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Angekommen. Margarete Koppers ist auf ihrem beruflichen Weg selten etwas geschenkt worden. Sie sagt: „Ich bin kein Typ, der aufgibt.“ Foto: Imago/Olaf Wagner
© imago/Olaf Wagner

Justiz in Berlin: Margarete Koppers - die neue Generalstaatsanwältin

Viele sahen in ihr die heimliche Polizeichefin. Doch den Titel bekam Margarete Koppers nie. Jetzt wird die 56-Jährige Chefanklägerin in Berlin. Es war ein steiniger Weg an die Spitze - bequemer wird es künftig nicht.

Hier, in diesem neobarocken Palast des Rechts, soll eine Gesetzesbrecherin künftig an der Spitze stehen? Eine Chefin, gegen die in ihrer eigenen Behörde ermittelt wird? Eine Juristin, die Mitverantwortung dafür trägt, dass Polizisten in Schießständen wegen giftiger Schwermetalle erkrankten oder gar gestorben sind? So zumindest stellt es sich dar, wenn man die Feinde von Margarete Koppers reden hört. Körperverletzung durch Unterlassung wird der amtierenden Polizei-Vizepräsidentin vorgeworfen, weil sie die Missstände seit 2011 kannte, aber nicht dagegen vorging.

Ab 1. März wird der wuchtig-preußische Bau am Schöneberger Kleistpark Margarete Koppers’ neuer Arbeitsplatz. Hier residiert das Kammergericht und unterm Dach die Generalstaatsanwaltschaft. Berlins neue Chefanklägerin wird täglich durch die respekteinflößende Eingangshalle laufen, die sich vier Etagen hoch wölbt, vorbei an steinernen Hüterinnen des Rechts, die Schwert und Gesetzbuch halten, um zu richten und zu rechten.

Ganz nach oben – für Koppers war es ein langer und beschwerlicher Weg. Auch das neue Amt wird sie meistern. Der 56-Jährigen ist selten etwas geschenkt worden, und vielleicht wirkt sie deshalb in ihrem Büro im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke recht gelassen angesichts der bösen Vorwürfe. Koppers, eine schlanke Frau, dezent elegant gekleidet, mit Perlenkette und halblangen blonden Haaren, sagt: „Ich bin kein Typ, der aufgibt.“ Dazu lächelt sie ihr Lächeln, das ihr zuweilen den Vorwurf einbrachte, arrogant zu sein.

Viel einfacher wird es Koppers auch in Zukunft nicht haben. Wie schon in der Polizei wird die Chefanklägerin in der Führungsetage ziemlich allein unter Männern sein. Noch nie stand eine Frau an der Spitze der Behörde, die 1200 Mitarbeiter hat, davon 340 Staatsanwälte. Bei ihr liegt die Zuständigkeit für die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Die Konflikte, die so nur Frauen auszufechten haben, werden sich gleichen. Immer noch gelte, so sagte Koppers, „alles, was sie falsch machen, machen sie nur deshalb falsch, weil sie Frau sind“. Abgehalten hat sie das noch nie, auszuhalten und dagegen anzukämpfen.

In ihrem Büro hängen Bilder aus Afrika, das sie einst mit Rucksack und Zelt bereiste. Eine Wand hat sie orangerot streichen lassen, sie versteht das auch als Botschaft. „Ich habe Farbe in die Polizei gebracht“, sagt sie, die mit einer Frau zusammenlebt. „Die Behörde ist heute deutlich bunter und vielfältiger.“

Heimliche Polizeichefin

Frauenförderung, Diversity-Charta, mehr Polizisten aus Migrantenfamilien, mehr Sensibilität für interkulturelle Aufgaben, Social-Media-Projekte und Twitter-Kanal – all das gehört zum veränderten Bild einer bürgernahen Polizei, an dem Koppers in den vergangenen acht Jahren gearbeitet hat. „Ich bin eine Überzeugungstäterin“, sagt sie. Die Polizei habe einen „gigantischen Veränderungsprozess“ durchgemacht, permanent unter Reformdruck gestanden. Eines rechne sie Polizeipräsident Klaus Kandt, der sein Büro auf der anderen Seite des gemeinsamen Vorzimmers hat, hoch an. „Er hat mich neben sich groß sein lassen“, sagt Koppers. Noch nie habe sie mit einem Vorgesetzten so gut zusammengearbeitet.

So drückt sie das aus. Andere behaupten, dass Koppers seit Jahren die heimliche Polizeichefin war. Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber sagt, dass sie „knallhart ihr Ding durchgezogen“ und ihr eigenes Netzwerk an Vertrauten aufgebaut habe. Männer tun das auch, bei ihnen wird es kaum thematisiert. Es sei einmalig, sagt Schreiber, dass die Vizepräsidentin mehr Macht habe als der Polizeichef.

Tatsächlich wäre die im Rheinland geborene Juristin, die 1980 zum Jurastudium nach Berlin kam, gerne Chefin geworden. Als sie im März 2010 Vizepräsidentin wurde, hofften viele Beamte, dass die anpackende und durchsetzungsstarke Quereinsteigerin, die zuvor fünf Jahre Vizepräsidentin des Berliner Landgerichts war, sie in modernere Zeiten führen wird. Koppers suchte das offene Gespräch, konnte ansteckend lachen, ließ andere Meinungen zu und war das Gegenteil des ebenso verdienstvollen wie pingeligen Polizeichefs Dieter Glietsch. Der behielt sich jede noch so kleine Entscheidung selbst vor. „DWDS“ war das gefürchtete Kürzel für „Dieter will das so“.

Als Glietsch ein Jahr später in Rente ging und lange kein Nachfolger gefunden wurde, konnte sie sich durchaus Chancen ausrechnen. Eineinhalb Jahre lang machte sie als kommissarische Polizeichefin eine gute Figur. Erst unter Innensenator Ehrhart Körting (SPD), später – anfänglich harmonisch – mit CDU-Innensenator Frank Henkel. Sie war bei Einsätzen auf der Straße dabei. Die große Bewährungsprobe am 1. Mai, die ritualisierte Randale in Kreuzberg zu verhindern, bestand sie mit Bravour. Genau wie den Kampf gegen autonome Autozündler, als zeitweise jede Nacht Autos brannten. Auch öffentliche Auftritte meisterte sie mit Charme. Oft in Zivil, aber auch mit keck sitzender Polizeimütze, wie bei der Übergabe von neuen Motorrädern. Das brachte ihr in einer Zeitung die Überschrift „Polizeichefin der Herzen“ ein.

Angestauter Ärger

Hinter den Mauern des Präsidiums sah es nicht ganz so fröhlich aus. Anfangs verkörperte Koppers einen „Aufbruch“, sagt nicht nur der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber. Sie stehe für eine interkulturelle Öffnung und moderne Führungsansätze. Die Polizei ist weit liberaler geworden als früher, aber auch heute nicht ganz frei von einem gewissen Korpsgeist. Auch nicht davon, dass Beamte ihr persönliches Unbehagen ausdrücken, dass immer mehr Migranten Dienst tun.

Überlastung, fehlendes Personal, veraltete Computer, schrottige Ausrüstung, ein nicht funktionierender Digitalfunk und sanierungsreife Abschnitte, wo teilweise braunes Wasser aus maroden Leitungen fließt – all dieser Dinge wegen haben sich Enttäuschungen und Ärger auf Koppers angestaut. Dabei musste sie ausbaden, dass die Berliner Landesregierung die Polizei über lange Zeit kaputtgespart hat und es jahrelang keinerlei Neueinstellungen gab. Außerdem bis vor Kurzem einen riesigen Beförderungsstau, ein steter Quell des Frustes. Erst jetzt gibt es mehr Geld für Investitionen und für Personal.

„Empathie und Wertschätzung“, so erfährt man aus der Behörde, vermisse man von Koppers. Und manchmal fehle ihr Fingerspitzengefühl. Deswegen gab es empörte Reaktionen, als Polizisten zu Weihnachten eine Polizeistern-Ausstechform erhielten. Als ginge es um Kekse und nicht um handfeste Probleme. Angesichts ständiger Belastung und vieler Überstunden hätten sich viele eher eine Prämie gewünscht. Was als nette Geste gedacht war, ging völlig nach hinten los.

Im Büro steht eine große Topfpflanze, es liegen keine Aktenstapel herum, aber dafür sitzt auf dem Sideboard eine etwas ungeordnete Reihe von Stoffbären mit Polizeimützen – was am Ende des Tages so übrig bleibt. Die Kaffeemaschine steht hier, damit so etwas nicht das Vorzimmer erledigen muss. Es ist ein funktionales Arbeitsbüro, das Margarete Koppers zurücklassen wird. Dass die Pförtner unten am Eingang mit ihrem Namen gar nichts anfangen konnten, darüber lacht sie. Kein Anlass, an Mobbing zu denken – dort sitzen seit Kurzem keine Polizisten mehr, die man an anderer Stelle besser brauchen kann, sondern Mitarbeiter einer Fremdfirma.

Gewerkschafter sind empört

Koppers ist in der Riesenbehörde für Verwaltung und für Finanzen zuständig – also für alles, was außerhalb der polizeilichen Einsätze den Arbeitsalltag bestimmt. Anlässe, die Zielscheibe von Enttäuschung und Ärger zu werden, gibt es da genug. So wird ihr intern immer noch die Umsetzung des neuen Arbeitszeitmodells nachgetragen, das für die Polizisten den Abschied von lieb gewonnenen Zwölf-Stunden-Schichten und anderen Freizeitregelungen bedeutete – „familienfeindlich“ sei das. Beschlossen wurde es allerdings bereits vor ihrem Amtsantritt.

Gewerkschafter sind auch empört, dass der polizeiärztliche Dienst umgestellt wurde. Statt eines schweigepflichtigen Arztes steht nun ein Verwaltungsangestellter an der Spitze. Die Polizeigewerkschaft wertet das als Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern.

Die Neuordnung der sechs Direktionen kommt hinzu. Zugunsten einer zentralen Einsatzdirektion wurden denen zuvor zugeordnete Einsatzhundertschaften weggenommen. Dieser gefühlte Bedeutungsverlust der vormaligen „Fürstentümer“ hat manch höheren Beamten gegen Koppers aufgebracht – und auch die Gewerkschaften, weil die Personalvertretung dadurch kleiner wurde.

Dass nach der Wahl Ende 2011 in der SPD-CDU-Koalition Frank Henkel die Innenverwaltung übernahm, vernichtete damals ihre Chancen, dauerhaft Chefin der Behörde zu sein. „Ich habe nicht das richtige Parteibuch“, sagte sie Ende 2012 enttäuscht, als Klaus Kandt Deutschlands größte Polizei übernahm. Es ist von gewisser Ironie, dass Koppers damals Opfer sich wandelnder politischer Verhältnisse war – und nun Profiteurin.

In der obersten Etage des Kammergerichts wird zum Monatsende der bisherige Generalstaatsanwalt sein Amt übergeben. Ralf Rother, ein schmaler Mann mit scharfem Verstand und aufblitzender feiner Ironie, hat schon zweimal seinen Ruhestand aufgeschoben. Aufschieben müssen, weil das Auswahlverfahren sich über zwei Jahre hinzog.

Nie hat sie als Staatsanwältin gearbeitet

Die Ende 2015 von CDU-Justizsenator Heilmann eingesetzte Findungskommission konnte kein Ergebnis abliefern, weil Bewerberin Koppers monatelang krankgeschrieben war. Mancher mutmaßte politische Gründe; sie selbst schwieg. Gesund war sie erst wieder, als nach der Wahl 2016 Rot-Rot-Grün regierte und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eine neue Kommission berief – welche die Wunschkandidatin Koppers nominierte. Die CDU-nahe Konkurrentin, eine Brandenburger Abteilungsleiterin im Justizministerium und vormalige stellvertretende Generalstaatsanwältin, klagte. Doch die den Grünen nahestehende Koppers, die nie als Staatsanwältin gearbeitet hat, gewann in zwei Instanzen. Eine solche Berufserfahrung sei in der Ausschreibung auch nicht gefordert worden, befand das Gericht – was die Opposition darin bestärkt, dass die Auswahl „Grüner Filz“ und ein „schwarzer Tag“ für die Rechtskultur sei.

„Je mehr ich angekommen bin, umso mehr Widerstand“ habe sie erfahren, gibt Koppers zu. Darüber sei sie auch „weiser geworden“. Dass sie im Fokus von Kritik stehe, gehöre zu ihrer Rolle. Verletzt aber hat sie manch „bösartige und intrigante“ Attacke mit dem Ziel, „mir zu schaden“. Der Schießstand-Skandal dürfte dazu zählen. Viel spricht dafür, dass die gezielte Anschuldigung politisch begründet ist, zumal es der Konkurrentin nützte. Denn schon Mitte der 90er Jahre waren Missstände an den Schießständen bekannt – weit vor Koppers’ Zeit.

Merkwürdig auch, warum nicht auch gegen alle früheren Polizeichefs und Innensenatoren wie Frank Henkel ermittelt wird. Beamte registrieren wiederum verärgert, dass Koppers trotz der Ermittlungen ihr neues Amt antreten darf, während ansonsten für Polizisten bei jedem Ermittlungsverfahren bis zur Klärung ein Beförderungsstopp gilt.

Auch manche, die ihr wohlgesonnen sind – wie der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux, der sie verteidigt und betont, im Schießstand-Skandal habe Koppers sich als eine der Ersten mit dem Thema beschäftigt –, sprechen davon, dass Koppers manchmal „mit dem Kopf durch die Wand will“. Das gilt vielleicht auch für den Konflikt um die Polizeiakademie. Koppers’ Reform hat die frühere Landespolizeischule völlig umgekrempelt zugunsten von mehr praktischer Orientierung. Zugleich wurde Personal abgebaut. Statt mehrerer Lehrkräfte, die fest einer Klasse zugeordnet waren, gibt es ständig wechselnde Ausbilder – ein Problem bei stark steigenden Schülerzahlen, jeder zweite darunter aus einer Migrantenfamilie.

Der Stau der Fälle ist groß

Als anonyme Berichte über Disziplinmängel, das mangelhafte Deutsch von Schülern und ihre Verbindungen ins kriminelle Milieu öffentlich wurden, verneinte Koppers anfänglich Probleme. Von „Feindbildern in unseren Köpfen“ war die Rede. Beamte empfanden das als arrogant und fühlten sich unterschwelliger Fremdenfeindlichkeit beschuldigt. Jetzt aber wird es einen neuen Schulleiter geben.

Margarete Koppers hingegen wird sich bald als Chefanklägerin neben der Behördenleitung um besonders spektakuläre Verbrechen kümmern, auch um Terror- oder Spionageverfahren. Sie schweigt darüber, was sie im neuen Amt vorhat. Das sollen zuerst die neuen Mitarbeiter erfahren. Erwartungen begleiteten sie aber durchaus – etwa, dass sie die überlastete Behörde schlagkräftiger macht. 240 zusätzliche Stellen sind schon bewilligt.

Es sei vor allem der „Perspektivwechsel“, den sie einbringe, welcher der Staatsanwaltschaft guttun werde, ist aus der Polizei und der Politik zu hören. Koppers kenne die Praxis als Richterin und habe Erfahrung mit polizeilicher Ermittlungsarbeit, betont der Ex-Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Das sei enorm wertvoll. Immer wieder gebe es Konflikte zwischen Staatsanwälten und Richtern und den polizeilichen Ermittlern.

Staatsanwalt will in Berlin kaum jemand werden. Schlechte Arbeitsbedingungen, Überlastung und veraltete Technik prägen den Alltag. Die Stimmung ist mies, die Bezahlung auch. Theoretisch ist die Staatsanwaltschaft die „Herrin des Verfahrens“ – sie sagt der Polizei, was sie ermitteln soll, kann jederzeit Einblick in Ermittlungsergebnisse nehmen und entscheiden, ob Anklage erhoben wird. Tatsächlich ist der Stau der Fälle so groß, dass Staatsanwälte froh sind, wenn die Polizei alleine bis zur Anklagereife ermittelt. Amtsanwälte, die jährlich in mehr als 400 000 leichteren und mittleren Delikten wie Falschparken oder Raddiebstählen ermitteln, sind vor allem mit dem Einstellen von Verfahren beschäftigt, weil zu mehr die Kräfte nicht reichen. Ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat. Die nächste große Aufgabe für Margarete Koppers.

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