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Vergangene Zeiten. Bill Browder 2004 in Moskau. Nur ein Jahr später bekam er Einreiseverbot.
© Jeremy Nicholl/laif

Bill Browder und Wladimir Putin: Der Kreml hasst ihn, Browder selbst sieht sein Leben in Gefahr

Bill Browder ist einer der schärfsten Kritiker Putins. Als sein Anwalt Sergej Magnitski in russischer Haft stirbt, wird der Investor zum Menschenrechtsaktivisten.

Den Tod seines Anwalts kann er nicht vergessen. Deshalb erzählt Bill Browder die Geschichte immer wieder. Sergej Magnitski starb im Alter von 37 Jahren in einem Moskauer Gefängnis. Medizinische Hilfe wurde ihm über Monate verweigert. Am Ende prügeln acht Wärter mit Gummiknüppeln auf den schwer kranken Mann ein, bis er tot ist. Mehr als fünf Jahre ist das jetzt her. Bill Browder fährt sich mit der Hand über das Gesicht, als er diese Geschichte ein weiteres Mal erzählt, diesmal in Berlin. Im Theater im Palais am Festungsgraben sitzen kaum mehr als 40 Zuhörer, als Browder seine gerade auf Deutsch erschienene Autobiografie „Red Notice – Wie ich Putins Staatsfeind Nr.1 wurde“ (Hanser Verlag) vorstellt. Der 50-jährige ehemalige Finanzinvestor, der heute in London lebt, rückt seine randlose Brille zurecht und spricht konzentriert weiter. Ein Bodyguard lässt das Publikum nicht aus den Augen. Browder glaubt, dass sein Leben in Gefahr sei, denn ohne ihn würde es in den USA ein Gesetz nicht geben, das Magnitskis Namen trägt und bei Russlands Machtelite große Empörung ausgelöst hat. Damit untersagte Washington denjenigen, die für den Tod des Anwalts verantwortlich sein sollen, die Einreise. Es war das erste Mal, dass Sanktionen gegen russische Beamte verhängt wurden, lange vor dem Ukraine-Krieg. Browder setzt sich dafür ein, dass auch in EU-Staaten ähnliche Gesetze beschlossen werden.

Rebellion gegen kommunistische Familie

Zu Russland hat Browder von Kindheit an eine besondere Beziehung, auch wenn er bis heute die Sprache nicht spricht. Seine Großmutter ist Russin, seinen Großvater, einen Amerikaner, lernte sie in Moskau kennen: Earl Browder war Vorsitzender der Kommunistischen Partei der USA. Bill wächst in einer Familie von begabten Naturwissenschaftlern auf. Beim Abendessen sprechen seine Eltern darüber, wie skrupellose Geschäftsleute die Welt an den Rand des Abgrundes brächten. „Damals fragte ich mich, was der beste Weg sei, gegen eine Familie von Kommunisten zu rebellieren“, sagt Browder. „Also zog ich mir Anzug und Krawatte an und wurde Kapitalist.“

Sein erster Job führt ihn 1990 als Unternehmensberater nach Polen, wo er helfen soll, einen maroden Betrieb zu sanieren. Dabei stößt er auf Finanzkennzahlen, aus denen hervorgeht, dass der Staat ein Unternehmen weit unter Wert an die Börse brachte. Browder investiert seine Ersparnisse in Aktien. Am Ende erhält er fast das Zehnfache seines Startkapitals. Das Gefühl dabei beschreibt er als „Finanzversion des Crackrauchens“. Wer es einmal gemacht habe, wolle es immer wieder tun. Nach Russland kommt Browder in der Zeit der chaotischen Privatisierungen. Er entdeckt schnell, dass dort Staatsunternehmen für einen Bruchteil ihres Werts verscherbelt werden. Doch bei der Investmentbank in London, für die er damals arbeitet, will ihm zunächst niemand glauben. Am Ende findet er doch jemanden, der ihm zuhört – und ihn mit 25 Millionen Dollar nach Russland schickt. Wenig später gründet Browder eine eigene Investmentfirma, Hermitage Capital.

Bill Browder verdient in Moskau ein Vermögen

Browder zählt zu den großen Profiteuren des Umbruchs in Russland. Er verdient für sich und seine Kunden Millionen. Ungefähr zur gleichen Zeit erlebt ein junger Russe einen ähnlich rasanten Aufstieg: Michail Chodorkowski, der später ebenfalls in Ungnade fiel, erwirbt einen ganzen Ölkonzern zum Spottpreis.

Die neuen Oligarchen spielen ihr eigenes Spiel und stehen Browders Geschäften im Weg. Kleinere Aktionäre werden um ihre Gewinne betrogen. Er nimmt den Kampf gegen die weitverbreitete Korruption auf, weil sie seine finanziellen Interessen behindert. Seine Mitarbeiter überprüfen die Unternehmen, von denen Hermitage Capital Aktien hält. Sie entdecken beispielsweise, wie der Bruder des Gazprom-Chefs eine Tochterfirma fast geschenkt bekommt. Browder gibt die Informationen an die Medien, der Staat sieht sich gezwungen zu handeln. Der neue Mann im Kreml, Wladimir Putin, feuert den Gazprom-Chef. Die Kurse schießen in die Höhe, Browders Gewinne steigen.

Den neuen Präsidenten nimmt Browder anfangs als eine Art Verbündeten im Kampf gegen die Oligarchen wahr. Heute sagt er, dass Putin die Situation nur nutzte, um gegen „seine Oligarchenfeinde“ vorzugehen. „Ich war naiv genug zu glauben, dass Putin im Interesse des Landes handelte und in Russland wirklich aufräumen wollte.“ Auch die Festnahme von Chodorkowski begrüßt er anfangs. Jahre später wird der sonst so redegewandte Browder plötzlich wortkarg, wenn das Gespräch auf den Kreml-Kritiker kommt. Natürlich sei es „furchtbar ungerecht“, dass Chodorkowski im Gefängnis sitze, sagt er bei einem Gespräch in Berlin 2011.

Nach Chodorkowskis Festnahme machen die anderen Oligarchen notgedrungen ihren Frieden mit Putin. „Jetzt verfolgte ich nicht mehr Putins Feinde, sondern kam Putins eigenen wirtschaftlichen Interessen in die Quere.“ Doch Browder hält sich im Rausch des Erfolgs für unantastbar. In den besten Zeiten verwaltet sein Fonds 4,5 Milliarden Dollar. Seine Firma ist der größte ausländische Finanzinvestor in Russland.

"Gefahr für die nationale Sicherheit"

Im Jahr 2005 kommt es zum Eklat. Als Browder von London nach Moskau fliegt, wird ihm die Einreise verweigert. Er gilt als „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Browder holt seine Familie und seine Mitarbeiter aus Russland heraus. Doch damit ist es nicht vorbei, noch lange nicht. Die Geschäftsräume von Hermitage Capital und die Kanzlei seiner Anwälte werden von Polizisten in Zivil durchsucht. Sie nehmen Computer, Dokumente und Firmenstempel mit. Wenig später wechseln drei Tochterfirmen von Hermitage den Besitzer – die Dokumente konnten nur mithilfe der Unterlagen und Stempel aus der Durchsuchung gefälscht worden sein. Auch ein wegen Totschlags verurteilter Verbrecher ist unter den neuen Besitzern. Diese wollen sich offenbar das Geld von Hermitage aneignen. Doch das hat Browder längst aus Russland abgezogen. Er ist erleichtert. „Der Einzige, der nicht lachte, war Sergej“, schreibt Browder in seinem Buch. Der Steueranwalt Sergej Magnitski soll aufklären, was passiert ist. Russische Geschichten hätten nie ein Happy End, warnt er.

Eine SMS mit einem Zitat aus "Der Pate"

Vergangene Zeiten. Bill Browder 2004 in Moskau. Nur ein Jahr später bekam er Einreiseverbot.
Vergangene Zeiten. Bill Browder 2004 in Moskau. Nur ein Jahr später bekam er Einreiseverbot.
© Jeremy Nicholl/laif

Mithilfe gefälschter Forderungen beantragen die neuen Besitzer eine Rückzahlung der von Hermitage gezahlten Steuern. Der Antrag wird von der Steuerbehörde in nur einem Tag bewilligt. Es ist die größte Steuerrückzahlung in der Geschichte des Landes, umgerechnet 230 Millionen Dollar. Magnitski recherchiert die Vorgänge, übergibt den Behörden Beweise und beschuldigt zwei Beamte des Innenministeriums als Täter. Als er seine Aussage macht, sitzt einer der beiden im Raum. Dennoch nennt Magnitski auch seinen Namen. Im November 2008 wird der Anwalt festgenommen. Bis zuletzt glaubt er nicht an eine Gefahr für sich, ins Ausland gehen will er nicht.„Das Recht wird mich schützen“, sagt er. Festgenommen wird er von einer Einheit des Innenministeriums, die einem der beiden von ihm Beschuldigten untersteht.

Der russische Steueranwalt Sergej Magnitski.
Der russische Steueranwalt Sergej Magnitski.
© dpa

An die Macht des Rechts glaubt Magnitski auch im Gefängnis,in überfüllten Zellen ohne Heizung, in denen 24 Stunden lang das Licht brennt. Er schreibt Eingaben, in denen er sich über die Haftbedingungen beschwert und um medizinische Betreuung bittet. Mittlerweile ist er schwer krank, er leidet an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung. Browder alarmiert die Öffentlichkeit. Beim Europarat kümmert sich die deutsche Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger intensiv um den Fall. Ein Kollege Magnitskis bekommt beunruhigende Nachrichten auf sein Handy: „Die Geschichte hat gelehrt, dass jeder getötet werden kann.“ Ein Zitat aus dem Mafiafilm „Der Pate“. Absender unbekannt.

Arzt kann nur noch Magnitskis Tod feststellen

Am 16. November 2009 bringt man Magnitski endlich in ein Gefängnis mit Krankenstation. Doch er wird in einer Einzelzelle ans Bett gefesselt, dann prügeln die Wachleute auf ihn ein. Als eine Stunde und 18 Minuten später endlich ein Arzt kommt, ist Sergej Magnitski tot.

Dieser Tag verändert Browders Leben für immer. Aus einem Hedgefonds-Manager, der in erster Linie an seinen Profit denkt, wird ein Menschenrechtsaktivist, der nur ein Ziel hat: diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die Schuld tragen am qualvollen Tod seines Anwalts.

Heute sind er und seine Mitarbeiter Profis in Lobbyarbeit und PR. Mit den traditionellen Methoden der Menschenrechtsarbeit kann Browder wenig anfangen. „Die Europäer haben den Fall angesprochen, doch die Russen kümmerte das nicht. Die USA erwähnten den Fall in ihrem Menschenrechtsbericht, doch die Russen kümmerte das nicht.“ So entsteht die Idee, Sanktionen gegen diejenigen zu verhängen, die für Magnitskis Tod verantwortlich sind. Browders Leute verfolgen die Spur des Geldes aus dem Steuerbetrug und prüfen das private Vermögen der Beteiligten. Die Familie des Beamten, der Magnitski festnehmen ließ, besitzt teure Wohnungen und Luxusautos und liebt kostspielige Reisen.

"Wer will schon Mörder ins Land lassen?"

Anfangs glaubt Browder, nur Magnitskis Geschichte erzählen zu müssen, und seine Gesprächspartner würden sofort auf seiner Seite sein und helfen. Im persönlichen Gespräch wählt er Worte, wie sie Journalisten schätzen und Diplomaten fürchten, er kommt direkt und schonungslos zum Punkt: „Wer will schon Folterer und Mörder weiter ins Land reisen lassen?“ Browder ist sich wie so oft in seinem Leben seiner Sache sicher, auch wenn viele seinen Plan für aussichtslos halten. Vielleicht treibt gerade das ihn an. In Berlin sagen ihm wohlmeinende Politiker, so etwas werde viele Jahre dauern, falls es überhaupt klappen sollte. Im State Department in Washington erhält Browder eine Abfuhr, die Idee mit den Einreiseverboten will dort keiner hören.

Doch im US-Kongress findet er Unterstützer, die ein „Magnitski-Gesetz“ einbringen. Ende 2012 wird es beschlossen. Diejenigen, die an Magnitskis Tod mitschuldig sein sollen, dürfen nicht mehr in die USA reisen, ihre Vermögen dort werden eingefroren. Nach Angaben russischer Menschenrechtler ist Magnitski keineswegs ein Einzelfall. Doch kein anderer hat so laute Fürsprecher im Westen.

Moskau beantragt internationalen Haftbefehl gegen Browder

Vergangene Zeiten. Bill Browder 2004 in Moskau. Nur ein Jahr später bekam er Einreiseverbot.
Vergangene Zeiten. Bill Browder 2004 in Moskau. Nur ein Jahr später bekam er Einreiseverbot.
© Jeremy Nicholl/laif

Direkte Folgen hat das US-Gesetz kaum, denn das Geld aus dem Steuerbetrug floss zum großen Teil nach Europa, wie Journalisten nachwiesen. Doch die Symbolwirkung ist hoch. Der Kreml reagiert prompt: Nach einer Drohung mit ähnlichen Einreiseverboten beschließt Russland, dass in den USA keine russischen Kinder mehr adoptiert werden dürfen. Wenig später beginnt in Moskau ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen Browder – und sogar gegen den toten Magnitski. Beide werden schuldig gesprochen, Browder wird zu neun Jahren Haft verurteilt. Russland beantragt bei Interpol eine „Red Notice“, einen internationalen Haftbefehl. Browder kann nur noch in Länder reisen, die ihm zuvor freies Geleit zusichern. Am Ende entscheidet sich Interpol gegen eine „Red Notice“.

Lob von "Pussy Riot"

Die Frauen der Punkrockband „Pussy Riot“ bescheinigen dem Ex-Finanzinvestor Browder, er sei „einer der meistgehassten Feinde des Kremls“. Darauf könne er stolz sein. Für Browder bedeutet das aber auch ein Leben mit der Angst. Seine Familie könne erst wieder ein normales Leben führen, wenn Putin nicht mehr im Amt sei, sagt er.

In Europa – das lässt Browder in seinem Buch unerwähnt – blieben seine Bemühungen um ein Magnitski-Gesetz bisher vergeblich. Dabei war er bei einem Treffen in Berlin 2011 noch sicher, dass der Bundestag einen entsprechenden Beschluss fassen würde, „noch dieses Jahr“. Zu seinen Gesprächspartnern damals zählte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder. Zu spät merkte Browder, dass mit ihm eine aus russischer Sicht untragbare Resolution nicht zu machen war. Nun hofft er, dass seine Kampagne durch sein Buch neuen Schwung bekommt.

Im vergangenen Sommer traf Browder bei einer Konferenz in Berlin Menschenrechtler und Politiker aus mehreren Ländern, es ging um politische Gefangene. In dieser Runde ist Browder jemand, dessen Rat gehört wird, weil er anders vorgeht als die meisten. In den USA wird nun an einem „globalen Magnitski-Gesetz“ gearbeitet, das auf Menschenrechtsverletzungen weltweit anwendbar sein soll. Bürgerrechtler in Aserbaidschan und anderen autoritär regierten Ländern setzen große Hoffnungen darauf.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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