„Fridays for Future“: Greta Thunberg: Die Klassensprecherin
Sie warnt vor dem Ende der Welt - an diesem Freitag auch in Hamburg. Das hat sie zum Star gemacht. Und ihr viel Hass eingebracht.
Dann steht sie plötzlich da. In vorderster Reihe, blass, klein, mit lilafarbener Jacke. „Ey Mann, da ist sie ja.“ – „Wo?“ – „Die Kleine mit der Bommelmütze.“ Mehr als eine Stunde warten die Teilnehmer am Hamburger Gänsemarkt zu diesem Zeitpunkt bereits darauf, dass es losgeht. Wieder und wieder sind sie angewiesen worden, sich rückwärts zu bewegen, auch in Seitenstraßen auszuweichen, Platz zu machen. „Damit Greta durchkommt.“
„Wir sind einfach zu viele“, sagt ein Organisator abseits der Mikrofone dem anderen so fasziniert wie ratlos. Auf 3800 hatte die Polizei die Zahl zunächst beziffert. Von 10000 werden später die Veranstalter sprechen.
Greta zieht. Ein kleines Mädchen, das vor dem Ende der Welt warnt. Ernst, traurig, wütend – sie ist der Gegenentwurf zu all den Influencern und Youtube-Stars, die sonst von der Jugend für ihren Glamour oder ihren Humor im Internet gefeiert werden. Und doch ist sie das längst selbst geworden: Star einer Generation.
Als sie bei ihrem ersten Aufritt in Deutschland plötzlich zu sehen ist, geht alles ganz schnell, stolpern Kameraleute über die Kantsteine von Verkehrsinseln und Journalisten beim Versuch, sich nicht umrennen zu lassen.
Hamburgs Schulbehörde droht Konsequenzen an
„Was in Deutschland passiert, stimmt mich unglaublich hoffnungsvoll“, hatte die 16-jährige Schwedin vor ihrem Besuch in Hamburg wissen lassen. „Was Deutschland tut, hat enormen Einfluss auf die gesamte Welt.“ Zum ersten Mal spüren vielleicht auch einige der Schüler an diesem Februarfreitag, was das bedeutet: einen Unterschied zu machen. Die diversen Bitten, die Bushaltestelle freizumachen: zwecklos. Wohin sollen sie auch ausweichen?
Durch ihre bloße Anwesenheit zwingen sie andere zur Reaktion. Die Hamburger Schulbehörde – unter Leitung eines rot-grünen Senats – beispielsweise sah sich am Donnerstag genötigt, disziplinarische Konsequenzen anzudrohen. Wer in der Schulzeit auf die Straße gehe, müsse mit Konsequenzen rechnen. Mit Elterngesprächen, Zeugniseinträgen und schlechten Noten. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek betonte, „auch unterstützenswertes Engagement gehört in die Freizeit und rechtfertigt nicht das Schulschwänzen.“
Trotzdem sind sie hier. Greta Thunberg hat bewirkt, was viele für unmöglich hielten: Sie hat eine neue Jugendbewegung angestoßen. Seit Wochen laufen europaweit die Proteste. Nur stellt sich die Frage, die sich im Umweltschutz eigentlich immer stellt: Wie nachhaltig ist das Ganze?
„Unsere Tiere und Pflanzen gehen kaputt“
Die Geschichte beginnt, als Greta gerade elf Jahre alt ist. Schon damals soll sie ihre Eltern damit genervt haben, dass sie hinter ihnen herrannte und überall das Licht ausschaltete, so will es die Legende. Im August 2018 stellt sie zum ersten Mal ihr Kartonplakat vor dem schwedischen Parlament auf. „Skolstrejk för Klimatet“ stand darauf, Schulstreik fürs Klima. Bei Twitter kündigte sie an, nicht mehr zur Schule gehen zu wollen, bis ihr Land die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalte.
Gerade mal ein halbes Jahr später haben sich Freitagsdemonstrationen unter dem Motto „Fridays for Future“ in Dutzenden Ländern etabliert. Hat die junge Frau, als die sie rein optisch noch nicht erscheint, beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesprochen, beim UN-Klimagipfel im polnischen Kattowitz und vor der EU-Kommission in Brüssel. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich geehrt zeigte, gab sich Jean-Claude Juncker von der Begegnung eher unberührt. Er finde es gut, dass junge Menschen sich für Veränderungen einsetzen, sagte er im Nachhinein. Er selbst habe das allerdings samstagnachmittags getan „und nicht während der Schulzeit“.
Kritiker der Bewegung unterstellen gerne, die Versammlungen seien für viele nichts weiter als eine willkommene Gelegenheit, dem Unterricht fernzubleiben.
Tatsächlich wirkt der überwiegende Teil der Mitlaufenden bemerkenswert enthusiastisch. Die Transparente sind zahlreich und oft aufwändig. „Die Dinosaurier dachten auch, sie hätten noch Zeit“ – „Mit Abschalten ist nicht euer Hirn gemeint“ – „Das Klima ist aussichtsloser als meine Mathe-Note“ – „Rettet die Erde, sie ist der einzige Planet mit Schokolade“.
„Denkt auch an die Robben“, steht auf dem Plakat einer Neunjährigen in rosa Kapuzenjacke, die in Begleitung ihrer älteren Schwester gekommen ist. „Unsere Tiere und Pflanzen gehen kaputt“, sagt sie traurig guckend.
Sie haben sich ein Elektroauto angeschafft
Sie schwänzen die Schule, damit es weh tut. Damit die Adressaten ihrer Forderungen, Eltern und Erwachsene allgemein, gezwungen sind, sich damit auseinanderzusetzen.
Oder sind die, die da die Stimme und den Zeigefinger heben, in Wirklichkeit nur der verlängerte Arm von Aktivisten? Die Schüler seien gedrillte Gören linker Eltern, höhnen die einen, Greta Marionette der Umweltlobby, urteilte zum Beispiel das Schweizer Magazin „Weltwoche“.
Vater Svante, Schauspieler von Beruf, wird nicht müde zu versichern, erst die Tochter sei es gewesen, die die Familie zu einem radikalen Lebenswandel gebracht habe. Bei der Ernährung – sie leben jetzt vegan –, beim Reisen – 32 Stunden ist Greta mit dem Zug nach Davos gefahren, weil sie Fliegen ablehnt. Die Mutter, eine erfolgreiche Opernsängerin, die 2009 auch für Schweden beim Eurovision Songcontest antrat, hat ihre internationale Karriere deshalb weitgehend aufgegeben, heißt es. Sie haben sich ein Elektroauto angeschafft. Auf dem Weg nach Kattowitz mussten sie alle zwei Stunden anhalten, um zu laden. In einem Interview erzählte der Vater, er fahre seine Tochter eben zu diesen Veranstaltungen wie andere ihr Kind zu einem Sportturnier. Hobby: Klima retten.
Im Alter von elf soll Greta eine Depression erlebt haben, weil eine Dokumentation über Plastikmüll in den Meeren sie so erschütterte. Erst später attestierten Ärzte ihr das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus. Es ist nicht ungewöhnlich dabei, sich geradezu fanatisch in ein Thema zu vertiefen. Im Februar 2018 gewann Greta Thunberg bei einem Schreibwettbewerb der Zeitung „Svenska Dagbladet“ den zweiten Platz mit einem Beitrag über den Klimawandel, den sie konsequent als Klimakrise bezeichnet. Daraufhin kontaktierte sie der Umweltaktivist Bo Thorén – und schlug ihr, inspiriert von Protesten gegen Waffenbesitz nach einem Schulmassaker in Florida, den Schulstreik vor.
Eltern fuhren ihre Kinder im SUV zur Demo
Als Greta sich in Stockholm vors Parlament setzt, dominierender heiße Sommer und Waldbrände die Schlagzeilen. Die Parlamentswahlen stehen kurz bevor. Politiker kommen vorbei und greifen das Thema auf. Drei Wochen geht Greta gar nicht zur Schule. Seither streikt sie jeden Freitag. Schnell schließen sich Schüler in anderen schwedischen Städten an, dann in Norwegen und den Niederlanden. Am 1. September berichtete der britische „Guardian“, im Oktober begannen Schüler in Deutschland und Australien, ihr nachzueifern.
Berichtet wird von Gleichaltrigen, die jetzt angewidert den Teller Spaghetti Bolognese von sich schieben oder sich weigern, mit der Familie in den Thailandurlaub zu fahren, familiäre Gewohnheiten durcheinanderbringen. Aber es geht auch andersherum: „Meine Mutter hat das beim Bowling erzählt, bevor ich mich entschieden habe da hinzugehen“, sagt eine Neuntklässlerin morgens auf dem Hinweg zur Hamburger Demo in der Bahn. Manche Eltern mögen mit Stolz wie Scham hoffen, dass ihre Kinder nun nachholen, was sie selber versäumt haben – und möglicherweise weiter versäumen. „Eigentlich unterstützen die Lehrer, dass wir das machen“, sagt der 14-jährige Theo. „Sie dürfen es nur wegen der Schulbehörde nicht so sagen.“
Es waren bei den Freitagsdemonstrationen Eltern zu sehen, die fuhren ihre Kinder im SUV zur Demo. Die 15-jährige Jasmina aus Pinneberg trinkt aus einem Starbucks-Einwegbecher, während sie mit der Masse über Neuen Jungfernstieg und Lombardsbrücke Richtung Hauptbahnhof trottet. „Ich weiß“, sagt sie schuldbewusst, „es gab auch schon viele dumme Kommentare deswegen.“
Besonders geltungssüchtig wirkt sie nicht
Greta und viele ihrer Anhänger dulden keine Ausreden. Sie fragen nicht, was politisch möglich ist. Sie stellen fest, was getan werden muss. Nach dem Motto: Wenn sich keine Lösungen im bestehenden System finden, müssen wir das System ändern. Greta Thunberg bittet nicht, sie klagt an. „Ihr sagt, dass ihr eure Kinder über alles liebt, aber ihr stehlt ihnen die Zukunft vor ihren Augen.“ Oder: „Ich will, dass ihr handelt, als ob euer Haus brennt. Denn das tut es.“
Sie selber räumt ein, dass Asperger-Autisten wie sie dazu neigen, Dinge in Schwarz und Weiß einzuteilen. Grauzonen gibt es nicht. Greta bietet radikale Forderungen – und einfache Antworten. Ihren jugendlichen Fans gefällt das. Der Demonstrationszug in Hamburg muss wieder und wieder angehalten werden, weil zahlreiche Teenager ihn überholen, um Greta zu fotografieren. Greta lässt das geduldig, stellenweise leicht gequält über sich ergehen. Sie mag sich instrumentalisieren lassen – besonders geltungssüchtig wirkt sie nicht.
In den Augen mancher Bewunderer hebt sie sich damit entscheidend von denen ab, die sie kritisieren. Dem CDU-Mann Paul Ziemiak waren ihre Lösungen zu einfach: „Oh man ... Kein Wort von Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit. Nur pure Ideologie. Arme Greta!“, kommentierte er, nachdem Greta den deutschen Kohlekompromiss als „absurd“ bezeichnet hatte. Ein 16 Jahre altes Mädchen aus Schweden veranlasst den Generalsekretär der führenden deutschen Partei dazu, es öffentlich anzugreifen.
Greta Thunberg – besessen von der Idee, die Welt retten zu müssen? Eine mauligere, stoische Pippi Langstrumpf, die den Erwachsenen auf der Nase herumtanzt?
Nach drei Stunden spricht Greta auf der Demonstration endlich zu ihren jungen Fans. Und viel mehr noch zu den Erwachsenen, die die Proteste belächeln: „Wir streiken, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht haben“, ruft Greta. „Und sie nicht.“
Maris Hubschmid