Kramp-Karrenbauer in der Krise: Die CDU-Chefin hat das Berliner Tempo unterschätzt
Was ist aus der Siegerin, der großen Hoffnung geworden? Eine überfordert-provinzielle Konservative. Unschuldig ist Annegret Kramp-Karrenbauer an der Lage nicht
Neulich hat ihr einer geraten, am besten mal für eine Weile abzutauchen. Annegret, hat der Mann gesagt, du kannst im Moment tun und sagen was du willst – es ist immer falsch! Der Mann meinte es gut mit Annegret Kramp-Karrenbauer, aber wörtlich zu nehmen war der Tipp natürlich nicht. Eine CDU-Vorsitzende kann sich ja schlecht für ein paar Wochen im fünften Stock des Konrad-Adenauer-Hauses einschließen. Trotzdem war etwas dran an dem Satz. Ein gutes halbes Jahr nach ihrer Wahl steckt die Siegerin des CDU-Vorsitzendenwettbewerbs in einer ziemlich unkomfortablen Lage. Sie ist daran nicht unschuldig. Und so schnell kommt sie da auch nicht wieder raus.
Rainer Kirchdörfer sah das kürzlich genauso. Kirchdörfer ist Vorstandssprecher der „Stiftung Familienunternehmen“. Zum Jahrestreffen hat sich der Verein die CDU-Chefin eingeladen. „Die hundert Tage Schonfrist sind vorbei“, sagt Kirchdörfer zur Begrüßung, und was die Herausforderungen angehe: „Es wird sich nicht verbessern.“ Man kann Kramp-Karrenbauers Gesicht in der ersten Stuhlreihe im Ballsaal des „Adlon“ in diesem Moment nicht sehen, was vielleicht auch besser ist. Dabei hatte sich die Stiftung extra vorgenommen, ihre Gäste nett zu behandeln und wegzukommen von der „permanenten Demontage unseres Spitzenpersonals“.
Große Geste, großes Verständnis, kurz – Friedrich Merz
Ein edler Plan, der nicht aufgeht. Dafür sorgt im Adlon schon Klaus Mangold, den freundliche Menschen als „Mr. Russland der deutschen Wirtschaft“ porträtieren. Kramp-Karrenbauer hat einen längeren Vortrag über die Rolle Europas in der Welt gehalten, jetzt darf das Publikum fragen. Mangold will von ihr hören, dass Russland „Europa“ sei. Er kriegt aber zu hören, dass – bei allem Willen zu guter Nachbarschaft – eine gewisse Zurückhaltung gegenüber einem Regime angebracht sei, dass Demokratien wie unsere zu destabilisieren versuche. „Unmöglich“, blökt es aus Mangolds Ecke, „fürchterlich!“
Der Mann ist ein Extremfall
Nun ist der Putin-Freund ein Extremfall. Aber auch die Unternehmerin, die sich empört, weil die Politik sich den Klimazielen „geradezu sklavisch“ unterordne, oder der Mann, der jetzt mal Schluss mit immer mehr Sozialstaat fordert, stellt sie nicht richtig zufrieden. Kramp-Karrenbauer versichert der einen, CDU-Ideen zum Klimaschutz unterschieden sich schon noch von denen der Grünen, und wirbt beim andern um Verständnis, dass bei Bildung oder Pflege schon noch nachzubessern sei. Gegen beides ist in der Sache wenig einzuwenden. Aber dieses Publikum hatte sich anderes versprochen von einer Frau, die einmal das Land führen will. Mehr von dem, was ihnen am Abend vorher beim geselligen Auftakt ein anderer geliefert hatte: Große Geste, großes Verständnis, kurz – mehr Friedrich Merz.
Der Mann ist ihr Schicksal. Kramp-Karrenbauer hat den Konkurrenten an diesem verrückten 7. Dezember in den Hamburger Messehallen geschlagen. Besiegt hat sie ihn nicht. Sie hat sich von ihm das Handeln bestimmen lassen. 52 gegen 48 Prozent, zwei Handvoll Stimmen – das roch nach Fortsetzung der Spaltung aus den Flüchtlingsjahren.
Was bleibt: überfordert, provinziell, konservativ
Das „Werkstattgespräch Migration“ sollte die alten Fronten versöhnen. Dass es neue eröffnen würde, war vielleicht wirklich nicht absehbar. Aber im Nachhinein erweist sich die Tagung im Februar im Adenauer-Haus, zu deren Abschluss Kramp- Karrenbauer Grenzschließungen als „ultima ratio“ für möglich erklärte, als Wendepunkt in der Wahrnehmung der neuen Vorsitzenden. Die Frau, die in Hamburg als Merkels Schwester im Geiste siegte, gilt zwei Karnevalsauftritte und ein Rezo-Video später als überfordert-provinzielle Konservative.
Sie ist nicht die Erste, der das passiert. Als Helmut Kohl aus Mainz nach Bonn wechselte, wurde er als Pfälzer Saumagen-Trottel belächelt, erst recht im Kontrast zum Weltbürger Helmut Schmidt. Angela Merkel hielten viele jahrelang für ein republikfremdes Leichtgewicht.
So läuft das nicht in der Blase Berlin
Aber solche Vergleiche taugen nur bedingt. Heute ist das Tempo viel höher, in dem sich ein öffentliches Image formt. Und wenn das einmal in der Twitter-Welt ist, lässt es sich nur schwer korrigieren. Neulich war Kramp-Karrenbauer als Gast bei der Hochzeit eines CDU-Parteifreunds, der seinen Mann heiratete. Sie war ursprünglich gegen die Homo-Ehe, aber nie eine Eiferin und schon gar nicht homophob. Die Heimatzeitung nahm kurz Notiz. Das Image bleibt. Kramp-Karrenbauer und ihr Team haben den Effekt komplett unterschätzt. Sie dachten langsamer: Erst die Partei wieder vereinen, die enttäuschten Merz- Fans verarzten, die Gefahr einer Spaltung abwenden; danach bleibt Zeit, das eigene Profil um die Schattierungen zu erweitern, die Weggefährten der Saarländerin natürlich kennen: die Frau vom Sozialflügel, die Klaus-Töpfer-Schülerin, die linksrheinische Liberale, die Europäerin.
Fernsehfetzen bestimmen die Wahrnehmung
Aber so läuft das eben nicht in der nervösen Blase Berlin. In ihrer Heimat hat praktisch jeder „es Annegret“ schon mal persönlich getroffen. Da können sie auch unterscheiden zwischen Karnevalswitz und Glaubensbekenntnis. In der Blase gelten andere Maßstäbe, solche, die ihre Nachbarn in Püttlingen für verrückt halten. Kramp-Karrenbauer hadert damit. Sie will authentisch bleiben. Aber da, wo sie jetzt ist, braucht sie einen Panzer gegen sich selbst, schnelle Reaktion und ein Warnsystem: Kann jemand die spontane Formulierung falsch verstehen? Kurze Fernsehfetzen bestimmen die Wahrnehmung, missdeutbare Halbsätze, Fehler.
Haltungsnoten zählen besonders, und ihre sind momentan eben schlecht. Dann kommt zum Patzer die Nervosität und dazu die Übervorsicht. Kramp-Karrenbauer spricht in kleinem Kreis nach wie vor knappe Sätze, treffsicher, ironisch. Das große Publikum erlebt oft mäandernde Wortfolgen, mit „sozusagen“ und „entsprechend“ sinnfrei aufgefüllt. Die Dialektfärbung tut ein Übriges. Saarländischer Singsang klingt nicht entschlossen. Zuletzt war sie so in der Defensive, dass sie ihren Vertrauten Nico Lange lieber nicht zum Bundesgeschäftsführer machte. Lange war Berufssoldat, leitete Auslandsposten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew und Washington und war an der Saar der Stratege an ihrer Seite. Dem 44-Jährigen wurde sein robustes Selbstbewusstsein zum Karrierehindernis. Spätestens als er nach der Europawahl die Junge Union für den Eindruck verantwortlich machte, die CDU sei nach rechts gerückt, fanden es führende CDU-Leute an der Zeit, diese Art von Schwung zu bremsen.
Mit diesem „Rechtsruck“ ist es aber auch eine vertrackte Sache. Merkel hatte als Parteichefin die konservativen Ultras immer rechts liegen lassen. Kramp-Karrenbauer lud sie in die „Werkstatt“ ein. Die Truppe um den „Werteunion“-Vorsitzenden Alexander Mitsch riss am ausgestreckten Finger gleich die ganze Hand an sich und lässt sich seither nicht mehr abschütteln. Ihre Mitglieder und Sympathisanten reden in kleinem Kreis auffallend gut über die Vorsitzende.
Die per Twitter und Facebook aktive liberale Gegenvereinigung „Union der Mitte“ kommt kaum damit nach, Mitsch und seinem Promi-Mitglied, dem Ex-Verfassungsschutzchef Hans Georg Maaßen, auf ihre Provokationen zu antworten. Ihre Mitglieder reden im Vertrauen sehr frustriert über die Vorsitzende, der sie in Hamburg ihre Stimme gegeben hatten. „Wenn das so weitergeht“, sagt einer, „trete ich aus.“
Beide Gruppen sind klein, aber sie werfen große Medienschatten, weil jeder ihre virtuellen Scharmützel leicht verfolgen kann. Die große Mehrheit der Partei schweigt wie immer. Die traditionellen Flügel lahmen. Der Sozialflügel ist unsichtbar, der Wirtschaftsflügel macht es sich als Club der Mahner und Warner im Sessel bequem. Die CDU wirkt durch all das exakt so gespalten, wie es Kramp-Karrenbauer dringend vermeiden wollte. Dagegen scheint kein Kraut gewachsen. Ihrem Projekt aus Generalsekretärinnenzeiten, die Partei mit einem Diskussionsmarathon aus der inhaltlichen Lethargie der Regierungsjahre zu reißen, läuft zwischen Wahlterminen und Koalitionskrisen die Zeit davon. Sowieso ist fraglich, ob neue Selbstvergewisserung überhaupt hilft. Die Europawahl und der Aufschwung der Grünen geben einstweilen eher dem Merkelschen Rezept recht, dass die CDU ihre Stimmen jenseits des engeren Markenkerns suchen muss. Den wählen nämlich nur Kernwähler, und das sind keine 40 Prozent mehr.
Akk leidet unter ihrer Zwitterstellung
Kramp-Karrenbauer versucht jetzt den Spagat hinzukriegen, exemplarisch zu sehen bei der Klimapolitik: Einerseits den Jungen eine Antwort geben, für deren Rigorismus der Youtuber Rezo mit seinem Video zur „Zerstörung der CDU“ steht, andererseits Traditionspublikum wie die maulende Unternehmerin nicht verlieren. Bei den Familienunternehmern versucht sie es mit dem Appell an den Familiensinn: Das müsse doch in diesem Kreis besonders einleuchten, dass es darum gehe, „ob das noch eine lebenswerte und lebensfähige Welt ist, die wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen.“ Das Publikum wirkt nicht überzeugt. Das Problem an Kramp-Karrenbauers Zwitterstellung wird hier offensichtlich. Von der CDU-Chefin erwartet die Partei Parteitext. Damit vergrault die Kanzlerin in spe andere Wähler. Beide Rollen lassen sich nicht trennen.
Und jetzt kommt auch noch Sachsen...
Müssen sie ja auch nicht mehr, murmelt es aus der Berliner Blase. Kanzlerin Kramp-Karrenbauer? Hat sich doch erledigt! Die Blase ist schnell mit dem Urteil, freilich genau so fix mit dem nächsten, wenn es dann doch anders kommt. Und gerade in diesen schnellen Zeiten kommt es öfter mal anders. Dabei spricht auf den ersten Blick wirklich wenig dafür, dass sich die Lage bessert. Die Aussichten für die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sind mau. Kommt es schlimm, landet die AfD am 1. September in Sachsen vor der CDU. Kommt es ganz schlimm, rebellieren Teile der Sachsen-CDU und stellen den Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD in Frage, den die Parteichefin fassen ließ. Der Beschluss soll Entschlossenheit zeigen, kann aber nach hinten losgehen.
Kommt es alles für sie noch schlimmer, wirft im Herbst in Berlin die SPD nicht die Brocken hin, sondern wählt eine neue Parteispitze und bleibt nach einigem Hin und Her in der Koalition. Dass Merkel den Weg vorzeitig freimacht, glaubt inzwischen niemand mehr. „Je länger AKK warten muss, desto mehr nutzt sie sich ab“, sagt ein CDU-Führungsmitglied.
Offen fordert sie niemand heraus
Ihre Konkurrenten hoffen das auch. Offen fordert sie niemand heraus. Als Kramp-Karrenbauer neulich zum „Wirtschaftstag“ des Wirtschaftsrats kam, begrüßte sie den frisch gewählten Vizevorsitzenden der CDU-nahen Vereinigung mit Wangenküsschen. Friedrich Merz ließ es sich gern gefallen. Ansonsten schießt er ab und an Sätze in die Debatte, die unter seinen Anhängern immer dieses wissende Zwinkern auslösen. Der AfD zum Beispiel zu bescheinigen, dass sie weder verboten noch als verfassungswidrig eingestuft sei, ist formal korrekt, deckt sich aber nicht mit dem Tonfall des Anti-AfD-Beschlusses der Parteispitze. Merz hat sich gerade eine Kolumne in der „Welt am Sonntag“ gesichert. Ein Kolumnist kann sich seine Themen nach Gutdünken aussuchen. Sehr praktisch.
Die Lage ist denkbar schlecht
Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet ist immer für einen Widerspruch gut. Ob er wirklich ins Kanzleramt strebt oder nur den Anspruch als Chef des größten CDU-Bezirks aufrecht erhalten will, weiß er womöglich selbst nicht genau. Den Anspruch aufgeben wird er ohne Not nicht. Dafür sitzt die Erfahrung zu tief, dass er Hannelore Kraft 2017 auch deshalb besiegen konnte, weil die SPD-Ministerpräsidentin einen Wechsel nach Berlin geradezu panisch ausschloss.
Und Jens Spahn ist ja auch noch da.
So ist die Lage. „Denkbar schlecht“, räumen selbst politische Freunde ein. Schlechter als vor der Landtagswahl im Saarland 2017, als ihr Schicksal besiegelt schien, bis sich erwies, dass Martin Schulz für die SPD doch keine Wunder wirkte. Damals konnte man erleben, was ihr langjährige Beobachter bis heute bescheinigen: Hasenfüßig ist sie nicht. In den Wahlkampf wie in den Kampf um den CDU-Vorsitz zog sie mit einer Alles-oder-Nichts-Ansage – Sieg oder Abschied von der Politik.
AKK muss da durch. Die Nerven dafür hat sie
Gute Nerven sind schon mal was. Wer AKK dieser Tage in kleinerer Runde erlebte, berichtet nicht von einer Resignierten. Sie muss da jetzt durch. Wenigstens hat sie es mit der CDU zu tun und nicht mit der SPD. CDU-Kanzler waren immer eher Durchschnittstypen, keine geborenen Helden. Christdemokraten fordern auch nicht gewohnheitsmäßig den Kopf der Chefs, wenn Wahlen und Umfragen mal schlecht ausgehen. Noch funktioniert diese Machtmaschine. Die Frau von der Saar sitzt an deren wichtigstem Hebel. Eine CDU-Vorsitzende ist nicht Herrin über die Partei. Aber sie ist Herrin über Verfahren, auch über das zur Kanzlerkandidatenkür. Wenn sie ihre Chance wahren kann, dann ist das Amt der Schlüssel dazu. Und Kramp-Karrenbauer weiß das. So oft ihre Auskünfte zu Sachthemen umständlich und wolkig wirken, auf eine Sorte Fragen antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: Wenn morgen plötzlich etwas passiert – die SPD steigt aus, die Kanzlerin tritt ab –, wissen Sie, wie Sie reagieren? Die Antwort war immer ein schnelles, klares „Ja!“