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Ziemlich bewusst. Hypnotiseur Nikolai Hanf-Dressler versetzt Klienten in Trance – und gilt als sehr ehrgeizig.
© Thilo Rückeis

Alternative Heilmethoden: Das Rätsel der Hypnose

Schmerzen, Lähmung, Allergie: Kein Arzt konnte ihr helfen, Tanita Stache verzweifelte. Dann kam Nikolai Hanf-Dressler. Der ist umstritten, doch ihr geht es besser – durch Hypnose.

Das Gefühl für Zeit kommt in Trance abhanden. Stunden schrumpfen im Nachhinein zu Minuten zusammen. Ausgedehnte Reisen ins Unterbewusstsein zu einigen Momenten. Doch an eines kann sich Tanita Stache genau erinnern: Während sie unter einer roten Decke auf einem Ledersessel lag, kehrte sie zurück ans Bett ihrer todkranken Mutter. Sah sie kahl und abgemagert zwischen weißen Laken. Verabschiedete sich. Sagte, wozu sie als Achtjährige keine Gelegenheit hatte. Und weinte.

Dass dieser Zustand zwischen Wachsein und Schlaf mehr als zwei Stunden dauerte und nicht, wie sie glaubte, 15 Minuten, spielte keine Rolle – denn wenige Tage später waren die Schmerzen, die sie über Monate geplagt hatten, verschwunden. Die 24-Jährige sitzt auf dem Sofa ihres mit weißen Möbeln eingerichteten Wohnzimmers im Hamburger Stadtteil Lokstedt. Sie trägt einen dunkelblauen Pullover, die blonden Haare offen. Auf dem Schoß ein Ordner, in dem Klinikpapiere abgeheftet sind. „Dass vorher kein Arzt herausfand, was mir fehlt, war zum Verzweifeln“, sagt sie.

Unter Hypnose wird sogar operiert

Der Mann, der laut Tanita Stache großen Anteil daran hat, dass sie heute wieder ohne Schmerzen gehen und Sport machen kann, ist der Berliner Hypnotiseur Nikolai Hanf-Dressler. Er betreibt mit 13 Mitarbeitern das nach eigenen Angaben größte Hypnose-Institut Deutschlands, Hauptsitz an der Friedrichstraße. Der 50-Jährige steht in einem der Behandlungsräume. Die hohen Fenster geben den Blick auf den Friedrichstadtpalast frei. Hanf-Dressler – schwarzer Rollkragenpullover, lockiges Haar – spricht mit weicher Stimme. Leichte Fältchen umgeben seine blauen Augen, der Blick ist intensiv. „Gegen Hypnose gibt es noch immer viele Vorurteile“, sagt er.

Lange hielt man sie für Hokuspokus, esoterische Spinnerei. Bühnenhypnotiseure ließen Freiwillige wie Hühner gackern oder als Hund herumlaufen. Sie prägten den Ruf der Methode. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Studien, die ihre Wirksamkeit belegen. Unter Hypnose wird sogar operiert. Trotzdem bleibt die Methode rätselhaft.

Für Stache war sie die letzte Hoffnung. Der Schmerz hatte im Fuß begonnen. Zu schnell über die noch grüne Ampelkreuzung gerannt, ein Bänderriss vielleicht, dachte sie damals – das war im März dieses Jahres. Ein Röntgenbild bringt keinen Aufschluss, die Studentin muss mit Krücken laufen.

Nichts erklärte ihre Schmerzen

Die Schmerzen breiten sich über Beine, Arme und Rücken aus. Sogar die Schlüsselbeine und die Nase tun ihr weh. Von einer Studienfahrt muss sie früher abgeholt werden. Zunächst Verdacht auf Rheuma. Im Krankenhaus MRT, Urin- und Bluttest, Nervenwasserentnahme. Auch die Nervenleitgeschwindigkeit wird gemessen. Nichts erklärt ihre Schmerzen. Zwischenzeitlich sitzt Stache sogar im Rollstuhl, das linke Bein gehorcht nicht mehr. Am Ende wird sie nach fast zwei Wochen ohne Diagnose entlassen. Sie kann nicht mehr Auto fahren, nicht zur Universität. Eine Osteopathin renkt Stache zwar mehrere Gelenke ein, aber die Schmerzen bleiben. Schließlich kommt sie zu Hanf-Dressler.

Der ist sogenannter Hypnoanalytiker und staatlich für Psychotherapien zugelassen, aber kein Psychologe. Er ist auch kein Arzt, hat jedoch eine Heilerlaubnis. Als Heilberufe zählen neben Medizinern etwa Physiotherapeuten, Hebammen und Diätassistenten. Weil das alles unübersichtlich ist, wird er bald Mitglied einer Prüfungskommission des Berufsverbands der Hypnosetherapeuten; der will ein einheitliches Zertifikat für Hypnotiseure.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie (DGH) sehen einige Hanf-Dressler trotzdem kritisch. Denn deren Mitglieder sind anders als Hanf-Dressler größtenteils Mediziner und Psychologen. Und seine Preise sind mit bis zu 450 Euro pro Stunde recht hoch.

Sie kann die Augen nicht mehr öffnen

Doch Hanf-Dressler glaubt, der Erfolg gebe ihm Recht. In seine Praxis kommen Schauspieler, Drehbuchautoren, Manager und Politiker. Hanf-Dressler war bei den Olympischen Spielen akkreditiert, um Schweizer Sportler mit Hypnose zu coachen. Namen nennt Hanf-Dressler nicht, zu persönlich sind die Probleme. Die Klienten wollen Ängste, Schlafstörungen oder Migräne loswerden, mit seiner Hilfe das Rauchen aufgeben oder ihre Depressionen lindern. Klienten, die sich die Sitzungen nicht leisten können, behandelt er zuweilen kostenlos – wenn sie sich bei einem seiner Seminare im Kreise der Teilnehmer hypnotisieren lassen. So war es auch bei Stache.

Bei einem Besuch in Hanf-Dresslers Praxis kann man sich selbst ein Bild davon machen, wie er arbeitet. An einem herbstlich-matschigen Novembertag sitzt ihm eine neue Klientin gegenüber. Er auf einem roten samtenen Sofa, sie auf einem braunen Ledersessel. Das Rauschen des Verkehrs klingt leise durch die geschlossenen Fenster. Die junge Frau, blonde Haare, braungebrannt, ist Mitte 30. Sie sagt, sie würde sich beim Sex gerne mehr fallen lassen, sich wohler fühlen in ihrem Körper. Hanf-Dressler macht sich Notizen, nickt. Die Frau erzählt von ihren Essstörungen, von der Drogensucht in der Jugend. Von ihrem alkoholabhängigen Vater und der Mutter, die ihre Kinder schlug.

"Die Erinnerung ist noch da, aber das Gefühl ist weg"

Hanf-Dressler begleitet sie zu einem weiteren braunen Ledersessel, der in der Mitte des Raumes steht. Darauf liegt ordentlich gefaltet eine rote Decke bereit. Die Klientin zieht die Schuhe aus, lässt sich in den Sessel fallen und von Hanf-Dressler in die Decke wickeln. Er setzt sich auf einen Schemel. „In der Trance wird das Wachbewusstsein eingeschränkt. Die ,Firewall’, die sonst dein Unterbewusstsein schützt, öffnet sich“, erklärt er. Er will zum Kern des Problems vordringen und es dann auflösen. Dazu wird er die Erinnerung von der Emotion entkoppeln. „Kannst du dich noch an deine Jugendliebe erinnern? Und was fühlst du, wenn du an sie denkst? Nichts? Genau. Die Erinnerung ist noch da, aber das Gefühl ist weg.“ So sieht er das – und genauso soll es mit den schmerzhaften Erinnerungen der Klientin passieren.

Kann das funktionieren?

Kollegen, die mit Hanf-Dressler gearbeitet haben, sprechen von „herausragenden Fähigkeiten“, von einer fundierten Ausbildung und von Fleiß und Ehrgeiz. Sie erzählen aber auch, dass Hanf-Dressler, der früher Musiker war, gerne im Mittelpunkt stehe und die Bühne brauche.

In Trance ist das Gehirn empfänglich

Leise Musik ertönt. Hanf-Dressler hält seine offene Hand vor die Augen der jungen Frau, bewegt sie nach oben zu ihrer Stirn und wieder nach unten. Ihre Lider schließen sich. „Du entspannst die Muskulatur deiner Augen, so dass sie sich nicht mehr öffnen lassen“, sagt Hanf-Dressler mit sanfter Stimme. „Lass diese Entspannung im ganzen Körper ausbreiten. Jeder Muskel ist so tief entspannt, dass er nicht mehr funktioniert, so lange du die Entspannung beibehältst.“ Die Augenlider seiner Klientin beginnen zu flattern. Sie sinkt in Trance. „Kannst du deine Augen noch öffnen?“, fragt Hanf-Dressler. Nichts passiert.

In Trance ist das Gehirn empfänglich für Suggestionen. Der Hypnotiseur kann also Vorstellungen erzeugen – selbst wenn diese im Wachzustand unlogisch wären. „Das lässt sich mit der Veränderung der elektrischen Aktivität im Gehirn erklären“, sagt der Berliner Psychotherapeut Harald Krutiak, der Ausbilder bei der DGH ist und an der Charité zu Hypnose forscht. Die Hirnwellen des normalen Wachzustands seien die Beta-Wellen. Kurz vor dem Einschlafen, beim Tagträumen oder unter Hypnose erhöhe sich der Anteil sogenannter Alpha-Wellen, also der Entspannungswellen. In tieferer Trance seien auch Theta-Wellen messbar. Diese träten bei Erwachsenen sonst nur im Schlaf, bei kleinen Kindern auch im Wachzustand auf. „Sie sorgen für eine erhöhte Beeinflussbarkeit. Informationen werden ungefiltert aufgenommen und verarbeitet“, sagt Krutiak. „Wir stellen unter Hypnose also einen kindlichen, offeneren Zustand her.“

Wie Suggestionen wirken, zeigte der Psychologe Stephen Kosslyn. In einer Studie maß er die Hirnaktivitäten seiner Probanden. Er zeigte ihnen unter Hypnose Schwarz-Weiß-Fotos und Farbfotos. Wenn sie aufgefordert wurden, die Schwarz-Weiß-Fotos in Farbe zu sehen, wurde dieselbe Gehirnregion aktiviert wie bei der Betrachtung der tatsächlichen Farbfotos. Das Gehirn unterschied nicht zwischen Realität und Suggestion.

Vieles kann die Wissenschaft nicht erklären

„Das geht so weit“, sagt Psychotherapeut Krutiak, „dass ein Patient mit Tierallergie, dem ich sage, er soll sich eine Katze vorstellen, einen Niesanfall bekommt.“ Nikolai Hanf-Dressler fragt vor der Hypnose nach Allergien – damit er etwa einer Patientin mit Heuschnupfen nicht einredet, sie befinde sich auf einer Blumenwiese. Und deshalb kann auch Hanf-Dresslers Klientin die Augen nicht öffnen. Er hat ihr gesagt, dass diese Muskeln nicht funktionieren, sie – in Trance – hat es geglaubt. Darauf kommt es an.

„Lass jetzt eine Situation aufsteigen, in der du eine Blockade spürst. Lass sie aufsteigen mit allen zugehörigen Gefühlen. Wann hast du dich zuletzt so gefühlt?“ Stockend beginnt die Frau von einem Moment zu erzählen, in dem ihr Freund sie beleidigte. Da habe sie sich herabgewürdigt gefühlt, hilflos. „Ich zähle jetzt bis zehn“, sagt Hanf-Dressler. „Dann lass dieses Gefühl hochkommen... Eins, du fühlst die Hilflosigkeit, die Traurigkeit. Zwei, drei. Du öffnest diese Schleuse. Fünf, sechs, sieben. Lass es stärker werden. Acht, neun, immer stärker. Zehn!“

Tränen laufen ihr übers Gesicht

Hanf-Dressler presst seinen Daumen auf die Stirn der jungen Frau und sagt – er ruft fast: „Dieses Gefühl, wann hast du das schon mal gefühlt? Du warst wahrscheinlich viel, viel jünger.“ Die Musik bricht ab. Eine neue Melodie beginnt.

Die Klientin fühlt sich offenbar in ihre Kindheit zurückversetzt, Tränen laufen über ihr Gesicht. „Wovor hast du Angst?“, fragt Hanf-Dressler. Sie verzieht das Gesicht. „Vor meiner Mutter. Dass sie mir wehtut. Dass sie mich grob anfasst.“ Sie schluchzt unkontrolliert. „Okay, das reicht“, sagt Hanf-Dressler. „Die Szene verblasst. Du bist in Sicherheit.“ Altersregression nennt sich die Methode, das Zurückversetzen in ein früheres Alter. Nicht alle Hypnotherapeuten halten etwas davon. Psychotherapeut Krutiak hält die Methode für überholt. Er befürchtet eine Retraumatisierung, wenn Schmerzhaftes nochmal durchlebt – und dann nicht positiv bearbeitet wird.

Hanf-Dressler jedoch achtet darauf. Er wird seine Klientin in Trance als Erwachsene zurück in die schmerzhafte Situation schicken und sie ihr kindliches Ich trösten lassen. Er wird ihr suggerieren, sie sitze in einem Raum mit ihrer Mutter und könne ihr all die Vorwürfe machen, die sie sonst zurückhält. In ihrer Vorstellung wird die junge Frau rote Zettel von einer Wand pflücken, auf denen ihre Selbstzweifel notiert sind und sie ins Feuer werfen.

Der Schmerz kommt an, wird aber nicht erkannt

Vieles an der Hypnose kann die Wissenschaft nicht vollständig erklären. Zum Beispiel warum Operationen unter Hypnose möglich sind und Menschen in Trance weniger Schmerz fühlen. In vielen Zahnarztpraxen arbeitet man mit Hypnose. Im belgischen Lüttich wird seit den 90er Jahren die Hypno-Sedation bei Operationen an Tumoren angewendet, eine Kombination aus Hypnose und leichten Medikamenten. Das funktioniert, weil in der Hypnose die Aufmerksamkeit nach innen gerichtet ist. Den Patienten wird während der Operation etwa suggeriert, sie befänden sich an einem Südseestrand. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu „dissoziieren“, also sich von der gegenwärtigen Situation zu lösen, geistig „woanders zu sein“. Der Schmerzreiz kommt im Gehirn an, wird aber nicht erkannt.

Einige Krankenkassen bezahlen Hypnosetherapien. Bei Krebspatienten kann Hypnose helfen, die Genesung zu unterstützen. Krutiak entwickelt mit seinen Patienten in Trance Visualisierungen. Sie sollen sich vorstellen, wie die Krebszellen – zum Beispiel schwarze, stachelige Kugeln – von weißen, wolkigen Immunzellen umschlossen und neutralisiert werden. Auf ähnliche Art könnte man auch die fehlgeleiteten Funktionen des Immunsystems, die bei einer Allergie auftreten, korrigieren, sagt er.

Tanita Stache ist überzeugt, dass die Ursache für ihr Leiden psychischer Natur war. Nach dem Besuch bei Hanf-Dressler waren nicht nur ihre Schmerzen verschwunden. Sie hatte auch eine Allergie gegen Pollen und Kernfrüchte. Seit sieben Jahren plagte sie sich damit herum, war bei mehreren Ärzten deswegen. Im Sommer habe sie dann zum ersten Mal wieder einen Apfel gegessen. Und passiert sei: nichts.

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