Gärten statt Beton: So begegnet Paris dem Klimawandel
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bereitet ihre Stadt konsequent auf den Klimawandel vor. Sie denkt nicht nur ans Allgemeinwohl.
Célia Blauel hat einen Traum. An einem Oktoberfreitagmorgen im vergangenen Jahr sitzt sie in einem Pariser Lokalradiostudio und lässt sich zu dem Plan befragen, den sie tags zuvor verkündet hat: „Im Jahr 2025 werden wir in der Seine und der Marne baden.“ Die Flüsse sollen sauber, bei den Olympischen Spielen 2024 sollen Wettkämpfe in der Seine ausgetragen werden.
Blauel, 37 Jahre alt, Grüne, seit 2014 stellvertretende Bürgermeisterin von Paris und zuständig für Umweltthemen, wird gefragt: „Gestern hat die Stadt ihren Plan fürs Baden in der Seine präsentiert, was muss in den sechs Jahren bis dahin getan werden? Schon Jacques Chirac wollte das ja.“ Blauel antwortet: „Ja, das war 1988. Aber davon zu reden ist etwas anderes, als es zu tun.“ An fünf Stellen in der Innenstadt sollen dann Pontons auf dem Wasser liegen, schwimmende Strände.
Wer in der vergangenen Woche einen Pariser Wetterbericht zur Kenntnis genommen hat oder dort gewesen ist, ahnt, dass Blauels Plan mehr verspricht als nur ein bisschen Spaß. Am Donnerstag wurden in der Stadt 42,6 Grad Celsius gemessen, ein mehr als 70 Jahre alter Rekord – 40,4 Grad an einem Julitag im Jahr 1947 – war gefallen. Auf dem Platz vor dem Louvre wurden 65 Grad auf dem Asphalt gemessen.
Etliche weitere Tage im Juni und Juli brachten Temperaturen um 40 Grad. Der Springbrunnen am Trocadéro wurde zum Schwimmbecken. Auch nachts lagen die Temperaturen noch zwischen 25 und 30 Grad.
Im zweiten mitteleuropäischen Dürre- und Hitzesommer in Folge, in dem das Leben und Arbeiten in den Städten zunehmend schwerer wird, ist die Aussicht, bald in der Seine baden gehen zu können, ohne sich schmutzig zu machen oder krank zu werden, wohl ein Segen. Und die Pariser Stadtregierung hat noch viel mehr vor und manches auch bereits unternommen, um die Klimawandelsfolgen in der Stadt abzumildern. Und um ihren CO2-Ausstoß zu senken. In Blauels Amtszeit scheint die Stadt – die Stadt des Pariser Klimaabkommens, in dem sich im Jahr 2015 196 Staaten und die EU darauf verständigt haben, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen – eine „grüne Revolution“ zu erleben.
25 Prozent weniger Luftverschmutzung
„Paris kämpft für eine bessere Luftqualität“, sagt Blauel. „Die Pariser glauben, dass die Luft schlechter wird. Das ist nicht der Fall, sie wird seit zehn Jahren besser.“ Seit 2016 sind 3,3 Kilometer der Schnellstraße Georges Pompidou am Seineufer, vom Tunnel an den Tuilerien bis zum Tunnel in Bastille-Nähe dauerhaft gesperrt – bislang war dies seit 2002 jeweils in den Sommerferien bereits der Fall, Sandstrände werden für einige Wochen angelegt, Holzterrassen und Liegestühle aufgestellt.
Auf der zweispurigen Straße fuhren einst 43.000 Autos am Tag. Heute spazieren Fußgänger darüber, auf dem Rasenstreifen am Rande sonnen sich Pariser und Touristen. Um die Straße sank die Luftverschmutzung um 25 Prozent, auf Ausweichwegen aber stieg sie um bis zu 20 Prozent.
Die Straßensperrung war ein gewagtes Projekt von Blauels Chefin, der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die seit 2014 im Amt ist. Sie wurde dafür heftig kritisiert, denn während unten an der Seine Fahrradfahrer und Spaziergänger ihre Ruhe haben und im Sommer Strandbars und Attraktionen für Kinder warten, stauen sich gleich nebenan die Autos.
Die in Spanien geborene 60-jährige Hidalgo, die vorher 13 Jahre lang stellvertretende Bürgermeisterin und zuständig für Stadtplanung war, hat Autos den Kampf angesagt. Fahrbahnen werden schmaler, Bürgersteige und Plätze breiter und größer, die Stadt lässt Fahrradwege bauen.
Anne Hidalgo hatte 2015 einen ehrgeizigen Fahrradplan aufgestellt. Von damals 700 Kilometern sollte die Gesamtlänge der Radwege in Paris bis 2020 auf 1400 Kilometer steigen. Der größte bisher fertige gewordene Teil davon entstand auf einstigen Autofahrspuren. 150 Millionen Euro waren für den Plan veranschlagt worden. Laut Pariser Bürgerverbänden sollen bis Ende 2019 rund 50 Prozent fertiggestellt sein. Beim Ausbau von Gehwegen und Plätzen wird den Fahrspuren ebenfalls stückchenweise etwas abgeknapst. Paris ist eine Fußgängerstadt, 52 Prozent der Wege werden zu Fuß zurückgelegt, so die letzte Studie der Stadt von 2015 zum Thema. Insgesamt wurden und werden sieben große Pariser Plätze umgebaut und grüner.
Autofahren soll anstrengend werden
Außerdem sollen Diesel- und Benzinwagen langsam aus der Stadt verbannt werden. Dieselautos, die vor 2006 gebaut wurden, dürfen seit Anfang Juli von Montag bis Freitag von 8 bis 20 Uhr nicht mehr in Paris fahren. Für Benziner gilt das für die Baujahre vor 1997. Wer sich daran nicht hält, muss mit einer Strafe von mindestens 68 Euro rechnen.
Hidalgo will die Pariser und ihre Gäste umerziehen. Autofahren soll so anstrengend werden, dass sie auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen oder auf Leihfahrräder. Die Erziehung stellt sich schwierig dar, weil das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel völlig überlastet ist.
Dabei hat Paris ein dichtes Netz von Metrolinien. Doch die Züge sind zur Hauptverkehrszeit oft so voll, dass man an den Eingängen zu den Bahnsteigen Schlange stehen muss. Die Züge fahren schon jetzt zur Hauptverkehrszeit im Zwei-Minuten-Takt, mehr ist kaum möglich. Deshalb wird vor allem darauf gesetzt, dass durch breitere Zugangswege die Leute schneller zu den Zügen kommen – die dann nur noch voller werden. Buslinien entlang der U-Bahnen werden geschaffen, Straßen dafür zu Einbahnstraßen umgewidmet.
Kürzlich kündigte die Stadt die Gründung einer „Klimaakademie“ mit Experten an, sie sollen die Jugend sensibilisieren und Umweltprojekte entwickeln. Wie das konkret aussehen soll, ist aber noch nicht bekannt. Und wer durch Paris spaziert und vor zehn Jahren nur eine Steinwüste und historische Bauwerke sah, wird erstaunt sein. Auf vielen Balkonen wachsen heute Blumen.
Teilweise war dies früher von den Wohnungseigentümer-Gemeinschaften verboten worden, aber oft ist es auch ein Beweis für das neue grüne Denken der Pariser. Unter Straßenbäumen entstehen kleine, drei bis sechs Quadratmeter große Gärten. Die Stadt hat diese Initiativen ins Leben gerufen, ausgeführt werden sie von Verbänden, bei denen man sich anmelden muss. Vor allem Bewohner des 19. und 20. Arrondissements im Pariser Osten, ehemalige Arbeiterviertel, die heute schick sind, engagieren sich.
15.000 neue Bäume
In der Rue du Jourdain etwa an der gleichnamigen Metrostation, gleich neben der vielbefahrenen Rue Belleville, ist fast jeder Baum „adoptiert“ worden, von einem Holzgitter umgeben, hier wachsen Geranien und Lavendel, Zucchini und Rhabarber. In einer Querstraße, der Rue Fessart, ist auf einer Brachfläche ein großer Gemeinschaftsgarten entstanden. Wer anpflanzt, muss mit anderen Gärtnern die Ernte teilen. Auf einer Hinweistafel ist ein Plan abgebildet, der im 19. Arrondissement 23 solcher Gärten zeigt.
Früher war es in Paris auch nicht gern gesehen, wenn Dächer begrünt wurden, weil es nicht ins Stadtbild passe. Nun wird es gefördert. Auch Fassaden werden grün, bis zum kommenden Jahr sollen mehr als 100 Hektar auf Dächern und an Hauswänden bepflanzt sein, bis 2024 rund 54 Hektar der Stadtfläche.
Anne Hidalgo sagt, die Städte müssen sich an den Klimawandel mit steigenden Temperaturen anpassen. „Wir befinden uns an einem historischen Zeitpunkt. Wir sind vielleicht die letzte Generation, die noch etwas ändern kann.“ Bis 2050 soll Paris CO2-neutral werden.
15.000 Straßenbäume wurden seit 2014 gepflanzt. 5.000 weitere sollen bis 2020 folgen. Außerdem sind vier „Stadtwälder“ geplant, hinter der alten Oper Garnier, vor dem Rathaus, am Bahnhof Gare de Lyon und auf der für Fußgänger reservierten Schnellstraße an der Seine. Plätze werden grüner, die Place de la République wurde schon verändert.
Früher gab es hier überall Straßen für die Autos mit nur zwei kleinen Betoninseln in der Mitte. Heute ist fast der ganze 3,4 Hektar große Platz Fußgängern vorbehalten. Allerdings konnten nicht so viele Bäume wie geplant gepflanzt werden, der Metrobetreiber RATP fürchtete Schäden an den U-Bahn-Zugängen im Untergrund.
"Werbecoups statt Aktion"
Die Bürgermeisterin denkt bei all dem nicht ganz uneigennützig an die Umwelt und den Klimawandel. Sie macht das Bekenntnis zur grünen Stadt zum Wahlargument. Im März 2020 sind Bürgermeisterwahlen und dann steht ihr Posten zur Disposition. Hidalgo würde gerne mithilfe von Célia Blauel, die sich offenbar von den Grünen verabschieden und für ihre Chefin Wahlkampf machen will, wieder Bürgermeisterin werden.
Doch Hidalgo, angetreten für die Sozialistische Partei, weiß genau, dass ihr nur die Stimmen von Grünwählern möglicherweise noch dabei helfen können. Bei den Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen 2017 sowie den Europawahlen im Mai erlebten die Sozialisten nur Niederlagen.
Politische Gegner kritisieren sie – und fordern noch mehr Grün. „Von Stadtwäldern bis zur Oase multipliziert die Bürgermeisterin die Werbecoups und vergisst die Aktion“, erklärte Agnès Evren, Europaabgeordnete der konservativen Republikaner, die auch im Stadtrat des 15. Pariser Arrondissements sitzt. Ihr sind die Flächen zu klein.
Auch viele Autofahrer sind gegen Hidalgos Projekte. Denn ganz Paris wirkt wie eine riesige Baustelle. Die Platzrenovierungen, die Bürgersteigverbreiterungen, die Umbauten der Metrostationen. U-Bahn-Linien werden um mehrere Stationen in die Vorstädte erweitert. Paris hatte im Juli 2019 insgesamt 7.396 Baustellen, 1.300 mehr als im April.
Strahlend im Blumenkleid erscheint Hidalgo Anfang Juli bei der Einweihung des Platzes der Nation, der auch renoviert wurde und nun viele Rasenflächen hat, schüttelt Hände und sagt: „Es gibt immer noch zu viele Autos in Paris.“ Die Bürgermeisterin ist bei 40 Prozent der Pariser beliebt, bei 47 Prozent unbeliebt, ergab kürzlich eine Umfrage der Zeitschrift „Paris Match“. Die Tendenz ihrer Beliebtheit ist steigend, vier Prozent waren es innerhalb eines Monats. Hidalgos Gegner Benjamin Griveaux, Mitgründer von Emmanuel Macrons Bewegung La République en Marche, kommt auf 20 Prozent Beliebtheit. Die Leute kennen ihn kaum.