Proteste in Berlin: Marzahn macht mobil - gegen Asylbewerber
Auf einmal sind sie sich einig, Rechtsextreme und normale Bürger: Flüchtlingsheime wollen wir hier nicht. Was die einen bestürzt, nutzen die anderen aus. Für eine Mobilmachung in Sachen Fremdenhass. So erwartet die Polizei das Schlimmste für diesen Samstag in Marzahn.
Die kleine Dame schaut eindringlich. Sie zieht an der Hundeleine. „Wir wollen unsere RU-HE“, sagt sie schließlich. Sie meint: Ruhe vor den Fremden, die in ihren Kiez ziehen sollen. Ruhe vor Flüchtlingen. Der Hund zieht, er will auf die andere Straßenseite, zu einem überwucherten Fußballplatz. Dorthin, wo in ein paar Monaten sechs Container mit Wohnungen für Flüchtlinge aufgestellt werden sollen. Seit drei Wochen demonstrieren hier in Marzahn Rechtsextreme dagegen – gemeinsam mit aufgebrachten Anwohnern.
Dass die Leute protestieren, kann die alte Dame verstehen, selbst wenn sie nicht an den Demonstrationen teilgenommen hat. „Asylanten gehören einfach nicht hierher“, sagt sie. Dann gibt sie ihrem Hündchen nach.
Der eingezäunte Fußballplatz liegt in der Schönagelstraße im Norden von Marzahn. Eine der wenigen Straßen, in denen Einfamilienhäuser stehen, nicht riesige Wohnblöcke. An diesem Samstag wollen Rechtsextreme wieder protestieren, auf dem nahen Blumberger Damm. Mehr als Tausend von ihnen werden erwartet. Das Motto der Demo: „Gemeinsam sind wir stark.“ Dieselbe Parole, die Hooligans bei der Demo gegen Salafisten in Köln riefen.
Die Proteste werden zentral gesteuert
Keine drei Kilometer Luftlinie entfernt gab es bereits vor eineinhalb Jahren Proteste von Rechten gegen das Asylbewerberheim in Hellersdorf. Auch in Köpenick und in Buch wird gegen Flüchtlinge demonstriert. Überall tragen die Rechten das gleiche Fronttransparent mit dem Spruch: „Wache auf! Handeln statt klagen.“ Die Proteste werden zentral gesteuert. Und überall schließen sich Anwohner an.
Für den Aufmarsch am Samstag aber befürchten Sicherheitsbehörden nicht nur, dass Anwohner Seit an Seit mit Neonazis marschieren. Intern wird von einer Generalmobilisierung der Neonazis und rechten Hooligans in Berlin, Brandenburg und darüber hinaus gewarnt. Ein Wort fällt: Militanz.
Schon bei den Protesten in den vergangenen Wochen waren Szenegrößen zu sehen. Die Neonazis, besonders die am Boden liegende NPD, hoffen wohl auf Aufwind für ihre Bewegung. Das Thema Asyl eint die Szene, NPD-Leute, die Splitterpartei „Die Rechte“, freie Kameradschaften und Hooligans. Ihr gemeinsames Ziel: Anschluss finden an die verunsicherten Bürger, ob in Marzahn, Buch oder Köpenick. Weitverbreitete Ressentiments und Ängste vor Fremden ausnutzen.
Mehr als ein Drittel aller Deutschen haben „große oder sehr große Probleme“ mit einem Heim in ihrer Nachbarschaft. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. Als Grund nennen 44 Prozent derjenigen „erhöhte Kriminalität“ oder „Unsicherheit“, 31 Prozent „Krach“ und „Unruhe“. Zehn Prozent sorgen sich, ihre Immobilie könne an Wert verlieren. Die Polizei betont zwar, dass die Kriminalität im Umfeld von Flüchtlingsheimen nicht steige; Immobilienmakler erklären, ein Asylbewerberheim in der Nähe einer Wohnung verringere deren Wert nicht. An den Ängsten der Menschen aber ändert das nichts.
„Man muss doch verstehen, dass wir sauer sind“, sagt ein weißhaariger Mann in Marzahn. „Wir leben hier ganz friedlich – und dann das.“ Er wohnt in einem der Hochhäuser gleich um die Ecke. Er sagt, man wolle hier einfach keine Zustände wie in Kreuzberg, „wo die Asylanten den Leuten frech auf der Nase herumtanzen“. Asylanten seien Bittsteller und so müssten sie sich auch verhalten. Natürlich hätten manche von ihnen viel gelitten, „aber wir haben es auch nicht leicht“.
Von der Politik fühlt man sich nicht ernst genommen
Von den Politikern fühlt er sich übergangen. Er findet, er habe das Recht, mitzureden, ob, wann und wo ein Flüchtlingsheim im Bezirk Platz hat. Als er vor ein paar Tagen ein Flugblatt im Briefkasten fand, auf dem zu einer Diskussion über das Heim eingeladen wurde, freute er sich. Bis er erfuhr, dass der Zettel gar nicht vom Bezirksamt kam, sondern von den Rechtsextremen. Mit denen will er nichts zu tun haben, ein Nazi sei er schließlich nicht.
Carl Chung, Leiter des Mobilen Beratungsteams Ostkreuz, glaubt nicht, dass die Neonazis bei den Anwohnern ankommen. Es gebe zwar viele mit Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen und irrationalen Ängsten. „Doch sie distanzieren sich eher von diesen Rechtsextremen und sagen lieber nichts.“
Helfer haben Angst
Auch Stephan Jung kennt die Klagen der Anwohner. Er wohnt nicht weit vom Flüchtlingsheim in der Hellersdorfer Carola-Neher-Straße. Als dort im vergangenen August gegen das Heim protestiert wurde, gründete er mit anderen den Verein „Hellersdorf hilft“, er wollte die Flüchtlinge willkommen heißen. In diesem August hat der Verein dann die bunt dekorierte Begegnungsstätte Laloka am verwahrlosten Kastanienboulevard eingerichtet, einem Ort, an dem sich Anwohner mit den Flüchtlingen aus dem benachbarten Asylbewerberheim treffen können.
An diesem Donnerstagnachmittag ist das Lokal geschlossen, wie oft in den vergangenen Tagen. Die Leute von „Hellersdorf hilft“ haben gerade kaum Zeit für die Flüchtlinge. Sie sind vor allem damit beschäftigt, den Protesten gegen das Asylbewerberheim in Marzahn entgegenzutreten. „Hellersdorf hilft“ hat an den vergangenen beiden Montagen gegen die rechtsradikal unterwanderten Demos in Marzahn protestiert. Sie haben auch zu der Gegendemo an diesem Samstag aufgerufen. „Der Protest gegen die Rechten hat gerade absolute Priorität“, sagt Jung.
Wenn er nicht bei den Demos ist, spricht er in Marzahn von seinen Erfahrungen in Hellersdorf. Er möchte die Menschen für die Situation der Flüchtlinge sensibilisieren, er will, dass die Anwohner verstehen, dass man die Asylbewerber willkommen heißen muss – gerade wenn sie in ungemütlichen Containern untergebracht werden. Kürzlich hat er versucht, mit zwei jungen Frauen zu reden, die gegen das Heim demonstrierten. „Sie konnten nicht verstehen, wieso ich mich für Geflüchtete einsetze“, erzählt er enttäuscht. „Sie wiederholten immer wieder, dass der deutsche Staat kein Geld für Ausländer ausgeben sollte, sondern nur für Deutsche.“ Er habe keine Chance gehabt, die Frauen mit Argumenten zu erreichen.
Viele wollen helfen -haben aber Angst vor den Rechten
Ein paar Sportvereine aus Marzahn haben sich immerhin schon bei „Hellersdorf hilft“ gemeldet, sie wollten wissen, wie sie die Flüchtlinge unterstützen können. „Leider zögern sie aber, sich offen für die Flüchtlinge zu positionieren. Sie haben Angst vor den Rechten im Bezirk.“ Auf Videos von den Protesten an den vergangenen Montagen sind grölende glatzköpfige Männer zu sehen. Auch wenige Frauen sind dabei. Sie alle rufen: „Unsere Straße und unser Land, maximaler Widerstand.“ Ein Redner brüllt durch die Lautsprecher, hier und in Buch seien Bürger für ihr Recht auf der Straße, „ihre Heimat frei von Asylanten zu haben“. Einer hält einen Schal über seinen Kopf, darauf das Signum der Neonazi-Hooligan-Band „Kategorie C“. Stephan Jung sagt, er habe Hooligans erkannt und das Rudolf- Heß-Lied gehört.
Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf ist bekannt als Hochburg der Rechten. Bei der vergangenen Bundestagswahl erzielte die NPD im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 3,9 Prozent der Stimmen, ihr bestes Ergebnis in ganz Berlin und fast eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr. Im Wahlbezirk 617, in dem das Hellersdorfer Asylbewerberheim liegt und wo die Partei noch am Wahltag protestierte, erhielt die NPD sogar 11,9 Prozent der Erststimmen und 10,4 Prozent der Zweitstimmen. Das ist der Bodensatz, der bei den Protesten gegen Flüchtlingsheime mitläuft, oder wie Carl Chung vom Mobilen Beratungsteam es nennt: Menschen mit Affinität zur rechten Szene. „Jetzt“, sagt er, „geht die Szene zur Mobilisierung über.“
In Marzahn werden heute nicht nur tausend Rechte erwartet, sondern noch mehr Linke, aber auch bürgerliche Gegner der Rechten. Insgesamt sind neun Gegendemonstrationen angemeldet, die meisten von demokratischen Parteien. An einer nimmt Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) teil. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagt: „Am Samstag wird Berlin Haltung zeigen und sich den dumpfen Hassparolen und der plumpen Stimmungsmache des rechtsextremen Mobs friedlich, aber beherzt entgegenstellen.“
Auch Stephan Jung sagt: „Es ist falsch, dass gerade der Eindruck erweckt wird, bei der Demo am Samstag protestierten Linksradikale gegen Rechtsradikale. Wir repräsentieren die Zivilgesellschaft.“ Doch die Angst der Anwohner kann er nicht so leicht zerstreuen. Eine alte Dame, die am Donnerstagnachmittag ihren Vorgarten in Marzahn winterfest macht, nur 50 Meter von dem künftigen Standort der Container, sagt: „Die Ausländerpolitik dieser Stadt schürt doch Rassismus. Wenn die Asylanten in diesen Containerdörfern unter uns leben, werden sie sich niemals integrieren können.“
Das Problem ist kein Marzahner Problem
Carl Chung vom Mobilen Beratungsteam sieht noch eine ganz andere Gefahr. Dass die Rechtsextremen zu Protesten mobilisieren, dass es Gegendemonstrationen gibt – aber zwischen diesen Fronten die betroffenen Anwohner gar nicht mehr gehört werden. Dass sie sich nicht vertreten fühlen, nicht einmal von den Demokraten. Dass sie schweigen. Und sich ein Bild von Marzahn festsetzt, wie die Rechten es gerne hätten.
Dabei ist all dies, wie gesagt, nicht mal ausschließlich ein Marzahner Problem. Im Allendeviertel, wo Köpenick sich kurz vor dem Müggelsee noch einmal zu einem Plattenbauviertel auftürmt, sind Asylbewerber in einem früheren Seniorenheim in der Salvador-Allende-Straße in der Nachbarschaft überwiegend freundlich aufgenommen worden. Aber jetzt wird im neueren Teil des Viertels, kurz hinter der Endhaltestelle des letzten Busses vor dem Wald, ein ganzes Containerdorf gebaut. „Ganz mies“ sei die Stimmung, berichtet eine ältere Frau, die 1982 mit den ersten Bewohnern hier eingezogen ist. „Jeden Tag stehen die Leute fassungslos vor dem Grundstück und schauen zu, wie die Bäume gefällt werden. Sonst wird um jeden Baum wochenlang diskutiert, aber hier machen die Baumaschinen sofort alles platt.“
Das direkte Nachbargrundstück ist ein Kindergarten, ein paar Schritte weiter steht eine von zwei Schulen aus den 1980ern komplett leer. Die Leute hätten gern gewusst, warum man nicht lieber die umbaut. Oder eines der vielen anderen Gebäude von Land und Bezirk, die in der Umgebung seit Jahren vor sich hin gammeln. Aber sie erfahren es frühestens am 1. Dezember, wenn die erste Bürgerversammlung ansteht. Neun Tage später soll eine weitere folgen. „Die wollen die Leute vor vollendete Tatsachen stellen“, sagt eine Frau, die hinzugekommen ist. „Unter Demokratie stellt man sich eigentlich was anderes vor – gerade als Ostdeutscher.“
Die Freundlichkeit, die sich – maßgeblich organisiert übrigens vom früheren Chef der DDR-Jugendorganisation FDJ – den Bewohnern des ersten Heims gegenüber gezeigt habe, werde es hier garantiert nicht geben, sagen die Leute am Zaun. Gerade hatten sie wieder einen Zettel mit einem Demo-Aufruf im Briefkasten: „Handeln statt Klagen, Nein zum Asylcontainerdorf im Allendeviertel“, stand darauf.
Ein weiterer Rentner, Wissenschaftler im Ruhestand und weit gereist, kommt hinzu. Er würde jederzeit gegen das Containerdorf demonstrieren, sagt er – aber selbstverständlich werde er es nicht wirklich tun. „Weil ich dann zwischen den NPD-Leuten stehen würde.“ Vielleicht beschreibt das die Katastrophe am besten: dass die Nazis und die ganz normalen Bürger sich plötzlich einig sind. Die Dumpfbacken und die Gescheiten. „400 Leute mit all diesen Schicksalen sind auch einfach zu viel“, sagt die Frau am Zaun. „Was hier passiert, ist nicht nur unüberlegt, das ist ein Skandal.“