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Polizisten sichern das Gebiet rund um den Breitscheidplatz.
© REUTERS/Fabrizio Bensch

Katastrophe am Breitscheidplatz: Mitten ins Herz

Verletzte liegen auf dem Asphalt, Menschen weinen. Der Lastwagen hinterlässt auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche eine Schneise der Verwüstung.

Der Lastwagen rast von Westen heran. Fährt über den Bordstein, rauf auf den Gehweg, durch Buden und die Menschenmenge hindurch. Hinterlässt eine Schneise der Zerstörung. Erst nach 50 bis 80 Metern, sagt die Polizei, kommt er zum Stehen. Quer auf der Fahrbahn der Budapester Straße. Es ist 20.15 Uhr. Am Dach ist ein Deko-Weihnachtsstern hängen geblieben.

Manche vor Ort glauben zunächst an einen Verkehrsunfall. Vielen anderen kommen direkt schreckliche Assoziationen: Truck, Menschenmenge, Terroranschlag. Fünf Monate nach dem Blutbad von Nizza ist erneut ein Fahrer mutwillig in eine Menschenmenge gerast.

Drüben im Hotel Waldorf Astoria trinken sie gerade Cocktails an der Bar im ersten Stock, als das Blinken von Blaulicht sie zum Panoramafenster treibt. Die Gäste sehen zertrümmerte Budenteile, Menschen am Boden, auch die offene Fahrertür des Sattelschleppers. Zwölf Tote und dutzende Verletzte soll es gegeben haben. Einige sind so schwer verwundet, dass die Zahl der Toten noch steigen könnte. Auch in der Fahrerkabine des Lkw liegt ein toter Mann, möglicherweise wurde er vom Täter erschossen. Der Fahrer flieht Richtung Norden, rüber zum Bahnhof Zoo, von dort in den Tiergarten. Die Polizei wird ihn später an der Siegessäule festnehmen.

Am Weihnachtsmarkt bleibt ein grausames Bild. Verletzte liegen auf dem Boden, eine Spur aus Blut zieht sich über den Asphalt. Menschen schreien, weinen. Viele Buden sind zerstört.

Kurze Zeit später ist der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz immer noch hell erleuchtet, aber menschenleer. Ein Mann, offenbar im Schockzustand, kommt auf die Absperrung zugelaufen: „Ist unser Stand zu?“, ruft er einem der Beamten zu. „Nummer 34 und 35?“ Der Polizist dreht sich um, antwortet: „Alles dicht.“

Die Windschutzscheibe des Lkw ist zersplittert. Neben dem Fahrzeug liegen zerfetzte Kunstweihnachtsbäume, Glitzerkugeln, etwas Lametta. Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag sichern die Anschlagstelle. Rot-weißes Flatterband soll Schaulustige abhalten. Auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms harren die Menschen aus, immer wieder versuchen sie einen Blick zu erhaschen, werden von Polizisten zurückgedrängt. Sicherheitskräfte der Deutschen Bahn bringen Wärmedecken.

Es ist auch ein Großeinsatz für Feuerwehr und das Rote Kreuz. Immer wieder passieren Kolonnen von Rettungswagen die Hardenbergstraße hinunter in Richtung Breitscheidplatz. Die Polizei twittert: „Wir brauchen vor Ort alle Rettungswege. Bitte kommen Sie nicht zum #Breitscheidplatz. Bitte halten Sie die Straßen für uns frei. #danke.“ Gegen 21.30 Uhr empfiehlt die Berliner Polizei allen Berlinern, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Und sofort ist die Angst da: Könnte es an diesem Abend in der Stadt noch weitere Terrorziele geben? Auf einer großen Anzeigentafel in der Nähe des Tatorts und auf Twitter schreibt die Polizei: „Bleiben Sie zuhause und verbreiten Sie keine Gerüchte.“

Dann trifft Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ein. Da ist es gerade kurz vor zehn. Begleitet wird er von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop und Innensenator Andreas Geisel. Im Hintergrund ist zu sehen, wie Verletzte auf Tragen in die Rettungswagen geschoben werden. „Es ist einfach furchtbar, das hier zu sehen“, sagt Müller. Es sei „sehr bedrückend, ein Schock, weil wir immer gehofft haben, dass wir diese Situation in Berlin nicht haben werden“. Die Charité sei aber darauf eingestellt, viele Verletzte aufzunehmen. Das Krankenhaus habe den Katastrophenfall ausgerufen. „Die Lage hier vor Ort ist unter Kontrolle“, sagt er.

Ali, 16, war gerade noch mit vier Kumpels auf dem Markt

Für Ali Awad, 16 Jahre alt, fühlt sich das allerdings ganz anders an. Kurz bevor der Lkw durch den Weihnachtsmarkt pflügte, war er mit vier Kumpels dort, sie wollten Geschenke kaufen. Ali Awad ist immer noch fassungslos. „Das geht einfach nicht“, sagt er immer wieder. Sein Telefon klingelt, die Eltern rufen an, dann Freunde. Es geht ihm gut, sagt er ihnen leise und legt auf. „Ich habe ein sehr komisches Gefühl“, sagt er laut.

Erst um 22.15 Uhr gibt die Polizei vorerst Entwarnung für das Westberliner Zentrum um den Kurfürstendamm. „Derzeit gibt es keine Hinweise auf weitere gefährdende Situationen in der City nahe Breitscheidplatz.“ Doch schon kurz darauf wird die Rankestraße gesperrt, ein verdächtiger Gegenstand überprüft.

In den „Tagesthemen“ äußert sich da bereits Innensenator Geisel: „Eine Stadt in Angst hilft niemandem“, sagt er. Zur Frage nach möglichen Konsequenzen für andere Weihnachtsmärkte sagt er: „Unsere freie Gesellschaft lebt davon, dass wir frei miteinander umgehen und Weihnachten als Fest der Familie, als Fest der Freude feiern.“ Im Moment gehe er nicht davon aus, dass es Gefahren auch für andere Orte gebe. Es sei sowohl möglich, dass es sich um einen Anschlag handle, als auch, dass ein Unfall geschehen sei. Zur Motivlage eines möglichen Täters sei nichts bekannt.

Am Breitscheidplatz herrscht einige Zeit nach der Tat eine unwirkliche Stille. Man spürt, es ist etwas kaputt gegangen in dieser Nacht. An diesem Dienstag um 18 Uhr wird es in der Gedächtniskirche einen Gottesdienst geben.

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