Atomabkommen mit Iran: Freude, Wut, Hoffnung: So reagiert die Welt auf die Einigung
Es ist sieben Uhr morgens, als US-Präsident Obama ans Mikrofon tritt. In Teheran jubeln da die Menschen bereits auf den Straßen. In Israel reagiert die Regierung entsetzt, andere im Land schöpfen Hoffnung.
Wie oft hatten sie es sich schon ausgemalt. Wie oft hatten die Iraner ihre Jubelpartys verschieben müssen. Am Dienstagmittag dann, in Teheran ist es schon fast Abend, wird endlich offiziell verkündet, woran viele nicht mehr glauben wollten: eine Einigung im Atomstreit. Nach mehr als zehn Jahren ist damit das Ende der Sanktionen nicht mehr nur Verheißung, sondern ein konkretes Versprechen. In der Hauptstadt Teheran bricht sich die Freude als erstes Bahn.
„Jeder Iraner ist heute glücklich“, sagt eine junge Frau dem Sender Al Jazeera. „Schade, dass das Ganze nicht schon früher passiert ist.“ Autokorsos ziehen hupend durch die Straßen. Selbst der Oberste Revolutionsführer Ali Chamenei wirkt erleichtert. Er lädt Präsident Hassan Ruhani und das gesamte Kabinett am Abend zum Ramadan-Fastenbrechen in seine Residenz ein. Ruhani selbst hatte sich zuvor im Fernsehen staatstragend an die Nation gewandt: „Die Menschen haben für dieses Abkommen gebetet. Heute kann ich verkünden: Ihre Gebete sind erhört worden.“
In Teheran feiern sie auf den Straßen
Während sich also in Iran die Menschen gerade tausendfach zu spontanen Feiern treffen, geht an der Ostküste der USA erst die Sonne auf. Thomas Erdbrink von der „New York Times“, einer der wenigen westlichen Journalisten in Iran, versucht es seinen Landsleuten auf Twitter möglichst schonend beizubringen: „Wenn ihr in den Staaten lebt und gerade erst aufwacht, lest mal nach, was passiert ist. Es hat über Nacht die ein oder andere geopolitische Veränderung gegeben...“
Eine leichte Untertreibung. Um fünf Uhr am Morgen öffnen sich die schweren schwarzen Pforten des Weißen Hauses in Washington, die Weltpresse ist geladen. Um sieben Uhr und zwei Minuten steht US-Präsident Barack Obama vor dem Mikrofon. Vize-Präsident Joe Biden begleitet ihn, der erste und der zweite Mann im Staat stehen Schulter an Schulter. An einem solchen Tag muss die Symbolik stimmen. Barack Obama weiß, er hat Geschichte geschrieben.
„Es ist noch keine 50 Jahre her, als uns Präsident John F. Kennedy gewarnt hat“, sagt der amtierende Präsident, „Lasst uns niemals aus Angst heraus verhandeln, aber lasst uns niemals Angst haben zu verhandeln“. Obama schlägt den großen Bogen. Er vergleicht die aktuelle Konfrontation zwischen Teheran und den Großmächten mit der Zeit des Kalten Krieges. Er erinnert an Zeiten, in denen nicht gesprochen wurde.
Obama reklamiert den Erfolg für sich
Das Abkommen, er reklamiert es für sich. „Jede unserer Grundbedingungen ist erfüllt“, sagt Obama. Nicht auf Vertrauen sei es aufgebaut, sondern auf Überprüfbarkeit. Biden, sein stiller Begleiter, nickt. „Ich bin seit mehr als sechs Jahren Oberbefehlshaber“, sagt Obama. Der Feldherr spricht jetzt über Krieg und Frieden. Die größte Herausforderung sei es in seinem Amt, einen Militäreinsatz anzuordnen. Wer wisse schon, wer ohne das Abkommen eines Tages vielleicht den Befehl zum Angriff auf Iran hätte geben müssen. „Es wäre unverantwortlich, sich von diesem Deal abzuwenden“, sagt Obama. Es ist eine deutliche Drohung an den Kongress, der das Abkommen noch billigen muss. Er möge es jetzt gründlich prüfen und das amerikanische Volk möge kritisch debattieren. „Aber dies ist nicht die Zeit für politische Spielchen, es ist nicht die Zeit sich zu profilieren.“ Obama klopft seinem Freund Biden auf den Rücken. Sechs Jahre nachdem er ins Weiße Haus eingezogen ist, wird Obamas größtes außenpolitisches Ziel wahr: ein Abkommen mit dem Erzfeind Amerikas und Israels.
Bereits Ende der 50er Jahre gab es einen Kooperationsvertrag mit den USA
Es geht um nicht weniger als die Sicherheit der Welt. So jedenfalls wiederholten es die wechselnden Anführer von Iran, Israel und den USA in den vergangenen Jahren immer wieder. Neben Israel wollte Iran bei der Atomtechnik als einziges Land im Nahen und Mittleren Osten von Anfang an dabei sein. Bereits Ende der 50er Jahre unterzeichnete seine Führung einen Kooperationsvertrag mit den USA. 1967 bekam Iran den ersten Reaktor, die Versuchsanlage in Teheran, in der radioaktive Isotope für die Strahlentherapie hergestellt werden, und die bis heute in Betrieb ist. Ende der 60er Jahre köderte Schah Reza Pahlevi mit Milliardenverträgen Firmen aus den USA, Frankreich und Deutschland, die ihm 23 Atommeiler bauen sollten. Kernenergie zu besitzen, sei ein nationales Recht, argumentierte er. 1970 ratifizierte er den Atomwaffensperrvertrag und unterstellte Iran damit der Aufsicht der Wiener Atombehörde IAEA.
Angst und Misstrauen brach aus
Vier Jahre später jedoch rutschte ihm eine Bemerkung heraus, die bis heute das Misstrauen und die Angst in der ganzen Welt begründet: Iran werde Atombomben haben „ohne jeden Zweifel und schneller als mancher denkt“, brüstete sich der Diktator in einem Interview.
Den damaligen US-Präsidenten Gerald Ford und Jimmy Carter war schnell klar: Der Teheraner Monarch wollte über eine eigene Wiederaufbereitungsanlage Plutonium aus abgebrannten Brennstäben extrahieren und so an seine eigene Bombe kommen. Jahrelang verhandelten die USA mit Iran, um sich garantieren zu lassen, dass es nur für eine friedliche Nutzung verwendet werde. Im Sommer 1978 war der Vertrag dann endlich fertig.
Die Geschichte hätte hier zu Ende sein können. Doch wegen der Islamischen Revolution und dem Sturz des Schahs wurde der Vertrag nie unterzeichnet.
Die neue Führung um Ayatollah Chomeini zeigte wenig Interesse an dem Atomthema. Da stand in Iran schon der halbfertige Reaktor Buschehr. Nachdem die Anlage 1985 im irakisch-iranischen Krieg bombardiert worden war, ließ man die Anlage verkommen. Erst Mitte der 90er Jahre nahm Teheran die Konstruktion mit russischer Hilfe wieder auf. Im Juli 2011 schließlich ging sie ans Netz.
Zwar hatte Staatsgründer Chomeini stets versichert, alle Massenvernichtungswaffen seien mit den Grundsätzen des Islam unvereinbar, doch seine Gefolgsleute sahen das anders. Auslöser war das Trauma des irakisch-iranischen Krieges – eine halbe Million Tote und zehntausende durch irakisches Giftgas verstümmelte Veteranen, die bis heute in den Straßen Irans zu sehen sind, waren die Folge.
Exiliraner brachten ans Licht, was die Drohung bedeutet
Gegen Ende des Krieges traf sich in der Stadt Kerman der damalige Chef der Revolutionären Garden, Mohsen Rezai, mit einem der führenden Kernphysiker des Landes. Wie sich der inzwischen im Exil lebende Experte erinnerte, sagte ihm Rezai damals, der Iran müsse sich mit allem bewaffnen, was für einen Sieg erforderlich sei – „auch mit einer Atombombe, wenn das nötig ist“.
Es gibt sie: Freundschaften zwischen Israelis und Iranern
2002 brachten Exiliraner erstmals ans Licht, was diese Drohung bedeutete. In Natanz war eine geheime Anlage zur Urananreicherung entstanden, neben der Plutoniumextraktion der zweite Weg, um eine Atombombe zu bauen. 2009 erfuhr die Weltöffentlichkeit von einer zweiten Anreicherungsanlage in Fordo, tief versteckt unter Felsen nahe der heiligen Stadt Qom. Verfügte der Iran anfangs lediglich über 200 Zentrifugen, sind es heute mehr als 20 000. Mittlerweile hat das Land auch das technische Knowhow, Uran bis auf zwanzig Prozent anzureichern – ein Niveau, von dem aus sich eine waffenfähige Konzentration technisch leichter realisieren lässt.
Wofür Iran die Bombe wohl nutzen würde, wenn das Land denn eine zustande brächte, war nie ein Geheimnis. Mehrfach hatte Ruhanis Vorgänger im Amt, Mahmud Ahmadinedschad, gesagt, es sei Zeit, die Zionisten zurück ins Meer zu treiben, Israel von der Landkarte zu tilgen. Worte eines Demagogen und Populisten, wohl mehr eine innenpolitische Botschaft als eine ernstzunehmende Drohung. Doch Israel, umgeben von Feinden, wollte nie das Risiko eingehen herauszufinden, wozu die iranischen Machthaber fähig wären. Die jetzige Annäherung des Westens an den Iran versetzte Israels konservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu denn auch in Panik. „Aus den ersten Berichten können wir schon schließen, dass dieses Abkommen ein historischer Fehler für die Welt ist“, ließ er über sein Büro mitteilen.
Iran ist der Erzfeind und soll es bleiben. Das ist die Botschaft. Doch während Israels Politiker den Atomdeal mit Iran verteufeln und auch Irans Führung Israel nach wie vor als Feind betrachtet, sind die Menschen, die von ihnen regiert werden, schon weiter.
Der Grafikdesigner zeigt Herz
Ronny Edry sitzt in seinem Büro in Tel Aviv. An diesem historischen Tag zeigt er Herz. Grün ist es und handtellergroß. Es ist das Symbol einer alten Liebe, die 2012 begann. Die Liebe zwischen Israelis und Iranern.
Edry trägt es als Aufdruck auf seinem T-Shirt, darüber und darunter den Slogan „We love you“. Er hat die Grafik vor drei Jahren entworfen, damals, als Netanjahu begann, Iran mit einem Präventivschlag zu drohen, sollte das Atomprogramm nicht eingestellt werden.
Der Grafikdesigner wollte ein Zeichen setzen, dass es zwischen den Menschen beider Länder keinen Hass gibt, sondern großes Interesse. „We will never bomb your country“, war eine der Botschaften auf den Plakaten. Israelis und Iraner druckten die Poster aus, ließen sich damit fotografieren und stellten die Fotos ins Netz. Sie positionierten sich gegen vermeintliche Panikmache und Drohgebärden seitens der Regierungen. Das Design zierte wochenlang Busse in Tel Aviv.
Eines dieser Plakate mit einem blauen Herz hängt, knapp zwei Meter hoch und breit, an der Wand in Edrys Büro. Für ihn ist es ein historischer Tag, da ist er sich mit Ruhani und Obama einig. Ein Tag, der ihn seinem Traum ein Stückchen näher bringt, irgendwann mal ins Flugzeug nach Teheran steigen zu können, um seine iranischen Freunde zu besuchen. „Wir könnten auf einen Besuch am Schabbat vorbeikommen“, schreibt er auf Facebook. Wenige Minuten später hat er mehr als 100 Likes. „Es wird sicher mehr werden am Abend, wenn die Leute von der Arbeit kommen.“
„Ich bin sehr glücklich“, sagt er. „Ich war mir sicher, dass ein Abkommen zustande kommt.“ Für den Grafikdesigner Edry ist es das Thema seines Lebens geworden. Er ist mit hunderten Iranern in Kontakt getreten, mit manchen schreibt er sich regelmäßig. Mit Anushiravan zum Beispiel, ein iranischer Heavy-Metal Musiker, oder Majid Nowrouzi, der damals parallel zu Ronny Edry die Aktion „Iran loves Israel“ startete. „Wir haben heute noch nicht gesprochen. Er schläft gerade noch“, sagt Edry und fügt mit einem Grinsen im Gesicht hinzu: „Ich glaube, ich bin mittlerweile der Israeli mit den meisten Freunden im Iran.“
Die Konkurrenz ist auch nicht besonders stark. Noch nicht.
Lissy Kaufmann, Martin Gehlen, Barbara Junge