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Tatort an der Tankstelle in Idar-Oberstein
© dpa/Foto Hosser/Christian Schulz

Nach Streit um Maskenpflicht: Rechte jubeln über Mord von Idar-Oberstein

In Idar-Oberstein soll ein Mann an einer Tankstelle zum Mörder geworden sein, weil er keine Maske tragen wollte. Auf Telegram gibt es dafür Applaus.

Im Chat-Kanal des rechtsextremen Verschwörungsideologen Sven Liebich entflammt der Hass besonders rasch. Der Täter habe wohl einfach die "Schnauze voll" gehabt, kommentiert dort einer, oder auch: „Wenns die richtigen trifft, hab ich nichts dagegen“. 

Ein weiterer schreibt: “Kein Mitleid. Die Leute immer mit dem Maskenscheiß nerven. Da dreht irgendwann mal einer durch. Gut so.”

Während am Montagabend die Nachricht des mutmaßlichen Mordes wegen eines Streits ums Maskentragen deutschlandweit Bestürzung auslöste, finden sich auf dem Messengerdienst Telegram auch gegenteilige Reaktionen. 

In diversen  Kanälen szenebekannter Verschwörungsideologen wird die Gewalttat in Rheinland-Pfalz wahlweise als Notwehr, logischer Schritt oder Beginn eines langersehnten Befreiungskampfs gegen die angebliche "Merkel-Diktatur" gefeiert. Im Kanal "Free your mind" heißt es frohlockend: "Jetzt geht's los!!!" In anderen Kanälen werden Herzen und Daumen nach oben gepostet. 

Laut Staatsanwaltschaft befindet sich der 49-Jährige, der am Samstagabend an einer Tankstelle in Idar-Oberstein wegen seines fehlenden Mund-Nasen-Schutzes kein Bier kaufen durfte, später zurückkehrte und den Kassierer mit einem Revolver erschoss, inzwischen in Haft.  

Früher oder später habe es zu einer solchen Tat kommen müssen, heißt es in einschlägigen Kanälen auf Telegram. Schuld daran seien die Politiker, die die Bürger mit ihren Corona-Regeln tyrannisierten. 

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Vielfach herrscht zudem Schadenfreude darüber, dass es sich bei dem Getöteten um einen Studenten handelt. Das Opfer sei sicher ein Linker gewesen: "Eine Zecke weniger!"

Experten warnen seit langem vor einer Radikalisierung der Szene der Querdenker, die auch in Gewalt und sogar Terror münden könne. In den vergangenen Monaten gab es bereits mehrere Anschläge, die mutmaßlich von Gegnern der Coronamaßnahmen begangen wurden. Sollte sich der Verdacht der Staatsanwaltschaft in Rheinland-Pfalz bestätigen, wäre die Tat von Idar-Oberstein nun der erste Mord.

[Lesen Sie hier bei T+: Wie Facebook nun gegen Querdenker durchgreift]

In den Verschwörungskanälen auf Telegram sind bereits in der Nacht zu Dienstag eine Reihe neuer Verschwörungsmythen entstanden: So behaupten Nutzer der Gruppe "Servus Deutschland" etwa, dass es sich bei der Tat in Wahrheit nur um eine sogenannte "False flag"-Aktion handeln könne, also eine von Regierungsseite inszenierte Tat, um "Stimmung gegen die Ungeimpften zu machen". In einer Darmstädter Querdenken-Gruppe wird behauptet, dies sei ein Manöver der Herrschenden zur Beeinflussung der Bundestagswahl.

Auf Telegram gibt es nach der Tat Häme und Zuspruch.
Auf Telegram gibt es nach der Tat Häme und Zuspruch.
© s:Telegram

Der Messenger-Dienst Telegram gilt als Sammelbecken für Corona-Verharmloser und andere Verschwörungsgläubige sowie Rechtsextremisten. Sie können dort ungestört Falschinformationen und Hass verbreiten, erreichen so täglich Hunderttausende. Das von Bund und Ländern eingerichtete Kompetenzzentrum jugendschutz.net sieht Telegram inzwischen als „Verschwörungsschleuder“ beziehungsweise als „zentrale Ausweichplattform für rechtsextreme Propaganda“.

Bei Telegram hetzen sie ungestört

Und das Problem nimmt zu: Denn während Facebook und Instagram zunehmend strafbare Inhalte löschen und Accounts sperren, wandern die Geschassten zu Telegram ab - dort können sie ungestört hetzen. Es gibt nicht einmal die Funktion, Hassbotschaften und Mordaufrufe zu melden.

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Anders als etwa Facebook oder Twitter fallen Messenger-Dienste wie Telegram nicht unter das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Der Betreiber muss rechtswidrige Inhalte daher nicht innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde löschen oder sperren. 

Von dieser Gesetzeslücke profitierten während der Pandemie reihenweise Straftäter wie der inzwischen mit Haftbefehl gesuchte und geflüchtete Berliner Antisemit Attila Hildmann. Aus seinem Exil in der Türkei meldete sich Hildmann in der Nacht zu Dienstag ebenfalls über Telegram zu Wort - und kommentierte den mutmaßlichen Mord in Idar-Oberstein mit einem Lachanfall.

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