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US-Präsident Donald Trump
© REUTERS/Leah Millis

Joe Biden und Pete Buttigieg: Diese beiden Demokraten muss Trump fürchten

Der eine wäre der älteste US-Präsident, der andere der jüngste. Trotz ihrer Unterschiede haben die Demokraten Joe Biden und Pete Buttigieg ähnliche Zielgruppen.

Als Allererstes zieht er sein Jackett aus und krempelt die Ärmel seines hellblauen Hemdes hoch. „Wenn ich Donald Trump 2020 schlagen kann“, sagt Joe Biden auf der schlichten schwarzen Bühne in einem Gewerkschaftshaus in Pittsburgh, „dann wird es hier passieren.“ Hier – damit meint der weißhaarige Demokrat: in Pennsylvania, dem Bundesstaat, den sich Trump 2016 überraschend sicherte. Ein Verlust, der die Demokraten besonders schmerzte – war es doch das erste Mal seit 1988, dass ein Republikaner siegte.

Für seinen Eröffnungsauftritt als Bewerber um das Amt des 46. US-Präsidenten hat Joe Biden den Veranstaltungsort einer Organisation gewählt, die Mitarbeiter der Logistikbranche vertritt. Ein unprätentiöser, fast intimer Raum, kaum 400 Menschen passen hinein. Die Zuhörer jubeln und klatschen frenetisch. „Warum ich Pittsburgh ausgewählt habe?“, fragt Biden. „ Weil es die Stadt der hart arbeitenden Mittelschicht Amerikas ist, das Rückgrat der Nation.“

Der Auftakt ist geglückt. Keine Woche, nachdem Joe Biden, acht Jahre lang Vizepräsident unter Barack Obama, offiziell in das Rennen ums Weiße Haus eingestiegen ist, liegt er in einer landesweiten Umfrage des Fernsehsenders CNN mit weitem Abstand vorne, im inzwischen bereits 20 Kandidaten umfassenden Feld der Demokraten. Zuvor hatte Biden schon den Rekord beim Spendensammeln in den ersten 24 Stunden aufgestellt: 6,3 Millionen Dollar, mehr, als jeder andere Kandidat im gleichen Zeitraum aufgetrieben hat.

Joe Biden mit Unterstützern in Pittsburgh
Joe Biden mit Unterstützern in Pittsburgh
© AFP/Getty Images/Jeff Swensen

Und wenige Stunden vor seinem Wahlkampfbeginn am Montag dieser Woche verkündet die „International Association of Fire Fighters“ mit Sitz in Pittsburgh, die Gewerkschaft der Feuerwehr, dass sie Biden unterstützt. Bei der Veranstaltung am Nachmittag helfen Feuerwehrleute in roten und gelben T-Shirts als Ordner, die rund 400 Zuhörer ins Gebäude zu schleusen. Ein Signal, das Sogwirkung auslösen könnte, bilden die Feuerwehrleute doch die drittgrößte Gewerkschaft in den USA.

Biden hat lange gezögert, ehe er seine Bewerbung verkündet hat. Wollte er sich erst ganz sicher sein, auch wirklich Erfolg haben zu können? Immerhin ist es sein dritter Anlauf. Im Falle eines Triumphes wäre er mit 78 Jahren der älteste Präsident aller Zeiten, wenn er auf den Stufen des Kapitols in Washington seinen Amtseid ablegt.

Ein anderer Kandidat seiner Partei, über den gerade viel gesprochen wird, wäre am Tag der Inauguration genau halb so alt. Pete Buttigieg, der Bürgermeister aus dem Mittleren Westen, wird seinen 39. Geburtstag am 20. Januar 2021 feiern – einen Tag vor der Vereidigung. Aktuell liegt der jüngste Kandidat in der CNN-Umfrage mit lediglich sieben Prozent auf dem vierten Platz. Doch allein dieser vierte Platz ist eine Sensation.

Biden und Buttigieg sind zwei Kandidaten, die einerseits unterschiedlicher kaum sein könnten. Hier der seriöse, hoch angesehene Politikveteran, der 36 Jahre lang den Bundesstaat Delaware im US-Senat repräsentierte. Dort der bis vor Kurzem nur Insidern bekannte schwule Jungpolitiker, dessen Hund einen eigenen Twitter-Account hat. Und doch umwerben sie ähnliche Zielgruppen: die Mittelklasse Amerikas. Beide haben Wurzeln im „Rust Belt“, Rostgürtel, dem ältesten Industriegebiet Amerikas. Eine Region, die seit den 1970er Jahren unter wirtschaftlichem Niedergang leidet – und die Donald Trump erst wieder auf die politische Tagesordnung gebracht hat.

Buttigieg ist der erste offen homosexuelle Kandidat der Demokraten

Noch vor wenigen Monaten kannte den Bürgermeister von South Bend in Indiana kaum jemand. An der richtigen Aussprache seines Namens – Butt-ätsch-ätsch – scheitern die meisten noch immer. Mittlerweile wissen jedoch etliche, dass der bemerkenswerte „Mayor Pete“ Uniabschlüsse von Oxford und Harvard hat, als Navy-Offizier sieben Monate in Afghanistan im Einsatz war, acht Sprachen spricht und exzellent Klavier spielt. Dass er seine vom Strukturwandel geschwächte 100.000-Einwohner-Stadt wirtschaftlich nach vorne gebracht hat. Und dass er seit dem vergangenen Jahr mit dem Lehrer Chasten Glezman Buttigieg verheiratet ist. Buttigieg ist der erste offen homosexuelle Kandidat der Demokraten in einem Präsidentschaftswahlkampf.

Im Wettbewerb mischen auch andere spannende Anwärter mit – wie der ehemalige Kongressabgeordnete aus Texas, Beto O’Rourke, oder die afroamerikanische Senatorin Kamala Harris aus Kalifornien. Trotzdem ist seit einigen Wochen überproportional viel über Pete Buttigieg zu lesen. Und das, obwohl im Grunde noch gar nicht klar ist, mit welchem Programm er die Wähler gewinnen will. Er selbst sagt: „Ich weiß, ich habe noch viel zu lernen.“ Zuhören will er derzeit vor allem, weniger selbst reden. Ein Lehrling, um Trump aus dem Weißen Haus zu verjagen? Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird in 16 Monaten gewählt. Und selbst die Vorwahlen der Demokraten beginnen erst im Frühjahr 2020. Doch zumindest für den Moment hat Buttigieg einen wahren Hype ausgelöst.

Pete Buttigieg
Pete Buttigieg
© AFP/KAMIL KRZACZYNSKI

An jenem Tag, an dem sein Kontrahent Joe Biden um halb fünf nachmittags die Bühne in Pennsylvania betreten wird, trifft sich Pete Buttigieg in einem New Yorker Lokal zu einem symbolträchtigen Gespräch. Ein vermeintlich privates Mittagessen mit der Bürgerrechtler-Ikone Al Sharpton im Harlemer Restaurant „Sylvia“. Dutzende Fotografen pressen sich an die Scheibe des Fensters, vor dem die beiden Männer – direkt – sitzen. Sharpton hatte hier bereits Lunch mit dem damaligen Kandidaten Barack Obama im Jahr 2007, mit Bernie Sanders 2016, der auch dieses Mal wieder mitkämpft, und zuletzt mit Kamala Harris Ende Februar. Der jeweilige Kandidat sollte also nicht unterschätzt werden. Mindestens aber sagt das: Er oder sie bemüht sich ganz besonders um die afroamerikanische Community, eine wichtige Wählergruppe.

Ein Kandidat, der die Sprache der Arbeiter spricht

Von Joe Biden ist nicht überliefert, dass er mit Al Sharpton im „Sylvia“ zu Mittag gegessen hat. Doch alleine die Tatsache, dass er als weißer Politiker dem ersten schwarzen Präsidenten als treuer Vize diente, qualifiziert ihn in den Augen vieler Afroamerikaner.

Wohl darum bemüht er sich derzeit eher um andere Gruppen. Geplant ist keine Riesen-Rally mit tausenden Besuchern, wie etwa Kamala Harris sie im kalifornischen Oakland auf die Beine gestellt hat: 20 000 Leute kamen. Das Wort Saal hat der Raum in Pittsburgh schon wegen seiner überschaubaren Ausmaße kaum verdient. Wer nicht mehr hineinpasst, muss draußen bleiben. Eine Leinwand gibt es da nicht. Alles an diesem eher unspektakulären Auftritt soll die Bodenständigkeit des Kandidaten unterstreichen – zuvor hatte es Kritik gegeben, dass unter Bidens großzügigen Unterstützern viele wohlhabende Spender waren.

Die Bedeutung, die Joe Biden ihnen mit der Wahl dieses Standortes beimisst, schmeichelt den Pittsburghern. Sie sehen Biden als einen der ihren an: geboren im Industriestädtchen Scranton in Pennsylvania, irisch-katholische Familie, drei Geschwister, der Vater Joseph Autohändler.

Über die Jahre ist Joe Biden immer wieder hier im „Steel Country“ aufgetreten. Ihm kann keiner vorwerfen, den Bundesstaat vernachlässigt zu haben, einst Symbol für die stolze amerikanische Stahlindustrie. Anders als die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton. Sie verlor den Staat an Trump, der als Arbeiterführer auftrat und versprach, die heimische Wirtschaft wieder aufzubauen.

US-Präsident Donald Trump bei einer Veranstaltung im Weißen Haus
US-Präsident Donald Trump bei einer Veranstaltung im Weißen Haus
© REUTERS/Joshua Roberts

Der Präsident der Feuerwehr-Gewerkschaft, Harold Schaitberger, legt bei seiner Begrüßung in Pittsburgh den Finger in die Wunde. Die Demokraten bräuchten 2020 einen Kandidaten, der die Sprache der Arbeiter spreche. Diese bezweifelten, dass die letzte Bewerberin sich für sie interessiert habe. Außerdem macht er klar, warum die Wahl diesmal auf Biden gefallen ist, der als Mann der Mitte gilt: Schaitberger warnt vor Bewerbern, die „zu weit links“ stünden, hohe Ideale und „vielleicht ehrenwerte Absichten“ hätten, aber kaum eine Chance, zu gewinnen. Bidens „Wählbarkeit“ hat auch der Umfrage-Experte Nate Silver als größte Stärke ausgemacht.

Biden will Wahlprogramm in den kommenden Wochen präsentieren

„Joe Biden kann das Land wieder zusammenführen. Er hat die beste Chance, 2020 zu gewinnen“, sagt Zuschauerin Joan Bauer, die geduldig in der Schlange steht, um ihren Lieblingskandidaten zu hören. Bauer ist 72, schreibt Gedichte und hat zwölf Jahre lang Journalismus an unterschiedlichen Universitäten gelehrt. Sie hat bereits für viele Demokraten Wahlkampf gemacht, für Obama und Jimmy Carter zum Beispiel. An Biden schätze sie vor allem seinen Anstand, seine Bodenständigkeit – und seine Erfahrung. Daher stört sie auch nicht, dass er mit 76 Jahren nach Bernie Sanders der zweitälteste Kandidat ist. Bauer ist überzeugt: „Der Weg ins Weiße Haus führt direkt durch Pennsylvania.“

Die arbeitende Mittelklasse will Biden ins Zentrum seiner Kampagne stellen, so viel ist klar. Sein weiteres Programm streift er zum Auftakt nur knapp. Dazu zählt ein landesweiter Mindestlohn von 15 Dollar die Stunde und eine Rücknahme der Trump’schen Steuersenkungen, von denen die meisten Menschen gar nicht profitiert hätten, wie Biden sagt. Mehr Details werde es in den kommenden Wochen geben, verspricht er. Und verkündet: „Ich bin ein Gewerkschaftsmann. Dafür entschuldige ich mich nicht.“

In der mächtigen Feuerwehr-Gewerkschaft hält man Biden zugute, dass er sich immer für sie starkgemacht hat, sei es in der Frage, ob die Überstunden der Feuerwehrleute entlohnt werden sollen oder als es darum ging, ob diejenigen, die als Folge ihres Einsatzes am 11. September 2001 an Krebs erkrankten, finanzielle Unterstützung bekommen.

Buttigiegs politisches Engagement umspannt naturgemäß eine deutlich kürzere Zeit. Auch darum nutzt er gerade jede Chance, um im Gespräch zu bleiben. Als gläubiger Christ legt er sich unerschrocken mit dem evangelikalen Vizepräsidenten Mike Pence an, der wenig übrig hat für Themen wie Homoehe. „Wenn Sie ein Problem mit dem haben, was ich bin, dann haben Sie kein Problem mit mir, Sir, sondern mit meinem Schöpfer“, hat Buttigieg Pence bei einem Treffen der queeren Gemeinde in Washington Anfang April zugerufen.

Für die Juni-Ausgabe des Modemagazins „Vogue“ hat sich der Sohn eines maltesischen Einwanderers gerade vom Starfotografen Ethan James Green ablichten lassen. Die Schwarz-Weiß-Bilder strahlen schnörkellose Coolness aus, weißes Hemd, schwarze Anzughose, keine Jacke. Buttigieg bindet sich eine Krawatte um, schaut dabei zur Seite. Die „Washington Post“ beschreibt den Mann, der da zu sehen ist, wohlwollend als „die glamouröse Version eines Bürokraten“, als einen „zupackenden Manager“, der „die Sachen erledigt“ bekomme.

Mehr als der Nachlassverwalten Obamas?

Pete Buttigieg hat nach der Uni, wo er zunächst Abschlüsse in Geschichte und Literatur machte, ehe er in Oxford Philosophie, Politik und Wirtschaft studierte, drei Jahre lang bei der Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet. Er gilt im Kreis der demokratischen Kandidaten, von denen sich viele klar links positionieren, als wirtschaftsnah. Schon als er 2012 das Amt des Bürgermeisters in seiner Heimatstadt South Bend übernahm, war er das jüngste Oberhaupt einer amerikanischen Stadt mit mindestens 100 000 Einwohnern. Wenn alles so kommt, wie er es sich zum Ziel gemacht hat, wäre er der jüngste amerikanische Präsident aller Zeiten. Ein Millenial im Weißen Haus.

Obamas ehemaliger Berater David Axelrod sagt gerne, Wähler suchten nach jemandem, der das Gegenteil des Amtsinhabers verkörpere. Das trifft auf Pete Buttigieg wohl zu. Er muss dabei sicherstellen, dass er trotz seiner überschaubaren Erfahrung ein schlüssiges Konzept für die Zukunft präsentieren kann. Dass seine Kandidatur breite Wählergruppen anspricht.

Biden wiederum wird beweisen müssen, dass er mehr ist als nur der Nachlassverwalter Obamas. Denn seine Verbundenheit mit dem 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist einer seiner größten Schwachpunkte. Als eher unwahrscheinlich gilt auch, dass er mehr als eine Amtszeit anpeilt. Er selbst sagt in Pittsburgh, er wolle „den Job erledigen“, die Arbeit vollenden, die nach acht Jahren gemeinsamer Regierungszeit noch zu tun ist.

Doch reicht das? Soll das möglich sein, den derzeitigen Präsidenten rasch vergessen zu machen? Braucht das Land nach den Erschütterungen der Ära Trump nicht frische Ideen, einen kraftvollen, unverbrauchten Kandidaten? Der Aufbruch verkörpert, etwa angesichts der vielen neuen Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt – auch für die Menschen im „Rust Belt“. Wo Buttigieg für die Zukunft steht, eine veränderte amerikanische Gesellschaft repräsentiert, verbinden viele mit Biden die gute alte Zeit. Das muss nichts Schlechtes sein. Nach dem Experiment Trump, den tagtäglichen Aufregungen, sehnen sich viele womöglich nach vertrauenswürdiger Langeweile.

Während Biden spricht, steht oben auf der Empore in Pittsburgh ein mittelalter Mann und hört ihm zu. Er blickt melancholisch drein, stützt die Arme auf das Geländer. Auf seinem schwarzen T-Shirt prangt das bekannte gemalte Konterfei von Obama. Darunter stehen zwei Worte: Miss you.

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