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Menderes Bagci lässt nicht mehr alles mit sich machen.
© dpa/Gabbert

Start des Dschungelcamps: Warum sich Menderes Bagci nicht im Zynismus verliert

„Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“? Seine Dschungelkrone ist er bald los. Doch Menderes Bagci wird trotzdem sein Auskommen haben: als Deutschlands Anti-Rockstar.

Nun hockt Menderes Bagci wieder am Lagerfeuer, genau wie vor einem Jahr. Um ihn herum ein Haufen Halbnackter, bloß in Handtücher gehüllt. Nachschwitzende Oberkörper. Wie herrlich es doch aus dem Whirlpool dampft, sagt ein Älterer neben ihm auf der Holzbank. „Ist das für dich hier nicht ein bisschen wie im Dschungel?“ Menderes Bagci lächelt und sagt nichts.

Vor einem Jahr hat er in Australien die RTL-Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ gewonnen. Jetzt sitzt er in Stein bei Nürnberg im Außenbereich eines Spaßbads und soll eine neue Sauna einweihen.

Menderes Bagci trägt Jeans, Jacke, Dreitagebart. Im Vergleich zu den Gästen des „Kristall Palm Beach“ sieht er aus wie ein richtiger Popstar. Ein paar Halbnackte haben ihre Smartphones aus der Umkleide geholt, sie wollen ein Selfie mit dem Dschungelkönig. Bagci schaut bedrückt, er sagt, er habe eigentlich dem Mann vom Lokalradio ein Interview versprochen, den lasse er gerade warten. Andererseits wolle er auch alle Fotowünsche erfüllen. Er zögert. Er bleibt.

Kein leichter Job, Dschungelkönig zu sein, wird Menderes Bagci später sagen.

Die Sauna, die er einweihen soll, ist laut Betreiber eine Weltneuheit. Sie steht auf einer hydraulischen Hebebühne und kann zwölf Meter in die Höhe fahren, sodass die Gäste beim Saunieren die Aussicht durchs Panoramafenster genießen können. Die soll spektakulär sein. Als Menderes in die noch unbeheizte Sauna steigt und sich probehalber nach oben fahren lässt, sieht er einen Parkplatz, ein Fußballfeld und die Werbetafel des nahe gelegenen Baumarkts. „Sehr schön hier.“ Die Sauna passe zu ihm selbst und seinem Werdegang, sagt Bagci dann noch. „Man muss schwitzen, um nach oben zu kommen.“

Acht Millionen Deutsche schauen Dschungelcamp

Singen soll der 32-Jährige heute nicht. Sie haben ihn bloß für eine Autogrammstunde gebucht. Dabei ist Singen das, womit Bagci seit seiner Kindheit berühmt werden wollte und dann auch irgendwie wurde: als der Kandidat, der es jedes Jahr bei „Deutschland sucht den Superstar“ versucht und ein ums andere Mal von der Jury gedemütigt wird. Menderes Bagci war der Psycho mit dünnem Stimmchen, der nicht singen kann und trotzdem immer wiederkommt.

Dann ging er ins Dschungelcamp. Die Show, bei der acht Millionen Deutsche zuschauen, wie sich abgehängte Minderprominente im Urwald blamieren, streiten, gegenseitig miesmachen. Doch Bagci überraschte. Man sah einen ernsthaften, sensiblen Menschen, der sich nie beschwerte und nie aufspielte. Der echt wirkte. „Ich wollte beweisen, dass ich kein Freak bin“, sagt er heute. Was er selbst nicht geglaubt habe: dass man so eine Show tatsächlich gewinnen kann, ohne laut und niederträchtig zu sein.

Das Dschungelcamp zählt neben Fußball und „Tatort“ zu den letzten Quotenmaschinen des deutschen Fernsehens. Einmal im Jahr ist es kollektives Gesprächsthema, wird geliebt und verachtet, nicht ernst genommen und im Feuilleton verhandelt, vor allem wird es konsumiert. So wird es auch jetzt wieder sein, wenn an diesem Freitag die elfte Staffel beginnt.

Gewinner vergangener Staffeln versuchten, mit dem Titel „Dschungelkönig“ Karriere zu machen. Indem sie die Krawalllogik der Show aus Australien mit zurück nach Deutschland nahmen und in ihr Leben integrierten. Sie traten Intimes in der Öffentlichkeit breit, zofften sich und mobbten, streunerten über rote Teppiche, handelten sich Hausverbote ein, landeten im finanziellen Ruin oder in Nacktshows. Menderes Bagci sagt, er habe rote Linien. Dinge, die er auf keinen Fall mit sich machen lasse. Wie er heute lebe? „Ich esse gern Nudeln und gehe joggen, ich verbringe viel Zeit allein.“ Die 100 000 Euro Siegprämie hat er angelegt.

Menschen, die mit Bagci in den vergangenen zwölf Monaten beruflich zu tun hatten, beschreiben ihn als „Anti-Rockstar“. Als einen, der im Grunde maximal ungeeignet sei für die verdorbene und zynische Branche. Der oft naiv wirke. Als wäre Forrest Gump angetreten, die deutsche Unterhaltungsindustrie aufzumischen.

Bagcis Krone hat ihm viele Angebote für Konzerte und Fernsehdrehs eingebracht. Zum Beispiel diese Kochshow. Nach seinem Sieg in Australien ließ er sich von Vox für das „Perfekte Promi-Dinner“ engagieren. Ein Format, in dem sich vier Prominente gegenseitig nach Hause einladen und bekochen. Manche Teilnehmer mieten sich dafür schicke Wohnungen an und geben sie als eigene aus. Menderes Bagci lud in seine Heimatstadt Langenfeld im Kreis Mettmann bei Düsseldorf, dort lebt er seit Jahren in einer Einzimmerwohnung. Weil er selten Besuch hat, musste er erst zu Ikea, einen Esstisch, vier Plastikstühle und ein achtzehnteiliges Tellerservice kaufen. Dazu eine Herdplatte. Bei allem ließ er sich filmen. Als die anderen Prominenten kamen, lästerten sie, er habe nicht aufgeräumt.

Im „Kristall Palm Beach“ bei Nürnberg muss Bagci jetzt schnell rüber zur Autogrammstunde. Ein Spaßbad-Mitarbeiter hat ihn schon zwei Mal ermahnt. „Vorsicht Stufe“, sagt Bagci noch, „bitte nicht stolpern.“

Die Autogrammstunde findet in einem kleinen Partyzelt auf einem ausgerollten Stück Kunstrasen statt. Sobald Bagci hinter dem Campingtisch mit dem Kartenstapel Platz nimmt, bildet sich eine Saunagastschlange. Im Hintergrund spielt eine Coverband Helene Fischer. Doch, sagt Bagci, er hätte heute schon gern selbst gesungen, aber die Musiker aus dem Ort machten das auch nicht schlecht.

Menderes Bagci kann wahnsinnig schnell Autogramme schreiben. Er setzt zuerst das „s“, schwingt den Stift dann nach links und schreibt die restlichen Buchstaben seines Vornamens. Diese Technik hat er bereits in der Grundschule trainiert, sagt er. Ein Junge fragt, ob Menderes ihm mit Edding auf den Unterarm schreiben könne. Menderes sagt, er wisse nicht, ob das der Haut schade. „Besser nicht. Entschuldige bitte.“ Er entschuldigt sich sehr oft an diesem Tag.

Seine Autobiografie? Unglamourös, es geht auch ums Entenfüttern

Im Sommer hat Bagci ein Buch geschrieben. Es ist wahrscheinlich die unglamouröseste, authentischste Autobiografie, die je ein deutsches Fernsehgesicht veröffentlicht hat. Bagci erzählt darin, wie gern er in seinem früheren Job als Tankwart die Zeitschriften in den Regalen zurechtrückte. Dass er aber nie wusste, was er in den langen Mittagspausen mit sich anfangen sollte. Bis er auf die Idee kam, Graubrot zu kaufen, an einen See zu fahren und dort jeden Tag die Enten zu füttern. Seitenlang geht das so, und man fragt sich beim Lesen, welcher Manager, der auch nur halbwegs um das Image seines Schützlings besorgt ist, dieses Manuskript durchgehen ließ.

In seinem Buch berichtet Menderes auch aus der Schulzeit. Dass er von Klassenkameraden ausgegrenzt wurde, nirgends dazugehörte. Dass er auch seiner Mutter, bei der er nach der Trennung der Eltern und dem frühen Tod seines Vaters lebte, meist lästig gewesen sei. „Das führt natürlich zu Defiziten“, schreibt er. Und sei der Grund, wieso er so unbedingt eine Showkarriere anstrebte, es immer wieder bei Bohlen versuchte und sich von keiner Demütigung abschrecken ließ. „Ich dachte: Auf der Bühne bin ich präsent, werde von Menschen wahrgenommen.“

Er hielt es für das beste Mittel gegen das Gefühl, nicht erwünscht zu sein, keine Anerkennung zu finden. Viele Schauspieler, Komiker und Politiker beschreiben genau diesen Impuls als ihren Antrieb, in die Öffentlichkeit zu drängen. Den Cleversten und Talentiertesten gelingen große Karrieren. Menderes Bagci sagt, er besitze auch ein Talent: seine Ausdauer.

Für manchen Kandidaten war der Sieg im Camp am Ende eher Fluch als Segen. Sänger Joey Heindle ließ sich auf undurchsichtige Verträge ein, unterschrieb bei mehreren Managern gleichzeitig, schließlich meldete er Privatinsolvenz an. Bagcis Vorgängerin, die Glücksradfee Maren Gilzer, versuchte es mit einem eigenen YouTube-Kanal, „Maren Gilzer TV“, sie hat ihn bald eingestellt.

Nach anderthalb Stunden hat der letzte Saunabesucher ein Autogramm. Menderes Bagci hat Hunger, aber die belegten Häppchen im Nebenzelt sind alle mit Wurst bestrichen, und Bagci lebt vegan. Er sitzt jetzt in einem Heizungsraum neben der Gondelsauna, der fungiert heute als Künstlergarderobe.

Streit um einen Auftritt auf Mallorca

Menderes Bagci kann gleichzeitig lächeln und sehr ernst gucken. Er sagt: „Rückschläge gab es auch.“ Im Sommer trat er auf Mallorca in der Großraumdisko „Megapark“ auf. Das Konzert war so mies, dass der Veranstalter hinterher öffentlich erklärte, er werde Menderes nicht mehr verpflichten. Der Sänger soll auf der Bühne lustlos gewirkt und das Publikum ignoriert haben.

„Nein“, sagt Bagci, „das war anders.“ Er sei schon seit Jahren in dem Laden aufgetreten, aber immer unten im Keller auf der kleinen Bühne, und immer nach Mitternacht. „Ich wusste, da kommen die Menschen wegen mir.“ Diesmal habe der Veranstalter ihn gebeten, auf der Hauptbühne zu singen, wo es Freibier gibt und die grölenden Massen. Er sei doch schließlich der Dschungelkönig! „Ich hatte Angst, dass es schiefgehen würde. So kam es dann leider auch.“ Er sagt, er hätte sich vom Veranstalter eigentlich Zuspruch erhofft, nicht gleich einen Rauswurf. Jetzt tritt Menderes auf der Insel in einem anderen Club auf. Der ist deutlich kleiner. Bagci sagt, dort gehe es ihm besser.

Bei der Staffel, die heute beginnt, wirkt ein Großteil der Kandidaten wie das exakte Gegenteil von Menderes. Es sind Großmäuler, Skandalnudeln, Überall-Anecker. Da ist Marc Terenzi, der strippende Ex-Mann von Sarah Connor. Oder Schlagersänger Jens Büchner, der mit einem Lied namens „Hau ab, du bist kein Alkohol“ berühmt werden wollte. Promimaterial, wie gemacht für das Format. Immerhin hat RTL zumindest einen ruhigen, nicht als verhaltensauffällig geltenden Typen eingekauft: Fußball-Weltmeister Thomas Häßler. Bagci hat ihn auf einer Weihnachtsfeier kennengelernt. Sie mögen sich.

Menderes Bagci: nie wieder Freak

Menderes Bagci hat gesehen, wie die Dschungelkönige vor ihm in der Öffentlichkeit standen und dann wieder verschwanden. Und er ist selbst überrascht, dass die Leute jetzt immer noch über ihn sprechen. Dass er für Konzerte gebucht, bald ein Musikalbum herausbringen wird. Dass er auch 2017 gut davon leben kann. Dass in der Showbranche offensichtlich Platz ist für einen wie ihn. Sind Sie heute glücklicher als vor einem Jahr, Herr Bagci?

„Moment“, sagt er, „ich will nicht sinnlose Sachen erzählen, ich muss mal kurz überlegen, wie ich darauf antworten könnte.“ Dann sagt er: Manches sei hart. Die bösen Kommentare auf Facebook. Da gebe es Leute, die ihm Arroganz unterstellen. Die behaupten, er sei abgehoben. „Das trifft mich. Wenn ich etwas nicht bin, dann doch abgehoben.“

Was er noch nicht gefunden habe, sagt er, seien die Wärme und Geborgenheit, nach denen er sich so sehne und wegen derer er all das angefangen habe. Immerhin käme er dem Gefühl manchmal schon ziemlich nahe. „Wenn sich so wie heute Menschen freuen, dass ich da bin, versuche ich, das Gefühl zu speichern.“

Er sagt, er verdankt dem Dschungelcamp, dass er als Mensch gesehen werde. Und dass er dumm wäre, wenn er sich diese Menschwerdung jetzt kaputtmachen ließe. Er möchte nie wieder der Freak sein. Vielleicht macht ihn das zum einzig wirklichen Gewinner des Dschungels.

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