Gute Vorsätze, gutes Geschäft: Wenn der Schweinehund ein Herrchen braucht
Gute Vorsätze sind ein gutes Geschäft. Denn Selbstoptimierung geht nicht allein – wenn die Euphorie dem Muskelkater weicht. Unterwegs mit Personal Trainern.
Nun noch die Beine, auch die brauchen Training. Karolin, 28 Jahre alt und 54 Kilo schwer, steigt auf einen Balance-Ball. Das ist ein halbrundes Luftkissen – man steht darauf wackelig. Karolin senkt den Körper tief hinab, wie Trainer Kenneth gesagt hat, geht in die Kniebeuge.
„Wenn es anfängt zu wackeln, werden alle Muskeln im Bein angesprochen“, sagt Kenneth. Dann die in ein Lachen gepackte Stilkritik: „Jetzt hast du Schwung geholt“. Karolin lacht zurück: Das sei das schwierigste – wieder hoch zu kommen.
Karolin und Kenneth haben eine exklusive Beziehung: Kenneth ist der Personal Trainer der jungen Frau. Einmal pro Woche kommt sie aus Pankow nach Charlottenburg. Im „Sarkomer“, dem Sportstudio, das Kenneth Schramm und sein Partner Andreas Berge betreiben, zieht sie ein schwarze Sporthose und ein schwarzes Oberteil an. Dann absolviert Karolin ihr Trainingsprogramm. Kenneth hat die Übungen für sie allein zusammengestellt.
Der Beruf ist nicht geschützt
Der Januar ist der Monat der guten Vorsätze. Ein besonders weit verbreiteter lautet, mehr für Gesundheit und Fitness zu tun. Aktuellen Umfragen zufolge wollen 56 Prozent der Leute im kommenden Jahr „mehr Sport“ machen. In den Fitness-Studios und Gyms wird es voller als sonst. Die große Zeit der Personal Trainer kommt, wenn die Disziplin nachlässt und die erste Begeisterung den Muskelkatern, Zerrungen und Müdigkeitsanfällen unterlegen ist.
8000 bis 10.000 Personal Trainer gibt es nach einer Schätzung des Bundesverbands Personal Training in Deutschland. Manche sind für 65 Euro eine Stunde im Gym dabei und leiten das Training, kontrollieren, raten und feuern an. Trainer mit einem TÜV-Zertifikat nehmen dem Berufsverband zufolge 100 bis 120 Euro. Im „Sarkomer“ kostet eine Einheit 90 Euro, einschließlich einer Körperanalyse, Nutzung der Geräte und Dusche.
Wie groß die Konkurrenz ist, lassen die sorgfältigen und aufwendigen Internet-Auftritte einer großen Zahl von Einzelkämpfern ahnen. Manche werben mit der eigenen Sportbegeisterung, andere mit „Nachhaltigkeit“, wieder andere versprechen Gewichtsreduktion und „Transformation“ des Körpers in drei Monaten oder bieten „gestressten Business-Frauen“ Hilfe bei der Optimierung ihres Körpers. Kenneth Schramm und Andreas Berge setzen im „Sarkomer“ – das Wort bezeichnet die kleinste funktionelle Einheit eines Muskels – auf eine Mischung aus sportlicher Anforderung, Wellness und Gesundheitsförderung. Die Geräte stehen zwischen hellen, vom Putz befreiten Backsteinmauern.
Personal Trainer sind keine Sportlehrer für Erwachsene
Aus den Lautsprechern schwappt elektronische Tanzmusik – jeder Kunde kann sein Smartphone einloggen und seine Musik laufen lassen. Während Kenneth mit Karolin Sport macht, schneidet Andreas Paprika und Ingwer für einen Kunden klein .
Nach einem Satz Kniebeugen fragt Kenneth Karolin, ob sie außer ihrem Körpergewicht auch einen Vier-Kilo-Medizinball auf beim Balancieren auf dem schwankenden Luftkissen auf und ab bewegen kann. Karolin will es probieren. Den Ball vor der Brust, geht sie nur leicht schwankend in die Knie und kommt wieder hoch, den Blick auf ihr Bild im großen Wandspiegel gerichtet. „Guck’ an“, sagt Kenneth, „das machst du super!“
Personal Trainer sind nicht bloß Sportlehrer für Erwachsene. Sie nehmen sich den Schweinehund der Kunden vor. Sie motivieren und loben. Sie analysieren körperliche Schwächen und schreiben individuelle Trainingspläne. Sie treiben zu Leistungen an, die sich Amateursportler nicht zutrauen. Sie schlagen die nächste Verabredung zum Training im Gym vor. Sie kommen zu ihren Kunden nachhause oder gehen mit ihnen in den Park.
Sie sind Berater, Sportfreunde, Vertraute – gegen Geld. Man kann die Beziehung jederzeit intensivieren - oder abbrechen.
In Hollywood wurden die Trainingsmethoden zum Geschäftsmodell
Kenneth Schramm, 26 Jahre alt und selbstständig, sagt, für ihn sei Personal Trainer der Traumjob. Der Beruf ist nicht geschützt. „Es gibt keine staatlich anerkannte Ausbildung für dieses Berufsbild“, heißt es auf der Internetseite des Verbands. „Aktive Personal Fitness Trainer kommen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen.“ Manche haben Sportwissenschaft studiert, andere waren Leistungssportler, manche sind ausgebildete Physiotherapeuten, andere haben Lehrgänge und Kurse besucht, um Fitness ebenso anbieten zu können wie ein Bootcamp oder Yoga.
Der Trend zum Personal Trainer kommt wohl aus den Vereinigten Staaten, speziell aus Hollywood. Oscar-Preisträgerin und Bond- Girl Halle Berry gehörte zu den ersten, die sich zum Sport mit einem Personal Trainer bekannten. Sie vertraute damals Harley Pasternak, einem Sportler und Ernährungsberater, der aus seiner Methode bald ein lukratives Geschäft machte, das ihm heute angeblich 500 000 Kunden auf seiner Internetseite beschert.
Pasternak erklärte schon 2010 das Interesse der Stars am Personal Training in einem Interview mit zwei Faktoren. Schauspieler in Hollywood hätten wenig Zeit und stünden unter hohem Erfolgsdruck.
„Wenn man als Schauspieler in einem deutschen oder französischen Film spielt, dann sehen einen die Deutschen oder Franzosen. Spielst du aber in einem Hollywoodfilm mit, kannst du damit rechnen, dass es vielleicht der größte Film aller Zeiten wird. Und die ganze Welt auf dich blickt.“
Dafür lohnt sich die Arbeit am optimierten Körper. Dessen Wert hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Die Bedeutung von Sport ist zwar der neusten Shell-Jugendstudie zufolge nicht größer geworden; ein Viertel der Befragten sagt, Sport sei ihnen wichtig. Doch die Zurschaustellung des eigenen Körpers auf Instagram und Facebook zeigt, wie wichtig ein trainierter, fitter, gesund wirkender Body vielen jungen Leuten geworden ist.
Personal Trainer helfen denen, die gut aussehen wollen, aber ein Motivationsproblem haben. Karolin ist so eine, das sagt sie selbst. Die Mitgliedschaft im Sportstudio war ihr auf Dauer nicht Ansporn genug.
Es gibt hundert Gründe nicht zum Sport zu gehen. "Aber hier warte ich", sagt der Trainer
Verabredungen mit einer Freundin zum Sport klappten mal, dann wieder nicht. Die Konkurrenz der Blicke gerade unter Frauen fand Karolin auch nicht angenehm. Im „Sarkomer“ fallen ihr reihenweise Gründe für Personal Training ein: „Dass man allein ist. Dass man nicht beobachtet wird. Dass es um einen selbst geht. Dass ich das mache, was ich brauche.“ Es gebe immer hundert Gründe, nicht zum Sport zu gehen, sagt sie mit einem Lachen über die Zeit ohne Personal Training. „Hier warte ich!“, sagt Kenneth.
Rückenprobleme waren es, die Karolin überhaupt zum Sportmachen getrieben haben. Sie arbeitet im Büro, im Personalmanagement. Und sie gehört zu den Menschen mit einem leichten, nicht besonders muskulösen Körper. Um herauszufinden, was ihrer Gesundheit hilft, hat Kenneth Schramm beim ersten Termin erstmal mit ihr geredet.
Dazu gehört eine „Inbody-Körperanalyse“ mit Hilfe eines Geräts, das nur auf den allerersten Blick wie eine Gesundheitswaage aussieht. 40 Werte ermittle das Gerät, erklärt Kenneth Schramm – das Verhältnis von Muskelmasse zum Rest ist noch das einfachste.
Danach hat Schramm Karolins Übungsplan geschrieben. Dass sie die Langhantel in mehreren Sätzen von einer Hantelbank hochgehoben und wieder abgesenkt hat, um die ihre Rückenmuskulatur zu kräftigen, war bloß eine. Sie hob die fünfzehn Kilogramm schweren Langhantel von der Hantelbank und machte den Rücken gerade.
„Noch vier Stück“, sagte Kenneth, „die Ausführung ist super.“ Klimmzüge machte Karolin mit Unterstützung durch Gegengewichte. An der Butterfly-Maschine, einem Gerät zur Stärkung von Brust- und Rückenmuskel, waren ihre Trapezmuskeln gefordert. Immer gab Kenneth das Tempo vor, immer war Karolin gefordert. Sie sagt: nicht überfordert.
Die junge Frau kommt einmal in der Woche zum Training ins „Sarkomer“. Jedes Training ist etwas anders. Kenneth Schramm hat Übungen für die Schultern, die diversen Rückenmuskeln, die Beine eingeplant. Auf der Stoppuhr hat er die Zeit im Blick, „okay, zweite Runde“, sagt er, und „perfekt!“. jedes Mal habe sie danach Muskelkater gehabt, sagt Karolin.
Trainieren wir nur fürs Büro?
Sie trinkt einen Schluck Wasser. Dann geht es weiter zum nächsten Gerät. Kenneth Schramm hat ein Tablet mit einer App, die den Körperaufbau muskelweise zeigt. An jeder Station zeigt er Karolin die blau gegen grau abgesetzten Muskeln, die jetzt trainiert werden sollen, und erklärt, warum sie wichtig sind für den Bewegungsapparat, den so viele zu wenig bewegen.
Kenneth Schramm steht mit seinem Tablet da und demonstriert, wie man steht, wenn die Muskeln den Körper stützen und das Skelett aufrecht halten.
Karolin habe außer den leichten Rückenschmerzen noch keine körperlichen Schwächen, die das dauernde Sitzen im Büro verursacht hat, erklärt Kenneth Schramm. Dann imitiert er die typische Schreibtischarbeiter-Haltung: der Rücken leicht nach vorn gebeugt, die Schultern leicht nach vorn gefallen, die Arme angewinkelt, die Beine ebenso.
Diese Haltung formt auf Dauer den Körper. Muskeln verkürzen sich, unbenutzte Muskeln werden schwächer, der Rücken verliert an Stabilität und fängt an zu schmerzen. Man müsse den Körper so fördern, dass ihn der Bürojob nicht fordert, sagt Kenneth. „Irgendwie traurig“, sagt Karolin.
[Mehr zum Thema: Eher der ruhige Typ? Hier geht zu unserer Wellness-Reportage: Drei Tage matt]
Das „Sarkomer“ ist seit rund einem Jahr in Betrieb, das „Owens“ von Michaela Seidler schon seit 2013. Zuerst habe sie sich Sorgen gemacht, als neue kleine Studios im Kiez um den Lietzensee eröffneten, sagt die Trainerin. Die Angst war unbegründet. Leute, die ihren Schweinehund überwinden wollen, finden sich überall genug.
Owens – das sind zwei nur ein paar Meter auseinander liegende Studios. Hier stehen Geräte für die elektrische Muskelstimulation und „Power plates“ für Vibrationstraining, es gibt Langhanteln, und sogar einen im Cross-fit als Trainingsgerät beliebten Lkw-Reifen. Michaela Seidler, ihr Mann Michael Schimmer, ein in der DDR aufgewachsener, früherer 400-Meter-Läufer und sieben weitere Trainerinnen und Trainer nutzen die Räume.
Willa Weber ist Stammkundin. Das hat Gründe
„Die Kunden kommen meistens aus dem Kiez“, sagt Michaela Seidler. „Owens“ sei ein Studio für „normale Menschen“, die etwas für sich tun wollen – oder müssen. Die meisten seien seit Jahren dabei, schätzten die familiäre Atmosphäre. „Es ist eine persönliche Bindung da“, sagt Michaela Seidler, „wir müssen ja auch zu den Kunden passen.“
Trainerin Sandra Fronterré ist gelernte Physiotherapeutin mit Zusatzausbildungen als Fitnesstrainerin, Sporttherapeutin, Pilates-Trainerin. Sie denkt sich für jedes Training mit ihren Kunden ein neues Programm aus. „Bei mir wird nicht viel gequatscht, ich zieh’ das durch“, sagt sie.
Die Sopranistin Willa Weber ist Stammkundin – auch, weil sie die Atmosphäre mag. „Es ist so entspannt bei Euch“, sagt sie in Michaelas Richtung. Die Trainings-Termine bei Owens sind für sie Struktur im Alltag. Man müsse sich nicht mal fragen, was einem guttäte. „Man muss sich nicht pushen, man geht zum Trainer“, sagt die Sängerin.
Wie eine gute Beziehung
Weil sie viel unterwegs ist, schätz sie die Möglichkeit, jedes Training passend zum Terminkalender zu buchen. Wenn sie verreist ist, muss sie nichts bezahlen - das ist ein Personal-Trainer-Prinzip, das die Kunden schätzen und die Trainer immer wieder neu unter Erfolgsdruck setzt.
Willa Weber ist die prototypische Kundin: Weil man den Trainer oder die Trainerin für sich habe, habe man auch die volle Aufmerksamkeit, sagt sie: „Die spüren, da geht noch mehr!“ Zuwendung, Ansprache, Rücksicht und etwas Druck – das müssen die Trainer liefern. Damit aus den Begegnungen möglichst stabile Beziehungen werden.
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