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Klare Botschaft. Wachschützer Mehmet Seferoglou setzt auf freundliche Worte. Viel anderes bleibt ihm auch nicht übrig, um im Flüchtlingsheim für Ruhe zu sorgen.
© Mike Wolff

Sicherheitsfirmen und Flüchtlinge in Berlin: Nur nicht austicken, immer freundlich bleiben

Am Berliner Lageso schlugen Security-Mitarbeiter auf Flüchtlinge ein, in Sachsen arbeiteten Rechtsradikale für den Wachschutz. Seitdem steht die gesamte Branche unter Generalverdacht. Mehmet Seferoglou ist anders.

Nur festhalten kostet womöglich noch mehr Nerven als zuzuschlagen.

Es gibt Tage in diesem großen Flüchtlingsheim am Fehrbelliner Platz, fünf Stockwerke hoch, lange Gänge, Hunderte von Zimmern, da haben sie achtmal die Polizei gerufen. Und dann kommt das LKA und fragt: „Na Mehmet, was ist jetzt wieder passiert?“ Ständig Konflikte zwischen den Bewohnern, meist Kleinigkeiten, aber die Security muss dazwischen.

Sandwich-Position – zwischen allen Fronten: den Flüchtlingen, den Betreibern, den Ehrenamtlichen. Das ist der Alltag von Security, das ist der momentane Beruf von Mehmet Seferoglou: Wachschutz-Vorarbeiter der Berliner Sicherheitsfirma GSO. Er sagt: „Wir dürfen ja nicht mehr als andere Bürger. Nur festhalten, nur aus Notwehr schlagen, ansonsten müssen wir die Polizei rufen. Auch bei jeder Kleinigkeit.“ Und genau das, sagt Seferoglou, würden sie auch tun.

Er sieht noch aus wie ein großer Junge, aber gucken kann er schon wie ein weiser Mann. Gäbe es eine Weltmeisterschaft darin, anderen so lange wie möglich freundlich in die Augen zu schauen, ohne zu zucken, Seferoglou wäre ein Favorit auf den Titel. Aber das ist auch Fassade, seine Art, Nerven zu bewahren; den Druck, den er hat, die Anspannung, keine Fehler machen zu dürfen – alles hinter den Augen versteckt. Die Security zählt selten zu den Guten.

Schwarz - die Farbe der Security

Gerade erst gingen Videobilder prügelnder Security-Mitarbeiter am Landesamt für Soziales und Gesundheit (Lageso) um die Welt. 2014 gab es ähnliche Vorfälle in Nordrhein-Westfalen. In Sachsen mussten Wachleute entlassen werden, weil sie rechtsradikal waren. Am Berliner Lageso, wo der kleine Mohamed entführt worden war, wurde immer wieder auch die Sicherheitsfirma heftig kritisiert. Jetzt soll sie ausgetauscht werden.

Mehmet Seferoglou trägt Schwarz, die Farbe der Security und damit die Farbe einer Branche, die stets mit dem schlechtesten Ruf zu kämpfen hat. Die Sicherheitsbranche steht unter Generalverdacht: kalt, kriminell, krawallig. Seferoglou aber erzählt eine andere Geschichte, sie handelt von Deeskalation und einer guten Portion Menschenverstand.

Klare, aber freundliche Botschaften

Vor einigen Wochen hat er privat, als ehrenamtlicher Helfer vor dem Lageso, das gemacht, was er als Sicherheitsmann gelernt hat: Er steht auf dem Dach seines Autos, ein großer Pulk von Flüchtlingen kommt immer näher, bedrängt ihn. Er hat mit Freunden Essen aufs Gelände gebracht. Er muss jetzt reagieren. Er sendet klare, aber freundliche Botschaften. Er ruft „Stopp“, „Bitte“, seine Hände signalisieren: Geduld. Er hat gute Nerven; nimmt einem Vater das Kind ab, hebt es hoch, gibt ihm zuerst etwas. Dem Vater drückt er einmal fest die Hand. Dann haben alle verstanden. Jeder kommt dran. In seiner Erinnerung fühlt sich die Szene nicht so bedrohlich an.

Mehmet Seferoglou erzählt diese Geschichte an einem sonnigen Herbsttag im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf, seinem Einsatzgebiet als Wachschützer. Am Lageso ist seine Firma nicht tätig, dort hilft er ehrenamtlich nach seinem Dienst am Fehrbelliner Platz. In diesem weiß getünchten Ungetüm von einem Gebäude ist er verantwortlich für 18 Männer und eine Frau, alle ebenso jung wie er – sowie 950 Flüchtlinge, die hier untergebracht sind. Sein Alter will er nicht verraten, das könnte, glaubt er, seine Autorität untergraben. Und dann sagt er einen Satz, der so gar nicht zu dieser harten Branche und den Geschehnissen der vergangenen Wochen passen will: „Diese Menschen haben unsere Liebe verdient.“

Die Flüchtlingskrise hat den Markt verändert

Mehmet Seferoglou sein Chef der GSO-Sicherheit, Michael Schmidt.
Mehmet Seferoglou sein Chef der GSO-Sicherheit, Michael Schmidt.
© Mike Wolff

Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) fordert für die Branche seit Jahren nachprüfbare Qualitätskriterien und mehr Ausbildung. Die allermeisten, die für die Security arbeiten, sind gering qualifiziert und billig – trotz des Mindestlohns. Die Flüchtlingskrise hat den Markt verändert, die Nachfrage steigt, und die Anforderungen sinken offenbar – vor allem im Graubereich der Branche. Das kann gefährlich sein. Kleine Firmen drängen jetzt auf den Markt und werden schnell größer. Die GSO, in der Mehmet Seferoglou arbeitet, ist eine von ihnen.

Jeder, der will, kann eine Sicherheitsfirma gründen, Voraussetzung: Ein 80-Stunden-Kurs für Selbstständige an der IHK, ihre Angestellten müssen 40 Stunden absolvieren, um einfache Überwachungstätigkeiten übernehmen zu dürfen. In Berlin verzeichnet die IHK seit 2014 steigende Anmeldezahlen, Ende 2015 wird die IHK 59 Kurse durchgeführt haben mit 1700 Teilnehmern. 22 waren mal geplant. 5000 Wachleute soll es für Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland geben, der Bedarf, heißt es, könnte bald auf 10  000 steigen. Ein Insider sagt: „In Berlin ist der Markt für Sicherheitskräfte leer gefegt.“ Viele Firmen suchen Security mit Migrationshintergrund – möglichst mit Arabischkenntnissen.

Mehmet Seferoglous Dienstzeiten gehen oft von 7 Uhr bis 19 Uhr. Sein Handwerkszeug: „Reden!“ Er versucht, mit allen klarzukommen, vor allem sollen sich alle wohlfühlen unter dem Schutz seiner Leute. Vielleicht ist das naiv, und vielleicht würde das an anderen Orten nicht funktionieren, hier versuchen sie es trotzdem. Er sagt: „Ich mache mir nur Sorgen darüber, dass ich nicht perfekt sein könnte.“ Immer wieder wird er unterbrochen, muss Leute begrüßen, einteilen, mahnen. „Mehmet“, fragt einer, „können wir eine Zigarettenpause machen?“ Er nickt, „die brauchen ihre Pausen“. Aber jeder, der eine einlegt und nicht persönlich fragen kann, muss eine SMS schicken. Sonst gibt es Ärger.

„Mehmet ist immer gut drauf“

Es geht ja nicht nur um die Sicherheitsleute, sondern auch um die Brandschutzhelfer. Die meisten Berliner Gebäude, in denen Flüchtlinge untergebracht sind, entsprechen nicht allen Brandschutzauflagen, deswegen gehört es zur Aufgabe der Sicherheitsfirma GSO, in jedem Stockwerk Streife zu laufen. Die Brandschutzhelfer müssen ein Zertifikat darüber vorlegen, dass sie an einem Brandschutzkurs teilgenommen haben. Die Flüchtlinge rauchen heimlich auf den Zimmern – und Mehmets Leute müssen es unterbinden. Wenn es brennt, sind sie die Ersten, die gekündigt werden.

Für die Bestrafung ist auch die Security zuständig. Wer beim Rauchen im Zimmer erwischt wird, bekommt eine erste Mahnung und muss zum Heimleiter. Wenn es weitere Verstöße gibt, folgt ein Hausverweis. Zumindest wird das angedroht. Patrouilliert Seferoglou durch das weitläufige Gebäude, wird er von allen, die er trifft, freundlich gegrüßt: Arabische Männer in Badelatschen lachen ihn an, eine Frau mit Kopftuch winkt ihm in der Kantine zu, Kinder skaten um ihn herum, und im Koordinierungsbüro der Ehrenamtlichen sagt eine Helferin: „Mehmet ist immer gut drauf.“

Vielleicht ist dieser Seferoglou wirklich ein Glücksfall, aber genauso gut könnte er ein Risiko sein – denn wie er sind viele Wachschützer Quereinsteiger. Die meisten kommen aus der Arbeitslosigkeit. Sie haben oft keine Erfahrung mit kniffligen Situationen und professioneller Kommunikation. Eigentlich ist Seferoglou Tanzlehrer, bringt Jugendlichen Hip-Hop und Breakdance in einem Jugendzentrum bei. Der Vater kommt aus der Türkei, die Mutter ist Griechin. Einer der GSO-Geschäftsführer ist Deutsch-Grieche, man kennt sich, die GSO ist eigentlich ein großes Netzwerk aus Familien und Freunden. Das ist eine indirekte Vertrauensversicherung, darauf basiert das Geschäftsmodell. Und so ist nicht nur Mehmet Seferoglou, sondern auch sein Vater, einst Hip-Hop-Meister, Wachschützer geworden. Die Flüchtlingskrise macht diese Karrieren derzeit gerade möglich.

Wachschützer mit Migrationshintergrund

Da gibt es allerdings noch eine andere Motivation. Man kann sie glauben oder nicht, Mehmet Seferoglou sagt: „Ich habe das Glück, dass ich hier geboren bin. Meine Familie ist hier, niemand wurde getötet wie bei vielen Flüchtlingen. Aber ich bin auch ein Ausländer, und die Menschen, die kommen, die tun mir einfach leid.“

Er redet meist auf Türkisch mit seinen Mitarbeitern, manchmal ein paar Worte auf Arabisch. Fast alle Wachschützer der GSO haben Migrationshintergrund. Unten am Eingang kommt er an dem Plakat vorbei, mit dem die Polizei Mohamed vom Lageso gesucht hatte. Sie haben mit den Bewohnern darüber gesprochen. Auch hier sind schon Unbekannte vor dem Gelände herumgestreunt. Die GSO hat einen dieser Männer gewarnt, hat ihm gesagt, er solle verschwinden. „Als er immer wiederkam, haben wir ihn festgehalten und die Polizei gerufen.“ Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Routine, die keine Öffentlichkeit kennt.

Die Security wird oft angefeindet, beschimpft, bespuckt

Mehmet Seferoglou am Flüchtlingsheim Fehrbelliner Platz 4, ehemaliges Wilmersdorfer Rathaus in Berlin.
Mehmet Seferoglou am Flüchtlingsheim Fehrbelliner Platz 4, ehemaliges Wilmersdorfer Rathaus in Berlin.
© Mike Wolff

Verantwortung tragen vor allem diejenigen, die Sicherheitsfirmen gründen. Sie müssen beweisen, dass es ihnen nicht ums schnelle Geld geht. Wie bei den Betreibern von Notunterkünften sind auch in dieser Branche „Glücksritter unterwegs“, wie es einer aus dem BDSW sagt.

Derjenige, der Mehmet Seferoglou ausgesucht und ihn zum Vorarbeiter gemacht hat für diesen Job, sitzt viele Kilometer entfernt vom Fehrbelliner Platz in einem verrauchten Büro an der Oberspree. Michael Schmidt, Mitgründer der GSO-Security und Chef von Seferoglou, würde am liebsten weglaufen. Vor ihm türmt sich Papierkram, den er zu bearbeiten hat: Kursformulare, Anmeldungen, Stundenzettel, Abrechnungen. Vor gut einem Jahr hat er die GSO als GmbH mit seinem Partner gegründet. „Am Anfang musste ich Klinken putzen und bin rumgerannt, um Aufträge zu bekommen. Jetzt werde ich angerufen“, sagt Schmidt. Er könnte, betont er, sofort seine rund 40 Mitarbeiter verdoppeln, aber es gebe so schnell keine Kurse. Er schimpft wie jeder Unternehmer auf zu viel Bürokratie und „viel zu viele Kontrollen“.

Es gibt ein Klischee über Security-Leute und äußerlich entspricht Schmidt diesem voll und ganz. Draußen vor der Tür steht sein schwarz lackierter Hummer, Schmidt selbst ist ein eckiger Mann mit Vollbart, Glatze und zwei schwarzen Ringen in jedem Ohr. Er ist tätowiert am Oberkörper. Doch der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der viele Flüchtlingsunterkünfte betreibt, vertraut Schmidt. Ein ASB-Heimleiter aus Zehlendorf sagt am Telefon: „Der Mann ist okay. Bei der GSO fühlen sich die Flüchtlinge sicher.“

„Die müssen menschlich bleiben“

Schmidt weiß ja, wie er aussieht und grinst. „Wenn man mich sieht und hört, ich hab’ eine Security-Firma, denken alle: Der ist Zuhälter, Geldeintreiber, Drogendealer.“ Dabei war er früher nur Ringer – und verfügt über ein weiteres sportliches Talent, das nicht ins Bild passen will: Schmidt ist ein ziemlich guter Golfer, Handicap 4, im Golfklub Motzen spielt er in der Mannschaft der Jungsenioren.

Im Rathaus am Fehrbelliner Platz und in ihren anderen Unterkünften kümmern sich die Leute der GSO um mehr, als sie müssten – darin scheint auch das Geheimnis zu liegen. Seferoglou und seine Leute packen überall mit an. Da wird der Kinderwagen einer jungen Mutter getragen, Kleidersäcke sortiert, Fahrräder aus dem Keller verteilt. Dabei gilt eine eiserne Regel: Immer freundlich sein, grüßen, danken, den Menschen in die Augen schauen. Schmidt weiß allerdings auch: „Wir können uns noch so bemühen, es kann immer sein, dass einer bei denen oder einer von uns austickt.“

In Wilmersdorf gibt es da noch einen anderen Chef, den Heimleiter, der über diese Security erzählen kann. Thomas de Vachroi, Mitglied im CDU-Kreisvorstand Neukölln und eigentlich Fundraiser im Diakoniewerk Simeon, sitzt leicht nervös in seinem Büro. Gerade hat er gehört, dass am Nachmittag 120 neue Flüchtlinge ankommen werden. Das Diakoniewerk hat ihn als Nothelfer an den ASB ausgeliehen. Was die Securityleute betrifft, hat Thomas de Vachroi eine klare Forderung: „Die müssen menschlich bleiben.“ Leichter gesagt als getan?

Der Heimleiter bleibt dabei. Aus seiner Sicht müssen die Sicherheitsleute in seinem Heim „Integrationslotsen“ sein, weil sie „die Sprachen sprechen, Konflikte moderieren, streng und immer im Kontakt mit der Heimleitung sein müssen“. Über die GSO sagt er: „Die machen das gut.“

Nicht austicken - das ist die eigentliche Kompetenz

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Security oft angefeindet wird, die „schwarzen Männer“ werden beschimpft, bespuckt und körperlich angegangen. Am Lageso viel häufiger als hier in Wilmersdorf, aber es kommt vor. Schmidt und de Vachroi haben trotzdem „kein Verständnis für die prügelnden Wachschützer“. Sie sind sich einig: „Wenn sich die Security bedroht fühlt, muss sie das sagen, dann müssen die Strukturen geändert werden.“

Nicht auszuticken, wie die Prügler am Lageso, das ist die eigentliche Kompetenz von Security. Das ist ihr Auftrag, und das ist ein täglicher Ausnahmezustand. Ein Chef einer anderen Sicherheitsfirma, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, sagt: „Die Polizei hätte es am liebsten, wenn die Sicherheitsdienste einfach mal durchgreifen würden, nicht nur verbal.“

Vor dem Gebäude in Wilmersdorf fährt ein Bus vor, bringt neue Flüchtlinge, Thomas de Vachroi ruft einer Mitarbeiterin zu: „Trommel alle zusammen!“ Mehmet Seferoglou redet ruhig auf seine Mitarbeiter ein, teilt sie auf. Es geht jetzt immer so weiter. Kein Ende abzusehen. Sie sind alle erschöpft, das Privatleben existiert nicht mehr, das gibt auch Mehmet Seferoglou zu. Er guckt zum ersten Mal nicht zuversichtlich, sondern traurig. Aber darüber will er nicht reden.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite im gedruckten Tagesspiegel. Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben. Folgen Sie ihm auch auf Twitter.

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