Pressefreiheit: Unter Aufsicht: Journalisten in Israel
Palästinensische Journalisten klagen über Repressalien durch Israel – doch auch israelische Medien unterliegen der Zensur. Israel rangiert auf der Liste "Feinde der Pressefreiheit" direkt hinter dem Iran.
Im achten Stockwerk des Al-Majid-Gebäudes in Bethlehem lehnt sich Nasser Al Laham nachdenklich in seinem Ledersessel zurück. Eine fast leere Schachtel Marlboros und der kalte Rauch, der von der Klimaanlage umgewälzt wird, zeugen von einer durchgearbeiteten Nacht. Nasser ist Chefredakteur der palästinensischen Nachrichtenagentur Ma’an News (MAN), für ihn die letzte Bastion der Pressefreiheit im Westjordanland. „Nur wir liefern noch unabhängigen Journalismus“, sagt er. Im Regal steht ein Foto von Mahmud Abbas, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde. Es scheint ihm stumm zu widersprechen. Parteiisch sei er schon, räumt Nasser ein. „Ich bin Araber, ich kümmere mich um meine Leute.“ Wenn er von seiner Heimat Palästina spricht, von Israel und der Besetzung, will er nicht leugnen, auf welcher Seite er steht. Sechs Jahre hat er in israelischer Gefangenschaft verbracht. Er gibt zu, wie schwer es ist, über seinen Feind fair zu berichten. „Aber wir versuchen es“, sagt Nasser. Man dürfe, so sagt er, die Menschen nicht vergessen und um des Friedens Willen nicht Regierung und Bevölkerung gleichsetzen.
Drei Millionen Menschen rufen die Seite der Nachrichtenagentur monatlich auf, nur Google hat in den palästinensischen Gebieten mehr Zugriffe. Die 300 Mitarbeiter haben mit TV- und Radioprogrammen und arabisch-hebräisch-englischen Onlineangeboten das Nachrichtenmonopol im Westjordanland. „Wenn wir sagen, dass es eine Chance für Frieden gibt, werden die Leute uns glauben“, sagt Nasser. Doch er sieht diese Chance nicht. Schuld sei Israel: „Dort sind sie im Machtrausch ihrer militärischen Stärke.“ Als palästinensischer Journalist hat er mit einigen Schikanen zu kämpfen. Jerusalem kann er von seinem Büro aus fast sehen, besuchen kann er die Stadt nicht. Ein meterhoher Betonwall mit einer Krone aus Stacheldraht trennt die beiden Völker. „Um trotzdem berichten zu können, arbeiten wir mit Israelis und Ausländern zusammen“, sagt Nasser. „Auch mit Juden.“ Besonders das israelische Militär behindere Journalisten bei ihrer Arbeit. Nach Gaza dürften sie keine Reporter entsenden, sagt Nasser. „Und die Bilder, die uns die Armee liefert, taugen nur für Hollywood. Sie zeigen nicht, was wirklich geschieht.“ Wer trotzdem kritisch berichtet, müsse mit Repressalien rechnen. Erst am 12. Januar wurde dem Chef der englischen Abteilung von Ma’an News, Jared Malsin, die Einreise nach Israel verweigert. Nach Malsins Angaben wurde er am Ben-Gurion-Flughafen verhaftet und nach acht Tagen in die USA abgeschoben. Als Grund seien „Sicherheitsbelange“ angegeben worden. Eine Beschwerde von Ma’an News blieb wirkungslos.
Wegen solcher und ähnlicher Vorfälle landete das israelische Militär im Bericht von Reporter ohne Grenzen im Jahr 2010 auf Platz 34 der „Feinde der Pressefreiheit“ – direkt hinter dem Iran. In Israel ist Zensur sogar ein offizieller Bestandteil der Medienlandschaft. „Für den Fall, dass ein direkter Konflikt zwischen der Pressefreiheit und der staatlichen Sicherheit existiert, steht laut dem Obersten Gerichtshof die Sicherheit über der Pressefreiheit“, sagt die Chefin der Zensurbehörde, Sima Vaknin-Gil. Nachrichten über ein mögliches israelisches Atomprogramm oder Truppenbewegungen dürfen nicht veröffentlicht werden. Fast alle israelischen Medien reichen fragliche Berichte deshalb bei der Behörde zur Prüfung ein – freiwillig. Doch wird ein Beitrag nicht geprüft und es stellt sich später heraus, dass sensible Daten veröffentlicht wurden, muss der Verfasser mit juristischen Konsequenzen rechnen.
Die meisten Medien haben sich mit der Zensur arrangiert. Glaubt man der Jerusalemer Journalistin Orly Halpern, kommen sie ihr sogar zuvor. „Sie bringen einfach keine Themen, die Israel schlecht dastehen lassen könnten“, sagt sie. Diese Form der Selbstzensur werde von dem ROG-Bericht nicht erfasst. Im Gegensatz zu den palästinensischen Journalisten kann Halpern die Grenze passieren. Sie berichtet häufig über das Westjordanland und Gaza. Ihre Website, „Painful Truths Told“, hat sie mit einem „Hinweis“ versehen: „Hier finden Sie keine Kopie einer Stellungnahme des Außenministeriums“. Ein Seitenhieb auf die Kollegen der israelischen Medien, die ihrer Meinung nach nicht ausgewogen berichten. Kein Artikel, keine Sendung beschäftige sich wirklich mit dem Leid der Palästinenser. David Witzthum, Chefredakteur des israelischen öffentlich-rechtlichen Senders Channel 1, sieht das anders. Es werde nichts zurückgehalten, sagt er. „Die Öffentlichkeit weiß genau, was im Westjordanland und in Gaza geschieht. Aber es berührt sie nicht.“ Mit jedem Bericht über Raketen, die auf israelischem Boden einschlagen, stumpfe sie weiter ab.