Warum Stefan Raab aufhört: Eine Annäherung: Porträt eines Fernseh-Egoisten
Er hat die Fernsehkultur aufgerüttelt wie kein anderer Entertainer in den vergangenen 20 Jahren. Nun will sich Stefan Raab ein weiteres Mal neu erfinden. Mit 50 wird er zunächst einmal Privatier. Es wird ein Abgang in Würde, denn der Abschied ist noch ein großer Verlust.
Meistens ruft er schließlich: „Ha!“ Oder brüllt befreit: „Jaaaaa!“ Denn Stefan Raab hat es geschafft. Hat gewonnen. Wieder mal. Und das Fernsehvolk, das ihm stundenlang zusieht und darauf lauert, dass er von einem Herausforderer geschlagen wird, fragt sich: Wie hat der das hinbekommen, abermals zu siegen?
Aber wehe, wenn er doch mal kurz vor einer Niederlage steht, dann bricht es immer sehr schnell aus ihm heraus. „Waaaas, das soll ein Fehlstart sein?“ Oder: „Nein. Ich bin nicht übergetreten!“
Stefan Raab kann fast alles, nur nicht verlieren.
Und ausgerechnet so einer will sich nun nach so vielen Jahren aus seinem natürlichen Refugium des Fernsehstudios zurückziehen, aus den vielen Arenen, die er für seinen Sender Pro7 geschaffen hatte. Spürt er, dass er bald nur noch verlieren kann? Im Spiel und mit der Quote. Letztens besiegte ihn bei „Schlag den Raab“ erstmals eine Frau, und den Dauerbrenner TV Total wollen immer weniger Zuschauer sehen.
Raab ist zwar furchtlos und furchtbar ehrgeizig – aber er ist nicht dumm.
Allein die Ankündigung seines Ausstiegs war eine Sensation, die es natürlich auf den Titel von „Bild“ schaffte und die sozialen Netzwerke volllaufen ließ. Eine wirkliche Begründung für seinen Ausstieg gibt er nicht, lässt Raum für Spekulation. Vielleicht macht Raab, der im Oktober 49 Jahre alt wird, jetzt nur das wahr, was er 1998 bei „Spiegel TV“ vorausgesagt hatte: „Ich kann mir nicht vorstellen, mit 50 noch Fernsehen zu machen.“
Eine Frage, die sich bei Raab immer stellte, lautet: Wie kann einer ohne erkennbar außergewöhnliche Talente, ohne besonderes Training, ohne Vorwissen und Tricks immer wieder triumphieren? Und warum wollte er das überhaupt? Stefan Raab – der Mega-Neuerfinder reformiert sich womöglich ein letztes Mal. Als Aussteiger, der in Würde geht. Denn sein Ausscheiden wird unbestreitbar noch ein Verlust sein. Stefan Raab hat die deutsche Fernsehkultur aufgerüttelt wie kein anderer Entertainer in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Dabei hatte man ihn lange unterschätzt und für einen ungezogenen Krawallmacher gehalten.
Es war schwer, sich ein genaueres Bild zu machen, Raab lässt nur selten mit sich reden: Im November 2012 ist sein Büro vollgestopft mit dem üblichen Schwemmgut dieses jahrelangen Fernsehtreibens. An einer Garderobenstange hängen alte Kostüme, Glitteranzüge der Grand-Prix-Phase, als er 2000 mit der Funk-Nummer „Wadde hadde hudde da“ einen Achtungserfolg landete. Allerlei Spielgerät liegt herum, und eine Phalanx gebügelter blauer Hemden erinnert in einer Ecke daran, wie normal Stefan Raab in der überzeichneten Fernsehkulisse zu bleiben versuchte. Der Kragen offen.
„Mich interessiert brennend, wie viele Menschen derselben Meinung sind wie ich“, sagt Raab damals, auf seine Ellbogen gestützt, und legt mit diesem einen Satz das Prinzip seines Denkens offen.
Wissen wollen, was die Masse bewegt.
Sein Aufstieg ist eng verknüpft mit dem Begriff der Spaßkultur, eines Wortes, das für die 90er Jahre Gültigkeit besaß. Seither nicht mehr. Die Welt ist zu ungeordnet und zu gewalttätig, um ihr mit ironischen Reflexen beizukommen. Raab schien unempfindlich für diese Botschaften zu sein. Denn er machte mit seiner Talkshow TV Total einfach weiter.
Gleichzeitig strebte er auf seine Art nach Ernsthaftigkeit. Er entwickelte aus dem Nukleus der TV-Total-Welt immer neue Wettkampfformate. Einige nutzten sich bald ab, weil sie erweiterte Mutproben waren. Andere wie sein in zahlreiche Länder exportiertes Gladiatorenspiel „Schlag den Raab“ oder der „Bundesvision Song Contest“ haben dauerhaften Charme, sie wurden zur besten Familienunterhaltung.
Im Spiel zeigt sich der Wert von Emotionen – vor allem für das Fernsehen.
Lesen Sie, was das Grundrezept für Raabs Karriere war
Sein Spiel dort und auch in der Musik hat keine Emotionsbarrieren, es beruht auf dem großen Konsens zwischen Macher und Zuschauer. Hier sind ihm alle Fans nah. Nur privat ist alles Emotionale, jede Kenntnis über den womöglich anderen Stefan Raab verborgen. Man kommt ihm nicht nahe, niemals, denn er weiß um die große Gefahr der Prominenz. Ähnlich wie bei Günther Jauch ist sein Privatleben ein gut geschütztes und behütetes Geheimnis.
Und doch gibt es immer mal wieder Momente, in den unzähligen öffentlichen Auftritten, die Einblicke gewähren in Raabs Gedankenwelt, die auf das blicken lassen, was man vielleicht das Fundament seines Tuns nennen könnte. Mitten in der Nacht war das einmal in der WDR-Sendung „Domian“ zu erleben, und man konnte das Grundrezept für seine Karriere erahnen. Es lautet: Ich.
Allem voran aber ist er ein Furchtloser
Natürlich sagt Raab das nicht so deutlich, er drückt es anders aus: „Ich verlasse mich immer nur auf mein persönliches Empfinden.“ Und: An die meisten Dinge, die er in seinem Leben gemacht habe, hätte außer ihm kein anderer Mensch geglaubt. Weil er keine Angst davor hat, auch Niederlagen einzugehen, konnte er zu einem solchen Fernsehgiganten werden. Bis es soweit war, hat er sein Bauchgefühl trainiert für Dinge, die er gerne mochte, und er hat dabei sehr viel ausprobiert, nicht nur Musikinstrumente, ganz nach seinem Lebensmotto: „Man muss nicht der Beste sein, man muss sich allerdings Mühe geben.“
Der lässige, lustige, immer für einen Spaß unter der Gürtellinie bekannte Raab ist in Wahrheit ein Arbeiter, ein emsiger Stratege in der Sache, ein Detailbesessener. Und natürlich ist er dazu noch ein Kampfschwein, was sich nicht zu schade ist, selbst in den Fernsehschlamm zu springen. Nur Spaß muss es eben auch machen.
Allem voran aber ist er ein Furchtloser, ein Draufgänger im wahrsten Sinne des Wortes. So hat es auch angefangen: Er schreibt unbefangen einen Brief an den Musiksender Viva, das Inserat liest er in einem Kölner Stadtmagazin. Es geht um Jingles, die er Viva anbieten will. Raab, der seine Metzgerlehre im familieneigenen Betrieb mit „sehr gut“ abgeschlossen hat, aber sein Jurastudium schmiss, produziert damals Werbemelodien für Burger King, Punica, Blend-a-med. Dann wird er Entertainer, weil sie ihn bei Viva mögen und sagen: Mach mal irgendwas! Und seitdem hat es nie aufgehört, er durfte immer machen, was er wollte. Bis er der Chef war. Und so ist Raab vermutlich der größte Fernsehegoist der deutschen TV-Geschichte geworden, mit einem noch größeren Fernsehverstand ausgestattet. Im Fußball würde man sagen, er hat den Riecher, er weiß, wie das Spiel laufen und wo der Ball landen wird, um das Tor zu machen.
Das Tor hat Stefan Raab immer gemacht. Seit 1993, als er mit „Vivasion“ seine erste Fernsehsendung hatte. Er ist noch 48 Jahre alt, doch schon 22 Jahre im Geschäft. Kann es wahr sein, dass der Mann mit dem unverschämt breiten Grinsen und der starken Nase, der einst weißen Rolli und eine braune Brille trug, zu Weihnachten 1998 seine letzte Viva-Sendung moderierte? Es war die 600. Wenn man sich die alten Sendungen anguckt, ist alles dabei, was auch heute gute Shows ausmachen: vor allem Mut. Raab machte wie Lutz van der Horst von der „Heute Show“ damals schon Straßeninterviews, schlich sich bei Prominenten ein, wurde von Willi Lemke, dem legendären Manager von Werder Bremen, im Westfalenstadion weggejagt, weil er, Lemke, wegen Fußball da war, „nicht für den Quatsch“. Raab grinste nur.
Und irgendwann, als er auf Viva einen lange genug beleidigt hatte, gab es auch mal auf die Fresse.
Lesen Sie, wie Stefan Raab auch der ARD seine Regeln aufzwang
Der Rapper Moses Pelham brach Raab bei der Echo-Verleihung 1997 mit der Stirn das Nasenbein. Raab, der viele juristische Streitigkeiten auslöste mit seiner Art des Humors, verklagte ihn. Raabs Nase zu brechen, wagte – ohne juristische Konsequenzen – später nur Boxweltmeisterin Regina Halmich, gegen die er 2001 natürlich breit inszeniert und live antrat. Als er noch kein so Großer der Unterhaltungsbranche war und 1999 mit „TV Total“ bei Pro7 auf Sendung ging, lebte er von der Provokation und der Schadenfreude. Aber irgendwie ging es immer gut, dieses Austesten der Grenzen.
Im Rückblick hat er sich nie entschuldigt dafür, dass er Menschen der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Vielleicht weil er sich immer sicher sein konnte, dass es keine Distanz gab zwischen ihm und seinem Publikum. Doch er hat sich weiterentwickelt. Er war klug genug, um zu wissen, wo er gerade stand und wer er war. Und als Star brauchte es andere Regeln als nur die der Provokation.
Angst vor der Blamage hatte Raab nie
In diesem Sinne ist Raab auch ein genialer Vermarkter seiner selbst, nicht nur Fernseh-, sondern auch Wirtschaftsmogul. Zahlreiche seiner Formate wurden ins Ausland verkauft, und der letzte Fünfjahresvertrag von 2010 soll ihm 185 Millionen Euro eingebracht haben. Im selben Jahr gelang ihm auch sein größter Erfolg, als er die unbekannte 19-jährige Schülerin Lena Meyer-Landruth zur Grand-Prix-Siegerin machte und zum Liebling der Nation. Vor allem aber verriet er sie nicht an den kurzfristigen Erfolg. Sie sollte kein One-Hit-Wonder sein. Deshalb überrumpelte er alle Beteiligten in der Stunde des Triumphes von Oslo, allen voran die ARD, und diktierte der Sendeanstalt seine Regeln: Lena sollte ihren Titel verteidigen dürfen.
Nein, Angst vor der Blamage hatte Raab nie. Nicht im Showbusiness, nicht in der Politik. Dabei hatten 2013 vor der Bundestagswahl viele damit gerechnet, manche gar darauf gehofft, dass er sich blamieren würde. Ein Metzgergeselle, der die Kanzlerin interviewt und ihren Herausforderer Peer Steinbrück, durfte das sein? Es durfte. Und am Ende war Stefan Raab der einzige Sieger, der aus dem Kanzlerduell hervorging. Für seine hartnäckigen Nachfragen wurde er für den Grimmepreis nominiert. Von Peer Steinbrück wollte er wissen, ob er nicht Vizekanzler einer großen Koalition werden wolle. Als Steinbrück rumlavierte, setzte Raab einen Satz nach, den nur er sich traute, der aber so oder so ähnlich von allen im Studio gedacht wurde: „Das ist doch keine Haltung, zu sagen: Ich will nur gestalten, wenn ich ,King of Kotelett’ bin.“
Eigentlich ist Raab, alles in allem, ein Aufklärer. Denn Emotionen lügen nicht.
Nur einmal wollte das nicht gelingen, den Emotionen, dem Realen, wollte Stefan Raab auch in der Politik mehr Raum gewähren. Dazu entwickelte er seine Polittalkshow „Absolute Mehrheit“. Raab wandte das Prinzip der Auslese in Castingshows auf die politische Auseinandersetzung an. Das viele Geld, das der Sieger am Ende des Abends gewinnen konnte, 100 000 Euro, nannte er forsch „Wahlkampfkostenerstattung“. Die Idee für diese Sendung, die scheiterte, war vielleicht ein Wendepunkt in Raabs Karriere. Auf Augenhöhe mit der politischen Klasse Berlins zu argumentieren, hätte den letzten Makel des Spaßmachers von ihm genommen. Politische Themen hätten Stefan Raab womöglich mehr menschliche Tiefe verliehen.
Es tritt nun einer ab, der wie kaum ein anderer hineinspüren konnte in den Massengeschmack. Vielleicht hat dieser Populist, als solchen bezeichnete er sich selbst, seine Schuldigkeit getan – vor der Kamera. Denn dahinter, mit seinen Firmen, wird Stefan Raab ganz bestimmt auch weiter wirken. Den Hampelmann vom Fernsehen, so ähnlich hat er sich mal ausgedrück, wolle er seinen beiden Kindern irgendwann nicht mehr antun. Das Private, der Schutzschirm, funktioniert viel besser ohne Omnipräsenz.
Damals, in der Sendung Domian, nachts um halb zwei, fragte eine Frau, was er tun würde, wenn er am nächsten Tag sterben müsste. Raab antwortete ernsthaft. Er wolle, vielleicht mit 80, im Sessel sitzen, im Kreise seiner Lieben und sein Leben „Revue passieren lassen“, am liebsten mit dem Gefühl: Ich bin zufrieden. Er fügte hinzu: „Die Erinnerung zählt, sie ist die wichtigste Kapitalanlage.“
Die Autoren arbeiten als Redakteure für besondere Aufgaben im Tagesspiegel und schreiben vor allem für die Dritte Seite, die Reportageseite der Zeitung.