AfD-Vize Alexander Gauland: Der freundliche Scharfmacher
Es tobt ein Krieg in Deutschland, sagt er. Und ruft zum Kampf gegen Zuwanderung. Populismus im besten Sinne, so nennt er das. Doch es ist mehr als politisches Kalkül: Für die AfD hat Alexander Gauland seinen Ruf aufs Spiel gesetzt.
Neulich ist Alexander Gauland durch Berlin spaziert. Vom Roten Rathaus vorbei an der Humboldt-Universität, Unter den Linden entlang. Es war ein warmer Samstag im November. Ein schöner Tag, alles in allem. Dort, wo Gauland vorbeikam, standen immer schon Menschen am Straßenrand, die ihm ihre Mittelfinger entgegenstreckten. Es waren Tausende. Aber zu wenige, als dass er sich ernsthaft sorgen müsste. Er war ja nicht allein. Hinter ihm liefen 5000 Anhänger der Alternative für Deutschland, rechts Frauke Petry, links Beatrix von Storch. Und so lächelte Alexander Gauland.
Umfragen sehen die Partei deutschlandweit bei zehn Prozent, laut Meinungsforschungsinstitut Insa wäre sie seit den Terroranschlägen von Paris drittstärkste Kraft im Bundestag. Ihre Vertreter sitzen in den wichtigsten Talkshows der Republik und dürfen dort sagen, was man ihrer Meinung nach ja wohl noch wird sagen dürfen. In vier Landtagen und im EU-Parlament ist die AfD schon. 19 000 Mitglieder hat sie. Jeden Tag, heißt es aus der Parteizentrale, kommen 50 neue hinzu.
Dass dies so ist und dass es die Partei überhaupt noch gibt, liegt vor allem an Alexander Gauland, 74 Jahre alt, Fraktionschef in Brandenburg, stellvertretender Parteichef.
In Laufweite von Gaulands Potsdamer Wohnung gibt es ein italienisches Restaurant. Direkt am Wasser gelegen, breite Fensterfront. Gauland kennt den Besitzer seit Jahren. Er möchte einen Rosé, der Kellner weiß schon welchen. Der Herr Gauland ist ja häufig hier mit seiner Lebensgefährtin und sehr gern gesehen. Das Restaurant ist ruhig und gediegen, der Umgang höflich. Der deutsche Wohlstand, stellt Gauland fest, sei noch nie so sehr in Gefahr gewesen wie heute. „Schuld ist“, sagt er, „der totale Kontrollverlust, der Europa ins Chaos stürzt.“ Da draußen, also jenseits der Fensterscheiben seines Italieners, tobe ein Krieg.
"Wie die Barbaren, die über den Limes kamen"
Diesen Krieg hat er eindringlich beschrieben, bei der Demonstration in Berlin, auf einer kleinen Bühne nahe dem Alexanderplatz. Dort hat er seine losen Notizzettel auseinander gefaltet, auf denen mit rosa Filzstift die wichtigsten Passagen markiert waren, und seinen Anhängern zugerufen: „Dies ist ein Bekenntnis gegen den uneingeschränkten Zustrom, von Menschen, die wir nicht gerufen haben!“ Er gibt den Leuten Zeit zu applaudieren, zu johlen. „AfD, AfD“, rufen sie. Dann fährt er fort: „Man fühlt sich erinnert an den Untergang des römischen Reiches, als die Barbaren über den Limes kamen.“ So sieht er die Situation im Land. Es herrscht Krieg: Barbaren gegen – ja soll man sie Eingeborene nennen?
Seine Rhetorik ist scharf geworden. Kurz nach der Terrornacht in Paris hat er im Brandenburger Landtag, in dem er für die AfD sitzt, gesagt: „Natürlich gibt es eine Verbindung zwischen den Anschlägen und dem unkontrollierten Zustrom von Flüchtlingen.“ So ähnlich ist es auch wiederholt worden beim Bundesparteitag der AfD in Hannover, dem ersten seit der Entmachtung von AfD-Gründer Bernd Lucke, der einen moderateren Kurs halten wollte.
Dass dieser Kurs nicht seiner ist, hatte Alexander Gauland spätestens 2014 im Landtagswahlkampf gemerkt. Er war ja überall unterwegs in Brandenburg. Frankfurt, Cottbus, Glienicke. Hat mal im Bürgerhaus gesprochen, mal auf einer improvisierten Bühne vom Lkw aus. Überall machte er die gleiche Erfahrung: „Die Leute wollten nichts hören vom Euro oder von internationalen Beziehungen. Sie wollten wissen, was wir zu den Problemen zu sagen haben, die sie direkt betreffen.“ Im Parteiprogramm habe viel gestanden, und kein Mensch habe es gelesen. Aber Gauland begriff, welche Themen gut funktionieren. Fortan spielte der Euro keine Rolle mehr in seinen Reden, dafür dozierte er über Grenzkriminalität und Bildungspolitik.
Wenn er in diesen Tagen vor Tausenden auftritt, gibt er ihnen wieder das, was sie hören wollen, was sie beschäftigt. „Populismus im besten Sinne“, nennt er das. Dabei beschäftigt ihn vor allem eines: Angela Merkel. Die sei gefährlich, weil sie nicht mehr das Wohl des Volkes im Blick habe. Gauland sagt: „Merkel muss weg.“
Denn das, was er als Krieg bezeichnet, spielt sich ja längst nicht mehr nur an den deutschen oder europäischen Außengrenzen ab. Die Front verläuft quer durch deutsche Wohn- und Klassenzimmer. Entzweit Familien und einstige Freunde. Viel Potenzial für eine Protestpartei. Laut einer Umfrage im Auftrag des ZDF glaubt fast die Hälfte der Bevölkerung, der Zuzug von Asylsuchenden werde Deutschland überfordern. Die andere Hälfte meint wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, es sei zu schaffen. Alexander Gauland glaubt das nicht.
Er kann nicht überall löschen, wo seine Partei zündelt
Als er in Berlin nach seiner Rede hinter die Bühne trat, kam Marcus Pretzell auf ihn zu. NRW-Chef der Partei und Europaabgeordneter. Er klopfte Gauland auf die Schulter und feixte: „Du alter Scharfmacher!“ Das sollte ironisch-witzig sein, so unter AfD-Kollegen. Aber mehr als ein müdes Lächeln konnte Gauland sich nicht abringen. Ausgerechnet Pretzell, der erst kurz zuvor öffentlich gefordert hatte, in letzter Konsequenz müssten gegen Flüchtlinge an der deutschen Grenze auch Schusswaffen eingesetzt werden dürfen. Gauland kann gar nicht überall löschen, wo seine Partei zündelt.
Er hat Pretzells Forderung dann in einem Interview verteidigt. Gauland hält nichts davon, sich öffentlich von Parteikollegen zu distanzieren. Und inhaltlich muss er Pretzell ja recht geben. Denkt man seine eigene Position konsequent zu Ende, hätten sich die Römer am Limes sicher auch Schusswaffen gewünscht. Aber muss man das jetzt sagen, in dieser Schärfe? Wo doch ohnehin schon alle die AfD in die Nazi-Ecke rücken wollen?
Die viele Aufmerksamkeit bringt der AfD Wähler, aber sie erhöht auch den Druck. Nicht alle in der AfD können gut damit umgehen. Oft werden sie zu laut. Zum Beispiel Thomas Schädlich, Internist im sächsischen Ellefeld, Mitglied des vogtländischen Kreistages. In einer Gemeinderatssitzung kündigte er an, keine Flüchtlinge als Patienten zu akzeptieren, und setzte nach: „Wenn ich Ausländer behandeln wollte, wäre ich zu Ärzte ohne Grenzen gegangen.“
Gaulands Stil ist das nicht. Intern hat er ein ums andere Mal seine Parteikollegen zur Besonnenheit mahnen müssen. Zuletzt auch Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, der in der ARD-Talkshow mit Günther Jauch vor Millionenpublikum eine Deutschlandfahne aus seinem Jacket zog und über die Stuhllehne hängte. „Höcke ist ein kluger Mann und ganz weit entfernt von braunem Gedankengut“, sagt Gauland. „Aber die Art und Weise...“, er schüttelt den Kopf.
Die Art und Weise nämlich, und da ist er ganz Parteistratege, stoße das bürgerliche Milieu ab. Das aber ist gerade die schärfste Waffe, die der AfD in der politischen Auseinandersetzung zur Verfügung steht. Gauland agiert kalkuliert, besonnener als seine Mitstreiter. Das macht ihn einflussreich.
Die etablierten Parteien fürchten die AfD
Die Zustimmung zur Politik der AfD nimmt stetig zu – offenbar vor allem auf Kosten der Union. Gauland nimmt es genüsslich zur Kenntnis. „Wir brauchen nicht in irgendeiner Koalition sein, wir brauchen keine ausgeklügelten Konzepte“, sagt er. „Wir müssen nur die anderen zum Jagen tragen.“ Die anderen Parteien hätten mittlerweile so viel Angst, dass die AfD ihnen bei Wahlen ein paar Prozente abnehmen könnte, dass sie selbst AfD-Positionen vertreten.
Kürzlich erst hat Innenminister Thomas de Maizière heimlich das Dublin-Abkommen für syrische Flüchtlinge wieder in Kraft gesetzt und dafür plädiert, den Familiennachzug zu begrenzen. CSU-Chef Horst Seehofer erwog öffentlich eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, um Merkels Willkommenspolitik zu bekämpfen. Und sein Finanzminister Markus Söder war sogar schneller als Gauland, stellte schon am Tag nach den Pariser Anschlägen einen direkten Bezug zwischen Flüchtlingen und Terroristen her. Selbst Boris Palmer, Grüner Oberbürgermeister in Tübingen, lässt regelmäßig wissen, dass der Zuzug der vielen Flüchtlinge nicht zu bewältigen sei. Linken-Chef Dietmar Bartsch verkündete auf „n-tv“, er nehme die AfD nun sehr ernst.
Es muss eine späte Genugtuung sein. Früher hat Gauland gern mit großen Politikern gestritten, sich ausgetauscht. Wolfgang Bosbach zum Beispiel. Den schätze er immer noch. Seit Gauland der AfD angehört, ist der Kontakt eingeschlafen. Politiker grüßen ihn nicht mehr, auf den Gängen des Landtags wird er manchmal einfach ignoriert. Das schmerzt ihn.
Anders als bei allen übrigen in der AfD ist mit dem Erfolg der Partei auch sein politisches Erbe, sein Lebenswerk verknüpft. So viel Pathos, sagt Gauland, liege ihm gar nicht. Aber es ist schon so. Er hat für diese Partei seinen Ruf aufs Spiel gesetzt. Gerade er, der sich als konservativer Intellektueller versteht und auch lange so wahrgenommen wurde. Der die Schriften der konservativen britischen Vordenker Benjamin Disraeli und Edmund Burke studiert und schätzt. Der bis zum Eintritt in die AfD 40 Jahre lang Mitglied der CDU war, Ende der 80er die hessische Staatskanzlei leitete. Der Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ war und für den Tagesspiegel regelmäßig eine Kolumne schrieb – er darf nicht zulassen, dass die AfD scheitert. Sonst scheitert er.
Mit Lucke hat er endgültig gebrochen
Bisher ist ihm das gelungen. Er ist neben Frauke Petry der einzige im Bundesvorstand, der von Anfang an dabei ist. „Ich denke, ich habe da eine Vermittlerrolle“, sagt er. In der Partei ist er eine Autorität, wohl auch, wie er milde lächelnd zugibt, weil er am Ende seines Lebens steht. Aber ebenso, weil er der einzige ist, der Erfahrung als Politiker hat. Erfahrung im Umgang mit Menschen. „Die meisten Streitereien in der Politik haben überhaupt nichts mit Politik zu tun, da geht es um persönliche Differenzen.“ Das habe er gelernt in seiner Laufbahn. Er kann sich mit politischen Gegnern streiten und persönlich der freundliche, charmante Herr Gauland bleiben. Als sein Stiefsohn Stefan Hein im vergangenen Jahr nach der Landtagswahl eine Geschichte über angeblich rechtsextreme Mitglieder der AfD im „Spiegel“ lancierte, ließ Gauland ihn aus der Fraktion werfen. Am Abendbrottisch sitzen sie wieder beieinander.
Nur einmal hat er sich hinreißen lassen, für einen persönlichen Affront politisch Rache zu nehmen. Es hätte die AfD beinahe die Existenz gekostet. Das war im Juli. Der damalige Vorsitzende und AfD-Gründer Bernd Lucke war auf Einladung der Landtagsfraktion nach Potsdam gekommen. Gauland bot Lucke an, ihn im Auto mitzunehmen. Die beiden hätten sich über dies und das unterhalten. Im Landtag angekommen sei Lucke vor die Fraktion getreten und habe gesagt: „Ich möchte nicht, dass die AfD in die Hände von Alexander Gauland und Frauke Petry fällt.“ Dass ihm seine eigene Partei zu sehr nach rechts drifte. Vor den eigenen Leuten! „Da bin ich danach vor die Presse getreten und habe gesagt, dass ich auf der Seite von Frauke Petry stehe.“ Es war der endgültige Bruch mit Lucke. Bis heute telefonieren sie nicht miteinander. Wenig später beim Essener Parteitag wurde Lucke gestürzt. Er gründete eine neue Partei, und tausende AfDler folgten ihm. Darunter auch Hans-Olaf Henkel, der ehemalige BDI-Präsident, der sich nun öffentlich von der AfD distanziert und erzählt, man habe „ein Monster geschaffen“.
Doch während Lucke und seine „Alfa“-Partei mit sich und der Bedeutungslosigkeit hadern, sind Gauland und die AfD noch da. Der von Lucke befürchtete und von Gauland geleugnete Rechtsruck ist eingetreten. Die AfD ist eine Einthemenpartei geblieben. Früher war das einzige Ziel, den Euro zu bekämpfen. Heute ist es die Zuwanderung. „Mut zur Wahrheit“ lautete einst das Motto. Nun steht auf den Plakaten „Mut zu Deutschland“. Deutschland, das einzig Wahre – so kann man die Entwicklung lesen.
In Berlin muss Gauland gespürt haben, dass es die richtige Entscheidung war. Als er demonstrierte, eine Hand am großen Transparent, auf dem „Asyl braucht Grenzen“ stand. Dahinter: Tausende, die ihm folgten. Junge, Alte, Studenten und Arbeiter, Arbeitslose, Besoffene, Polizisten, Lehrer. All jene, die Frauke Petry jetzt nicht mehr „besorgte Bürger“ nennt, sondern „ängstliche Bürger“, und die zusammen ihren Mut wiederfinden wollen.
„Solange ich noch die Kraft habe, werde ich weitermachen“, sagt Gauland. Zur Wahrheit gehört auch, dass er muss. Denn obwohl die AfD mehr Mitglieder hat als je zuvor, werden öffentlich gerade einmal acht wahrgenommen, er inklusive. Zu wenig für eine Partei, die irgendwann im Bundestag sitzen will. Das Wahlvolk ist da, allein es fehlt das Personal.
Im März sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Es ist die Chance, die AfD auch in westdeutschen Flächenländern zu verankern. Daran will er noch mitarbeiten, sagt er. Dann, so muss wohl die Hoffnung lauten, kann niemand mehr die AfD einfach in die Nazi-Ecke stellen. Dann müsste doch allen klar sein, dass sie nur vertritt, was das Volk sich wünscht. Und auch sein Name wäre reingewaschen. Als einer, der für die Meinungsfreiheit und das eigene Land kämpft, nicht nur gegen Fremde.
Am Ende der Berliner Kundgebung hat er wie alle von der AfD lautstark die deutsche Nationalhymne mitgesungen. Dritte Strophe, versteht sich. Eigentlich, erzählt er, habe man „Die Gedanken sind frei“ anstimmen wollen. Aber die Idee hätten sie gleich wieder verworfen. „Zu kompliziert“, sagt Gauland.
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