NSU-Prozess: Ein Affront der Angeklagten
Beate Zschäpe bricht mit ihren Verteidigern. Was steckt hinter diesem Schachzug? Vielleicht die Hoffnung, der NSU-Prozess würde platzen und die Verhandlung von vorne beginnen. Oder war es einfach eine Kurzschlussreaktion?
Beate Zschäpe ist pünktlich. Gegen 9 Uhr 40 kommt sie aus der Tür hinten links in den Gerichtssaal. Zwei ihrer drei Verteidiger, Anja Sturm und Wolfgang Heer, eilen eng nebeneinander mit wehenden Roben herbei. Die Fotografen im Innenraum drehen und recken und bücken sich, die Kameras blitzen von allen Seiten. Doch der Blick auf die kleine Frau ist weitgehend versperrt. Abgeschirmt von den Anwälten geht Zschäpe zügig zu ihrem Platz an dem langen Tisch, auf dem ein Pappschildchen mit ihrem Namen steht. Zschäpe setzt sich nicht. Sie dreht sich nur um. Und erstarrt.
Zwischen den Roben der Verteidiger ist kaum mehr zu sehen als der Rücken und der Dutt, zu dem Zschäpe die langen Haare am Hinterkopf zusammengebunden hat. So steht die Angeklagte da, den Rücken gerade, den Kopf leicht erhoben. Wie eine Statue. Mit zwei schwarz gewandeten Schutzengeln, Anja Sturm links, Wolfgang Heer rechts. Die Fotografen ziehen ab. Am Mittwoch und so wie immer.
128 Verhandlungstage, jeder beginnt mit dem selben Ritual
Der Auftakt zum 128. Verhandlungstag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München entspricht exakt dem Ritual, das seit 14 Monaten zu beobachten ist. Nur Zschäpes Kleidung wechselt, das allerdings häufig. Sie kommt gern modisch, am Mittwoch trägt sie über einem Hemd mit schmalen lila Streifen eine dünne graue Strickjacke und dunkle Jeans. Nichts deutet darauf hin, was an diesem Tag kommen wird: „ein Hammer“, wie später eine konsternierte Opferanwältin aus Hamburg sagt.
Nach einer auffällig langen Mittagspause verkündet der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, die wohl größtmögliche Überraschung. Ein Polizeiobermeister habe ihn informiert, dass Zschäpe „kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger habe“, sagt Götzl in einem hastigen, auch verärgerten Ton. Der Richter fragt Zschäpe, ob das stimme. Sie nickt. Den Mund macht sie, wie an den 127 Tagen zuvor, nicht auf.
Götzl klingt nun streng: „Ich weise Sie darauf hin, dass Sie das näher darlegen müssen“. Er fordert Zschäpe auf, bis zum gestrigen Donnerstag um 14 Uhr eine schriftliche Begründung einzureichen. Dann bricht der Richter die Verhandlung für den Rest der Woche ab. Aber er betont, der Prozess werde kommenden Dienstag fortgesetzt. Und für die weitere Vernehmung des Zeugen Tino Brandt, der seit Dienstag im Saal saß, werde ein neuer Termin gefunden. Götzls Stimme, Götzls Blick signalisieren: nicht mit mir. Diesen Prozess macht mir keiner kaputt.
Wilde Spekulationen: Scheitert der Prozess jetzt?
Dennoch löst Zschäpes Affront gegen ihre Verteidiger erstmals wilde Spekulationen aus, der NSU-Prozess könne scheitern. Die Hauptangeklagte im größten und schrecklichsten Verfahren zu rechtsextremer Gewalt in Deutschland seit der Wiedervereinigung, will nicht länger von ihren drei Pflichtverteidigern vertreten werden. Das erinnert an die Prozesse gegen Terroristen der Roten Armee Fraktion, die ihre Verteidiger ablehnten und wüst beschimpften. Doch die Gerichte schickten die Anwälte nicht weg. Würde hingegen in München der 6. Strafsenat Zschäpes Willen folgen, hätte die kleine Frau tatsächlich einen großen Hammer geschwungen und ein Jahrhundertverfahren ramponiert.
Neue Pflichtverteidiger würden die Aussetzung des Prozesses verlangen, um sich angemessen vorbereiten zu können. Um zehntausende Seiten Akten zu lesen, um eine Strategie zu erarbeiten, um zu entscheiden: Soll Zschäpe weiter schweigen oder doch reden? Soll sie zu einzelnen Vorwürfen eine eigene Version präsentieren oder sogar ein umfassendes Geständnis ablegen? Die Hauptverhandlung müsste noch mal komplett von vorne beginnen. Gleich mehrere Anwälte stöhnen am Mittwoch, das wäre das „worst case scenario“.
Womöglich wäre es Zschäpe recht. Prozessteilnehmer vermuten, die Angeklagte habe nicht erst seit dieser Woche den Eindruck, die betont defensive Verteidigung ihrer drei Anwälte führe direkt zu lebenslanger Haft. Weil der massiven Anklage zu wenig widersprochen werde.
Die Bundesanwaltschaft hält die 39-Jährige für eine Mörderin
Die Bundesanwaltschaft hält die 39-Jährige für eine Terroristin und Mörderin. Laut Anklage gründete Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. Bei allen Verbrechen des NSU sei die Angeklagte die Mittäterin gewesen. Bei den neun Morden an Migranten türkischer und griechischer Herkunft, die meisten waren Kleinunternehmer, aus Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel. Bei dem tödlichen Anschlag auf eine Polizistin in Heilbronn, den ein zweiter Beamter nur knapp mit einer Kugel im Kopf überlebte. Bei den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln mit mehr als 20 Verletzten. Bei den 15 Raubüberfällen auf Bankfilialen und einen Supermarkt.
Hinzu kommt, dass mutmaßlich Zschäpe am 4. November 2011 die Wohnung in Zwickau angezündet hat, die sie dreieinhalb Jahre mit den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter falschen Namen nutzte. Am selben Tag hatten Mundlos und Böhnhardt in Eisenach ihrem Leben ein Ende gesetzt, als die Polizei ihnen nach dem Überfall auf eine Filiale der Sparkasse auf die Spur kam. Etwa drei Stunden später steckte Zschäpe laut Bundesanwaltschaft die Wohnung an, um Spuren zu beseitigen. Bei dem Brand geriet eine Nachbarin, eine alte, gebrechliche Frau, in große Gefahr. Die Bundesanwaltschaft spricht von versuchtem Mord. Schon der Fall Zwickau könnte reichen, um Zschäpe zu lebenslanger Haft zu verurteilen.
Seit zweieinhalb Jahren schweigt sie
Sie hat sich zu den Vorwürfen mit keinem Wort geäußert. Nicht erst im Prozess, sondern seitdem sie sich am 8. November 2011 in Jena der Polizei stellte. Zschäpe hält es nun mehr als zweieinhalb Jahre durch, eisern zu schweigen. Obwohl sie nach der Festnahme gesagt hatte, sie habe sich nicht gestellt, um nichts zu sagen. Doch genau das tat sie dann. Ihre Anwälte haben das Schweigen zum Kern ihrer Verteidigungsstrategie gemacht.
Die ist einfach zu erklären: keinerlei Kooperation mit den Richtern. Die sollen mühsam nach Indizien suchen. Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl, jung, smart und fern der rechten Szene, hoffen auf den Sieg des Zweifels. Die drei erwarten, der Strafsenat werde nicht genug finden, um Zschäpe verurteilen zu können. Aber Richter Götzl, dieser kantige und manchmal cholerische Bayer, ist auch nach acht Stunden Verhandlung immer noch topfit, er bohrt und bohrt.
Stundenlang befragt er Zeugen, selbst wenn sie nichts oder nur wenig sagen wollen, wie die meisten aus der rechtsextremen Szene. Einer der wenigen Neonazis, die reden, ist Dienstag und Mittwoch aufgetreten. Und womöglich hat seine Aussage Zschäpe dazu gebracht, der Strategie ihrer Verteidiger nicht länger zu vertrauen.
"Keine dumme Hausfrau": Hat ein Zeuge den Anstoß für Zschäpes Sinneswandel gegeben?
Tino Brandt ist einer der wenigen Zeugen, der wie Zschäpe den Gerichtssaal durch die hintere linke Tür betreten muss. Der Mann ist mit einer Handschelle an einen Polizisten gekettet. Brandt sitzt in Untersuchungshaft, weil er einen Jugendlichen sexuell missbraucht und der Prostitution zugeführt haben soll. Diese Geschichte ist allerdings nur ein Kapitel einer bizarren Biografie. Brandt hat in den 1990er Jahren die Neonazi-Truppe „Thüringer Heimatschutz (THS)“ aufgebaut. In der NPD stieg er zum Vizechef des Landesverbands Thüringen auf. Parallel spitzelte er für den Thüringer Verfassungsschutz. Das ging so von 1994 bis 2001, da wurde Brandt von einer regionalen Zeitung enttarnt. Bis dahin hatte der V-Mann vom Nachrichtendienst mutmaßlich 200 000 D-Mark kassiert. Die er, so beteuert es Brandt auch im NSU-Prozess, zum größten Teil in die Szene gesteckt haben will, „in Autos, Hotelzimmer, Telefonkosten, Aufkleber“. Mit dem Honorar des Verfassungsschutzs will Brandt zudem Strafbefehle eines befreundeten Neonazis bezahlt haben. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hätten, sagte ein Zeuge im Prozess, Tino Brandt verehrt.
Tiefenentspannt gibt er sich - eine Art Nazi-Buddha
Bei seiner Aussage gibt sich der massige Mann tiefenentspannt und wirkt im Gerichtssaal wie eine Art Nazi-Buddha, den nichts erschüttern kann. Er spricht kontrolliert und will offenbar Zschäpe und den Mitangeklagten nicht übermäßig weh tun. Doch was er über Zschäpe sagt, ist für sie nicht günstig.
Bei Schulungen des THS sei Zschäpe „durchaus mit Fachwissen“ dabei gewesen, ob es um „Germanentum“ ging oder darum, wie man sich bei einer Hausdurchsuchung verhalten solle. „Sie ist keine dumme Hausfrau“, sagt Brandt am Dienstag, „sie stand nicht in der Ecke und hat Trübsal geblasen“. Zschäpe blickt mit dem üblichen Pokerface zu dem Zeugen, doch manchmal zieht sie die Stirn in Falten. Es kann ihr nicht gefallen, dass Brandt sie als überzeugte Rechtsextremistin darstellt. Denn das ist wieder ein Indiz, das den Vorwurf der Bundesanwaltschaft stützt, Zschäpe sowie Mundlos und Böhnhardt hätten aus der Illegalität heraus „ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen von einem ,Erhalt der deutschen Nation’“ verwirklichen wollen. Mit Morden und Sprengstoffanschlägen.
Am Mittwoch erteilt Götzl den Verteidigern die Gelegenheit, Brandt zu befragen. Die Anwälte versuchen, die Glaubwürdigkeit des obskuren Zeugen in Zweifel zu ziehen. Bei welcher Gelegenheit sei Zschäpe mit Wissen zum „Germanentum“ aufgefallen, fragt Anja Sturm. Tino Brandt zögert. „Ich habe kein konkretes Bild vor Augen.“ Sturm will wissen, welche Gespräche er damals mit dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben, einem der Wortführer der Szene in Jena, über Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt geführt habe. „Mir ist selber kein einziges Gespräch konkret in Erinnerung.“ Anja Sturm macht eine kurze Pause, die Antwort soll wirken. Brandts Auftritt ist ein wenig die Schärfe genommen. Doch Zschäpe zieht wieder die Stirn in Falten. Wünscht sie sich eine aggressivere Gangart ihrer Verteidiger? Oder hätte sie gerne selbst Tino Brandt und manch anderen Zeugen attackiert?
Die Verteidiger blocken alle Fragen ab
Zwei Stunden später gibt Richter Götzl den Bruch zwischen Zschäpe und ihren Anwälten bekannt. Als der Richter den Verhandlungstag beendet, steht Zschäpe auf und gibt Heer kurz die Hand, Sturm und Stahl aber nicht. Die Verteidiger bemühen sich um einen unaufgeregten Blick. Draußen dann, auf dem Platz vor dem Gericht, blocken sie alle Fragen der Journalisten ab. Jede Äußerung könnte Zschäpe als Argument dienen, diese Anwälte seien nicht mehr vertrauenswürdig.
Allzu viele Belege dürfte Zschäpe jedoch nicht haben. Und sie schafft es am Donnerstag nicht, die von Götzl geforderte, schriftliche Begründung für das gestörte Vertrauen zu ihren Verteidigern vorzulegen. Der Strafsenat gewährt der Hauptangeklagten eine Verlängerung bis zu diesem Freitag. Vielleicht bemüht sich Zschäpe um einen Anwalt, der ihr hilft, den Frust aufzuschreiben. Aber wie will sie das Geld für einen Juristen auftreiben? Fragen könnte sie nur Mutter und Großmutter, doch die haben nichts. In der rechten Szene wird nur Solidarität mit dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben propagiert. War Zschäpes Tritt gegen ihre Verteidiger doch nur die Kurzschlussreaktion einer von 128 Tagen Prozess zermürbten Angeklagten? Justizkreise schließen nicht aus, dass sich Zschäpe wieder mit ihren Verteidigern zusammenrauft. Womöglich gebe es ja nur einen banalen Streit.
Eine Gerichtssprecherin sagt am Donnerstag, es bleibe dabei, dass die Hauptverhandlung kommenden Dienstag fortgesetzt werde. Sie betont, der Strafsenat habe keinen einzigen Zeugen ausgeladen. So dürfte Zschäpe am Dienstag wieder durch die hintere Tür in den Saal treten. Und die Verteidiger werden es sich vermutlich nicht nehmen lassen, ihre Mandantin wie gewohnt vor den Kameras abzuschirmen. Zschäpe, so scheint es, kann weder Freund noch Feind entrinnen.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.