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Nachdenkliche Richterin, Martina Gedeck spielt Kirsten Heisig, die Jugendrichterin, die sich im Juni 2010 das Leben nahm.
© Bayerischer Rundfunk / Oliver Vaccaro

Martina Gedeck spielt Kirsten Heisig: Richterin Gnadenlos - konsequent bis in den Tod

Gerade diskutiert Berlin wieder einen aktuellen Fall brutaler Jugendgewalt. Und jetzt kommt der Film über die Jugendrichterin Kirsten Heisig ins Fernsehen, die intensiv für schnellere Jugendstrafverfahren kämpfte - bis sie sich umbrachte. Hervorragend gespielt von Martina Gedeck.

Regisseur und Hauptdarstellerin sitzen auf schäbigen Stühlen im Foyer des Berliner Kriminalgerichts, umgeben von Steinsäulen und verschlossenen Amtsstuben. Und erinnern sich. Hier haben sie einen Film gedreht, der „aufrütteln“ soll, wie sie sagen, einen Film über eine Frau, „die gegen Gleichgültigkeit aufsteht und kämpft“.

Ein Sozialarbeiter bekommt Ende Oktober im Neuköllner Rollbergkiez, Hochburg der Jugendkriminalität, feuchte Augen und findet: „Sie fehlt uns. Sie hat mich inspiriert. Solche Furien braucht das Land.“

Ein Polizist meldet sich Anfang November am Telefon und sagt, er könne jetzt nur über Statistiken reden. Dann erzählt er: „Diese Frau war für die Polizei sehr wichtig. Sie war eine Richterin, die wusste, worum es ging.“

Diese Geschichte handelt von einer geheimnisvollen Frau, von der man nur die berufliche Seite kannte, und von einem Film, der zeigt, wie sie trotz ihrer inneren, privaten Nöte ein Stück Berliner Rechtsgeschichte schrieb.

Kirsten Heisig war bis zu ihrem Selbstmord am 28. Juni 2010 die wohl bekannteste Jugendrichterin des Landes. Sie wurde „Richterin Gnadenlos“ oder „Richterin Courage“ genannt, je nach politischer Couleur. Sie war eine bürgerliche Tabubrecherin, hinterfragte eingefahrene Praktiken im Umgang mit kriminellen Jugendlichen und setzte sich dafür ein, das Jugendstrafrecht konsequenter und schneller anzuwenden. Zuletzt arbeitete sie in Neukölln, einem Bezirk, der 40 Prozent mehr Straftaten aufweist als Berlins Durchschnitt.

Über sich selbst sagte sie einmal: „Ich bin ein Gefahrensucher.“

Am Mittwoch zeigt die ARD im Rahmen ihrer Themenwoche zur Toleranz den Spielfilm „Das Ende der Geduld“ – zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Titel des Buches von Kirsten Heisig, das posthum erschien und den Zusatz trägt: „Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“.

Konsequent – das war ihr Prinzip bis in den eigenen Tod.

Wer war diese Frau, die sich mit dem gesamten Justizapparat, Teilen der Polizei und der Staatsanwaltschaft anlegte, um ihre Ziele zu erreichen?

Als sie sich mit 48 Jahren im Tegeler Forst tötete, war sie auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Der Suizid ist amtlich bestätigt, niemand im beruflichen oder privaten Umfeld zweifelt trotz mancher Verschwörungstheorien daran. Sie hinterließ zwei Töchter und einen Ehemann, mit dem sie nicht mehr zusammenlebte.

Christian Wagner, der Regisseur, hat sich einen epischen Stoff und einen komplizierten Charakter ausgesucht. Und dann ist er losmarschiert ins Ungewisse. Die Entstehung des Films, eine Schnitzeljagd. Er suchte nach dem Kern dieser Richterin, suchte nach der Stichhaltigkeit ihrer Thesen. Es dauerte.

An diesem Herbsttag ist er mit der Schauspielerin Martina Gedeck zu einem Gespräch in das Amtsgericht Tiergarten gekommen, in dem Heisig arbeitete und Wagner einige Szenen drehte. Wagner ist trotz seiner 55 Jahre sympathisch jung geblieben, ein gut gelaunter Mann. Er erinnert sich, wie er das erste Mal in München von Heisig in der Zeitung las. „Damals war sie verschwunden, und ich dachte: eine couragierte Frau, ein explosives Thema. Gute Geschichte.“

Das ist der Anfang. Wagner weiß noch nicht, was genau ihn fasziniert, er ruft im Verlag an, der das Buch herausbringt, er will sich die Filmrechte sichern, es hat so ein Gespür – es ist der Tag, als bekannt wird, dass Heisig tot ist. Aber er lässt diese Geschichte nicht mehr los.

Wagner kennt sich aus mit realen Stoffen, mit „Ghettokids“ hat er schon einen Film gedreht, in dem es um den rauen Alltag von Jugendlichen in Großstädten geht. Er beginnt das Buch von Heisig zu lesen und fühlt sich von ihrer Klarheit in den Bann gezogen. Er lernt, dass es nur Nuancen sind, die sie verändern will, aber „goldrichtige“, im Rahmen der „bestehenden Gesetze“. Wagner weiß, dass Heisig sich durch ihre klaren Worte dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt hat und findet: „Das ist ja Unsinn. Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie hat vor allem zwei Dinge verteidigt: den Rechtsstaat und zivile, ja bürgerliche Tugenden.“

Dabei hat er zunächst selbst Zweifel, ob das Gebot der absoluten Konsequenz wirklich das richtige Mittel ist. Im Film begehrt Heisigs Kollege anfangs auch immer wieder auf, gegen dieses aus seiner Sicht „reaktionäre“ Prinzip. Wagner erkennt, dass Heisig unideologisch argumentiert, nur sagt, was ist. Es sind andere, die Diskussionen über die Frage führen, ob Multikulti gescheitert oder ob es schon rassistisch sei, auszusprechen, dass die große Mehrheit der Intensivtäter arabischer Herkunft ist.

Lesen Sie, wie der Regisseur plötzlich wusste, was zu tun ist

Dann sitzt Wagner die ersten Male im Jugendgericht, Saal 703/705 Amtsgericht Tiergarten. Ihm fällt auf: Die Jugendlichen wollen, dass man sich um sie kümmert. „Und das wollte Heisig ja, sie wollte positive Autorität und Grenzen als erzieherische Maßnahme durchsetzen, um die Kids zu schützen, ja zu retten.“ Er sieht die harmlosen Fälle, zwölf Verhandlungen am Tag in jeweils 15 Minuten, 300 Einzelverfahren im Jahr plus 80 Schöffenprozesse, das normale Pensum eines Jugendrichters, und er sieht die harten Fälle, Drogen, Vergewaltigung, Totschlag. Die Täter: noch Kinder. Heisig nannte sie „die kalten Kinder“.

Ihre Herzen wollte sie zurückerobern.

Im Gericht weiß Wagner plötzlich: „Das müssen wir den Leuten zeigen, die müssen sehen, was hier passiert.“

Und dann hat er Martina Gedeck, einen Star, für die Hauptrolle angefragt. Jetzt sitzt sie neben ihm, 53 Jahre, ungeschminkt und völlig ohne Allüren, schaut sich immer wieder im Gericht um. Es ist das erste Mal, dass sie mit einem Regisseur an den Ort des Drehs zurückkommt. Heute wirken die langen, leeren Flure „beklemmend“ auf sie. Als sie Wagner „sofort“ zusagt, hat auch sie nur eine Ahnung von dem Charakter ihrer Figur.

Gedeck hat in ihrem Schauspielerleben viele starke Frauen gespielt, von denen einige eine Erfahrung teilten: Sie haben sich umgebracht. Die Schauspielerin kennt diese existenziellen Dramen, ihr ehemaliger Lebensgefährte hat Suizid begangen. Sie kann sich hineinversetzen in diese Abgründe und nennt das „Zärtlichkeit für eine Figur entwickeln“.

Im Gericht erzählen beide beinahe atemlos von ihren Recherchen, im Knast, an sozialen Brennpunkten, bei Betroffenen und Zeitzeugen – aber auch bei Psychologen in Burn-out-Kliniken. Am Ende hat sich Wagner entschlossen, einen Film zu drehen, in dem das Private, die körperlichen Leiden und seelischen Nöte der Richterin, nur angedeutet werden. Wagner wagte es, die Angehörigen zu kontaktieren. Auch Gedeck hat mit Hinterbliebenen gesprochen. Beide haben sich ein Wissen und eine Kompetenz angeeignet, die sie nicht öffentlich vorführen, aber den Film gelingen lassen. Gedeck spielt die Rolle in Kenntnis ihrer Hintergrundgespräche, weiß, dass Kirsten Heisig „kommunikationsunfähig“ war, wie die Schauspielerin sagt, wenn es um ihre eigenen Belange ging.

Wagner sagt, „sie hatte einen unglaublich hohen Anspruch an sich und die Welt“. Wohl auch deshalb hörte der Kampf in ihr, den sie nicht nach außen trug, nie auf. Sie war krank, schluckte Tabletten, musste eine Auszeit nehmen, weil sie ausgebrannt war und einmal schon versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Es gibt einen Satz von Heisig, und der lautet: „Wenn ich es noch mal mache, dann klappt’s.“ Bevor es so weit war, in jenen Juni-Tagen 2010, während der Fußball-WM, und sie war ein begeisterter Fußball-Fan, beendete sie ihr Buch und ging zu einem Anwalt, um die Beerdigung und ihren Nachlass zu regeln. Sie redete mit niemand darüber.

Martina Gedeck wiederum, sagt Wagner, sei ein Glücksfall für den Film, weil sie in der Lage sei, alle Facetten der Figur wenn nötig gleichzeitig zu spielen. Tatsächlich gibt es eine Szene – vielleicht die Schlüsselszene, um zu verstehen, was Heisig ausmachte: Im Film heißt sie Corinna Kleist und hat einen Disput mit einer arabischen Mutter, sie sagt: „Was Sie brauchen, ist ein Deutschkurs!“ Die Mutter spuckt aus. Die Richterin ringt mit ihren Gefühlen, als ihr Amtskollege kommt und ihr Hilfe anbietet. Diesen Moment spielt Gedeck mit der Genauigkeit einer Chirurgin, nimmt eine Körperhaltung ein, die den Gesprächspartner auf maximale Entfernung hält, lässt ihre innere Qual kurz sichtbar werden und rotzt ihm entgegen: „Ich brauche keine Hilfe!“

Mut, Ehrgeiz, Selbstdisziplin, Stolz und tiefe Verletzlichkeit. In dieser Szene liegen alle ihre Eigenschaften offen.

Im Film kämpft sie für Rafiq, 14 Jahre, und verliert

Regisseur Christian Wagner
Regisseur Christian Wagner
© dpa

Der Film, sagt Christian Wagner, und erklärt damit zugleich, warum er keinen Dokumentarfilm machen wollte, soll den Zuschauer verführen, „sich eines hartes Stoffes anzunehmen“. Jetzt ist er auch spannend gemachte Unterhaltung, mit Liebe zu allen Figuren erzählt, mit großartigen jugendlichen Laiendarstellern besetzt, witzig und dann wieder brutal, wie es der Realität entspricht.

Überhaupt, die Realität und Komplexität des Themas taugt immer wieder für eine große Gesellschaftsdebatte. Heisig sprach wie sie sprach, ungeschminkt, nannte Ross und Reiter, sagte, dass die arabischen Familienclans die meisten Serientäter hervorbrächten, bezeichnete sozial verwahrloste deutsche Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmerten, als sozial verwahrlost.

Damals, nicht lange her, war das neu und aufsehenerregend.

Heisig wollte die kriminellen Karrieren von potenziellen Intensivtätern verhindern. In vereinfachten Jugendstrafverfahren sollten sich die jungen Kriminellen möglichst schnell nach der Tat verantworten müssen. Das ist das Prinzip des „Neuköllner Modells“, mit dem ihr Name bis heute verbunden ist. Sie fragte sich, warum die Schulen, Ämter, Polizei und Justiz nicht Hand in Hand arbeiten, wenn doch diese wenigen Jugendlichen in der Lage sind, ganze Stadtteile in Schrecken zu versetzen?

Im Film verkörpert der junge Rafiq, der bald 14 und damit strafmündig wird, die ganze Misere. Der Junge schwänzt die Schule, klaut und dealt für die großen Brüder. Er hält das für sein Leben – und findet es auch gut so. Bis die Jugendrichterin in sein Leben tritt. Im Film kämpft Corinna Kleist für diesen Jungen – und scheitert.

Es gab Jugendliche, die sagten, dass Heisig sie gerettet habe. Christian Wagner hat einen dieser Täter im Knast besucht. Dessen Erfahrungen sind in den Film eingeflossen. Als Heisig für ihr Modell kämpfte, waren die brutalen Überfälle von Jugendlichen ein fast täglich diskutiertes Thema. Seit 2010 ist die Anzahl der Serientäter zwar gesunken, zugleich zeigt die Statistik aber, dass diese eher rabiater werden. Erst am Freitag hatte die Berliner Polizei einen 15-Jährigen zum zweiten Mal innerhalb von 30 Stunden nach zwei brutalen Überfällen festgenommen.

Heisig hätte früher eingreifen wollen, nach dem ersten Diebstahl, dem ersten Raub, der ersten Messerstecherei. Ihr Erfolg besteht nicht allein darin, dass das Neuköllner Modell in Berlin flächendeckend eingeführt wurde und, wie Justizsenator Thomas Heilmann kürzlich sagte, auch fortgeführt werden soll. Es besteht darin, dass sie alle Verantwortlichen zusammenbrachte. „Ne Jugendrichterin auf Wache, das gab’s auch noch nie“, sagt die junge Polizistin im Film.

Im echten Leben reden Heisigs Weggefährten nicht anders. Gilles Duhem hat sie verehrt, das spürt man, auch wenn er das so nicht sagen würde. „Die hat uns Gott geschickt“, hat er manchmal gedacht, und jetzt, wo er über sie erzählt, wird er von Erinnerungen überwältigt. Duhem, 47 Jahre, ist Sozialarbeiter und Geschäftsführer bei Morus 14, einem Kiez unternehmen, das sich für Kultur, Bildung und gegen Jugendgewalt einsetzt. Wie alle anderen, die man fragt, zeichnet er das Bild einer Macherin, unerschütterlich optimistisch. „Wenn sie zum Kochen zu den Nachbarschaftstreffen kam, hat sie sich die Ärmel hochgekrempelt und gerufen: Her mit der Schürze!“

Heute sei die Entwicklung im Rollbergviertel, wie Duhem meint, tendenziell gut. Er sagt es auf seine Art: „Die Miliz ist im Dorf und zeigt Gesicht. Das verstehen die Arabkids.“ Die enge Zusammenarbeit, die Heisig mit der Polizei angeregt hatte, besteht zumindest in seinem Kiez fort. Duhem glaubt, dass sie „kapiert hatte, worum es geht. Diese Kinder sind gierig nach Autorität und Führung, und wenn du sie ihnen gibt’s, spüren alle, es ist gerecht“.

Vor einigen Wochen noch saß Ali in Duhems kleiner Sozialbude, ein paar Meter entfernt ist der Polizeiabschnitt 55, zu dem Heisig immer ging. Ali ist 19 Jahre alt, 18 Mal verurteilt und sollte bei Morus Sozialarbeit leisten. Duhem wollte, dass er Flyer verteilt, die er vorher sortieren und zählen musste. Aber Ali konnte nicht zählen, kaum rechnen. „Dabei hat er die gesamte deutsche Schullaufbahn durchlaufen.“ Das Viertel verändere sich trotzdem, einige Großfamilien mussten wegziehen, weil ihnen die Wohnungsbaugesellschaft gekündigt hat. Die Hipster, lacht Duhem, „fungieren als Dummheitsverdünner“. Studenten aus Frankreich, Spanien oder Italien ziehen hinzu, und wenn neue Cafés oder Feinkostgeschäfte eröffnen, kommt selbst in den Rollbergkiez Bewegung.

Kirsten Heisig hätte das gefallen. Sie hat oft betont, dass die, mit denen sie sich abmühte, die kriminellen Jugendlichen und ihre Familien, keineswegs das Gros der Gesellschaft seien. Es gebe viele sehr schlaue Menschen mit Migrationshintergrund, sagte sie in einem Radiointerview 2009, „vor allem viele kluge Türkinnen“. Wie sie die Gesamtlage zum Thema Jugendgewalt beurteile? „Ich habe kein düsteres Bild von der Zukunft.“

Die Menschen, mit denen die Richterin zusammenarbeitete und die sie nach ihrem Suizid sich selbst überließ, sind sich da nicht so sicher.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
© Kai-Uwe Heinrich

Stephan Kuperion, Heisigs Richterkollege und vertrauter Freund, hat im Film auch eine kleine Rolle übernommen. Er ist ein Mann, der nicht gern gefühlig wird, sondern Sachlichkeit liebt. Vor wenigen Tagen bei der Filmpreview sagt er leise, dass das Neuköllner Modell nicht so richtig gut laufe. „300 Fälle im Jahr.“ Man wolle und werde fortsetzen, was Heisig begonnen hat. Aber keiner der 30 verbliebenen Jugendrichter könne das Pensum leisten, das Heisig schaffte, denn: „Sie war besessen von ihrer Idee.“

Der Polizist am Telefon erklärt, es gebe noch immer diese Dynamik, dass die Jüngeren, Kinder, in die Fußstapfen der kriminellen Brüder treten.

Und Gill Duhem sagt, man könne es drehen und wenden, wie man wolle, aber: „Es gibt nun niemanden mehr, der den Karren mit solcher Kraft zieht.“

Der Autor arbeitet seit 1993 beim Tagesspiegel und ist Redakteur für besondere Aufgaben. Er schreibt vor allem für die Reportage-Seite der Zeitung. Der Film läuft am Mittwoch, 19. November, um 20:15 Uhr in der ARD.

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