und werden abgewiesen. „Das hat es noch nie gegeben.“
Sie warten in der Sonne, sie warten im Regen
Bis zu 40 Menschen pro Tag konnte Wencke Petersen im „Elwa 3“ zuletzt im Schnitt aufnehmen. Immer galt: Es gefährdet alle, wenn Zelte überfüllt und Helfer überlastet sind. Das war wie eine Mauer, die sie zusätzlich zur Schutzkleidung um sich baute. Manche Kranke blieben stundenlang vor dem Tor sitzen, ertrugen stoisch Sonne oder Regen. Unachtsamkeit konnte sie sich nie erlauben, auch nicht nach einer Zwölf-Stunden-Schicht. Etwa 400 Helfer, meist Einheimische, haben sich in Westafrika bereits mit Ebola angesteckt. Die Hälfte ist von ihnen gestorben. Auch durch „Elwa 3“ ging eine Schockwelle, als sich im September eine französische Krankenschwester infizierte und nach Paris ausgeflogen werden musste. „Ich kenne sie gut“, sagt Petersen. „Zum Glück ist sie wieder gesund.“
Es gibt noch Glück in Afrika
Und dann geschah doch noch ein Wunder. Der junge Mann, den sie fast schon zu den Toten zählte, ist acht Tage später unter den Geheilten. „Das war großartig“, sagt Petersen und blinzelt in die Berliner Herbstsonne. „So toll.“ Es gibt sie, die Glücksmomente, auch an einem Gittertor in Liberia. Angst? Steht für Wencke Petersen nicht im Vordergrund. Die Einsätze in den vergangenen Jahre seien gefährlich gewesen. Sie habe keine Kinder, ihre Freunde würden sie ohnehin für verrückt halten. Und natürlich will sie wieder nach Monrovia gehen, vielleicht im November. Wieder an das große Tor, das sich für viel zu wenige öffnet. In ihrer Stimme liegt kein Zögern.
Mitarbeit: Dagmar Dehmer