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Kabelja à la Sonja Frühsammer.
© Mike Wolff

Sterneköchin Sonja Frühsammer: Selbst die neidverliebte Berliner Szene freut sich

Der Michelin-Stern war überfällig, hieß es. Ende 2014 bekam Sonja Frühsammer ihn endlich. Doch von „Pinzettenküche“ will sie nichts wissen. Ein Besuch am Herd von Berlins bester Köchin.

Nachmittags gegen halb sechs wird es ruhig in der Profiküche, das ist normal. Die Vorbereitungen sind erledigt, die Köche essen und tanken Kraft für den anstrengenden Abend. Nur Sonja Frühsammer, die Chefin, werkelt entspannt weiter, zieht Schubladen auf und zu, grübelt über Details. Es haben sich Stammgäste angesagt, die etwas Besonderes erwarten. Sie hat Kalbshirn präpariert, und es soll Kabeljau mit Ochsenmaul-Vinaigrette und Schnippelbohnen geben.

Auch an diesem Abend wird das Restaurant in Schmargendorf, das den Namen seiner Besitzer trägt, wieder gut gefüllt sein. Eigentlich wie immer, seit der Michelin Sonja Frühsammer im vergangenen November mit dem ersten Stern ausgezeichnet hat.

Ein großer Schritt, der sie auch in den Ranglisten vorangebracht hat: Platz 140 im Gerolsteiner-Ranking. Ist das was? Das ist was, selbst wenn das Auswerten der gesammelten deutschen Restaurantführer aus vielen subjektiven Urteilen kein objektives macht. Doch im vergangenen Jahr lag sie noch auf Platz 195, und selbst der Berliner Überflieger Tim Raue verharrt auf dem keineswegs glamourösen 53. Rang. Und wenn wir uns dann noch die Untergruppe der professionell kochenden Frauen herausgreifen, dann landet die Berlinerin plötzlich auf Rang zwei, übertroffen nur noch von Douce Steiner aus Sulzburg in Baden. Beste Köchin der Hauptstadt, das sowieso.

Nicht, dass der 45-Jährigen das besonders wichtig wäre. Denn es gibt keinerlei Indizien dafür, dass Gäste lieber dort essen, wo eine Frau den Kurs vorgibt, und sie selbst kann auf die unentwegt gestellte Frage nach dem spezifisch weiblichen Kochstil auch keine Antwort geben, die über die landläufigen Vermutungen hinausgeht. Ich koche, sagt sie, wie ich koche, und wie es mir Spaß macht.

Am meisten Spaß hat ihr im vergangenen Jahr natürlich der Michelin-Stern gemacht. Der war überfällig, das haben alle Experten und erst recht alle Stammgäste gesagt, nicht zuletzt ihr Mann Peter, der seinen eigenen Stern schon in den achtziger Jahren im Restaurant an der Rehwiese errungen hatte: „Meine Frau kocht besser, als ich das jemals konnte“, sagte er immer wieder voller Ehrfurcht.

Bei der Preisverleihung bekam sie keinen Ton heraus

Dass Sonja dann bei der Pressevorstellung des neuen Michelin-Führers im November 2014 keinen Ton herausbekam, mag man als typisch weibliche Rührsamkeit werten; doch in Wirklichkeit hat es wohl eher gezeigt, was für eine verfluchte Hürde diese Auszeichnung für jeden Küchenchef ist, und dass diese Hürde immer höher wird, je länger man unbedingt drüber will.

Jetzt ist es geschafft. Und alle, wirklich alle Kollegen freuten sich, die neidverliebte Berliner Szene gab sich kuschelweich. Sonja? Na endlich. Aber es spricht für den realistischen Blick der meisterhaften Köchin, dass sie nun keineswegs den verführerischen nächsten Schritt ins Auge fasste, den Flirt mit dem zweiten Stern, dem Angriff auf Platz 1 der Frauen. „Nein“, sagt sie kategorisch, „das passt auch überhaupt nicht zu diesem Restaurant.“ Was völlig richtig, Außenstehenden aber nur schwer zu erklären ist.

Denn das Streben in die ganz hohen Regionen des Kochhandwerks setzt einen speziellen manischen Ehrgeiz voraus, das unentwegte Tüfteln nach einem eigenen Stil, einer ungewöhnlichen Optik auf dem Teller, die auch in Hochglanzmagazinen und Internet-Blogs eine Welle macht. Viele Küchenchefs gerade in Deutschland haben sich auf diesem Weg verkrampft, sind an ihren Gästen vorbei mit eher intellektuell als kulinarisch durchgearbeiteten Tellern ins Abseits gelaufen. Das sind dann die anstrengenden „Streberteller“, die auf den dritten Stern hin konstruiert sind, das ist die quasi unter der Lupe angerichtete „Pinzettenküche“ mit Dutzenden von Elementen.

Und dann würden ihr die Stammgäste schon Bescheid sagen. Denn hier, in der herrschaftlichen Villa des Grunewald-Tennisclubs, sitzen keine Avantgarde-Freaks auf der Suche nach dem nächsten superheißen Ding, auch Touristen sind selten. Hier geht es gediegen zu. Die vielen Stammgäste sind aufgeschlossen, wollen aber ohne langes Gerede verstehen, was sie essen. Sie genießen die fast private Atmosphäre eines großzügigen Raums und lassen sich den Spaß etwas kosten.

Warmes Bier? Nur mit dem passenden Nachtisch!

In der Küche von Sonja Frühsammer wird kaum gesprochen – und gebrüllt schon gar nicht.
In der Küche von Sonja Frühsammer wird kaum gesprochen – und gebrüllt schon gar nicht.
© Mike Wolff

Sonja Frühsammer ist keine Solistin, sie hat Mitarbeiter, die schon viel gesehen und selbst entwickelt haben und eigene Vorschläge einbringen, einbringen dürfen. Und natürlich ist auch ihr Mann ständig in der Küche, wirft eigene Ideen hinein, kommentiert und wird auch mal ironisch abgewimmelt: Nehmen wir die Sache mit dem Bierstachel. Dem was? Peter Frühsammer hat da eine alte Tradition entdeckt, eine Idee von Schmiedehandwerkern, die ihr Bier nicht so gern kalt mochten und dann einfach eine glühende Eisenstange ins Glas hielten. Das schäumt höllisch auf und gibt einen attraktiven Zungenreiz zwischen warmem Schaum und – dennoch – kühlem Bier. Tisch-Entertainment nach seinem Herzen – aber ohne kulinarische Anbindung völlig sinnlos.

Er schleppte also einen solchen Bierstachel an, ein Gerät, das wie ein abgesägtes Kaminbesteck mit Gasbrenner aussieht, und ließ die Köche kosten. Hm, sagten die, vielleicht ein Dessert? Das fand die Chefin auch. Die malzige Note vom Geschmack, die Honig- und Orangennoten in der Nase, das war eine Basis. Der Patissier mischte ein Malzbierparfait, ließ es in einer halbkugeligen Silikonform frieren. Dunkelbraunes, malziges Sorbet zum Bier? Gut, aber noch zu simpel. Orangenfilets mit Schalenstreifen für die Säurefrische kamen hinzu, ach, und wie wäre es mit einem knusprigen Honigmüsli? Es kam noch ein separater winziger Müsliriegel dazu, gebremst süßes Honig-Gel, fertig. Kein Rezept, sondern ein komplettes Unterhaltungsprodukt.

Die Küche der leisen Töne

Es genügen ein paar Stunden, um zu verstehen, wie diese Küche der leisen Töne funktioniert. Natürlich wird nicht gebrüllt und nicht geflucht, es wird überhaupt eher wenig gesprochen. Weiblich? Kann sein, aber es gibt längst viele reine Männerküchen, in denen es zugeht wie in der Gerichtsmedizin. Es ist vielleicht eher die Gelassenheit, die den Unterschied ausmacht, die Konzentration ohne überzogene Anspannung.

Sonja Frühsammer steht in der Mitte, vor einer glatten, stählernen Teppanyaki-Platte, auf der sie ohne viel Getue Fisch, Fleisch, Jakobsmuscheln nach- und durcheinander braten kann. Die Hauptprodukte gehen mithin über ihren Tisch, aber sie probiert längst nicht alles, lässt viele Teller im Vertrauen auf die Mitarbeiter unbesehen hinausgehen. Im Hintergrund sichert Sous-Chef Roland Raschke, den sie Rocco nennen, die Sache ab: Man sieht nicht immer, was er gerade macht, aber er zieht immer die richtigen Schubladen auf und ist sekundengenau zur Stelle, wenn irgendein Teller fertig werden muss.

Wenig Technik, viel Gefühl

Das wirkt alles eher improvisiert, ohne den großen Technikeinsatz von Ferran Adriàs Molekularküche. Auch Sonja Frühsammer hat einige dieser Moden ausprobiert, ist aber längst drüber weg. Die entsprechenden Geräte stehen im Keller. Doch sie ist natürlich nicht auf die naive Vollgastechnik der Großvätergeneration zurückgefallen, sondern baut das aktuelle Wissen ein, wo es Vorteile bringt: Der Kabeljau zieht langsam unter einer Wärmebrücke gar, wird dann auf der Platte nur noch sekundenlang angebraten. Umgekehrt ist es bei der Oberschale vom Rehkitz, die erst rundherum gebraten wird und dann zum Nachziehen im Heißluft-Konvektomaten verschwindet – Professionalität, die mehr auf Gefühl als auf imposanten High-Tech-Geräten beruht. Und Gelassenheit: Ein Koch ist an diesem Tag neben vielem anderem dafür zuständig, die Gäste mit Grissini zum Knabbern zu versorgen. Das ist italienisches Gebäck, das man in jedem Supermarkt bekommt, nur eben nicht so dünn, delikat und frisch wie hier. Ein mit Mohn durchsetzter Hefeteig wird ausgewalzt, in dünne Streifen geschnitten, und der Koch zwirbelt diese Streifen abschließend in der Luft geduldig zur gewünschten Stricknadelstärke. Kaum im Ofen fertig gebacken, gehen sie auch schon ins Restaurant hinaus.

Ebenso langwierig ist die Arbeit an den falschen Oreo-Keksen, die als kleiner Appetitanreger zum Aperitif gereicht werden. Jeweils zwei kleine Kreise werden aus dem dünnen schwarzen Oliventeig ausgestochen und mit einer weißen Creme aneinandergeklebt. Sie könnten, findet die Chefin, ein wenig stärker nach Oliven schmecken. Deshalb kommen noch getrocknete Olivenbrösel dazwischen. Besser, findet die Chefin. Jeweils zwei davon werden auf eine kleine Schieferplatte gesetzt, der Chef kommt – und ist erbost: „Zwei für jeden?“ schimpft er, „das ist doch Pillepalle, die Dinger sind doch viel zu klein!“ Die Gästen draußen profitieren davon, denn sie bekommen nun gleich fünf Stück pro Kopf – aber die Keksgröße wird wohl noch einmal geändert werden in den kommenden Tagen.

Tennis am Tisch? Welche Startschwierigkeiten es im Restaurant gab

Kabelja à la Sonja Frühsammer.
Kabelja à la Sonja Frühsammer.
© Mike Wolff

Das ironische Ping-Pong zwischen Sonja, der Experimentierfreudigen, und Peter, dem Konservativen, hält die Ambitionen und die Möglichkeiten im Gleichgewicht, nur so funktioniert das Spiel hier. Aber Sonja Frühsammer ist eben auch keine normale Köchin. Ähnlich wie viele berühmte Kolleginnen hat sie nicht die typische Männer-Ochsentour durch die gerade umschwärmten Edelküchen absolviert, sondern ist einen Seitenweg gegangen. Das Mathe- und Sportstudium gab sie auf zugunsten einer Kochlehre in der Siemens-Kantine, dann folgten, prägend, zwei Jahre bei Karl Wannemacher, dem Berliner Altmeister der Gelassenheit. Zwei Kinder wurden geboren, die erste Ehe ging auseinander. 1996 kam sie als Aushilfe zu Peter Frühsammer, der sein Restaurant aufgegeben hatte, Galloway-Rinder züchtete und einen Cateringservice betrieb. Der arbeitete auch für die israelische Botschaft – und beide entdeckten schließlich die Villa nebenan mit der Tennis-Kantine.

Der Anfang war hart. Denn wie soll man ein Restaurant mit Anspruch betreiben, wenn unbeteiligte Menschen mitten durch den Gastraum laufen, mit Handtüchern und Schlägern wedeln und überall roten Sand hinterlassen? Ein langwieriger Prozess der gegenseitigen Gewöhnung war nötig, bis die Grenzlinien abgesteckt waren – eine „Clubkarte“ mit einfachen, preisgünstigen Gerichten bildet nun den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Ihr Ausgleich sind die Islandpferde

So richtig versteht man Sonja Frühsammer aber nur, wenn man auch den Sonntag und den Montag berücksichtigt. Da ruht die Küche, und sie und ihr Mann sind draußen am Stadtrand bei ihren Islandpferden. Die kleine Zucht ist der Gegenpol zum Restaurantgewusel. Solche Orte sind nichts für Köche, die sich von ihrem Beruf auffressen lassen.

Sonja Frühsammer, von Natur aus zurückhaltend, hat Kompromisse machen müssen. Sie mag den rituellen Rundgang durch das Restaurant nach dem Hauptgang nicht besonders, aber die Gäste wollen die Sterneköchin auch mal gesehen haben, und das geht nicht ohne Smalltalk. Neulich war sie bei Bettina Rust im Radio, das lief sehr munter, aber man wird vermuten dürfen, dass hier jedenfalls keine neue TV-Köchin heranreift, schon wegen der Pferde und der Zeit, die sie verschlingen. „Immerhin war ich mal Hand-Model“, sagt sie mit leichtem Grinsen. Das war bei „Hinter Gittern“. Im Fernseh-Gefängnis waren Zwiebeln zu schneiden, und das konnte niemand graziler als Sonja Frühsammer, die eigentlich nur fürs Team kochen sollte.

Zehn vor sieben, die ersten Gäste kommen. In der Küche sind sie vorerst nur zu dritt, ein Koch und die Auszubildende arbeiten noch außer Haus. Doch der Druck nimmt nur langsam zu. Peter Frühsammer lässt es entspannt angehen, plaudert mit den Gästen, fragt nicht gleich die Bestellung ab. Aber dann kommt er mit einer guten Nachricht in die Küche. Zweimal „Frühsammers Abend“, ruft er – das ganze Programm wollen die Gäste und überlassen die Einzelheiten dem Haus.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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