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Weg in den Krieg. Hunderte Bosnier schlossen sich dem IS an, um in Syrien oder dem Irak zu kämpfen.
© Ruben Neugebauer

IS-Rekrutierung in Bosnien: Im Hinterland

Schwarze Flaggen wehen in dem Bergdorf. An den Wänden prangt das Logo des „Islamischen Staats“. Bosnien ist heute eine der größten Rekrutierungsstellen für die Terrormiliz. Eine Spurensuche.

Die Reifen rotieren im Schlamm. Der Weg in das abgelegene nordbosnische Bergdorf Gornja Maoca ist kurvenreich. Ein Ortseingangsschild gibt es nicht in der Siedlung, in der die notdürftig hochgezogenen Häuser schon wieder zerfallen. Auch keine Geschäfte. Aber es gibt eine Wand, auf die das Wappen des „Islamischen Staats“ gemalt ist.

Selbst ohne Handyempfang spricht sich schnell herum, dass Journalisten im Ort sind. Hektisch werden die schwarzen Flaggen des IS von den Häusern entfernt. An einer Fassade steht mit schwarzen Buchstaben auf weißem Grund das islamische Glaubensbekenntnis – eine Variante der Fahne des „Islamischen Staates“. Zwei Kinder nehmen spitze Steine zur Hand, um die Farbe vom Stein zu kratzen. Innerhalb von zwei Minuten ist es verschwunden.

Ein Mann, der sich als Edis Bosnic vorstellt, versucht die hektischen Aufräumaktion zu erklären: „Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun. Sie haben das Dorf verlassen, wir wissen nicht wohin“.

1000 Personen sollen heute in Irak oder Syrien kämpfen

Bosnien ist einer der größten Rekrutierungsstellen des IS in Europa. Experten schätzten, dass mindestens 1000 Personen aus der Balkan-Region zum Kämpfen nach Irak und Syrien zogen. Hinzu kommen Bosniaken, die inzwischen deutsche, österreichische oder serbische Staatsbürger sind. Als wichtigstes Anwerbezentrum gilt Gornja Maoca. Bereits im Dezember letzten Jahres wurden Einwohner des Dorfes bei einer Razzia festgenommen. Anfang Februar durchsuchten erneut Spezialeinheiten das Dorf. Es wurde über Terrorcamps nahe der Siedlung spekuliert.

Edia Bosnic, der wirkt wie der inoffizielle Pressesprecher der wahabitischen Gemeinde in Gornja Maoca, ist rund 35 Jahre alt, der lange dunkle Bart macht es schwierig, das Alter genau zu schätzen. Er ist leicht übergewichtig, trägt eine unauffällige Brille ohne Ränder und eine muslimische Gebetsmütze. Nachdem alle Zeichen des „Islamischen Staates“ verschwunden sind, wirkt er deutlich entspannter. Sein Englisch ist fließend, sein Bosnisch eloquent. Fotografiert werden möchte er nicht: „Ich habe eine Frau und zwei Kinder, mein Traum, berühmt zu werden, ist schon lange ausgeträumt“, scherzt er.

Ein Blick auf Bosnics Twitter-Account zeigt, dass er 55 Profilen folgt. Die meisten davon werben für eine streng wahabitische Auslegung des Islams. Eines der Profilbilder ist schlicht die IS-Fahne, andere Profile sind islamistische Newsseiten. Er favorisiert einen Tweet, der Kämpfer des „Islamischen Staats“ im Einsatz in Syrien zeigt. Viele Bosnier, die nach Syrien und in den Irak gehen, kommen nicht aus streng islamischen Familien, sondern wurden über das Internet radikalisiert. Auch in Bosnien-Herzegowina wissen IS-Sympathisanten, wie wichtig das Internet für die Rekrutierung ist. Er sei kein Radikaler, sagt Bosnic dennoch. „Wir versuchen hier in Ruhe den Islam zu leben, die viele Aufmerksamkeit der Presse gefällt uns nicht. Es gibt hier keine Terroristen, nirgends.“

Die Polizei vermutet in Gornja Maoca Werber für den Terror

Suad Hasanovic ist da anderer Meinung. Er ist einer der Hauptverantwortlichen für die Razzien im Februar und Mitglied der bosnischen Spezialkräfte Sipa. Er recherchierte zu den Polizeioperationen „Damaskus 1“ und „Damaskus 2“, bei denen Dutzende Islamisten festgenommen wurden: „Wir vermuten in Gornja Maoca Rückkehrer, die Dschihadisten für Syrien und den Irak werben,“ sagt Suad Hasanovic.

Nicht alle in Bosnien befürworten die Einsätze. Armin Krzalic ist Direktor des bosnischen Zentrums für Sicherheitsstudien und kritisiert die Praxis der Behörden: „Die Operation Damaskus hat niemandem geholfen, sondern aus den Festgenommenen Helden gemacht.“ Die Polizeistrategie hält Krzalic schon deswegen für falsch, weil Gefängnisse sich bestens für die Radikalisierung und Rekrutierung eignen, bestes Beispiel dafür sei der selbsternannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi. Krzalic meint: „Wenn sie einen Islamisten ins Gefängnis stecken, dann kommen zehn wieder raus“. Abseits von klassischer Polizeiarbeit seien jedoch bislang keine Strategien entwickelt worden.

Wie der radikale Islam nach Bosnien kam

Weg in den Krieg. Hunderte Bosnier schlossen sich dem IS an, um in Syrien oder dem Irak zu kämpfen.
Weg in den Krieg. Hunderte Bosnier schlossen sich dem IS an, um in Syrien oder dem Irak zu kämpfen.
© Ruben Neugebauer

Die Taten der Männer aus Gornja Maocas erzählen eine eigene Geschichte. Am 28. Oktober 2011 eröffnete Mevlid Jasarevic mit einer AK-47 das Feuer auf die US-Amerikanische Botschaft in Sarajevo und schrie dabei „Allahu Akbar“. Der junge Mann, der zuvor in Gornja Maoca lebte, verletzte bei dem Terroranschlag zwei bosnische Polizisten, bevor er von Sicherheitskräften niedergeschossen wurde. Er überlebte und wurde von einem bosnischen Gericht zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Jasarevic ist wie viele Einwohner seines Dorfes Anhänger des Wahabismus, einer ultrakonservativen Glaubensrichtung des Islam, die vor allem in Saudi-Arabien verbreitet ist und seit dem Bosnienkrieg vermehrt Anhänger in der Region findet. Tausende Mudschaheddin kamen damals aus Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten, um auf Seiten der bosnischen Muslime zu kämpfen.

Nach dem Krieg entstanden islamistische Enklaven im Land, auch weil viele ausländische Dschihadisten in Bosnien blieben. Viele der Mudschaheddin brachten Kampferfahrung aus Afghanistan mit. Unter ihnen waren auch Al-Kaida Anhänger, die von Osama bin Laden nach Bosnien geschickt worden waren. Im August 1993 formten sie die Einheit „El Mudžahid“. Sie machten von sich reden, weil Sie ihren Gegnern die Köpfe abtrennten und mit ihnen Fußball spielten.

Die Netzwerke aus dem Krieg sind weiter aktiv

Die islamistischen Netzwerke aus dem Bosnienkrieg sind weiterhin aktiv und stehen heute dem „Islamischen Staat“ zur Verfügung. Damals reisten viele Islamisten über Wien nach Bosnien, um auf der Seite ihrer Glaubensbrüder zu kämpfen. Heute machen viele Bosnier eine Zwischenstation in Wien, bevor es über Istanbul in die Gebiete geht, die vom „Islamischen Staat“ kontrolliert werden.

Religiöser Führer der wahabitischen Gemeinde in Gornja Maoca war lange Zeit Nusret Imamovic. Laut Angaben der bosnischen Spezialpolizei Sipa warb er seit 2012 um Dschihadisten für den Syrienkrieg. Imamovic verließ Bosnien-Herzegowina illegal am 28. Dezember 2013, um sich den sunnitischen Al-Nusra Brigaden in Syrien anzuschließen. Seit 2014 steht er auf der Terrorliste der USA.

Die Lebensrealität der Menschen in Gornja Maoca hat mit dem restlichen Bosnien-Herzegowina kaum noch etwas gemein. Zu spüren ist das am deutlichsten an seinen Einwohnerinnen. Die Frauen sind vollverschleiert und dürfen nicht mit Fremden sprechen. Zwei von ihnen spannen einen Regenschirm auf und blicken minutenlang mit dem Gesicht gegen eine Wand, damit sie nicht fotografiert werden können. Einige der Männer werden aggressiv und drohen: „Wenn wir Bilder von uns im Internet finden, dann bekommt ihr große Probleme“. Sie zeigen mit ihrem Finger auf den Hals und machen eine Geste, als würden Sie ihn aufschneiden wollen. Es kam bereits häufiger zu Zwischenfällen, bei denen Journalisten in Gornja Maoca angegriffen wurden. Heute jedoch ist auch eine Polizeistreife vor Ort.

Edis Bosnic bleibt gelassen. Er bittet die Drohenden sich zurück zu nehmen und entschuldigt sich höflich: „Sie müssen verstehen, wir haben in letzter Zeit große Probleme mit den Medien. Sie lügen, weil sie Schlagzeilen wollen. Die stellen uns dar, als seien wir alle Mörder und Verrückte.“ Edis Bosnic lächelt.

Das Problem des Islamismus in Bosnien ist jedoch nicht nur Sache abgelegener Bergdörfer. 150 Kilometer südlich von Gornja Maoca liegt die Hauptstadt Sarajevo. Hier wird in Gaststätten neben den Moscheen Schweinefleisch gegessen und Bier getrunken. Katholische und orthodoxe Kirchen befinden sich unweit von Synagogen und Moscheen. Etwa sieben Kilometer Talkessel trennen die osmanisch geprägte Altstadt von den kommunistischen Blockbauten Neu-Sarajevos. Die Hochhäuser wurden im ehemaligen Jugoslawien hochgezogen. Ein 20 Stockwerke hoher Block steht neben dem nächsten. Dort, wo 1984 das olympische Dorf stand, sind die Blockfassaden noch übersät mit Einschusslöchern aus dem Bosnienkrieg. Aus den Ruinen des Kriegs wuchs das neue Bosnien-Herzegowina.

2000 entstand hier die größte Moschee Südosteuropas

In Titos Neu-Sarajevo gab es keine prächtigen Gotteshäuser. Im Jahr 2000 wurde hier mit Geldern aus Saudi-Arabien die größte Moschee Südosteuropas fertig gestellt. Die König-Fahd Moschee gilt als eine Hochburg der wahabitischen Szene des Landes.

Der Pförtner dieser Moschee ist Elvir Rizvic. Er geht gerne zu Fußballspielen und ab und an auch in die Kneipe. Stolz führt er interessierte Besucher durch das Gebäude: „Früher gab es hier gar keine Moschee, jetzt finden hier an Ramadan bis zu 4000 Menschen Platz.“ Die Vorwürfe, dass es sich um eine Hochburg der Islamisten handelt, kennt er und winkt ab: „Sehe ich für euch etwa aus wie ein Islamist? Das ist alles Unsinn.“ Viele der Moscheebesucher sind gemäßigte Muslime. Dennoch kamen viele der bosnischen Dschihadisten zum Gebet hierher. Die wahabitische Ausrichtung des Islam, die hier gelehrt wird, hat wenig mit der moderaten hanafitischen Tradition in Bosnien-Herzegowina gemein. Es waren vor allem Gelder aus den Golfstaaten, die eine neue Interpretation des Islam nach Bosnien brachten.

Entfernt sich das Land weiter von Europa?

Weg in den Krieg. Hunderte Bosnier schlossen sich dem IS an, um in Syrien oder dem Irak zu kämpfen.
Weg in den Krieg. Hunderte Bosnier schlossen sich dem IS an, um in Syrien oder dem Irak zu kämpfen.
© Ruben Neugebauer

Sarajevo war bis zum 9. Februar auch der Arbeitsort von Mirsad Kebo, dem mittlerweile ehemaligen Vizepräsidenten des Landes. Das Interview, das er an diesem Tag gibt, ist eines der letzten in seiner Funktion als Vizepräsident. Zweimal schon hat er den Krebs besiegt und trainiert in seiner Freizeit Taekwondo. Um sich zu motivieren, klebt er die Gesichter ehemaliger Parteikollegen aus der SDA an den Boxsack, bevor er darauf einschlägt. Kebo hat der Staatsanwaltschaft tausende Seiten Dokumente überlassen, welche dabei helfen sollen, die Identität von ausländischen Kämpfern aus dem Bosnienkrieg und deren Kriegsverbrechen aufzuarbeiten. Von vielen Bosniaken wird ihm deswegen Verrat vorgeworfen. Doch er weist diese Vorwürfe zurück: „Ich habe niemals die Armee der Republik Bosnien-Herzegowina kritisiert. Ich spreche über die Verbrechen, die ausländische Islamisten im Krieg gegen Zivilisten begangen haben.“

Mirsad Kebo hat in den vergangenen Wochen die Seiten gewechselt. Laut eigener Aussage wollte er nicht mehr mit ansehen, wie das Land von seinen ehemaligen Parteifreunden der bosniakisch-konservativen SDA ausgebeutet wird und sich immer weiter von Europa entfernt. Er behauptet, dass es vor dem Bosnienkrieg 1992 keine Islamisten in Bosnien-Herzegowina gab. Der bosnische Islam sei tolerant und ein Teil Europas. Seine Vorwürfe sind brisant, weil Sie sich gegen amtierende Politiker richten. Die meisten davon Mitglieder der SDA, aus der er selbst 2013 ausgetreten ist: „Der Präsident Bakir Izetbegovic ist der Führer des Extremismus in Bosnien-Herzegowina. Die Kontakte zu den Mudschaheddin von damals bestehen bis heute.“ Warum er so lange geschwiegen hat, bevor er mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit ging? „Es war Krieg, und manche Dinge brauchen eben ihre Zeit. Es hat ja auch 25 Jahre gedauert bis zu Willy Brandts Kniefall in Warschau.“

Vier Dörfer sind in der Hand von Extremisten

Die Spezialkräfte der Sipa sprechen von vier Dörfern, die heute in der Hand extremistischer Wahabiten sind. Neben Gornja Maoca sind das Dubnica, Bosanksa Bojna und Osve. Keines der Dörfer hat mehr als 1000 Einwohner. Sie liegen entweder im Nordosten des Landes oder im äußersten Westen an der Grenze zu Kroatien – und somit auch der EU.

Vor dem Bosnienkrieg gab es auch in Gornja Maoca keine Islamisten. In dem Dorf lebten einst bosnische Serben, die aus Holz Gebrauchsgegenstände gefertigt haben. Von ihrer einstigen Anwesenheit zeugt heute nur noch ein serbisch-orthodoxer Friedhof in der Nähe des Dorfes. Nach dem Krieg verkauften die Serben ihre Häuser zu Spottpreisen. Angesiedelt haben sich dort arme Bosniaken, Mudschaheddin und Hilfsorganisationen aus den Golfstaaten. Weil der bosnische Staat nirgendwo aktiv war, fiel es den Islamisten leicht ihre Interpretation des Islam durchzusetzen.

Nach den Plänen des IS-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi soll der gesamte Balkan bis hinauf nach Wien dereinst auch Bestandteil des Kalifats werden, das die dschihadistische Terrororganisation Ende Juni in den eroberten Gebieten des Iraks und Syriens ausgerufen hat. In Gornja Maoca werden schon mal die Flaggen gehisst.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels. Die Recherche wurde finanziert durch das „Journalisten vor Ort“-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung und ein Reisestipendium von N-Ost.

Una Hajdari, Krsto Lazarevic

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