Anton Hofreiter: Grünen-Fraktionschef mit Antrittsproblemen
Zurück zu den Wurzeln! Das war die Hoffnung, die viele Grüne an Anton Hofreiter knüpften. Seit 2013 führt der Bayer die Bundestagsfraktion. Doch an der Basis fragen sich inzwischen viele: Warum greift er nicht stärker an?
Als Anton Hofreiter 16 war, drückte ihm sein Vater eines Tages einen Geigerzähler in die Hand. Mit seinen beiden jüngeren Brüdern streifte Anton durch den Garten in einem Dorf in der Nähe von München, um die Radioaktivität des Regenwassers zu untersuchen. Und erschrak, als er merkte, wie das Gerät auch dann noch heftig ausschlug, als er dessen Empfindlichkeit um den Faktor zehn reduziert hatte. „Es machte wumms, und die Nadel war wieder ganz rechts“, erzählt er heute. Es war das Jahr 1986, im April war der Atomreaktor in Tschernobyl explodiert. Und Hofreiter war umso entschlossener, sich bei den Grünen zu engagieren.
Seit 2013 ist der 44-Jährige einer der Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion. Nach der verlorenen Bundestagswahl brauchte die Partei einen Hoffnungsträger. Zurück zu den Wurzeln, das war das Signal, das mit der Wahl des Biologen verbunden war. Er schien perfekt zu passen: Hofreiter fährt lieber mit dem Rad durchs Regierungsviertel als mit der Fahrbereitschaft des Bundestags. Er kann sich für die Renaturierung von deutschen Flüssen begeistern und für die Artenvielfalt in den südamerikanischen Anden, die er für seine Doktorarbeit untersucht hat. Nur können viele Grüne sich immer noch nicht so richtig für ihre neue Führungsriege begeistern.
Gäbe es eine Art politischen Geigerzähler, der darauf geeicht wäre, Konfliktstoff bei den Grünen aufzuspüren – es hätte seit der Bundestagswahl schon mehrfach „wumms“ gemacht. Mal forderte Parteichefin Simone Peter eine Null-Promille-Grenze für Autofahrer, um von ihrem Ko-Vorsitzenden Cem Özdemir zurückgepfiffen zu werden, weil sie damit einmal mehr das Image der Verbotspartei bediente. Vor wenigen Wochen düpierte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Bundesspitze mit seiner Zustimmung zur Asylrechtsreform. Und jetzt sorgte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt für Schlagzeilen, weil sie deutsche Bodentruppen für den Kampf gegen die Terrormiliz IS ins Gespräch brachte.
Mit jeder Debatte wirkt er blasser
Und Hofreiter? Scheint mit jeder Debatte, die an ihm vorüberzieht, ein wenig blasser zu wirken. Nach innen versucht er zu moderieren und zu schlichten, nach außen hat er Mühe, als Führungsspieler wahrgenommen zu werden. Es gibt mehrere Abgeordnete, die sich hinter vorgehaltener Hand wünschen, dass sich ihr Fraktionschef in der Debatte über den grünen Kurs stärker aus der Deckung wage. „Die Unsicherheit bei den Fraktionsvorsitzenden führt dazu, dass sie in jeder Diskussion ein Machtspiel sehen“, sagt eine Abgeordnete. Was eigentlich „gar nicht nötig“ sei. „Es gibt Zeiten des Lynchmords. Und es gibt Zeiten, in denen wir einfach offen diskutieren wollen. Und jetzt haben wir Letztere.“
Es ist ein sonniger Nachmittag Anfang September, als Hofreiter in seinem Bundestagsbüro mit Blick auf den Tiergarten sitzt. Vor dem Fenster steht ein großer Bottich voller leuchtend roter Blumen. Anthurien, aus den Regenwäldern Südamerikas. Hofreiter erzählt, dass man sich im Bundestag seine Büropflanzen aus einem Katalog aussuchen könne. Und dass er das Gießen der Anthurien nicht allein den Gärtnern überlässt. Dann stellt der Gastgeber sich den Fragen zu seinem ersten Jahr Oppositionsarbeit.
Neustart? Nein, brauchen wir nicht, sagt er
Herr Hofreiter, brauchen die Grünen einen Neustart?
Er schüttelt den Kopf. „Man braucht nicht ständig Neustarts, wir sind auf dem richtigen Weg.“ Nach der Bundestagswahl sei die neue Grünen-Spitze erst einmal damit beschäftigt gewesen, den Laden zusammenzuhalten und mit neuem Personal die Wahlkämpfe zu stemmen. „Jetzt steht wieder die inhaltliche Arbeit im Mittelpunkt, von der Ökologie bis zum grünen Freiheitsbegriff“, sagt der Fraktionschef. Gerade das Thema Freiheit ist für die Grünen besonders heikel, hatten sie sich doch im vergangenen Bundestagswahlkampf den Ruf der Verbotspartei eingehandelt.
Das Fernsehen spottet: Die ersten Monate liefen nicht rund
Die ersten Monate liefen für Hofreiter nicht besonders rund: Satiresendungen wie die „Heute Show“ nahmen ihn auf die Schippe, die ersten Reden im Bundestag waren hölzern, seine Auftritte vor den Fernsehkameras auch. „Man hat gemerkt, mit welcher Wucht es ihn getroffen hat, dass er plötzlich im Fokus der Medien stand. Das war nicht mehr der Toni, wie wir ihn kannten“, sagt eine Fraktionskollegin. Bei manch einem ließen diese Auftritte die Sehnsucht nach jemandem wie dem früheren Fraktionschef Jürgen Trittin wachsen, der den Spagat zwischen messerscharfen Attacken und staatstragenden Tönen mühelos beherrscht. Der Tiefpunkt war für Hofreiter im Mai erreicht, als er zugeben musste, dass er für seine Berliner Wohnung keine Zweitwohnungsteuer gezahlt hatte.
Natürlich hat ihn die massive Kritik in den ersten Monaten nicht völlig kalt gelassen. Aber aus der Ruhe bringen lässt er sich deswegen nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass er schon existenziellere Situationen erlebt hat. Etwa bei einem seiner Studienaufenthalte in Südamerika, als er in den Bergen plötzlich einer Gruppe Militärs gegenüberstand, die ihn ausrauben wollten. Sie hatten Gewehre dabei, er nur ein Messer. Trotzdem brachte er sie dazu, ihn ziehen zu lassen. Verglichen damit kommen einem ein paar böse Kommentare vermutlich harmlos vor.
Inzwischen hat er einen Medientrainer
Nach seiner Wahl ist Hofreiter schnell klar geworden, dass er an seinen öffentlichen Auftritten etwas verbessern muss. Er hat inzwischen einen Medientrainer, der mit ihm übt, wie man Sätze so formuliert, dass sie in der Tagesschau gut rüberkommen. Und der ihm sagt, wie man sich gerade hinstellt, auch wenn das eine Bein vier Zentimeter länger ist als das andere. Meistens trägt Hofreiter jetzt hellblaue Hemden, weil die im Fernsehen nicht flimmern.
Am meisten hat ihn überrascht, dass er das Reden im Bundestag neu lernen muss. Als Verkehrspolitiker hatte er sich in den acht Jahren im Parlament angewöhnt, frei zu sprechen. Doch bei den Generaldebatten funktionierte das nicht mehr, für 25 Minuten politischen Rundumschlag braucht Hofreiter ein Manuskript. Dass sich durch seine Reden oft eine kluge Idee zog, ging unter, weil er sie nicht gut vortrug. Doch das Üben macht sich inzwischen bemerkbar. Die nachdenkliche Rede, die er vor kurzem bei der Sondersitzung des Bundestags zu den Waffenlieferungen in den Irak hielt, war die erste, mit der er selbst zufrieden war.
Einige in der Fraktion hat es natürlich nervös gemacht, dass ihr neuer Vorsitzender in den Medien nicht gut wegkam. „In den Kreisverbänden kommt schon mal die Frage auf, was für einen Trottel wir da gewählt haben“, berichtet ein Abgeordneter. „Die kennen ja nur das Bild aus dem Fernsehen.“
Alternativlos. Warum Hofreiter trotzdem fest im Sattel sitzt
Trotzdem sitzt Hofreiter im Moment fest im Sattel. Zum einen, weil es gerade keine ernst zu nehmende Konkurrenz gibt. Auch wenn seinem Vorgänger Trittin gelegentlich unterstellt wird, er arbeite an einem Comeback, so ist der doch zugleich einer seiner wichtigsten Berater. Vielen jüngeren Abgeordneten gefällt außerdem der neue Führungsstil, der auf Zuhören und Integrieren und nicht auf Ansagen setzt. „Es dauert halt eine Weile, bis so ein Generationenwechsel bewältigt ist“, sagt einer, der schon lange im politischen Geschäft ist. Noch geben sie Hofreiter die Zeit, sich zu bewähren.
In internen Runden beteuert Hofreiter, dass er mit seiner Partei nicht zum vierten Mal in Folge in der Opposition landen will. Aber ist der linke Flügelmann auch tatsächlich bereit zu regieren? Zur Regierungsfähigkeit gehört schließlich auch, Kompromisse einzugehen, die hart an die Schmerzgrenze gehen. Wie weh das tun kann, hat der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann seinen Parteifreunden kürzlich in der Asylfrage gezeigt.
Es war einer der Momente, in denen Hofreiter seinen Ärger nur schwer verbergen konnte. Ausgerechnet an dem Freitag, als der Bundesrat über den Asylkompromiss entschied, hatte die Fraktion zum Freiheitskongress eingeladen. Hunderte Besucher waren ins Paul-Löbe-Haus gekommen, um mit den Grünen über Freiheit zu debattieren. Doch die Journalisten wollten an diesem Morgen nur eines von Hofreiter wissen: Was hält er davon, dass Kretschmann der Asylrechtsreform zustimmen will?
Wie alle aus der Bundesspitze hatte Hofreiter sich dafür starkgemacht, dass die grün mitregierten Länder das Kompromissangebot der Bundesregierung ablehnen, weil ihm die Zugeständnisse nicht reichten. Ohne Erfolg, Kretschmann scherte aus. Dass die Grünen in den Verhandlungen auch Verbesserungen für Flüchtlinge erreicht haben, drang nicht mehr durch, so laut waren die Verratsrufe aus den eigenen Reihen.
Ist er zur Härte fähig? Bisher musste er das nicht beweisen
Als sich die Wogen wieder etwas geglättet haben, versucht Hofreiter zu erklären, was passiert ist. Ein Ministerpräsident wie Kretschmann müsse halt manchmal anders handeln als eine Bundespartei in der Opposition, sagt er in einem Interview. Das mag stimmen. Es beantwortet aber nicht die Frage, ob Hofreiter zu der Regierungshärte fähig wäre, die Kretschmann bewiesen hat. Wäre er bereit, einen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, wenn der Preis wäre, nur die halbe Welt retten zu können? Und wenn er sich dafür auch noch von seinen eigenen Leuten verprügeln lassen müsste, wie Kretschmann? Bisher musste er das noch nicht beweisen.
Es ist ja nicht so, dass Hofreiter in diesem vergangenen Jahr nichts erreicht hätte. Er sorgte dafür, dass die grünen Länder trotz unterschiedlicher regionaler Interessen bei der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes an einem Strang zogen. Er trug außerdem dazu bei, dass die Bundestagsfraktion nahezu geschlossen die Rentengeschenke der großen Koalition als generationenvergessen ablehnte. Nur geschah das gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und wenn er Korrekturen am grünen Programm einfordert, etwa in der Steuerpolitik, passiert das ohne großes Tamtam.
In Parlamentswochen sitzt Hofreiter nun im Reichstag in der ersten Reihe, direkt neben dem CDU-Mann Volker Kauder. Mit Leuten wie Kauder fremdelt er noch, so wie auch manch einer aus dem Berliner Politikbetrieb mit ihm fremdelt. „Manche Leute, die sehr lange in der Politik sind, kommen schon irgendwie apparatschikhaft rüber. Das will ich nicht“, sagt Hofreiter. Auch was sein Auftreten angeht, will er sich nicht anpassen. Die langen blonden Haare schneidet er nicht ab, auch wenn ihm seine Mähne in den letzten Monaten manchmal mehr Aufmerksamkeit beschert hat als seine politischen Vorstöße. Er weigert sich, Krawatte zu tragen, es sei denn, er ist im Ausland auf Staatsbesuch. Und auch wenn er in seiner neuen Rolle als Fraktionschef vorsichtiger geworden ist, verwendet er immer noch gerne Kraftausdrücke.
Er zehrt von seinem Image. Doch wie lange geht das noch?
Das macht auch einen Teil seiner Glaubwürdigkeit aus. Trotz seiner Führungsrolle verkörpert er immer noch den „Toni von der Basis“. Der Linken-Abgeordnete Jan Korte gehört zu der rot-rot-grünen Parlamentarierrunde, in der Hofreiter in den letzten Jahren aktiv war, gemeinsam haben sie viele Abende in der Stammkneipe im Prenzlauer Berg verbracht. Korte lobt, dass Hofreiter nicht „die Attitüde eines Fraktionsvorsitzenden“ habe. „Wenn man ihn auf einem Sommerfest trifft, schaut er nicht, ob am Nachbartisch jemand Wichtigeres steht.“ Auch Wolfgang Rzehak findet, dass Hofreiter sich treu bleiben sollte. Der Landrat aus Miesbach kennt Hofreiter, seit sie zusammen in der Grünen Jugend in Bayern aktiv waren. „Ein Imageberater würde ihm vielleicht raten, es so wie Alexander Dobrindt zu machen: eine Nerd-Brille zulegen, perfekt geschnittene Anzüge tragen, zehn Kilo abnehmen. Aber dann wäre er nicht mehr der Toni“, sagt Rzehak.
Doch von diesem Image allein wird Hofreiter nicht auf Dauer zehren können. Seine Glaubwürdigkeit müsse er sich auch durch inhaltliche Arbeit erwerben, findet eine Parteifreundin. Innerhalb des neuen Führungsquartetts hält Hofreiter sich bislang zurück. Alleingänge, wie Grünen-Chef Özdemir sie beim Thema Waffenlieferungen zur Profilierung genutzt hat, sind nicht seine Sache. Er würde sich auch nie so weit aus dem Fenster lehnen wie Göring-Eckardt mit den Bodentruppen. Als Hofreiter am Tag nach ihrem Vorstoß ein Statement abgibt, spricht er auch davon, dass es unklug sei, wenn die Bundesregierung nicht einmal versuche, in den nächsten Monaten oder im nächsten Jahr ein UN-Mandat zu erzielen. Doch die heiklen Worte „deutsche Soldaten“ vermeidet er sorgsam. Natürlich ist Hofreiter klar, dass im Falle eines UN-Mandats auch nach dem Beitrag der Bundeswehr gefragt würde, er wäre sogar bereit, darüber zu reden. Doch den Zeitpunkt für diese Debatte sieht er noch nicht gekommen.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagespiegels.
Cordula Eubel