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Malala-Tag bei den Vereinten Nationen. Die damals 16-Jährige stand bei ihrer Ansprache vor den UN auf einem Podest, damit sie überhaupt über das Rednerpult schauen konnte.
© epd

Friedensnobelpreis für Malala Yousafzai: Das Zaubertor zur Welt

Bildung für alle Kinder: Die Forderung von Malala Yousafzai aus Pakistan war revolutionär. Die Taliban haben deshalb ein Attentat auf sie verübt. Sie überlebte und kämpfte weiter. Jetzt hat die 17-Jährige dafür den Nobelpreis bekommen. Und teilt ihn mit einem Gesinnungsgenossen aus dem Nachbarland.

Wenn sie da so steht mit einem hellen, lose um ihr dunkles Haar geschlungenen Schal, wirkt sie so zerbrechlich. Wenn sie beginnt zu reden, spricht sie so selbstbewusst und erwachsen: Malala Yousafzai ist eine erstaunliche junge Frau von gerade 17 Jahren. Und die jüngste Friedensnobelpreisträgerin der Geschichte.

Fast jeder kennt dieses Mädchen aus Pakistan, das den Taliban öffentlich trotzte und dafür um ein Haar mit dem Leben bezahlt hätte. Am 9. Oktober 2012 hielten zwei Extremisten den weißen Toyota Town Ace an, in dem das Mädchen aus der 9a der Kushal Public School mit ihren Klassenkameradinnen saß, fragten nach Malala. Niemand sagte etwas, aber einige schauten sie an – und ein selbst ernannte Kämpfer schoss ihr mit einem Colt in den Kopf. So schilderte sie selbst es später.

Der Schock ging um die Welt. In Pakistan reagierte die gut ausgebildete Mittelklasse schneller als die zunächst unentschlossene Regierung, deren wichtige Vertreter ebenso wie hohe Militärs dann aber ans Krankenbett der in dem Moment berühmtesten Landestochter eilten.

Malalas Denken gewinnt langsam

Am Tag der Bekanntgabe des Nobelpreises zeigen sich die Politiker bis hin zum Premier stolz auf die junge Frau. „Sie ist der Stolz von Pakistan. Sie hat ihre Landsleute stolz gemacht. Ihr Erfolg ist einmalig und beispiellos“, sagte Nawaz Sharif. Manchen Pakistaner aber schmerzte es doch ein wenig, dass nach all den Jahren, in denen endlich wieder ein Nobelpreis in ihr Land geht (1979 hatte Abdus Salam zusammen mit einem Amerikaner den Physiknobelpreis erhalten), der Preis gleichzeitig auch an einen Inder geht. In das Land, mit dem sie bis heute keinen wirklichen Frieden finden.

Nach dem Attentat auf Malala gab es damals in vielen Städten Pakistans Demonstrationen unter dem Motto „Wir sind Malala“, von ungezählten Laternenmasten schaute das junge Mädchen ihre Landsleute an. Viele Eltern dachten, es hätte auch ihre Tochter treffen können. In diesem Punkt sind sich nach Einschätzung des politischen Analysten beim Fernsehriesen Geo TV, Suhail Warraich, jenseits aller politischen Differenzen die meisten seiner Landsleute inzwischen einig. „Unsere Gesellschaft ist auf unterschiedlichen Ebenen des Veränderungsprozesses, und die Befürworter eines modernen, liberalen Pakistan sind nicht in der Mehrheit, aber 95 Prozent aller Menschen sind für die Bildung von Mädchen und Jungen. Nur fünf Prozent denken, dass das gestoppt werden muss. Malalas Denken gewinnt langsam.“ Im Übrigen seien die Taliban, anders als noch vor ein paar Jahren „nicht in der Position, die Leute einzuschüchtern“, damit sie ihre Kinder nicht in die Schule schicken. Und seit der Militäroffensive in Wasiristan sei „nicht eine Schule mehr bombardiert worden“. Das gelte auch für das Swat-Tal im Grenzgebiet zu Afghanistan.

"Mangel an Bildung ist die Wurzel aller Probleme"

Von dort, aus dem Ort Mingora, das die heute 17-Jährige „den schönsten Ort der ganzen Welt, ein Himmelreich“ nennt, kommt Malala. Dort hat sie als Kind erlebt, wie Mullah Fazlullah in der abgelegenen Grenzregion mit blutigem Terror seine Idee von einem Gottesstaat durchzusetzen versuchte. Er ließ Menschen öffentlich hinrichten, verbot Mädchen, in die Schule zu gehen. Malalas Vater Ziauddin leitete dort eine Schule, mit seiner Unterstützung schrieb sie anonym ein Tagebuch für die BBC. Nachdem Pakistans Armee die Taliban wieder aus dem Tal vertrieben hatte, lüfteten sie ihr Geheimnis. Malala erhielt Auszeichnungen. Den Taliban wurde die Teenagerin wohl zu prominent, die so selbstbewusst Ausbildung auch für Mädchen forderte. Sie sagt: „Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern.“

Ein paar Einblicke in die Kinderwelt im Swat hat Malala in zahlreichen Interviews, Reden und in ihrem Buch „Ich bin Malala. Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten“ gegeben, das vor rund einem Jahr gleich in 27 Ländern erschien. In dem seltsam zwischen großer pakistanischer Geschichte, Kinderfantasien (sie wollte eine Anti-Taliban-Maschine erfinden, um die brutalen Barbaren zu besiegen) und familiärem Mittagstisch in Mingora schwankenden 400-Seiten-Werk nennt sie sich selbst eine „Tagträumerin“. Die Tür zu ihrer Schule beschreibt sie wie in einem Märchen als „das Zaubertor in unsere eigene Welt“. Sie erzählt von einer Menschen im Westen so fremden Welt, in der die Jungen überall unterwegs sein dürften, aber selbst ihre Mutter nicht ohne Begleitung eines männlichen Verwandten, und sei es ein Fünfjähriger, aus dem Haus gehen konnte. „Ich hatte früh beschlossen, nicht so zu leben“, schreibt sie. Ihr Vater kämpfte stets dafür, allen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, der Mangel an Bildung sei die Wurzel aller Probleme – und schon für die dreijährige Malala war der Schulflur ihr Spielzimmer. In ihrem Buch schreibt sie „Die Schule war meine Welt, und die Welt meine Schule.“

Symbol für ein neues Pakistan

Malala-Tag bei den Vereinten Nationen. Die damals 16-Jährige stand bei ihrer Ansprache vor den UN auf einem Podest, damit sie überhaupt über das Rednerpult schauen konnte.
Malala-Tag bei den Vereinten Nationen. Die damals 16-Jährige stand bei ihrer Ansprache vor den UN auf einem Podest, damit sie überhaupt über das Rednerpult schauen konnte.
© epd

Sie hat darin wenig gute Worte für die Politiker, die sich am Tag der Preisverleihung nun alle so stolz hinter ihr versammeln: „In meinem Land denken sich die Politiker nichts dabei zu stehlen“, schreibt Malala. „Die meisten von ihnen zahlen keine Steuern, aber das ist noch das wenigste.“ Solche Sätze sind wohl der Hintergrund dafür, dass nach den ersten Wochen der Pro-Malala-Aufrufe in Pakistan zunehmend Verschwörungshinweise auftauchten und die Kämpferin für die Bildung als Abgesandte eines feindlichen westlichen Systems, als Verräterin, beschimpft wurde. Sie spaltet. Dennoch ist Analyst Suhail Warraich heute überzeugt, dass Malala ein Symbol für eines neues Pakistan ist. „Sie steht für einen Wandel, der am Ende dazu führen wird, dass Pakistan wie andere Länder sein wird.“ Malala zeige, dass „die Gesellschaft ohne Waffen die Leute mit Waffen besiegen kann“.

Nach dem Attentat wurde die Schülerin von Spezialisten im britischen Birmingham behandelt, ihre Familie zog nach Großbritannien. Sie schaffte es, trotz schwerster Kopfverletzungen wieder sprechen zu lernen. Und wie.

An ihrem 16. Geburtstag, dem 12. Juli 2013, hielt sie umjubelt vor den Jugenddelegierten der UN eine Rede. Die Vereinten Nationen hatten den Tag  zum „Malala-Tag“ erklärt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon strahlte, als er mit Malala am Arm einen großen Sitzungssaal im New Yorker Hauptquartier betrat. In seinem Zimmer hatte er nach ihrer Hand gegriffen, und er ließ sie erst los, als die junge Frau ihre Rede halten sollte. Malala Yousafzai, ganz in Rosa, stand auf einem Podest, damit sie überhaupt über das Rednerpult gucken konnte.

Malala spricht für die, „die keine Stimme haben“

„Der Malala-Tag ist nicht mein Tag“, sagte sie. Dies sei der Tag „jeder Frau, jedes Jungen, jedes Mädchens, die ihre Stimme für ihre Rechte erhoben haben“, sagte sie. Sie spreche für die, „die keine Stimme haben“. Die Taliban hätten gedacht, dass die Kugel „uns zum Schweigen bringen würde. Sie sind gescheitert.“ Am Tag des Attentats habe sich nur eines geändert: „Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit sind gestorben. Stärke und Mut wurden geboren.“ Ban Ki Moon hatte in diesem Moment Tränen in den Augen. Und Gordon Brown, der frühere britische Premierminister und seit gut zwei Jahren UN-Sonderbeauftragter für Bildung, schaute mit dem Blick eines stolzen Vaters auf die junge Frau, die vor ihm stand. Vater Ziauddin Yousafzai, ihr großes Vorbild, guckte stolz erst zu Malala, dann ins Publikum, das gerührt gehört hatte, dass sie von ihren Eltern Gewaltlosigkeit gelernt habe: „Hätte ich eine Pistole und stünde vor dem Talib, der auf mich geschossen hat, ich würde nicht abdrücken.“

Sie gab auch einen Hinweis darauf, woher sie die Zuversicht und ihre Inspiration zieht. Als Vorbilder nannte sie Mohammed den Propheten, Jesus Christus und Buddha, aber auch Martin Luther King, Nelson Mandela, Mutter Teresa und die frühere pakistanische Premierministerin Benazir Bhutto. Gordon Brown, der direkt nach Malala ans Mikrofon trat, fragte mit feuchten Augen: „Was soll ich nach dieser Rede jetzt noch sagen?“

Die Vereinten Nationen hatten schon nach dem Attentat eine Kampagne gestartet, mit der bis 2015 allen Kindern auf der Welt der Schulbesuch garantiert werden sollte. Alle Welt wollte Malala helfen, aber auch Malala sollte der Welt helfen.

Jubel auch in Indien

Nun scheint es mit der Ehrung einmal mehr so zu sein. Denn so viel Symbol war selten beim Friedensnobelpreis, der in diesem Jahr offenbar auch mit dem Hintergedanken als Friedensvermittlungspreis zwischen zwei Atommächten vergeben wird. Eine pakistanische Muslima und ein indischer Hindu, teilen sich den Preis. Der Zaunpfahl, den das norwegische Komitee in Richtung Zukunft schwenkt, könnte kaum dicker sein.

Der 60-jährige Inder Kailash Satyarthi.
Der 60-jährige Inder Kailash Satyarthi.
© Reuters

Viel weniger bekannt im Ausland ist der zweite Preisträger, der 60-jährige Inder Kailash Satyarthi. Er lebt zurückgezogen in einfachn Verhältnissen und setzt sich nur öffentlich in Szene, wenn es dem Kinderschutzanliegen dient. An einem Ort allerdings ist er bestens bekannt, in Stuttgart bei der Robert-Bosch-Stiftung. Sie unterstützt Satyarthis Arbeit seit zwei Jahren. Dort war die Aufregung groß, als am Freitag kurz nach elf Uhr die Nachricht vom Nobelpreis bekannt wurde. Doch plötzlich kühlte die Stimmung ab: Ein Mitarbeiter, der auf seinem Smartphone die Bestätigung der Nachricht suchte, gab Entwarnung: Nein, der Preis sei an das pakistanische Mädchen Malala gegangen. Aber es dauerte keine Minute, bis Klarheit herrschte. Der Preis geht an beide. So können sie sich bei der Bosch-Stiftung gleich doppelt freuen; denn nächste Woche feiern sie in Berlin ihr 50-jähriges Bestehen. Einer das Gastreferenten: Kailash Satyarthi.

Seine Organisation Bachpan Bachao Andolan hat Tausende Kindersklaven befreit, unterrichtet und eingegliedert. „Wenn sie nach ihren Eltern rufen, werden sie brutal geschlagen, manchmal hängt man sie kopfüber an Bäumen auf oder fügt ihnen Brandwunden mit Zigaretten zu“, beschrieb er das Los der indischen Kindersklaven 2010. Satyarthi war auch einer der Vorreiter, der im Westen das Bewusstsein für fairen Handel schärfte. Er führte das Siegel „Rugmark“ für Teppiche ein, die ohne Kinderarbeit hergestellt wurden.

Offenbar versteht auch er den Preis als Ansporn für Größeres. Satyarthi lud Malala gleich ein, „ dass wir uns die Hände reichen und einen neuen Kampf für Frieden auf unserem Subkontinent beginnen“.

Mitarbeit: Dagmar Dehmer, Winfried Konrad, Christine Möllhoff

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