zum Hauptinhalt
Wiedererrichtung des Rosa-Parks-Gebäudes im Weddinger Hinterhof.
© Fabia Mendoza

Ikone der US-Bürgerrechtsbewegung: Wie Rosa Parks Haus nach Berlin-Wedding kam

Rosa Parks stand 1955 im Bus nicht auf, als ein Weißer sie dazu aufforderte. Mit ihrer Verhaftung begann die schwarze Bürgerrechtsbewegung.

Ryan Mendoza rätselt noch immer, warum Michelle Obama nicht geantwortet hat. Denn im Grunde, findet er, gehört das Holzhaus, in dem die schwarze Bürgerrechtsikone Rosa Parks lebte, in den Garten des Weißen Hauses – und wer wäre besser geeignet gewesen, es dort aufzustellen, als die Obamas? War nicht der erste schwarze Präsident Amerikas der letzte Dominostein einer Reihe, die Rosa Parks anstieß, weil sie 1955 im Bus nicht von ihrem Sitz aufstand, als ein Weißer sie dazu aufforderte, weshalb mit ihrer Verhaftung die schwarze Bürgerrechtsbewegung begann?

Im September 2016 erreichte aus Amerika ein hölzerner Haufen leicht lädierter Latten Berlin, deren Transport über den Atlantik insgesamt fast 13 000 Dollar verschlungen hatte. In seinem Kiez im Wedding goss der Künstler Ryan Mendoza ein Betonfundament in seinem Hof auf dem Platz zwischen Studio und Wohnhaus. Dann machte er sich an die Arbeit, aus den Latten wieder ein Haus zu nageln.

Seitdem ist es Winter geworden, jenseits des Atlantiks wurde Donald Trump zum Präsidenten vereidigt und der Haufen Holz in Wedding, so schien es, lud sich täglich mit mehr Bedeutung auf. Inzwischen wirkt es beinahe, als habe das Haus hier Asyl gefunden.

So sah Rosa Parks Haus an seinem ursprünglichen Platz in Detroit aus.
So sah Rosa Parks Haus an seinem ursprünglichen Platz in Detroit aus.
© Fabia Mendoza

Man muss sich nun die Berliner Wintermonate vorstellen, in denen der drahtige Mendoza sich täglich die physischen Überreste der amerikanischen Bürgerrechtsrevolution auf den Rücken lud. Er trat aus seinem Haus und machte sich an die Einzelteile. Alleine. In der Kälte wuchtete er die Fensterrahmen an ihren Platz. Er wollte keine Helfer und hatte keine Kräne, die die schweren Teile an ihre Stelle gehoben hätten. Und so ist das ganze Haus noch einmal durch seinen Körper gegangen, seine Muskeln. Einer musste es ja schultern, dieses Thema. Der Künstler als Stellvertreter. „Amerikanischer Künstler entschuldigt sich anstelle des Bürgermeisters von Detroit.“ So könne man es auch schreiben, sagt er.

Denn beinahe wäre das Haus von der Erdoberfläche verschwunden. In Detroit war das ehemalige Haus von Rosa Parks auf die Abrissliste geraten – eines von über 8000 erledigten Häusern in der schrumpfenden Stadt. Nur zwei Jahre hatte Parks in diesem Haus gewohnt. Aber was für Jahre! Die legendäre Rosa Parks, die im Süden weiter verfolgt wurde, war mit ihrem Mann zu Verwandten in den Norden geflohen und führte dort von 1957 bis 59 ein Leben, das in keinem Verhältnis zu ihrer Bedeutung stand. Parks war arbeitslos, bekam eine Mini-Hilfe von der Kirche und nähte gelegentlich. Im Haus lebten sie mit den 13 Kindern ihres Bruders.

Rosa Parks’ Nichte, Rhea McCauley, bekam Wind von dem geplanten Abriss, kaufte das Haus für 500 Dollar und wusste dann nicht weiter. Ob er nicht etwas tun könne? Mendoza fand nicht, dass dieses Kapitel amerikanischer Geschichte weg könne. „Ich hatte Mitleid.“ Es würde Kunst werden. Die erste Idee: Zusammen mit Detroits Bürgermeister das Haus bewahren. Doch da bestand kein Interesse. Nächste Idee: Eine amerikanische Institution sollte sich um das Haus kümmern. Es fand sich niemand. Letzte Idee: Bevor es abgerissen wurde, würde er das Stück Geschichte einfach mit nach Hause nehmen. Nach Europa, Deutschland, Berlin-Wedding, in den eigenen Hinterhof.

18 Tage dauerte der Abbau. Freunde halfen mit, Freiwillige. Irgendwann rief die Nachbarin von gegenüber, kommt her, meine Kinder! Und auch der Vegetarier Mendoza aß ihr Fleisch, weil es schließlich um etwas ganz anderes als Ernährung ging. Aber warum hatte Parks’ Nichte ausgerechnet ihn gefragt?

Ryan Mendoza beschäftigt sich immer mit Häusern - und immer geht es um seine amerikanische Heimat.
Ryan Mendoza beschäftigt sich immer mit Häusern - und immer geht es um seine amerikanische Heimat.
© detroiturbex.com
Im Wahlkampf malte Mendoza die Häuser neben einem heruntergekommenen Haus weiß an und schrieb die Namen der Präsidentschaftskandidaten auf die Fassade.
Im Wahlkampf malte Mendoza die Häuser neben einem heruntergekommenen Haus weiß an und schrieb die Namen der Präsidentschaftskandidaten auf die Fassade.
© detroiturbex.com

Ryan Mendoza hat 1992 die USA verlassen, in dem Jahr wurde Bill Clinton gewählt und Donald Trump arbeitete noch an seinem Titel des Immobilientycoons. Mendoza fand die USA zu isolationistisch. „Wir sind eine Nation, die auf Lügen gebaut ist“, sagt Mendoza. Er findet es nicht schlimm, dass die USA nicht das Land mit den größten Freiheiten sind, aber es sei schlimm, das zu behaupten. Er war in New York aufgewachsen, hatte Großeltern in Pennsylvania, aber nun wollte er so gründlich weg von seiner Heimat, dass er sogar aufhörte, Englisch zu sprechen, und nach Neapel ging. Aber die Flucht wirkte nicht. Er konnte sich nicht von sich selbst abschneiden, Amerika war Teil seiner Identität.

Deswegen war Mendoza im letzten Sommer eigentlich in Detroit: Er suchte sich selbst. Häuser beherbergen Erinnerungen. Mendoza suchte ein amerikanisches Haus, das er nach Europa bringen konnte, ein Gehäuse für seine Erinnerungen, seine Identität. Es hatte also ganz persönlich begonnen, politisch wurde es von allein. In drei Projekten, in denen es um Häuser ging.

Zunächst schenkte ihm eine Familie ein Haus, das er nach Europa verschiffte und, als „White House“ weiß angestrichen, auf der Art Rotterdam zeigte.

Furore in Rotterdam, Furor in Detroit. „Ruinenporno!“ riefen sie dort. Plötzlich zeigten sie auch auf ihn als Weißen, als hätte er sich das Haus eines Schwarzen für seinen Ruhm angeeignet.

Mendoza hatte im Gegenteil zeigen wollen, wie die Mächtigen auf Kosten der Armen ihre Interessen durchdrückten: Zuerst wurden sie schlecht entlohnt, dann zahlten sie horrende Zinsen für Häuser, die sie sich nicht leisten konnten und in der Finanzkrise wieder verloren. Mendoza fand sich plötzlich selbst im Fadenkreuz fremder Interessen. Eine Woche lang schmückte er die Titelseiten der „Detroit Free Press“. „Die Regierung spielte mit der Furcht der Schwarzen, von Weißen ausgenommen zu werden.“ Damit lenkte sie, wie Mendoza herausfand, von ihren eigenen Machenschaften ab. Und die Stadt versteckte tatsächlich etwas, wovon abzulenken sich lohnte. Der Reporter Charlie le Duff hatte herausbekommen, dass einige Firmen nach einer merkwürdigen Auftragsvergabe hervorragend an dem Abrissen verdienten. Die Preise waren in einem Jahr um 60 Prozent gestiegen. Längst war das FBI war mit einer Untersuchung des Abrissprogramms des Bürgermeisters Mike Duggan befasst.

In Moskau kaufte Mendoza ein Haus ...
In Moskau kaufte Mendoza ein Haus ...
© Ryan Mendoza
... und bemalte es in den Farben der US-Flagge.
... und bemalte es in den Farben der US-Flagge.
© Ryan Mendoza

Gut, dass diese Dinge alle noch mal ans Licht kamen, sagt Mendoza heute. „Ein Künstler ist ein Undercover-Whistleblower.“ In seiner gesprenkelten Arbeitsjacke sitzt er in Wedding und verfolgt von hier aus den Schlingerkurs seiner Heimat. Ein Amerikaner in Berlin, der auf seinem Hof auch noch zwei alte amerikanische Autos stehen hat, die er sich demnächst wieder hinbasteln will. Mit Autos ist so etwas ja gut möglich. Seine Frau Fabia hat die Detroiter Projekte in einem Film dokumentiert und switcht nun auf ihrem Rechner vor und zurück. Da kommt John O’Malley ins Bild, den sie in Brightmoor kennengelernt haben, in einer der verrufensten Gegenden der Stadt. Er lebte zwischen zwei Hausruinen, krebskrank und allein. Rechts und links von ihm handelten sie mit Drogen und O’Malley sah sich gezwungen, eine Waffe zu kaufen. Ob die Künstler nicht etwas tun konnten?

Ryan und Fabia Mendoza zogen für ein paar Wochen bei ihm ein. Sie strichen die Häuser rechts und links weiß. Die Fassade löcherte er mit den Namen „Trump“ und „Clinton“, es sah aus wie hineingeschossen. Das Projekt nannte er „The Invitation“, dann lud er die beiden Wahlkämpfer ein, eine Nacht in diesen Häusern zu verbringen, sozusagen in Vollkontakt mit der amerikanischen Realität. Zwar sagten beide ab, aber O’Malley hatte wieder Sinn im Leben. Er war Stellvertreter für jeden Amerikaner, der in diesem Wahlkampf in einem Dilemma steckte, buchstäblich eingeklemmt zwischen zwei Übeln. „Millionen für eine solche Wahlkampagne? Und dies ist, was uns bleibt?“ fragt er in die Kamera.

Ryan Mendoza lebt als Künstler in Berlin.
Ryan Mendoza lebt als Künstler in Berlin.
© Rose McGowan

Mendozas Leinwände sind Häuser. Man kann eine Linie ziehen von den Anfängen seiner Kunst bis heute, und diese Linie überrascht ihn selbst am meisten. Ganz zu Anfang, das entdeckte er jetzt, hat er ein Haus gemalt, das exakt wie Rosa Parks’ Haus in den 50ern aussah. Das Geld, das ihm erste künstlerische Schritte ermöglichte, rührte von einem ererbten Häuschen seiner Großeltern, 30 000 Dollar waren damals ungeheuer viel Geld. Im letzten Sommer kam „The White House“, „The Invitation“ und nun manifestiert sich tagtäglich auch noch das Haus von Rosa Parks in seinem Hof.

Mendoza hat den alten Rigips von der Verplankung gelöst, morsche Latten verstärkt. Er richtete aus und brachte ins Lot, es ging Schlag auf Schlag, und bei alledem versuchte er stets, sich daran zu erinnern, wann Sonntag ist und die deutschen Nachbarn gerne vom Hämmern ihre Ruhe haben.

Es war Wertschätzung für Rosa Parks, und für Ryan Mendoza war es Zen.

Mendoza hat fein ausgerichtete Antennen für Machtverhältnisse. „Wenn der Führer eines Landes Millionen Menschen vorsteht – repräsentiert er diese dann oder führt er sie an der Nase herum?“, fragt er. „ Wer ist hier vor wessen Karren gespannt?“ Alles, was Druck ausübt, ist ihm zuwider. Und so geht bei ihm der historische Widerstand der Rosa Parks nahtlos über in den gesellschaftlichen Widerstand eines Künstlers. „Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen Aktivismus und Kunst?“

Mendoza ist vor ein paar Wochen nach Moskau gereist, um die Fassade eines russischen Holzhauses in den Farben der amerikanischen Flagge anzumalen. Er machte Fotos mit Models, die glaubten, für Modefotos zu posieren. „Es ist okay, Models eine Kette aus Mars-Riegeln umzulegen, aber wenn man ihnen sagt, sie verkleiden sich damit als Amerika, geht es nicht mehr.“ Die Leute haben Angst, dann hören sie auf zu sprechen, das Gespräch verkümmert. Das liege nicht daran, dass die Leute in autokratischen Systemen nichts denken würden. Sie dürfen es bloß nicht mehr aussprechen.

Mit der Verhaftung von Rosa Parks 1955 begann die schwarze Bürgerrechtsbewegung.
Mit der Verhaftung von Rosa Parks 1955 begann die schwarze Bürgerrechtsbewegung.
© imago/ZUMA Press

Wie unter solchen Umständen die Selbstzensur einsetzt, hat er am eigenen Leibe erfahren. Er wollte, dass ganz viele Leute, „Putin, my putin“ in den Schnee schreiben. Er weiß, welche Assoziation der Präsidentenname im Französischen auslöst: Putin, meine Hure. Mendoza hat es dann doch nur alleine im Dunkeln getan. „Auch ich bin ein Schaf“, sagt er.

An einem nieseligen Februartag 2017 wirkt seine Berliner Notlösung für Rosa Parks’ Haus merkwürdig passend, als habe das Haus schon immer hierher gehört. Es hat ein ähnliches Volumen wie das Wohnhaus und das Atelierhaus, zwischen denen es steht. Man soll das Haus später nicht betreten können, das sei eine Frage des Respekts gegenüber Parks. Mendoza arbeitet noch an der Sound-Installation. Er weiß, in welcher Ecke der Fernseher stand, recherchiert, welche Sendungen in den Jahren darin liefen, welcher Werbung Parks ausgesetzt war. Am vergangenen Donnerstag, als Donald Trump eine anderthalbstündige Pressekonferenz im Weißen Haus abhielt, senkte sich im Wedding wieder ein Dach auf Rosa Parks’ Haus.

Am liebsten wäre ihm noch immer, eine amerikanische Institution würde sich für das Haus begeistern. Für eine Million Dollar, sagt er, würde er es hergeben. Das Geld flösse an das Rosa and Raymond Parks Institute. Erst einmal wird es ab dem 8. April zu besichtigen sein. Gleichzeitig eröffnet eine Foto-Doppelausstellung in der Galerie Camera Work mit Mendozas Bildern aus Moskau und den Bildern des amerikanischen Reporters Steve Shapiro, der die US-Bürgerrechtsbewegung fotografierte. Am Abend wird Fabia Mendozas Dokumentarfilm über die drei Detroiter Projekte im Kino Babylon gezeigt. Rosa Parks’ Nichte Rhea McCauley wird dazu erwartet, sie kommt im Juni noch einmal, weil sie ein Projekt mit der Rosa-Parks-Grundschule in Kreuzberg plant.

„Die Deutschen verstehen von A bis Z, warum dieses Haus wichtig ist“, sagt Mendoza. Sie haben Erinnerungskultur. „Die Deutschen könnten mir helfen, ein Verstärker zu sein, damit die Stimme auch in Amerika gehört wird.“ Mendoza sähe es gerne, dass die Amerikaner sauer werden, wenn sie entdecken, dass er das Haus mitgenommen hat. Je wütender, desto besser, „denn Amerikaner handeln erst, wenn sie wütend sind.“

„Ich habe das Haus als Geisel genommen“, sagt Mendoza. In der Hoffnung, dass es irgendwann ausgelöst wird. Er sieht sich bis dahin dort sitzen, in dem Haus, rauchend am Fenster im ersten Stock. Wartend, ob Amerika merkt, dass etwas fehlt.

Zur Startseite