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Schicht im Schacht. Der Tod gehörte bei der Wismut zum Gewerbe. In Schlema wagten die Menschen mit dem Kurbad einen Neuanfang.
© Wismut

Die Uranförderung im Erzgebirge und ihre Folgen: Neues Leben im "Tal des Todes"

Vor 25 Jahren endete der Uranabbau im Erzgebirge. Wo sich heute Touristen im Kurbad vergnügen, lag nach der Wende verstrahlte Ödnis. Es begann Deutschlands größte Umweltsanierung.

Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach zuschütten. Sie rumort in der Tiefe, drängt nach oben, reißt riesige Löcher auf. Wie vor einem Jahr in der Grunertbergstraße, wo mitten in Bad Schlema der Bürgersteig aufbrach. Als wollte das Nichts, das sich da auftat, daran erinnern, dass da etwas im Untergrund weiterarbeitet. Mehrere hundert Kubikmeter Beton haben sie im Frühling in die Tiefe gepumpt, um den Hohlraum zu füllen. Dass nun Ruhe ist, daran glaubt im Ort aber niemand.

Auch Konrad Barth nicht, er vielleicht am allerwenigsten. Denn der 76-Jährige kennt das Erdreich genau, die Risse im Gestein, wenn sich Spannungen entladen. Im Zentrum, wo zuletzt der Boden einbrach, stand der „Schacht 38“ – einer von 54 in Schlema. Barth hat die Zerstörung seiner Heimat erlebt, und auch die Auferstehung des Kurbades. An beidem hat er seinen Anteil. 20 Jahre lang hat der schwere Mann im Berg geschuftet, war als Brigadier der Chef von 50 Kumpeln tief drunten in den Stollen. Seine Hände zeugen davon, dass er zupacken kann. Wenn er spricht, dann rötet sich sein Gesicht, und seine Hände fahren durch die Luft, als wollten sie die Zeit ergreifen.

Misstraut den Grünanlagen! Dort, wo heute im Ortskern inmitten einer Parkanlage mit Wildtiergehege das Kurbad-Gebäude steht, wo in den Becken die Gäste im radonhaltigen Wasser schwimmen, da gab es 1989, als die DDR zusammenbrach, nur eine geschundene Fläche. Viel war nicht mehr übrig von Schlema. An die liebliche Hügellandschaft erinnerten nur noch die bunten, historischen Postkarten, die Barth gesammelt hat. Fotos von dem in den 30er Jahren berühmten Radon-Kurbad. Das war so beliebt, dass die Gäste aus Berlin mit einem Direktzug dorthin fahren konnten. Barth hat diese Pracht als Kind noch gesehen, als Bad Schlema nahezu unzerstört den Krieg überstanden hatte.

Das Leben in den Zeiten des Uranbergbaus

Danach wurde die Arbeit im Berg zum Mittelpunkt all dessen, was das Leben ausmachte im Erzgebirge. Als Uran gefunden, die deutsch-sowjetische Bergbaugesellschaft „Wismut“ gegründet und das Unternehmen so etwas wie ein geheimer Staat in der DDR wurde. Und auch danach, als dieser Staat am Ende war und die Bergwerke vor 25 Jahren die Förderung einstellten. „Ja, das war eine Katastrophe“, sagt Barth, „aber wir waren trotzdem stolz auf unsere Arbeit.“

Um an das Urangestein zu kommen, das hier besonders konzentriert zu finden war, durchlöcherte die „Wismut“ über fünf Jahrzehnte lang den Untergrund. Der Berg wehrte sich. Erst gab es dicke Risse in den Mauern der Häuser, bald stand auch der Kirchturm schief. Schon 1952 war der Ortskern mehr als sechs Meter abgesackt, und es wurden fast 300 Gebäude im Zentrum abgerissen, die Hotels, das Kurhaus, die Kirche. Fortan lebten die Familien zwischen den insgesamt 18 riesigen Schuttbergen.

„Tal des Todes“ – diesen Titel bekam Schlema nach dem Ende der DDR, als die grauenvollen Wunden des Raubbaus für die bislang ahnungslose Öffentlichkeit offenbar wurde. „Wir waren in der DDR zum Sterben verurteilt“, sagt Konrad Barth. „Das war mir damals aber nicht klar.“ Dabei war der Mann mit dem breiten, kräftigen Gesicht, der nicht geradlinig, sondern ein wenig krumm erzählt, als wanderten seine Sätze durch die verzweigten, unebenen Stollen dort tief unter ihm, schon seit 1979 Bürgermeister von Schlema. In der SED war er auch. Aber als das Volk nach der Wende überall die Funktionäre und Bürgermeister fortjagte, da wurde er wiedergewählt und blieb bis 2004 im Amt. Das verheerte Schlema, wo Fördertürme und Schachtanlagen die Landschaft prägten, umgeben von hoch giftigen und radioaktiv strahlenden Gesteinshalden, „das war doch unser Leben“.

Uran für den Frieden

Stefan Heym hat in seinem Roman „Schwarzenberg“ an die historische Kuriosität erinnert, als nach dem Ende des Krieges die Gegend 42 Tage lang unbesetzt blieb von Amerikanern und Russen und antifaschistische Bürger die Utopie einer „Freien Republik Schwarzenberg“ erprobten – bis die Russen dem ein Ende bereiteten. Nun sorgte das Uran für eine ganz andere Form der Utopie.

Das Uran aus dem Erzgebirge ermöglichte Stalin den Bau der Atombombe und brachte die Sowjetunion auf weltpolitische Augenhöhe zu den USA. Uran für den Frieden, so lautete die Parole. Mehr als 230 000 Tonnen reinen Urans erzeugte die Wismut an dutzenden Standorten im Erzgebirge als weltweit drittgrößter Produzent – herausgeholt in Schlema mit dem tiefsten Schacht Europas oder im Tagebau-Verfahren in Ronneburg oder auch mit säurehaltigen Spülverfahren im Untergrund bei Königsstein.

Welche Gefahr von dem strahlenden Gestein und seinen Zerfallsprodukten ausgeht, war in der DDR Geheimsache. Besonders in den ersten wilden Jahren, als die Sowjetunion die Produktion ankurbelte und auch Zwangsarbeiter einsetzte, gab es keinerlei Schutzmaßnahmen. Nur schnell musste es gehen. Allein 1949 starben fast 1300 Arbeiter bei Unfällen. Erst als die DDR ab 1954 gemeinsam mit der Sowjetunion das Unternehmen betrieb, verbesserten sich die Arbeitsbedingungen, und man begann beispielsweise Luft in die Schächte zu blasen, um das Radon-Gas abzuleiten.

Aus der Tiefe. Bürgermeister Konrad Barth setzte sich für das Radon-Bad ein
Aus der Tiefe. Bürgermeister Konrad Barth setzte sich für das Radon-Bad ein
© Gerd Nowakowski

Der langsame Tod gehörte aber weiter zum Gewerbe. Die Bergleute atmeten in den Stollen den todbringenden Staub ein, und oben in Schlema wirbelte der Wind die feinen Partikel von den Halden in die Wohnstuben. Abluftschächte, aus denen die radonhaltige Luft direkt in den Ort geleitet wurde, ungeklärtes Grubenwasser, das in den Flüssen entsorgt wurde – das alles gehörte zum Alltag.

Konrad Barth erinnert sich genau. Wie er als Kind mit seinen Freunden im flachen Wasser der Abraum-Teiche herumgelaufen ist. Keiner habe gewusst, wie giftig die Schlammbrühe war. Woher auch? Messungen gab es nicht. Auch die Erwachsenen hätten die „rücksichtslose Umweltzerstörung“ als selbstverständlich hingenommen. „Mein Schacht – mein Stolz“, so sei das gewesen bei der „Wismut“, sagt Barth und zeigt auf das riesige Gemälde am Kulturhaus, das die sozialistischen Helden des Bergbaus verherrlicht.

Wer heute nach Schlema kommt, das sich seit 2005 Kurbad nennen darf, kann die früheren Halden kaum noch ausmachen. Wo früher das Schlammbecken war, spielen heute Touristen Golf. Die Kegelhalde ist abgetragen, nun fahren Kinder Fahrrad in der Einfamilienhaussiedlung. Mit dem Material des Geröllkegels füllten Bauarbeiter das abgesackte Ortszentrum auf. Barth ist immer noch stolz, wie er dies auf den Weg gebracht hat. Tag und Nacht habe er die Lastwagen mit dem Geröll fahren lassen, in dieser nahezu „gesetzlosen Zeit“ nach der DDR-Revolution.

Eine Vision für die neue Zeit

Da hatte Konrad Barth schon im Gemeinderat seine Vision für die neue Zeit vorgestellt: Wir werden wieder Radon-Bad! Denn Radon ist ein Gift, das zwei Gesichter hat, das Fluch und Segen sein kann. Bei vielen Bergleuten verursachte das beim Uran-Zerfall entstehende Radon-Gas tödliche Krebserkrankungen. Aber als Heilmittel bringt das Radon den Rheumatikern eine solche Linderung ihrer Schmerzen, dass sie auf Medikamente verzichten können. „Die Dosis macht die Wirkung“, sagt Barth.

Ausgelacht hatten sie ihn im Gemeinderat anfangs, auch angefeindet, doch er gab nicht auf. „Durch die Härte, die mir entgegengebracht wurde, wurde ich auch härter“, sagt Barth. Also ließ er nach neuen Radon-Quellen suchen, die früheren Zuflüsse waren ja verschüttet. Und er fand weitere Unterstützer für die Idee, auch Investoren. Heute haben die Quellen dem Ort einen neuen Wohlstand beschert und die früheren Bergleute zu Gastgebern für die Kurgäste gemacht. Auch Barth vermietet in seinem Haus „Sonnenschein“ nun Ferienwohnungen.

Aber nicht alle wollen vergessen. Siegfried Woidtke, einst Bergmann und heute Schriftsteller, kämpft seit Jahren um ein Bergleute-Denkmal im Ort, um die Erinnerung an die Kumpel wachzuhalten. Er war ja selbst mal einer. Genau wie sein Vater. Der schmale Mann steht in der Gaststätte des Kulturhauses, das einem Bergwerk nachgebaut ist, und beschreibt nahezu liebevoll die Arbeit unter Tage. „Wir haben da unten doch was geleistet, alle gemeinsam“, sagt er. „Wenn unsere Arbeit verhindert hat, dass noch einmal eine Atombombe fiel, dann war es das Leiden wert.“ Woidtke streicht beim Reden über die fachmännisch gesetzten Stützpfeiler, die den Druck des Berges ableiten. Beim Reden wird die Erinnerung so schön, wie es dort unten nie gewesen sein kann.

Sechs Milliarden für Schlema

„Ich bin Bergmann – wer ist mehr?“, das war der selbstbewusste Slogan der Wismut-Arbeiter, die beste Bezahlung und Vergünstigungen erhielten. „Man sah, wessen Vater bei der Wismut war“, sagt Woidtke. „Da steckten bei den Kindern auch Bananen und Orangen im Schulbrotbeutel.“ Eigene Kultureinrichtungen, exklusive Warenhäuser, gut ausgestattete Krankenhäuser, moderne Sportanlagen oder Ferieneinrichtungen gehörten zum Reich der Wismut. Das schmucke Kulturhaus „Aktivist“ in Schlema, das heute noch so heißt, zeigt, wie man sich in der Mangelrepublik um die Kumpel sorgte. Auch in der Freizeit. Der SC Wismut wurde dreimal DDR-Fußballmeister. Der heißt zwar längst FC Erzgebirge Aue, aber viele Fans brüllen im Stadion immer noch „Wismut“.

Bis in 2000 Meter Tiefe drangen die Schächte vor, wo unten eine Temperatur von 65 Grad herrschte. Immer wieder gab es Unfälle; bei der schlimmsten Katastrophe kamen 1955 bei einem Feuer 33 Bergleute ums Leben. Zur furchtbaren Bilanz gehören rund 15 000 zumeist tödliche Staublungen-Erkrankungen und etwa 8000 Krebstote. Natürlich hätten sie alle um das Risiko gewusst, sagt Woidtke, der einmal selbst verschüttet wurde. Sein Vater ist qualvoll an der „Schneeberger Krankheit“, einer Form des Lungenkrebses, gestorben. Trotzdem rissen sich die Menschen um einen Job bei der Wismut. Viele tausend Fälle wurden erst nach der Wende als berufsbedingte Krankheit anerkannt. Bis heute werden jährlich 200 Neuerkrankungen gezählt.

So wie Konrad Barth für den Neuanfang zuständig war, so war es Rudolph Daenecke für die Beseitigung der Altlasten. Der heute 79-Jährige war einst technischer Direktor im Wismut-Standort Schmirchau, danach wurde er Generalbevollmächtigter für die Sanierung aller Bergwerke. Als das Land voll Entsetzen auf das „Tal des Todes“ schaute, sei vieles übertrieben dargestellt worden, sagt Daenecke. Andererseits hätte die Bundesregierung ohne diesen Schock wohl kaum so viel Geld für den Wiederaufbau bewilligt. Die Arbeiten sind längst nicht abgeschlossen – sechs Milliarden Euro sind bislang in Deutschlands gewaltigste Umweltsanierung geflossen. Kritiker bemängeln freilich, dass die Sanierung bis heute nach altem DDR-Recht erfolgt, nicht nach der ungleich schärferen Strahlenschutzverordnung der Bundesrepublik – was noch teurer geworden wäre.

Fast harmonisch

40 Millionen Kubikmeter Halden mussten beseitigt oder umweltverträglich saniert werden. Die meisten Schächte sind versiegelt, die Stollen geflutet und Tagebaue zugeschüttet worden. Die Planungen gehen bis 2045. Von „Ewigkeitsarbeiten“ spricht Rudolph Daenecke, während er über das Werksgelände von Schacht 371 läuft, hinter sich den mächtigen Förderturm. Die Räder des Aufzugs wirken, als würden sie gleich wieder einen Förderkorb aus der Tiefe hieven. Vorbei; heute zeigt die Wismut hier ihre Mineralienausstellung. Die Giftwerte sinken, dennoch müssen weiter uranhaltige Substanzen aus dem Wasser gefiltert werden. Und weil die Erde immer wieder aufbricht, musste in den letzten Jahren eine halbe Million Tonnen Beton in die sogenannten „Tagbrüche“ gepumpt werden.

Lange hat Daenecke an den Traum vom Sozialismus geglaubt, bis er gespürt habe, dass diese Art Sozialismus nicht funktionieren könne. Selbstverständlich war er in der SED – ohne Parteibuch war bei Wismut keine Karriere zu machen. Über die Schäden durfte niemand sprechen – „alles war geheim“. Was die Stasi tat, das habe er später über sich nachlesen dürfen, sagt der immer noch lebhafte Mann und deutet mit einer Hand einen hohen Stapel Papier an. So war die DDR eben. Schulterzucken.

Siegfried Woidtke, der bereits acht Bücher über die Bergleute geschrieben hat, befürchtet, dass niemand mehr etwas wissen möchte über diese bittere Zeit. Bloß nicht mehr schürfen, das Grauen soll verschüttet bleiben. Die meisten Touristen, die entlang des in seinen alten Lauf zurückgekehrten Schlemabachs spazieren, ahnen nicht, dass der Kurpark unbebaut bleiben muss, weil der Boden durch die vielen Höhlungen im Untergrund nicht tragfähig ist. Sie erfreuen sich an den sanften Hängen mit den jungen Bäumen, die sich scheinbar natürlich einfügen in die Erzgebirgslandschaft – fast möchte man sagen: harmonisch.

Gerd Nowakowski

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