Hitzewelle und Trockenheit: "Ich bin seit 30 Jahren Förster, das tut weh"
Es ist eine der schlimmsten Trockenperioden in Brandenburg. Die Pflanzen verdorren, Waldbrände fressen sich durch das Land. Ob Förster, Bauer oder Kleingärtner – ihr Leben ist zu kurz, um sich an Ähnliches zu erinnern.
Hoffnungslosigkeit lässt sich in Worte fassen, zwei reichen: selbst wenn. Selbst wenn, sagt Jörg Dechow. Selbst wenn wider jede Wahrscheinlichkeit bald alles wieder gut würde und endlich einmal Wasser vom Himmel fallen sollte, was Dechow seit Monaten herbeiwünscht, gar nichts würde dann gut. Denn dann ist da immer noch der Befeuchtungswiderstand. „Die Böden haben Befeuchtungswiderstand entwickelt“, sagt Dechow. Die Böden sind längst so trocken, dass sie kaum nass würden, falls es regnen sollte. Aber es regnet ja nicht. Das einzige Wasser weit und breit ist salzig und schimmert an Dechows Nacken. Denn die Hundstage haben begonnen.
Die ersten, für viele besonders feindlichen, für viele aber auch besonders kostbaren jener Tage im Juli und August brechen an, es wird früh hell und spät dunkel. Dazwischen ist es heiß und an den Abenden immer noch so warm, dass sie sich anfühlen können wie ein Geschenk. Menschen hören auf, der Hitze wegen zu stöhnen, sie nehmen sie hin. Sie machen: nichts, wenn sie können. Sie gehen in den Schatten und abends irgendwohin, auf jeden Fall raus, sie überwinden – so sie ihn überhaupt haben – ihren eigenen Befeuchtungswiderstand und setzen sich neben ihre Rasensprenger und in ihre glühend heißen Autos und fahren raus ans Wasser, das ja trotz aller Hitze noch da ist.
Dechow lenkt seinen grünen Allrad-Skoda über Waldwege, hält an, steigt aus, steigt wieder ein und wieder aus, schürft immer wieder mit dem Fuß über die Erde, die hier nichts anderes als hellgrauer Sand ist mit zehn Zentimetern Humus obendrauf. Brikettharter, festgebackener Sand. Dechow bückt sich, greift ins Moos, das knistert und in seinen Händen zerkrümelt. Der Steinzeitmensch hat mit solchem Moos Feuer entfacht. „Mir schlägt das aufs Gemüt“, sagt Dechow. Da hat er die Blaubeerkrautkatastrophe noch gar nicht gesehen.
Jörg Dechow ist Förster. Die Abwesenheit von Hoffnung ist in seinem Beruf normalerweise nicht vorgesehen, im Gegenteil: Der Försterberuf besteht aus nichts anderem, Hoffnung und Waldarbeit sind Synonyme. Dechow hat sich als Chef der Oberförsterei Lehnin um das Gedeihen von 46 000 Hektar Wald in West-Brandenburg zu kümmern. Und Wald nimmt sich Zeit.
Die Früchte seiner Arbeit wird Dechow deshalb nie zu Gesicht bekommen. Sein Leben wird zu kurz dafür sein. Wenn, dann werden frühestens die Nachgeborenen etwas von Dechows Dienst an diesen Wäldern haben.
Sein Leben ist auch zu kurz, um sich an etwas Ähnliches wie das, was derzeit hier geschieht, erinnern zu können. Meteorologen konstatieren für Teile Ostdeutschlands eine der „schlimmsten Trockenperioden seit Beginn der Aufzeichnungen“ vor 55 Jahren. Östlich der Weser begann sie flächendeckend bereits Ende April.
Schon jener April war in Deutschland fast fünf Grad wärmer als der langjährige Mittelwert, der Mai lag vier Grad darüber und der Juni zweieinhalb. Die sonst in der ersten Junihälfte über das Land kommende Schafskälte fiel aus. Alle drei Monate brachten – außer in Süddeutschland – kaum Regen. Im Juni fiel deutschlandweit knapp die Hälfte des Mittelwerts, in Erfurt waren es mit 4,9 Litern pro Quadratmeter sieben Prozent davon, in Magdeburg mit 6,7 Litern elf.
Kaum Futter fürs Vieh
Bauern holten ihr Getreide vor der Zeit ein. Das Futter fürs Vieh wächst kaum. Waldbesitzer schlafen schlecht, Gärtner und Baumschuleninhaber wässern sich arm oder sehen zu, wie ihre Arbeit verdorrt. Und jetzt ist es eben auch noch heiß geworden. Spätestens in diesen Tagen holt das Wetter auch jene Menschen ein, die ihren Lebensunterhalt nicht mit Pflanzen und Tieren verdienen.
Das Gefühl des Ausgeliefertseins, die Gewissheit, nichts tun zu können gegen das Wetter außer sich ihm zu ergeben, erreicht die Büros, Straßen und Wohnungen in den Städten. Das Leben backt sich fest, so wie Oberförster Dechows Boden.
Es ist Dienstagmorgen, Dechow scharrt mit den Füßen und zerkrümelt das Moos, und dann hebt er den Blick vom Boden, schaut hinein in den Lehniner Kiefernwald und erschrickt. Das Blaubeerkraut ist braun, so weit das Auge reicht. „Sowas habe ich noch nie gesehen“, sagt er. Dechow ist 58 Jahre alt, seit dem 1. Januar 1989 arbeitet er hier. Die Buchensetzlinge einige hundert Meter weiter: braun. Junge Eichen: braun. Birkenblätter: schlaff oder längst abgefallen. An manchen Stellen sind die Wege übersät mit winzig kleinen Eicheln, „seit zwei Wochen geht das so“, die Bäume trennen sich von allem, was sie nicht mehr versorgen können.
Leute, die ein Stück Wald besitzen, rufen Dechow an und berichten ihm, dass sie nachts wachliegen und nur einen Gedanken haben: ihre Bäume brennen. „Es ist das erste Jahr, in dem ich solche Anrufe bekomme“, sagt Dechow. Er kennt einen, der vor ein paar Jahren Setzlinge gepflanzt hat und nun einmal in der Woche mit einem Wassertank raus in seinen Wald fährt. Der Wald selbst indes, „wie soll ich sagen, er klagt leise.“
Oder er verschwindet. Am Abend dieses Tages brennt 20 Kilometer nordöstlich von hier eine 100 Quadratmeter große Fläche und noch einmal so viel zur gleichen Zeit im Spree-Neiße-Kreis. Am Nachmittag gehen 600 Quadratmeter bei Finsterwalde in Flammen auf und 600 im Erzgebirge bei Aue. Es brennen 500 Quadratmeter Mischwald bei Sangerhausen in Sachsen-Anhalt und eine Streuobstwiese. In der Lieberoser Heide im Südosten Brandenburgs brannte es in den vergangenen Wochen zwei Mal, einmal auf 400 Hektar, einmal auf 80.
Das vorerst letzte Feuer brennt am Donnerstagnachmittag auf 50 Hektar nahe Lehnins Nachbarort Fichtenwalde. Die Autobahn 9 ist gesperrt, die Gemeinde bittet ihre Bewohner, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten.
„Wir haben bis jetzt Glück gehabt“, sagt Dechow, er hatte bisher sechs Feuer in seinen Wäldern in diesem Jahr. Beim letzten, eine Woche zuvor bei Brandenburg an der Havel, werden zwei Hektar zerstört. Der Waldbrand an sich, „man riecht ihn früher als man ihn sieht“, sagt Dechow.
"Ich bin seit 30 Jahren Förster, das tut weh."
Aber man sieht ihn. In einem der Zimmer eines Flachbaus 25 Kilometer südlich, in Bad Belzig, stehen vier Schreibtische voller Monitore. Der Flachbau ist das Dienstgebäude der hiesigen Landeswaldoberförsterei, das Zimmer eine der sechs brandenburgischen Waldbrandzentralen. Die Monitore zeigen Schwarz-Weiß-Panoramen brandenburgischer Landschaften – Dechows Wälder sind dabei – gemacht von Kameras auf 14 Türmen. In diesen Tagen, von vormittags um zehn bis abends um acht, sitzen vier Menschen vor den Bildschirmen, die üblicherweise draußen in den Wäldern arbeiten.
Jeder Turm sendet ungefähr 300 Waldbrand-Verdachtsmeldungen am Tag. Die meisten davon stellen sich beim Blick auf die Monitore als unbegründet heraus. Die Türme melden die Staubfahnen, die sich hinter Traktoren und Mähdreschern herziehen. Sie melden Lichtspiegelungen auf den Autobahnen und Luftbewegungen in der Nähe von Windrädern.
Von den 231 Feuern in Brandenburg in diesem Jahr haben die Waldbrandzentralen mehr als zwei Drittel erkannt. Bei mehr als der Hälfte von ihnen wiederum begannen die Feuerwehren innerhalb von 15 Minuten mit dem Löschen. Die meisten Brände blieben deshalb vergleichsweise klein. 209 vernichteteten weniger als einen Hektar.
Das klingt wie ein Erfolg. Möglicherweise wird es aber zunehmend egal. Denn wenn Brandenburger Wälder nicht durchs Feuer sterben, dann eben auf andere Art und Weise.
Der nächste Hundstagmorgen, Kiefernforste bei Niemegk, auf der östlichen, Bad Belzig gegenüberliegenden Seite der Autobahn 9 gelegen. Der nächste grüne Allrad-Skoda, darin Oberförsterin Karin Heintz und Forstoberinspektor Frank Zehender. Sie steigen aus und sehen den Tod.
Sie blicken auf Bäume, die die Rinde verlieren und die Nadeln, es ist das Werk einer „Fraßgemeinschaft“, der Nonnenfalter – ein Schmetterling – gehört dazu und der Kiefernspinner. „Normalerweise muss ein Wald das aushalten“, sagt Zehender. Es ist hier aber nichts normal. Dieser Wald hat im vergangenen Jahr drei Stürme hinter sich gebracht und mit 2003, 2015 und 2016 drei weitere zu trockene Jahre. „Da richtet so ein Baum dann nichts mehr aus, wenn ein Käfer kommt und ein Loch reinbohrt.“ Da produziert er dann eben kein Harz mehr, mit dem er das Loch – wäre er gesund – einfach wieder verschließen würde.
Ihm blute das Herz, sagt Zehender, „ich bin seit 30 Jahren Förster, das tut weh.“ Es tut weh, als er durch eine sechs Jahre alte Kiefernpflanzung fährt, einzelne Bäume sind tot, er sieht andere, viel ältere, bei denen Äste absterben. Auch er sagt: „Das habe ich noch nie gesehen.“
100 Kilometer weiter östlich, im Dorf Pretschen im Landkreis Dahme-Spreewald, beobachtet der Bauer Sascha Philipp etwas ähnliches bei seiner Apfelbaumallee. Er hat sie vor ein paar Jahren gepflanzt, „Früchte ohne Ende“, sagt Philipp, „aber die Bäume fangen an, die abzuwerfen.“ Von Jahr zu Jahr würden es weniger werden. „Tod auf Raten“, sagt Philipp. Es wäre sehr schade für ihn, sollte er die Bäume verlieren. Es wird ernst, wenn dies auch mit seinen 600 Milchkühen passieren sollte.
Das Wesen des Wetters
Philipp ist Biobauer und im Demeter-Anbauverband organisiert. Er muss den größten Teil des Futters für seine Tiere – die Grundnahrungsmittel sozusagen – selbst anbauen. Er darf es nicht anderswo kaufen. Es wächst aber nichts. Philipps Kühe stehen deshalb im Stall und fressen ihr Winterfutter. Das dann im nächsten Winter fehlen wird, weil es eben auch nicht wächst.
Die ausgesäten Erbsen: weg. Die Wicken auch. Auf dem Kleegrasacker links stehen ein paar Blüten, sonst nichts. Vom Hafer rechts wachsen, auf Inseln verteilt, ein paar Halme, an denen wiederum bis auf ein paar Körner kaum etwas Grünes dran ist. Der Buchweizen, mit dem er die Quecke – sie ist ein zähes Unkraut – von einem seiner Äcker verdrängen wollte: ein trauriger Witz. Am Abend zuvor habe er einen Anruf von einem Kollegen aus Sachsen bekommen, der fange nun an, seine Tiere zu schlachten. Ob er das selbst auch tun müsse, wenn nicht bald Regen komme? Philipp sagt: „Genau darauf läuft es hinaus.“
Er sagt: „Wer kein dickes Fell hat, kann kein Landwirt werden.“ Er scheint eines zu haben und sagt deshalb auch: „So schlimm ist es ja nicht, ich habe ja nächstes Jahr die nächste Chance.“
Philipp ist Jahrgang 1972, seit 1999 bewirtschaftet er das Landgut in Pretschen. Auch er erinnert sich an Dürrejahre, 2007 fällt ihm ein, und 2003 sei genauso existenzbedrohend gewesen wie die Gegenwart. Besonders deutlich aber erinnert er sich an noch viel früher, an die Zeit, in der er auf dem Familienhof seiner Eltern geholfen hat. Schönes Wetter sei damals etwas Besonderes gewesen, sagt er, „eigentlich ging es damals immer darum, das schöne Wetter zu nutzen.“ Zum Ernten, zum Säen, zum Hacken, überhaupt für fast jede Art der Feldarbeit. „Das ist heute andersrum. In dieser Konsequenz habe ich mir das nie ausgemalt.“
Ein dickes Fell. Philipp wirkt in diesen trockenen, heißen Tagen wie ein Mensch aus der Zukunft, wie jemand, der auf einem anderen, womöglich höheren Niveau der Evolution zu Hause ist. Das liegt nicht daran, dass ihm jede Panik fremd zu sein scheint, auch jetzt, wo zumindest die plausible Möglichkeit besteht, bald 600 Kühe töten lassen zu müssen. Philipp hat – im Gegensatz zu jenen Stadtbewohnern, die das jedes Mal, wenn es extrem wird, erneut lernen müssen – das Wesen des Wetters schon lange begriffen und verinnerlicht.
Wir als Bauern, sagt er, „wir haben ständig Prozesse, die wir nicht beeinflussen können.“ Das sei das Besondere an seiner Branche, und daraus ergebe sich vieles, unter anderem Geduld. „Wir können uns heute sagen, wir warten jetzt 14 Tage ab, und dann wird’s sicher wieder besser. Oder: Dieses Jahr, das ganze, das drücken wir in den Skat.“
Was aber, wenn er sich eines Tages sagen müsste: Das ganze Jahrzehnt war umsonst?
Sie gießen morgens und abends
„Auf der einen Seite brauchen Sie eine gehörige Portion Optimismus. Und dann muss man Dinge auch aussitzen können.“ Oder mit ihnen umgehen lernen. Im Herbst, das ist sein Plan, wird er mit einem Bodenexperiment beginnen. Er wird Pflanzenkohle auf seinem Land ausbringen lassen, eine Art Super-Humus, von südamerikanischen Indios erfunden. Der kann vieles, Kohlendioxid speichern, Pflanzen düngen zum Beispiel. Und: Wasser speichern.
Joachim Lukas kann wässern. Er und seine Frau Ulla haben eine Kleingartenparzelle, am Rand des Spandauer Damms gelegen, einer sechsspurigen Ausfallstraße in Berlin. 604 Quadratmeter mit Laube drauf, die beiden sind Rentner und gesund, sie wohnen den ganzen Sommer über hier zwischen zwei Boskop-Apfelbäumen, einer Saftpflaume, zwei Zwetschgen. Dazu kommen: eine Mirabelle, eine Birne, drei Schattenmorellen. Eine Deutschlandfahne, ein Teich. Ein Segen. Die zwei Pflanztopfuntersetzer mit Wasser darin, die auf dem Rasen stehen, sind für die Vögel.
„Es gehört unwahrscheinlicher Idealismus zum Grundstück“, sagt Joachim Lukas. Wahrscheinlich auch Disziplin. Er und seine Frau gießen frühmorgens eine Stunde lang und abends noch einmal. Danach lässt sie Eimer volllaufen, er geht damit rüber, zu den Platanen auf dem Mittelstreifen des Spandauer Damms. Zwei davon haben die beiden vor Jahren eingehen sehen, „vertrocknet“, sagt Joachim Lukas. „So lange ich lebe, passiert das nicht wieder, hab ich mir damals gesagt.“ Neun Platanen. Neun mal zwei Eimer voll mit Wasser. Abend für Abend.
Der Kleingarten der Lukas’, der Mittelstreifen des Spandauer Damms – das könnte das Grün der Zukunft sein. Überall dort, wo Menschen in der Lage sind, Wasser aus dem Boden oder den Leitungen zu holen und über Pflanzen zu gießen, würde diese Farbe zu sehen sein. Dort, wo sie die Welt unter der heißen Sonne zu ihren Wohnzimmern machen.