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Grün-Blau. Regieren will Katharina Schulze, daraus macht sie kein Geheimnis. Sie sagt, sie sei nicht in die Politik gegangen, um am Spielfeldrand zu stehen.
© Andreas Gebert/Picture Alliance/dpa

Landtagswahlkampf in Bayern: Mit Katharina Schulze auf dem Weg nach vorn in Bayern

Wenn sie früher Reden hielt, kamen CSUler und flüsterten: „Tolles Outfit.“ Mittlerweile wird die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze geachtet und gefürchtet.

An einem heißen Tag Anfang Juli trifft sich der Innenausschuss des bayerischen Landtags ausnahmsweise im großen Sitzungssaal der CSU. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ist mit Gästen gekommen und referiert über die Sportförderung für die Spitzenathleten der bayerischen Polizei. Als er nach einigen Ausführungen fragt, ob noch Fragen seien, murmeln die Herren der SPD: „Mal sehen, vielleicht noch nachher.“ Hinter ihnen sitzt die junge Fraktionschefin der Grünen und nuschelt halblaut, aber hörbar: „Typisch SPD“. Bayerns Sozialdemokraten sind nicht nur im Ausschuss nicht die Schnellsten.

Herrmann schaut hoch, grinst, sagt: „Und das war: Typisch Schulze!“ Alle lachen. Außer der SPD.

Später wird Herrmann noch darüber informieren, dass aus Bayern 69 afghanische Flüchtlinge abgeschoben worden seien. Als Schulze als Einzige Nachfragen stellt, die der Innenminister nicht sofort beantworten kann, sagt er: „Diese Informationen werden ich ihnen natürlich umgehend nachliefern, Frau Schulze.“

Die Polizei kommt gern

Die Grünen in Bayern werden zurzeit mit großem Respekt von der CSU behandelt, die SPD dagegen ist irgendwie egal. Das liegt an der allgemeinen politischen Lage, aber eben auch an der 33-jährigen Katharina Schulze. Sie ist nicht nur Expertin auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit und organisiert Polizeikongresse, zu denen auch die Polizei gern kommt, sondern sie könnte die Grünen als Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen am 14. Oktober zur stärksten Partei hinter der CSU machen.

Das wäre eine Sensation in einem Bundesland, in dem die Grünen bislang kaum eine Rolle gespielt haben. In Umfragen steht die Partei im Moment bei 15 Prozent, die AfD bei 14 – und die SPD bei 12. Freie Wähler und FDP müssen um den Einzug ins Parlament bangen. Und die CSU um ihre absolute Mehrheit.

Zwischen zwei Wahlkampfterminen sitzt Katharina Schulze einen Tag nach der Ausschusssitzung in einem Wirtshaus im Münchner Zentrum und isst Käsespätzle. Draußen hat sie ihr Fahrrad mit Blümchensattel abgestellt und nur mit dem Speichenschloss gesichert. Wenn sie redet, redet ihr ganzer Körper mit. Die Augen rollen, das Gesicht verzieht sich zu Grimassen als würde sie Mimik-Training machen, dann streckt sie beim Argumentieren die Arme weit von sich wie ein Fußballtorwart und redet immer so schnell, dass die Wörter in ihrem Mund Purzelbäume schlagen.

„Hey, wir wollen die Hälfte der Macht“

Kurz zuvor war sie noch zum „Ladies Lunch“ der Petra-Kelly-Stiftung zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht – Was hat’s gebracht?“ eingeladen, eine Begrüßungsrede zu halten. Die rund 70 Frauen, die im Saal eines Wirtshauses am Viktualienmarkt saßen, waren nicht leicht zu beeindrucken. Es sind gestandene Pazifistinnen, Feministinnen, Aktivistinnen. Katharina Schulze trat hibbelig ans Pult – brachte aber das Publikum in wenigen Minuten dazu, laut und überschwänglich zu klatschen. „Hey“, rief sie, „wir wollen die Hälfte der Macht. Überall. Lasst uns die Machtfrage stellen. Kann ja nicht so schwer sein.“

Sie sagte noch, dass sie und ihre Grünen-Partei ein anderes Bayern als „das der alten, weißen Männer“ wollen, aber darauf nicht auch wieder 100 Jahre warten – und schon ist sie fast wieder weg. „Tschuldigung“, sagt sie, sie habe da gleich noch andere Termine. Wahlkampf. Dann ist sie fort und hinterlässt offene Münder und Eindruck.

Da Katharina Schulze die Dinge immer frontal angeht, provoziert sie automatisch Reaktionen. Warum das so ist, kann sie nicht genau sagen, sie weiß nur, woher es kommt. Ihre Eltern, die beide keiner Partei angehören, aber gesellschaftlich engagiert sind wie etwa im Vorstand einer Kita, haben zu ihr gesagt: „Wenn du dich schon immer aufregst, dann mach was. Es lohnt sich, die Dinge verändern zu wollen.“

Bewaffnet mit einem Megafon

Also ist sie zu Beginn des Irak-Kriegs als Schülersprecherin ihres Gymnasiums in Herrsching am Ammersee zum Direktor marschiert und hat ihm angekündigt, dass eine Menge Schüler nach München auf eine Demo fahren werden. Der Direktor hat erwidert, dass das nicht ginge. Schulze und ihre Mitschüler sind trotzdem gefahren.

„Es hat keine Initialzündung gegeben, um mich zu politisieren“, sagt sie. „Es sind einfach Dinge, die ich ungerecht finde, die mich aufregen.“ Im Leistungskurs Geschichte schreibt sie eine Arbeit über Christoph Probst, den Namensgeber der Schule, der in der studentischen Gruppe „Weiße Rose“ im Widerstand gegen Hitler war. Der Text steht bis heute auf der Webseite des Gymnasiums und wird neuen Schülern als Information über den Namenspaten empfohlen. Schulze schreibt als Definition für Zivilcourage: „Aufstehen, wenn alle anderen sitzen bleiben.“

Sie selbst jedenfalls bemüht sich offenkundig, dieser Definition gerecht zu werden. Die CSU kann ein Lied davon singen. Im Januar steht Schulze mit Parteifreunden vor dem Kloster Seeon im Chiemgau auf einer sumpfigen Wiese, bewaffnet mit einem Megafon und ruft: „Für ein starkes Bayern muss man sich mit Europafreunden umgeben.“ Die CSU-Spitze traf sich dort mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán. Und als Markus Söder nach Linz zum österreichischen Kanzler Sebastian Kurz reist, hält Schulze dort ein Plakat hoch mit den Worten: „Achse der Zerstörer Europas“.

Schulze muss schlucken

Kampagnenfähigkeit und eine gewisse Widerborstigkeit gehören zum Erbgut der Grünen, Katharina Schulze hat diese Kompetenzen jedenfalls perfekt erlernt. Vielleicht hilft ihr dabei die Erfahrung, die sie als Helferin der Demokraten in Detroit während des ersten Obama-Wahlkampfs machen konnte. Damals studierte sie in San Diego, Texas, lernte dort einen Kampagnenmacher der Demokraten aus Michigan kennen, bewarb sich spontan und wurde genommen. Gute Laune, Optimismus, eine Strategie und einen unbedingten Siegeswillen – das scheint sie an Rüstzeug aus den USA mit nach Hause gebracht zu haben.

Sie hat aber selbst früh bewiesen, dass sie Kampagnen kann. Als Vorsitzende der Grünen Jugend stellt sie sich 2010 in Freiburg auf dem Bundesparteitag der Grünen mit einem Antrag demonstrativ gegen die Bewerbung Münchens für Olympische Winterspiele und damit gegen die eigene Partei in der bayerischen Landeshauptstadt. Man merkt den Rednern, die für die Bewerbung sind, an, wie wütend sie über den Antrag sind.

Als Schulze ans Rednerpult geht – es ist ihre erste Rede auf einem Bundesparteitag –, sieht sie Claudia Roth auf dem Podium sitzen, Grünen-Ikone und damals Parteichefin, die auch noch im Beirat der Stadt München für die Olympischen Spiele sitzt. Schulze muss schlucken, dann beginnt es, aus ihr herauszusprudeln, schnell, laut, aber inhaltlich wie immer sehr klar. Sie gewinnt die Abstimmung, Roth tritt aus dem Beirat aus. Danach wird Schulze von ihren Parteifreunden in München geraten, ihre Bewerbung für den Grünen-Stadtvorsitz zurückzuziehen. Sie ignoriert die Warnung und gewinnt auch diese Wahl.

Sie erkennt die Mini-Chance

Manche Spitzengrüne im Bund halten Katharina Schulze für das größte Talent, das die Partei nicht nur in Bayern habe. Einer sagt, sie habe nicht nur ungeheure Energie und Empathie, sondern auch eine alles überragende Kompetenz: Es gebe in der Politik zwar viele, die positiv, optimistisch und mit Leidenschaft Dinge voranbringen wollten, aber Katharina Schulze „gelingt es, das auch auf der öffentlichen Bühne zu transportieren“. Eine Staatssekretärin aus der Regierung in Baden-Württemberg, die sie gut kennt, sagt: „Sie kann andere begeistern und lenken.“

Als die Gegner einer dritten Startbahn für den Münchner Flughafen aufgeben wollen, weil weder Demonstrationen noch andere Proteste geholfen haben, prüfen ein paar Juristen der Grünen die Lage und finden ein kleines Einfallstor. Die Stadt München ist Mitgesellschafterin des Flughafens, obwohl der außerhalb liegt. Es gibt die Möglichkeit eines Bürgerentscheids. Schulze erkennt die Mini-Chance und spricht mit Startbahn-Gegnern von außerhalb der Stadt, um ein neues Bündnis zu schmieden.

Die Chance ist deshalb klein, weil die Flughafen-Anrainer davon ausgehen, dass ihnen die Münchner nicht helfen werden, schließlich profitieren die vom stadtnahen Airport. SPD, CSU und die IHK in der Stadt sind für die dritte Startbahn.

Schulze aber lässt sich nicht abschrecken, überzeugt alle – und wird Sprecherin des neuen, größeren Bündnisses, das rund 80 verschiedene Organisationen vereint. Es ist Winter. Schmuddelwetter monatelang. Schulze, sagt eine, die damals dabei war, habe fast im Alleingang die Stimmen gesammelt. Tag und Nacht sei sie unterwegs gewesen. Am Ende, im Juni 2012, stimmen 54 Prozent der Münchner gegen den Ausbau. Eine Schmach für die CSU, aber auch für die Münchner SPD.

Die Menschen gehen wieder auf die Straßen

Als es geschafft ist und der Sieg über das Establishment feststeht, jubeln alle und feiern bis in den frühen Morgen. Katharina Schulze, die nebenher noch ihren Abschluss an der Uni macht, steigt aufs Rad, fährt nach Hause und geht schlafen. Ein Jahr später zieht sie als Abgeordnete in den Landtag ein und wird, drei Jahre später, Fraktionschefin. Spezialgebiet: Innen- und Sicherheitspolitik.

Am Anfang wird sie ignoriert, wenn sie eine gute Rede hält, kommen CSUler und flüstern: „Tolles Outfit.“ Mittlerweile wird sie geachtet – und ihre Direktheit gefürchtet. Erst letztens, bevor der unionsinterne Streit um den Masterplan von Bundesinnenminister und CSU-Parteichef Horst Seehofer eskalierte, sollte das Parlament im bayerischen Landtag auf Antrag der CSU über diesen Plan reden und ihn unterstützen.

Auf dem Video der Sitzung sieht man Katharina Schulze am Rednerpult, wie sie mit wutfunkelnden Augen, aber exakt in den Fakten, die CSU attackiert. Sie zitiert den bayerischen Ministerpräsidenten Söder und den CSU-Generalsekretär Blume, die beide angegeben hatten, dass sie den Plan noch gar nicht kennen würden. Sie ruft: „Sie wollen einen Plan diskutieren, den sie gar nicht gelesen haben. Das ist verantwortungslos. Das ist eine Selbstentmachtung des Parlaments.“

Im Wirtshaus formuliert Katharina Schulze eine These, die von manchen erfahrenen CSU-Mitgliedern hinter vorgehaltener Hand zumindest nicht ausgeschlossen wird: „Die CSU verliert mit ihrem radikalen Asylkurs, der menschenverachtend und anti-europäisch ist, mehr Wähler, als sie gewinnen wird.“ Sollte sie recht behalten, würde es wirklich gefährlich für die mächtige Regionalpartei werden. Jedenfalls gehen auch jetzt in Bayern Menschen wieder auf die Straßen.

Eine Koalition mit der CSU: vorstellbar

Schulze sagt, sie hoffe, dass die Zeit der sehr partiellen Bürgerbeteiligungen und Bürgerproteste vorbeigehe und die Menschen wieder spüren, dass es nicht nur um die eigenen Vorgärten gehe, sondern um Demokratie, Europa, „um eine Grundhaltung“, die in Gefahr geraten sei. Dann sagt sie: „Wir werden jedenfalls einen klaren Haltungswahlkampf machen.“ Wer werteorientiert und pro-europäisch sei, der müsse die Grünen wählen.

Die vergangenen Monate haben in Bayern tatsächlich gezeigt, dass etwas in Bewegung geraten ist. Offenbar vertrauen viele Menschen ihrer CSU nicht mehr. In einer Forsa-Umfrage im Juli wurde gefragt, was das größte Problem in Bayern sei. Die Antwort, die die meisten darauf gaben, lautete: die CSU.

Söders „Kreuzerlass“ entzweit die Bevölkerung wie auch die Forderung, die christlich-soziale Prägung in den Verfassungsrang zu heben. Am stärksten aber mobilisiert die zweite Novelle des neuen Polizeiaufgabengesetzes, das der bayerischen Polizei schon bei „drohender Gefahr“ viele Eingriffsrechte ermöglichen soll. Mehr als 30 000 Menschen gingen dagegen auf die Straße – an vorderster Front des Unterstützerbündnisses standen Katharina Schulze und die Grünen. In wenigen Tagen wird ein noch größeres Bündnis aus politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen auf die Straße gehen. Es geht wieder um das Polizeiaufgabengesetz und die Asylpolitik der CSU.

Regieren will Katharina Schulze aber auch, daraus macht sie kein Geheimnis. Die Söders und Seehofers sind ihr zwar suspekt, aber grundsätzlich kann sie sich auch eine Koalition mit der CSU vorstellen. Nach den Käsespätzle sagt sie, dass sie nicht in die Politik gegangen sei, um am Spielfeldrand zu stehen.

Sie macht es wie immer. Nimmt sich das Mikro

Schulze ist schlau genug, nichts auszuschließen, wiederholt aber immer wieder, dass „im Moment mit dieser CSU und diesen Personen kein Staat zu machen ist“. Allerdings haben die Grünen auf einem Landesparteitag sogar darüber abgestimmt, wie lange mögliche Koalitionsverhandlungen dauern dürften. Falls es dazu käme, hat der Landesparteitag ebenfalls beschlossen, dass am Ende ein Parteitag über ein solches Regierungsbündnis abstimmen müsste.

Dass es Katharina Schulze weder an Selbstbewusstsein noch an inhaltlicher Kompetenz mangelt, um Regierungsverantwortung anzustreben, kann man am Abend im luxuriösen Hotel Bayerischer Hof beobachten. Unter dem Dach und mit Blick auf München findet eine Diskussionsrunde des Verbandes der Freien Berufe zur aktuellen Politik statt. Es ist ein bürgerliches, liberales Klientel, das sich hier versammelt hat. Aber das ist Schulze egal, sie macht es wie immer. Als alle Diskutanten über die neue Datenschutzrichtlinie mosern, weil sie ein Bürokratiemonster sei, nimmt sich Schulze das Mikro und sagt: „Die Datenschutzrichtlinie ist doch ein großartiges Gesetz. Es ist doch toll, dass die Daten wieder uns gehören.“

Da erhebt sich ausgerechnet ein ehemalige Wirtschaftsminister Bayerns, es ist der FDP-Politiker Martin Zeil. Zeil sagt, die Empörung sei scheinheilig, schließlich sei lange bekannt, dass die Richtlinie komme. Dann: „Frau Schulze hat vollkommen recht.“ Er zitiert noch aus einer Anfrage im Landtag, die beweist, dass es so gut wie keine Beschwerden wegen der Richtlinie gibt. Die Anfrage stammt von den Grünen.

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