Gedenken an die Shoah: Stolperstein-Verbot spaltet München
Berlin hat schon 6000, in München sind sie verboten: Erinnerungstafeln für ermordete Juden. Das könnte sich jetzt ändern. Und schon gehen die Emotionen hoch.
Die beiden Stolpersteine, 10 mal 10 Zentimeter, glänzende Messingoberfläche, sind für Siegfried und Paula Jordan. Sie wurden von den Nazis nach Kaunas deportiert und am 25. November 1941 ermordet. Ihr Sohn Paul hat überlebt und wohnt heute in Manchester. Er wollte, dass seine Eltern durch die Stolpersteine im Gedächtnis der Münchner bleiben. Und dass auf diese Weise auch etwas von ihm in seine Heimatstadt zurückkehrt.
Die kleinen Messingtafeln lassen Fußgänger in vielen Städten innehalten. Sie haben sich als Form des Gedenkens durchgesetzt. Sie erinnern nicht abstrakt an den Terror der Nazis, sie machen auf das einzelne Schicksal aufmerksam. Sie kosten 120 Euro das Stück – und man braucht zum Verlegen nicht die Zustimmung des jeweiligen Hauseigentümers, die Steine werden in öffentlichen Grund eingelassen. Dann reisen manchmal Angehörige von weit her an. Es sind sehr berührende Momente. Fast 50 000 Stolpersteine wurden bereits in Europa verlegt, in Berlin über 6000. Jede Woche kommen neue hinzu.
Aber nicht in München. Dort sind sie verboten. Das hat der Stadtrat 2004 beschlossen. Sie seien leicht zu schänden, Fußgänger trampelten darüber und zu viel sei dem Zufall überlassen. Aber vor allem beriefen sich die Stadtväter auf Charlotte Knobloch. Sie ist entschieden gegen diese Form der Erinnerung. Die Haltung der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde und Münchner Ehrenbürgerin müsse man respektieren.
Die Tafeln für Siegfried und Paula Jordan wurden im Mai 2004 verlegt und noch am Abend des Beschlusses vom Tiefbauamt herausgerissen mitsamt der Zementplatte, in die sie eingelassen sind. „Unglaublich, was damals passiert ist“, sagt Terry Swartzberg. Er ist der Vorsitzende der Münchner Stolpersteine-Initiative. Die Zementplatte mit den Jordan-Steinen liegt in seinem Wohnzimmer in einem Reihenhaus auf dem Münchner Nockherberg. Swartzberg zeigt die Steine her wie der Kriminalkommissar die Leiche: Sie sollen vor Augen führen, was die Stadt den Jordans und anderen Opfer-Familien antut durch das Verbot. Er fährt seinen Computer hoch und klickt die Aussage von Peter Jordan an: „Es war, als wären meine Eltern ein zweites Mal deportiert worden.“
Der Stadtrat will bald neu abstimmen
Seit dem Frühjahr hat München einen neuen Stadtrat und einen neuen Oberbürgermeister. Kommende Woche lädt die SPD im Landtag zu einer Diskussion über die Stolpersteine ein, im Dezember gibt es eine öffentliche Anhörung im Rathaus. Im Februar will der Stadtrat neu abstimmen. Terry Swartzberg freut sich. Auf diesen Moment arbeitet er seit Jahren hin.
Für Charlotte Knobloch aber ist die Debatte “absurd” und die Anhörung ein “würdeloses Schauspiel“. Sie wird da auf keinen Fall mitmachen. Knobloch, 81, elegantes Kostüm, Stöckelschuhe, empfängt Besucher im Gemeindezentrum am Jakobsplatz in der Innenstadt. Das Gemeindezentrum mit der neuen Synagoge wurde 2006 eingeweiht und ist ein Wahrzeichen der Stadt. Es ist Charlotte Knoblochs Lebensleistung. Sie hat nicht locker gelassen und mit eisernem Charme Politiker von ihrer Idee überzeugt. Lockerlassen ist nicht ihre Sache. Sie leitet die Israelitische Kultusgemeinde seit fast 30 Jahren, pflichtbewusst und mit einer Mischung aus Machtbewusstsein und mütterlicher Fürsorge. Es muss viel zusammenkommen, bis sie mal einen Tag nicht von früh bis spät abends arbeitet.
Charlotte Knobloch ist eine Institution in München. Was sie sagt, hat Autorität. Erst recht, wenn es um die Vergangenheit geht. Manche nennen sie „Herrscherin des Gedenkens“. Schon oft wurde sie mit dem Thema Stolpersteine konfrontiert. Schon oft, hat sie erklärt, warum sie dagegen ist.
Sie sitzt in ihrem Büro im sechsten Stock am Jakobsplatz und ringt um Worte. „Ich habe gesehen, wie Menschen von SS-Männern in schweren Stiefeln in Polizeiautos getreten wurden. Ich habe gesehen, wie geschundene, verletzte und sterbende Menschen am Boden liegen.“ Sie hat es erlebt.
Er sagt: "Ich gehe einfach allen auf den Wecker"
Swartzberg, 61, groß, schlank, braun gebrannt, ist gebürtiger New Yorker. Seine Familie gehört zum liberalen, jüdischen Establishment der Ostküste. Er wuchs in Indien auf, wo seine Eltern nach dem Sinn des Lebens suchten. Sie Eltern haben ihm einen unverwüstlichen Optimismus mitgegeben und eine große Furchtlosigkeit vor dem Leben. Terry Swartzberg hat schon viel gemacht. Nicht alles klappte, aber die Leidenschaft war immer groß. Eigentlich wollte er Städteplaner in der Dritten Welt werden, aber er brach das Studium an einer renommierten Universität ab und testete lieber in Paris Weine. Viele Jahre berichtete er als Wirtschaftsjournalist aus Asien und Berlin. Seit 1984 ist er in München.
An einem Abend 1977 in Sri Lanka hat er mit ansehen müssen, wie Menschen ermordet wurden. Es war der Anfang eines blutigen Bürgerkriegs, er war zufällig da. Viele Menschen würden so etwas schnell vergessen wollen. Aber Terry Swartzberg hält Vergessen für ein Grundübel der Menschheit. Er hat seine Erfahrungen in einem Theaterstück verarbeitet. Er will damit nichts Geringeres bewirken, als dass der Krieg abgeschafft wird. “Ich akzeptiere viele Sachen einfach nicht”, sagt er. Den Krieg nicht, die Umweltzerstörung nicht und dass es in München keine Stolpersteine gibt.
Wenn Terry Swartzberg ein Ziel für seine überschäumende Energie gefunden hat, ist ihm nichts zu viel. Er hebt mit einem Ruck die Zementplatte mit den Jordan-Steinen hoch und schleppt sie Stufe für Stufe nach oben auf die Terrasse. Dort ist das Licht zum Fotografieren besser und er weiß, wie wichtig Fotos sind, wenn man die öffentliche Meinung beeinflussen will.
Knobloch hat gesehen, wie Menschen am Boden kauerten
Swartzberg arbeitet mit Prominenten wie Amelie Fried zusammen und hat sich mit allen Opfergruppen vernetzt. 4500 jüdische Münchner wurden von den Nazis umgebracht. Aber auch 2500 nicht-jüdische Opfer „bräuchten dringend Stolpersteine“, sagt er. Das Tolle an den Steinen sei, dass sie mitten im Alltag an den Horror erinnerten und die Toten ins Leben hinein holen – „auch wenn man mal keine Lust hat, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen“. Davon hat er Politiker vom Schwabinger Bezirksausschuss bis nach Berlin überzeugt, er hat Teile der Münchner Schickeria mobilisiert, dazu Rabbiner, Bischöfe und Banker.
“Es ist nicht schwierig, was ich mache“, sagt Swartzberg. “Ich gehe einfach allen auf den Wecker.” Das meint er wenig ironisch. Morgens schalte er den Computer ein und überlege: Wer bekommt heute Post von mir? Er hat die Bundeskanzlerin und den Bundespräsidenten um eine positive Bewertung der Stolpersteine gebeten, Künstler, den israelischen Botschafter und den Präsidenten des jüdischen Weltkongresses. 80 prominente Statements für die Steine hat er zusammen. Auch die Münchner hat er befragt. Von 453 Menschen waren 93 Prozent dafür.
Swartzberg hat keine Verwandten in der Shoah verloren, das Thema hat nach und nach von ihm Besitz ergriffen, je mehr er mit Überlebenden und Angehörigen sprach. Und besonders seitdem sich seine Mutter mit 80 Jahren in Harold verliebte. Harold war in Auschwitz und kann nicht glauben, dass sich die Deutschen jeden Tag freiwillig mit der Shoah konfrontieren, sagt Swartzberg. “Die Stolpersteine hätten ihn fast mit Deutschland versöhnt.“
„Menschen treten auf die Stolpersteine oder gehen achtlos über sie hinweg“, hat Charlotte Knobloch gesagt. Dadurch werde das Andenken an die ermordeten Menschen „mit Füßen getreten“. „Die Opfer werden ein weiteres Mal entwürdigt.“ Auf dem Boden kann für sie kein würdiges Gedenken stattfinden. Das müsse auf Augenhöhe geschehen. Außerdem könnten Tafeln auf dem Boden leicht bespuckt und beschmiert werden. Hunde könnten darauf pinkeln.
„Schwarzmalerei“, sagt Swartzberg. Die Gefahr, dass die Steine beschmiert werden, sei nicht groß. Die Deutschen seien keine Antisemiten. Das meint er zu wissen, seitdem er immer eine Kippa trägt, wenn er das Haus verlässt. Denn Terry Swartzberg hat in München sein Jüdischsein neu entdeckt. Angemacht wurde er wegen der Kippa noch nie, auch nicht, als er zum Testen kreuz und quer durch Deutschland gefahren ist. Die Beschneidungsdebatte und dass so viele Deutsche auf Israel rumhackten, sei „unschön“. Aber Antisemitismus? Nein. Er bleibt dabei.
Swartzberg holt das Mountainbike aus dem Keller und setzt den Rucksack auf. Vom Nockherberg geht es hinunter über die Isarbrücken und in die Innenstadt hinein. Er fährt schnell, überholt die anderen Radler. Nicht einfach, bei dem Tempo mitzuhalten.
In der Nähe der Pinakotheken wartet Klaus Fleischmann vor einem Apartment-Haus. Er ist emeritierter Professor für Industriedesign und engagiert sich für die Stolpersteine. Er schließt die Tür zum Keller auf. Seine Nachbarn haben in ihren Holzverschlägen Räder, Skier und Marmelade deponiert. In Fleischmanns Regalen liegen 200 Stolpersteine, alphabetisch sortiert. Verwandte von Ermordeten und Münchner Nachbarn haben sie anfertigen lassen. Sie warten darauf, dass sie verlegt werden können. „Zählt die Meinung dieser Menschen nicht?“, fragt Terry Swartzberg. Es könne doch nicht sein, dass der Stadtrat Charlotte Knobloch ein „Vetorecht“ über die ganze Stadt einräume.
München tat sich sehr schwer mit seiner braunen Vergangenheit
Aber hängt wirklich alles von Charlotte Knobloch ab? Auf den ersten Blick sieht es so aus. Doch so einfach ist es nicht. Gut möglich, dass etlichen Politikern in SPD und CSU die Abwehrhaltung der wichtigsten Zeitzeugin der Stadt ganz recht kam und als willkommene Ausrede diente. Weil auch sie Stolpersteine im Stadtbild für eine Zumutung halten - aber aus anderen Gründen.
„Unter allen deutschen Städten hat sich München in der Nachkriegszeit mit dem Vermächtnis der NS-Vergangenheit am schwersten getan“, hat der amerikanische Historiker Gavriel D. Rosenfeld 2008 geschrieben. In seinem Buch „Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus“ hat er untersucht, wie die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten mit der NS-Architektur umgegangen ist.
München war für die Nazis die „Stadt der Bewegung“. In den 1920ern waren sie hier groß geworden, in den 30ern errichteten sie Prachtbauten und Ehrentempel, die ihren Sieg verewigen sollten. Den Königsplatz machten sie zu ihrem Aufmarschgelände. Dort hatte Hitler seinen Amtssitz. Im „Führerbau“ hielt er Hof, wenn er in München war. Im Keller lagerten seine Leute geraubte Kunst.
Heute ist in dem NS-Palast die Musikhochschule untergebracht. In Hitlers Arbeitszimmer üben Studenten Geige. Man muss suchen, bis man am Fuß einer wuchtigen Freitreppe ein Pappschild entdeckt. Es ist mehrfach mit Tesafilm geklebt und informiert in knappen Sätzen über die Geschichte des Hauses. Mehr gibt es nicht. Keine Gedenktafel, keine Erklärungen.
Bis in die 80er Jahre wurden Gebäude, die in der NS-Zeit wichtig waren, einfach abgerissen. Doch immer mehr Münchner wollten nicht, dass die Vergangenheit entsorgt wird. 1987 reagierte die Stadt auf den öffentlichen Druck und beschloss, hinter der Musikhochschule ein Dokumentationszentrum für die NS-Verbrechen zu bauen. Hier stand früher das „braune Haus“, die NSDAP-Zentrale.
Weinreben verwandeln den NS-Palast in ein Märchenschloss
Aber es tat sich erst etwas, als andere Städte Dokumentationszentren eröffneten, und ausländische Medien mit dem Finger auf München zeigten. Nach fast 30-jährigem Hickhack, nach Kämpfen zwischen der CSU im Land und der SPD in der Stadt wurde das Dokumentationszentrum gebaut. Hinter der Musikhochschule ragt ein weißes Gebäude empor. 2015 soll es eröffnet werden.
Fünfzig Meter die Straße runter versuchen Kunsthistoriker 70 Jahre nach Kriegsende herauszufinden, was mit der geraubten Kunst passiert ist, die die Nazis im Keller des „Führerbaus“ gelagert hatten. Nebenbei kämpfen die Wissenschaftler gegen die Weinreben, die über die Fassaden ihres Hauses ranken und die NS-Architektur in ein Märchenschloss verwandeln. Wegen Sanierungsarbeiten wird der Wein entfernt. Jetzt ringen sie mit dem Bauamt, dass er nicht wieder eingepflanzt wird.
Charlotte Knobloch war fünf Jahre alt, als die Synagogen brannten. An der Hand ihres Vaters hastete sie durch München. Sie hat die Aufmärsche der Nazis gesehen, hat erlebt, wie angesehene Bürger von einem Tag auf den anderen gedemütigt und drangsaliert wurden und niemand ihnen half. Ihr Misstrauen ist groß, dass so etwas wieder passieren könnte.
Der Auftritt im Rathaus wäre ein "Martyrium" für sie
Das neue Gemeindezentrum und die Synagoge, ein wuchtiger Kubus aus hellem Stein, wirken wie eine Trutzburg. Für Charlotte Knobloch ist es auch ein Schutzort. Er ist wichtiger geworden seit der Beschneidungsdebatte und erst recht, seitdem diesen Sommer auf Anti-Israel-Demonstrationen „Jude, Jude, feiges Schwein“ gebrüllt wurde. „Dass so etwas nochmal ungestraft gebrüllt werden darf, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagt Knobloch. Paketweise hat sie Briefe bekommen, in denen stand, was für furchtbare Menschen die Juden angeblich sind. Sie habe sich da oft allein gelassen gefühlt, sagt sie. Das Misstrauen ist gewachsen.
Der Stadtrat hat sie eingeladen, bei der Anhörung zu den Stolpersteinen im Rathaus Anfang Dezember ihre Sicht der Dinge zu erörtern. Doch ihre Sorge ist groß, dass sie dort unfair behandelt werden könnte. Das hat sie auch dem Kulturreferenten der Stadt geschrieben. Es ist ein sehr emotionaler und auch harscher Brief. Von einem „Tribunal“ ist die Rede, von einem „Kreuzverhör“, bei dem sie „vorgeführt“ werden soll. Schon allein der Gedanke ist für sie unerträglich, dass über die „unmenschlichsten Momente unserer Geschichte“ in einer Anhörung im Rathaus wie über Haushaltsfragen diskutiert wird mit Argumenten pro und kontra. Sie könne über das Thema kein nüchternes Referat halten, schreibt sie. Es sei für sie ein Martyrium, in die tiefsten Abgründe ihrer Erinnerung hinabzusteigen. Dem Stadtrat, der sie dazu eingeladen hat, und den „Profilneurotikern“, die die Anhörung „unerbittlich erzwungen haben“, wirft sie „Gefühlskälte“ vor.
Charlotte Knobloch ist gewohnt, vor Menschen zu sprechen. Sie stellt sich oft den Fragen von Schülern, Politikern und Journalisten, auch den unangenehmen. Doch nun scheinen so viele gegen sie zu sein. Auch aus den eigenen Reihen. Aus dem Unversöhnlichen und Unnachgiebigem der Briefzeilen klingt Verletzlichkeit und auch Ängstlichkeit durch.
Das Schreiben ist schnell öffentlich geworden. Im Stadtrat war die Betroffenheit groß. Auch in der Bevölkerung. Sie habe in den vergangenen Tagen so viele positive Zuschriften wie lange nicht mehr erhalten, sagt sie. Münchner und Menschen aus anderen deutschen Städten machten ihr Mut, sie solle bei ihrer Meinung bleiben. Auch sie halten Bodenplatten nicht für ein würdiges Andenken.
Knobloch möchte, dass die Namen der Opfer öffentlich werden
Knobloch möchte ja, dass die Namen der Opfer öffentlich gemacht werden. Sie hat angeregt, sie im neuen Dokumentationszentrum zu präsentieren. Sie hätte auch gerne eine große Tafel auf dem Jakobsplatz angebracht. Doch wenn die Tafel besudelt worden wäre, hätte sie sich verantwortlich gefühlt. „Das hätte ich nicht ausgehalten“, sagt sie. Jetzt sind die Namen der 4500 ermordeten jüdischen Menschen im „Gang der Erinnerung“ in eine Glaswand eingeritzt. Es ist der unterirdische Verbindungsgang zwischen Gemeindezentrum und Synagoge. „Wir haben sie hier bei uns“, sagt Knobloch. „Hier sind sie geschützt“.
Charlotte Knobloch und Terry Swartzberg trennt nicht nur eine Generation und Knoblochs Erfahrung, die Shoah überlebt zu haben. Es prallen Mentalitäten aufeinander. Und es sind selten nüchterne Argumente, weshalb jemand für oder gegen Stolpersteine ist. Es sind die Mentalitäten und die sehr persönlichen Wahrnehmungen und Gefühle, die den Ausschlag geben.
Darf man Angehörigen verbieten, Stolpersteine zu verlegen?
Marian Offman, 66, hat Charlotte Knobloch schon oft verteidigt. Andere im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde sind gegangen, Offman steht ihr seit vielen Jahren loyal zur Seite. Marian Offman sitzt seit 13 Jahren für die CSU im Stadtrat. Bei der Abstimmung vor zehn Jahren hat er vehement für das Verbot der Stolpersteine geworben. Aber ihm sind Zweifel gekommen.
Er würde für seine ermordeten Verwandten keine Messingtafeln in den Boden einlassen. „Die Shoah war die schlimmste Form der Demütigung“, sagt er. Und er wisse nicht, ob seine Verwandten wollen würden, dass ihre Ermordung und Demütigung im Straßenbild verewigt wird. Doch er hat mit Angehörigen gesprochen, die das anders sehen. Man müsse sich fragen, ob man ihnen verbiete dürfe, Stolpersteine für ihre Toten zu verlegen.
Ihm sei auch klar geworden, wie wichtig die kleinen Tafeln für das Selbstverständnis der nicht-jüdischen Deutschen seien, sagt Offman. „Vielleicht können die Steine ja doch zu dem ‚Nie wieder‘ beitragen.“ Er weiß noch nicht, wie er im Februar abstimmen wird. Vielleicht geht er diesmal einen anderen Weg als Charlotte Knobloch.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.