100 Tage NSU-Prozess: Wolfgang Heer: „Ich würde das Mandat wieder annehmen“
Wolfgang Heer verteidigt Beate Zschäpe. Er sieht keine validen Beweise für eine terroristischen Vereinigung oder eine Tötungsbeteiligung seiner Mandantin. Dieses und weitere Interviews, die Frank Jansen anlässlich des 100. NSU-Verhandlungstages führte, finden Sie auf unserer Themenseite.
Wie fühlen Sie sich nach bald 100 Tagen NSU-Prozess?
Die Hauptverhandlung ist außerordentlich - angesichts einer nur schwer zu überblickenden Aktenfülle und dem nicht immer zu verhindernden Sprung zwischen den einzelnen Anklagevorwürfen in der Beweisaufnahme. Sie ist auch außerordentlich wegen der Anzahl der Prozessbeteiligten sowie des noch immer starken Interesses der Öffentlichkeit. Nachdem eine gewisse Routine eingekehrt ist, lässt sich aber mit den persönlichen Belastungen, die das Verfahren darstellt, gut umgehen.
Wie ertragen Sie die Bilder der getöteten Opfer?
Ein Strafverteidiger, der schon in vielen Verfahren mit schwerwiegenden Tatvorwürfen tätig war, eignet sich zwangsläufig einen professionell-distanzierten Umgang mit menschlichen Schicksalen an, um seiner Aufgabe gerecht werden zu können.
Welcher Verhandlungstag war für Sie der härteste?
Sicherlich der erste Tag der Hauptverhandlung. Der Menschenauflauf im Mai 2013 vor dem Gerichtsgebäude, die Präsenz der Medienvertreter und der Umfang der Berichterstattung überstiegen die Erwartungen. Die Atmosphäre im Sitzungssaal lässt sich mit keinem anderen so genannten Umfangsverfahren vergleichen.
Im Prozess wird ab und zu auch gelacht. Stört Sie das oder lachen Sie mit?
Gelegentlich lache ich natürlich mit. Es ist jedoch nicht akzeptabel, wenn Kollegen, die in anderen Verfahren auf der Verteidigerbank sitzen, das Eintreten für die prozessualen Rechte meiner Mandantin Beate Zschäpe mit Gelächter quittieren. In solchen Situationen wäre Sachlichkeit angebracht.
Hat die Hauptverhandlung Ihr Leben und das Ihrer Angehörigen verändert?
Ein klares „ja“. Die häufige Abwesenheit erfordert eine vernünftige Organisation des sonstigen Berufs- und des Privatlebens.
Was hat die Beweisaufnahme bislang gebracht? Wo steht der Prozess?
Die Beantwortung würde den Rahmen sprengen, so dass ich mich zu dieser sehr allgemein gehaltenen Frage nicht äußern kann. Der Prozess ist „mittendrin“.
Haben Sie den Eindruck, der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ist der Dimension des Verfahrens gewachsen?
Der Vorsitzende hat gewiss keine leichte Aufgabe, allen verfahrensmäßigen Belangen und den unterschiedlichen Interessen und Erwartungshaltungen der Prozessbeteiligten gerecht zu werden.
Halten Sie es beim jetzigen Stand der Hauptverhandlung für wahrscheinlich, dass Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten verurteilt werden?
Meine Überzeugung, dass sich in der Hauptverhandlung keine validen Beweise für das Bestehen einer terroristischen Vereinigung und eine Beteiligung meiner Mandantin an den Tötungsdelikten ergeben werden, wurde bestätigt. Zudem erfuhren tragende Elemente der insoweit ohnehin wenig substantiierten Anklage des Generalbundesanwalts keinen Beleg.
Welche Lehren ziehen Sie für sich und Ihre Arbeit aus dem Prozess?
Das Eintreten für die Unschuldsvermutung stößt weitgehend auf taube Ohren. Ich würde das Mandat wieder annehmen.
Haben Sie noch Kraft für weitere 100 Tage?
Ja.
Wolfgang Heer ist Rechtsanwalt in Köln. Er verteidigt die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.
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