Wahl in der Ukraine: Die süßen Versprechen des Schokoladenkönigs
Er, ein Oligarch? Das hört Petro Poroschenko gar nicht gerne. Der milliardenschwere „Schokoladenkönig“ gilt als Favorit fürs Präsidentenamt. Weil sich viele Ukrainer von ihm Sicherheit und Stabilität erhoffen. Und etwas, womit der Kandidat bis zum letzten Tag warb.
Es ist eine Art Zauberformel. Immer, wenn Petro Poroschenko spürt, dass er den Faden zum Publikum verliert, seine Zuhörer nicht mehr bei der Sache sind, holt er tief Luft und ruft diese zwei Worte ins Mikrofon: Slawa Ukraini, Ruhm der Ukraine! Dann sind sie wieder da, da unten vor der Bühne, brüllen begeistert zurück: Herojam Slawa, Ruhm den Helden!
Im westukrainischen Lemberg funktioniert das Spiel mit dem Publikum zwischen Jugendstilgebäuden und Kaffeehäusern besonders gut. Deshalb ehrt Poroschenko, der in dunkelblauem Anzug und lila Krawatte vor Tausenden auf einer Bühne steht, die Helden gleich mehrmals in der lauen Abendsonne. Slawa Ukraini! Herojam Slawa!
Es ist der alte Schlachtruf des Maidan, massentauglich geworden während der Proteste gegen ihren früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch. Der Unternehmer und Milliardär Poroschenko will der neue Präsident der Ukraine werden. Es ist die erste Wahl eines Amtsträgers seit dem Aufstand, seit der Flucht Janukowitschs Ende Februar. Die Kundgebung am Denkmal des Nationaldichters Taras Schewtschenko ist Poroschenkos letzte Rede auf seiner Tour, das Finale seines Wahlkampfes. Es liegt ein langer Tag hinter ihm mit dicht gedrängtem Programm, hektischem Chauffieren, großem Gedränge, Pressekonferenzen, öffentlichen Reden und dem Besuch einer katholischen Universität in Lemberg. 500 Studenten sind zu seinem Auftritt gekommen, das Interesse ist groß, auch wenn viele hier noch nicht entschieden haben, für wen sie an diesem Sonntag stimmen werden. „Wenn er nur seine Versprechen alle hält“, seufzt eine Studentin. Ihre Kommilitonin meint: „Nach all den Enttäuschungen der letzten Jahre ist es schwer, jemandem noch zu vertrauen.“
„Auf neue Art leben“ – mit diesem Slogan wirbt Poroschenko und der 48-Jährige hat es geschafft, sich im Wahlkampf als Favorit fürs Präsidentenamt zu positionieren. Bei seiner Kampagne setzt er auf drei Säulen: Sicherheit, Patriotismus und Reformen. Er will Ukrainisch als einzige Staatssprache belassen: Russisch – „oder Englisch“, wie er scherzhaft anfügt –, könnte eine Regionalsprache bleiben, dürfte aber nicht denselben Stellenwert haben wie die Staatssprache. Die Menschen nehmen Poroschenko ab, dass er den Staat auf Vordermann bringen kann – so wie er das im Gebiet Winnitsa bewiesen hat, wo sich eine seiner Fabriken befindet. Die Menschen erzählen sich, dass dort die Straßen keine Löcher hätten, die Straßenbeleuchtung funktionieren würde, und es sehr sauber sei. Würde die ganze Ukraine wie Winnitsa sein, dann wäre alles viel besser …
Sein Vermögen wird auf 1,6 Milliarden geschätzt
Begonnen hat Poroschenko seine Karriere als Geschäftsmann. Der „Schokoladenkönig“ handelte mit Kakaobohnen, später kaufte er Süßwarenfabriken. Seine Schokoladenmarke „Roshen“ (die mittleren Silben seines Namens) kennt in der Ukraine jeder. Weitere Firmen wie eine Werft, Autofabriken und ein Fernsehkanal, der zu Janukowitschs Zeiten ganz entschiedene Oppositionspolitik machte, sind in seinem Besitz. Er ist der siebtreichste Mann in der Ukraine mit einem geschätzten Vermögen von 1,6 Milliarden Dollar. Ein Oligarch, der sich vehement gegen diese Bezeichnung wehrt. Weil ein Oligarch jemand sei, der die Staatsmacht benutzt, um sich selbst zu bereichern. Er aber habe stets die Opposition unterstützt.
Im Donbass werden Zwischenfälle erwartet. Polizisten sollen Wahllokale schützen
In der Bevölkerung genießt Poroschenko, der aus der Nähe von Odessa im Süden des Landes stammt, mit einer Ärztin verheiratet ist und vier Kinder hat, großes Ansehen. Er gilt als Pragmatiker und machte sich auch mit einer sozialen Stiftung beliebt, die sich um Bedürftige kümmert. Umfragen zufolge kann Poroschenko bei der Wahl mit mehr als 30 Prozent der Stimmen rechnen. Damit läge er klar vor der zweitplatzierten Timoschenko, auf die gut zehn Prozent entfallen dürften. Viele haben ihr gegönnt, dass sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, hätten es aber lieber gesehen, wenn sich die Frau mit der einschlägigen Vergangenheit politisch zurückzöge. Das hat die Vollblutpolitikerin nicht gekonnt.
Poroschenko ist allerdings auch kein Neuling. Unter dem Präsidenten der Orangen Revolution Viktor Juschtschenko diente er als Außenminister, später war er Wirtschaftsminister unter Viktor Janukowitsch. In beiden Ämtern hielt er es nicht lange aus. Vielleicht verzeiht man ihm deshalb, dass er sich mit allen arrangiert hat: Er ist ihnen doch nicht zu nahegekommen. Für eine Wahl in der ersten Runde wäre eine absolute Mehrheit erforderlich, ansonsten folgt drei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kandidaten. Dass der Sieger nach dem ersten Durchgang feststeht, ist nicht ausgemacht. Es gibt im Land noch viele Unentschlossene – und 16 weitere Kandidaten.
Im Osten haben die Wähler Angst
Die Stimmung im Land ist kurz vor der Wahl ruhig, nur im Donbass – in den Gebieten Donezk und Lugansk – werden Zwischenfälle erwartet. Polizisten und Sondereinheiten sollen Wahllokale schützen. In den vergangenen Tagen haben Bewaffnete immer wieder versucht, Wahlleiter einzuschüchtern, teilweise wurden Verantwortliche auch entführt. Mehrere Wahllokale im Osten des Landes sind besetzt. Im Gebiet Donezk sind nach Informationen der Zentralen Wahlkommission von 34 Kreis-Wahlkommissionen nur 14 in Betrieb. Es wird befürchtet, dass viele Wahlberechtigte im Osten aus Angst nicht ihre Stimme abgeben werden.
Viele Ukrainer trauen Poroschenko zu, das gespaltene Land zu einen.
Es sind Wahlen in der schwierigsten Situation seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991. Poroschenko appelliert an die Bürger, von denen viele kleine Ukraine-Flaggen angesteckt haben: „Wir dürfen keine Zeit verlieren“, donnert er ins Mikrofon. „Wir brauchen Ordnung im Land.“ Auch während der Demonstrationen in Kiew hat Poroschenko für Ordnung gesorgt. Er war ein Unterstützer des Maidan, hat sich dort aber nicht allzu oft blicken lassen. Er hat im Hintergrund die Fäden gezogen. Der Unternehmer hat Treibstoff für die Generatoren gekauft, er hat die improvisierten Kliniken mit Medikamenten versorgt. Und am Schluss hat er mit einer ganzen Armee an Putzkräften die Straßen säubern lassen. Kenner nennen ihn auch einen geschickten Diplomaten. „Er kann mit allen reden“, sagt ein Vertrauter. Nicht ausgeschlossen, dass er sogar dem russischen Präsident Wladimir Putin die Stirn bieten kann.
Er habe in den vergangenen Wochen mehr als eine Million Menschen getroffen, sagt Poroschenko. Sein Wahlkampf hat ihn durchs ganze Land geführt, bis ins von Separatisten regierte Lugansk weit im Osten, auch wenn er dort nicht öffentlich auftreten konnte und er sich mit seinen Anhängern heimlich in der Universität traf. Er will der Präsident sein, der sein Vorgänger Viktor Janukowitsch nie war: der Präsident aller Ukrainer. Der Kampf gegen das alte System und die derzeitige Krise habe die Menschen zusammengeschweißt. „Nie war die Ukraine einiger und patriotischer als heute“, ruft er.
Viele Ukrainer trauen Poroschenko zu, Brücken in dem tief gespaltenen Land zu bauen und nach Monaten der Unruhen für eine gewisse Stabilität zu sorgen. Der Westen beäugt den proeuropäischen Politiker etwas zurückhaltend, sieht aber derzeit keine Alternative an der Spitze des EU-Anrainers. Der frühere Profiboxer Vitali Klitschko verzichtete für Poroschenko auf seine Kandidatur, tritt nun als Bürgermeister von Kiew an.
Er wird die Versprechen nicht halten können
„Er ist ein Oligarch einer anderen Sorte“, sagt Jaroslaw Hrytsak, ein Historiker in Lemberg, der vor ein paar Monaten an seinem Programm mitgearbeitet hat. Er habe Arbeitsplätze geschaffen und zahle seine Steuern. So gut wie sein Unternehmen verspricht Poroschenko nun auch die Ukraine zu regieren. Er habe 45 000 Menschen Jobs gegeben, zahle überdurchschnittlich hohe Löhne, 420 Euro im Schnitt pro Monat, er trage soziale Verantwortung. „Warum soll das nicht auch mit 45 Millionen klappen?“, fragt Poroschenko auf der Bühne. Dafür erntet er viel Applaus.
Eines ist jetzt schon klar: Viele seiner Versprechen wird Poroschenko nicht einlösen können, liegen sie doch gar nicht in der Kompetenz des Staatschefs in der neuerdings wieder parlamentarisch geprägten Ukraine. Die Regierung steht vor den wirklich schweren Aufgaben für das fast bankrotte Land – einen Umstand, den er in keiner seiner Reden auch nur erwähnt. Als Präsident kann er sich als Macher präsentieren, und noch sieht man ihm seine Machtlosigkeit nicht an. Noch ist Wahlkampf, und der ungestüm gestikulierende Poroschenko kommt beim Publikum gut an. Als er baldige Neuwahlen verspricht, brandet wieder Applaus auf. „Ja, er verspricht viel“, sagt ein junger Mann. „Aber ihm traut man im Gegensatz zu den anderen Kandidaten zu, dass er sie erfüllen könnte – zumindest allmählich.“
Und dann kommt es bei seinem letzten Termin in Lemberg doch noch zu einem Zwischenfall. Als der Politiker in einem von Kadetten geschützten Spalier am Publikum vorbeieilt, rufen ein paar junge Männer über den Platz: Schande! Schande!
Auch das ist eine Losung des Maidan, ein Schmähruf, der Janukowitsch und seine Clique, ihre Korrumpiertheit und Machtgier anprangern sollte. Heute ist er als Warnung für Poroschenko gemeint. Er sollte sie ernst nehmen.
Jutta Sommerbauer