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Herr der Schwimmringe. Mehdi Resai ist ausgebildeter Rettungsschwimmer und ehemaliger Ringer. Das Erste hilft ihm in seinem Job, sagt er. Beim Zweiten ist er nicht sicher.
© Björn Kietzmann

Sommerbäder in Berlin: Das Freibad – eine Kampfzone?

Seit 22 Jahren wacht Mehdi Resai in Wedding über die Badenden. Er tröstet, schlichtet, maßregelt. Höflich und unerbittlich. Damit es friedlich bleibt. Über den Sommer eines Berliner Bademeisters.

Bis zur Schlägerei im Nichtschwimmerbecken hat Herr Resai mit einer ausgeschütteten Chipstüte an der Kinderrutsche zu tun. Ein Mädchen kann seinen Vater nicht wiederfinden. Das Mikrofon, mit dem sein Name ausgerufen werden soll, fällt aus. Um 15 Uhr ist der Vorrat an Müllsäcken aufgebraucht. Um 16 Uhr hat ein Junge eine Platzwunde am Knie. Zehn Minuten später sagt ein Kind, verängstigt und unter Tränen, dass ein großer Mann es bedrohe. Aber den Mann kann es Herrn Resai nicht mehr zeigen.

Herr Resai ist Bademeister in Wedding. Und in Tagen wie diesen bedeutet das, dass alles zusammenkommt.

„Vor Morgen habe ich Angst“, hatte eine Kollegin von Herrn Resai am Vortag gesagt: Es sollen über 30 Grad werden. 30 Grad Celsius sind der meteorologisch-psychologische Siedepunkt. Da strömen sie zu Tausenden ins Bad an der Seestraße, zur Wasserstelle, zermürbt von der Hitze, um sich ein wenig Abkühlung zu verschaffen. An einem Sonntag gibt es nichts, was sie sonst tun könnten. Es wird voll.

Voll bedeutet: Dass die Stimmen der Badegäste noch drei Straßen weiter zu hören sind. Dass Herr Resai angespannt ist. Dass die Menschen dicht gedrängt auf Handtüchern bis an den Beckenrand liegen. Dass jeden Moment etwas passieren kann. Dass Herr Resai von einer erhöhten Plattform auf das Geschehen herabblickt, statt wie sonst unter ihr im Schatten zu sitzen. Von oben, von der Plattform, kann er besser ins Becken blicken, bis auf den Grund. Dass in der halben Stunde, die ihm als Pause zusteht, doch immer jemand etwas von ihm will. Eine Schranktür bei den Schließfächern klemmt. Eine Geldbörse ist verschwunden.

Für Herrn Resai bedeutet ein voller Tag: Es ist Sommer. Und er sagt: „Ohne Freibad, das könnte ich nicht.“

Viele seiner Kollegen fürchten den Sommer wegen des großen Andrangs und weil das Benehmen der Menschen etwas Unvorhersehbares bekommt. Aber Mehdi Resai, 46 Jahre alt, hat nur den Sommer. Und es soll bloß keiner kommen, ihm den kaputt zu machen.

„He! Junger Mann. Nicht noch mal.“ Einer ist über die Kette hinweg ins Wasser gesprungen, die am Beckenrand genau das verhindern soll. „Weg mit dem Ball!“ Ein Fußball ist ins Schwimmerbecken geflogen, drei Männer mit tropfenden Baseballkappen raufen darum.

„Komm mal her!“ – „Ich?“ – „Ja. Willst du nach Hause gehen?“ – „Sorry.“

Früher zählte das Bad in der Seestraße "zu den schlimmsten".

Die Stimme des Bademeisters ist sein wichtigstes Werkzeug. Es durchschneidet den Lärm wie ein Schwert. Gerade jetzt aber sind seine Ermahnungen nicht mehr als ein Krächzen. Die Lautsprecheranlage ist alt und faul. Sie plärrt und knarzt und dringt nicht durch. „Wenn ich mich umdrehe“, sagt Herr Resai lächelnd, „machen sie hinter meinem Rücken weiter. Sie warten nur darauf. Ist normal.“ Dabei geht es ihm nicht um Verbote. Das werde oft missverstanden. Er will die Menschen nur vor ihren eigenen Fehlern schützen.

Früher waren Bademeister die uneingeschränkten Herren über ihr Terrain. Über die Schwimmbecken, die Duschen, die Liegewiesen und die Schlangen vor den Imbissbuden. Sie herrschten wie Fürsten, die für Sicherheit und Ruhe sorgten. Diese Autorität ist dahin. Herr Resai hat ein Video auf Youtube gesehen, in dem Jugendliche einen Kollegen im Kreuzberger Prinzenbad mit Badelatschen traktieren. „Wenn so etwas passiert, dann brauchen wir uns hier nicht hinzustellen.“

Freibäder gelten als Berliner Kampfzonen. Seit 2010 kommt es im Neuköllner Columbiabad immer wieder zu gewalttätigen Szenen. Mitte Juni musste mehrfach die Polizei anrücken. Im vergangenen Jahr wurde das Sommerbad in Pankow Schauplatz eines kleinen Krawalls, als 50 Jugendliche den Sprungturm stürmten. Vor 15 Jahren war es das Bad in der Seestraße, das „zu den schlimmsten“ zählte, wie Herr Resai sagt. Sie haben einiges unternommen in Wedding, damit sich das ändert. So wurde der Sprungturm entfernt, der immer wieder für Auseinandersetzungen gesorgt hat. Es gibt auch keine Startblöcke mehr, weil das Verletzungsrisiko zu hoch war. Und an vollen Tagen patrouillieren Wachschutzteams über die Anlage. Damit es friedlich bleibt, bedarf es aber mehr.

Was das ist? Eine Art von Hingabe.

Er weiß zuzupacken, in seiner Jugend war er Ringer

Der Sommer beginnt für Herrn Resai im April. Seit 22 Jahren ist das so. Seit er 1992 eingestellt wurde. Und er sehnt im Frühling immer schon den Moment herbei, da sein Chef ihn auffordern wird, mit den Vorbereitungen für die Freibadsaison zu beginnen. Viele seiner Kollegen bleiben in der Schwimmhalle nebenan. Er nicht. Ihn zieht es hinaus. Ins Gelände. Er lässt das Wasser ab, nutzloses Wasser jetzt, weil die Chemikalien sich verflüchtigt haben und es trüb und schmutzig geworden ist. Er steht mit einem Hochdruckreiniger in den zwei 50-Meter-Becken, und der Winterdreck fliegt ihm um die Ohren. Früher drückte der Frost einzelne Kacheln aus den Wänden, Fugen platzten auf. Diesbezüglich ist es durch die neuen Stahlwannen einfacher geworden. Er fegt Laub, kappt Äste von Bäumen. Er reinigt die Duschen und Garderoben, in die der Wind den Staub getrieben hat. Er, der Bademeister, schuftet. Vier bis fünf Wochen braucht er, um die Anlage vom Winter zu befreien.

„Ziehen Sie sich bitte Badesachen an.“ Eine Mutter ist ihrem Kleinkind ins Becken nachgestiegen. Sie hält es im Arm. „Aber das ist doch nur ein Kleid.“ – „Eben. Das geht nicht.“ – „Ein Kleid geht nicht, das beinahe durchsichtig ist?“ Herr Resai stöhnt, schüttelt den Kopf. Aber die Frau kommt immerhin sofort aus dem Wasser.

Sich abwendend sagt er, das Bad sei keine Waschmaschine. Und er beklagt, dass die Badekultur doch ziemlich gelitten habe in letzter Zeit. An überfüllten Tagen kämen viele Menschen, die gar keine Badehosen oder Bikinis besitzen würden. Und sie verstünden auch nicht, wovon er, der Bademeister, spreche, wenn er sie darauf hinweise.

„He! Weg mit dem Ball.“ Wieder ist der Lederball zwischen die Schwimmer geflogen. Der, dem der Ball gehört, ein kräftiger Kerl mit runden Schultern und ausgebautem Body, legt seinen Finger an den Mund, als sollte der Bademeister jetzt besser schweigen. Der sieht darüber hinweg. Seit sie den Sprungturm nicht mehr haben, kämen die Verrückten nicht mehr, sagt Herr Resai. Andererseits war der Turm auch „ein Ventil“, mit dem er die Stimmung regulieren konnte. Deshalb war er als Einziger gegen die Abschaffung. Wenn die Jugendlichen es zu wüst trieben und die Schwimmer bedrängten, öffnete er den Drei-Meter-Turm für eine halbe Stunde, dann hatte er nur noch in einem begrenzten Teil des Beckens Stress. Und der baute sich dann von selbst ab. Nun hätten die Jugendlichen nichts mehr. In artistischen Sprüngen katapultieren sie sich vom Beckenrand direkt ins Gewühl.

„He, nicht von der Seite springen! Hast du mich verstanden? He, hast du mich verstanden?“ – „Ja. Soll ich es wiederholen?“ – „Dann ist ja gut.“ – „Ich spule den Film zuhause auch immer wieder zurück, weißt du.“

Plötzlich kann einer der Schwimmer im Gewühl nicht mehr weiter

Herr Resai ist ein beeindruckender Mann. Gut aussehend. Edler Brustkorb, breite Schultern, den Rücken durchgedrückt. Das Poloshirt mit dem Aufdruck der Bäderbetriebe weiß und makellos. Er steht barfüßig auf seiner Aussichtsplattform, neben seinen Badelatschen. Obwohl es auch einen Plastikstuhl gibt, setzt er sich nie. Er steht und schaut. Unablässig sucht er den Fehler im Bild. Die kleine Abweichung. Zögert vielleicht jemand einen Tick zu lange, bevor er ins Wasser steigt? Trägt ein Erwachsener ein viel zu kleines Kind ins Tiefe?

Die Erfahrung von 22 Freibadjahren hat aus Herrn Resai einen hartgesottenen Beobachter gemacht. Früher sei es noch voller gewesen, sagt er oft und erinnert sich an einen jener Tage in den 90er Jahren, als man vor lauter Körpern das Wasser nicht mehr habe sehen können. 10 000 Leute seien an einem solchen sonnengefluteten Tag gekommen. Es beruhigt ihn selbst ein bisschen. Er meint die Zeit, als West-Berlin noch kein Umland besaß, in das die Berliner ausweichen konnten. Als eine Tageskarte selbst für die in Wedding nicht viel Geld kostete. Und waren die Sommer nicht auch – ja, sonniger.

So voll wie damals wird es nicht mehr. Die Einnahmen haben sich auf einem anderen Niveau eingependelt. Seit zehn Jahren kommen zwischen 116.000 und 170.000 Besucher pro Saison ins Sommerbad, was vor allem an den Launen des Sommers liegt. Obwohl 2013 die Ticketpreise angehoben wurden, war die Saison eine der besten. Da die Berliner Bäder Betriebe vom Senat Zuschüsse von unverändert 50 Millionen Euro erhalten und die Ertragslage sehr schwankt, kommt es immer wieder zu Engpässen. So ist das Planschbecken in diesem Sommer nicht benutzbar, weil es dringend renoviert werden muss. Am gestrigen Mittwoch etwa blieb der Spaßbereich des Schöneberger Stadtbades aus Personalmangel geschlossen. Mit Herrn Resai sind an einem vollen Tag vier weitere Bademeister im Einsatz.

Und plötzlich muss einer von ihnen ins Wasser. Er wirft einen Rettungsring ins Schwimmerbecken und stürzt sich hinterher. Ein älterer Herr strampelt hilflos, zieht den Retter beinahe mit hinab. Er habe gedacht, es sei nicht so tief, sagt der Erschöpfte kurz darauf. „Sie können nicht schwimmen?“, fragt Herr Resai forsch. Der Mann, auf der Beckenkante sitzend, blickt zur Seite. Prustet, holt Luft. Er kann es sich selbst nicht erklären.

Mit den Gemütern ist es wie mit den Chemikalien, sie müssen ausbalanciert werden

Herr Resai ist ausgebildeter Rettungsschwimmer. In seiner alten Heimat Iran ist Schwimmenkönnen ein Privileg der Eliten. Er, Mehdi Resai, geboren 1968 in Teheran, war für die Armen da, die Nichtschwimmer. Wie viele von ihnen er aus dem Wasser habe ziehen müssen, sagt er kopfschüttelnd. Ein Ertrinkender würde in seiner Panik die eigene Mutter mit in die Tiefe reißen. Man müsse ihn zu packen wissen.

Als Ringer, der Herr Resai mal war, weiß er zuzupacken. Ein guter Ringer sei er gewesen, sagt er, iranische Ringer sind bei Olympischen Spielen stets unter den Medaillengewinnern. Und er war elf, als er das erste Mal auf der Kampfmatte stand. Mit 17, als er merkte, es reicht nicht für die internationale Karriere, seine Eltern bestanden überdies darauf, dass er zur Schule ging, und beides schloss sich irgendwie aus, da hörte er auf. Er wurde zur Armee eingezogen, der Krieg in den Sümpfen des Shatt al Arab war gerade vorüber. Danach wollte er nur noch weg. Weit weg.

Er war kaum in Deutschland, konnte die Sprache nicht, da wurde seine Frau hellhörig. Eine Gruppe von Mitarbeitern des Weddinger Kombibades tafelte in dem Restaurant, in dem sie bediente. „Mein Mann ist auch Bademeister“, sagte sie zu den Männern. Gut, sagte einer von ihnen, er solle mal vorbei kommen. Herr Resai kam, überstand die Probezeit, fortan war er dabei. Im Sommer zuständig für das Außenbad. Sein Deutsch hat er am Beckenrand gelernt.

„Und hier noch mal der allgemeine Hinweis, bitte nicht vom Beckenrand springen.“

Das Bad ist sein Sommer. Einen anderen hat er nicht. Vor 19 Jahren kam seine Tochter auf die Welt. Mitte August. Und er ging zur Arbeit. Bleib doch zu Hause, Mensch!, sagte sein Chef. Nein, entgegnete Herr Resai, ich bin gerne hier. Diesen Satz sagt er heute auch noch oft. Seine Tochter, sein erstes und einziges Kind, musste vorzeitig geholt werden, es wog 630 Gramm. Die Ärzte sprachen von Komplikationen – erst später werde sich zeigen, welche Folgeschäden auftreten würden. „Die Kleine kann gar nichts“, sagt Herr Resai jetzt. Sie muss beatmet werden, kann nicht sprechen und nichts sehen. Aber, sagt Herr Resai, wenn er nach Hause komme und sie begrüße, helle sich ihre Stimmung deutlich auf.

Das alles behält er normalerweise für sich. Andererseits gehört es dazu, denn in Urlaub fahren Herr Resai und seine Frau praktisch nie. Sie können ihre Tochter nicht alleine lassen. Niemandem anvertrauen. Ihr Zimmer ist wie eine Krankenstation eingerichtet. Fünf Jahre habe man dem Mädchen einst gegeben, sagt Herr Resai.Er lässt sie nicht im Stich. „Wenn mir andere Menschen von ihren Problemen erzählen, bin ich knallhart.“

Wie er das sagt, hat seine Stimme plötzlich einen scharfen, unerbittlichen Klang, die Stimme eines Kämpfers. Vielleicht sei das Freibad sein Weg, die ständige Sorge um seine Tochter, das Kinderzimmer mit seinen Schläuchen, Geräten und drohenden Entzündungen hinter sich zu lassen, meint er einmal. Aber eine Flucht ist es nicht. Er kehrt zu dem unbeschwerten Geräusch plätschernden Wassers und in diesem Wasser spielender Kinder zurück, um auch hier aufzupassen. Auf den Sommer. Er kennt die Folgen.

Erst am Vormittag ist eine junge Frau am Beckenrand auf die Betonplatten gestürzt. Sie war ihrem Freund nachgerannt. Der erwischte sie, als er sich ihrer Umarmung entreißen wollte, mit dem Ellbogen im Gesicht. Sie war bewusstlos, als sie aufs Pflaster schlug. Die Frau war schwanger. Ein Rettungswagen hat sie abtransportiert.

Sie war eine der ersten Bademeisterinnen in Berlin

In Mariendorf, auf der anderen Seite der Stadt, befindet sich mit 44000 Quadratmetern Außenfläche eines der größten Freibäder Berlins. 6000 Besucher kommen an Tagen wie diesen, sagt dessen Leiterin Britta Wulf. Sie ist stolz auf ihre niedrige Unfallstatistik. Britte Wulf, 45 Jahre alt, und eine der wenigen Bademeisterinnen, steht für den Mentalitätswechsel, den die Bäderbetriebe anstreben. Eine schlanke, blonde Frau, auf berlinische Art direkt, gewinnendes Lächeln, die über rostige Treppen in die Katakomben ihres Bades hinabsteigt, zu den Umwälzpumpen, den Anthrazitkohle- und Kieselbettfiltern, dem Schwallbecken, den Laugebehältern und Chlorgasfässern, die im Maschinenraum chemische Werte und Wasserstände auspegelt und dasselbe draußen mit den Gemütern tut. Die richtige Balance der chemischen Komponenten ist ebenso wichtig wie die Balance zwischen Verbot und Vergnügen.

Wulf ist eine Meisterin der Toleranzbereiche. Sie fragt sich, was ihr selbst Spaß machen würde, um dem Bild des bevormundenden Kontrolleurs vorzubeugen, das für viele Jugendliche eine Provokation darstellt. Das Megafon benutzt sie nur, wenn es nicht mehr anders geht. Sie geht direkt auf die Leute zu und nennt das "Kundenbetreuung". Reden, mitfühlen. Wenn sie in ihrem kleinen, engen Büro hinter dem Schreibtisch sitzend von ihrer Arbeit spricht, hebt sie gelegentlich beide Arme, als halte sie Gewichte in den Händen, die sie ausbalancieren will.

Britta Wulf hat ihr ganzes Leben in Schwimmbädern verbracht. In ihrer frühesten Erinnerung sieht sie sich von Erwachsenen umstellt, die vom Rand des Pools alle dasselbe sagen: Nicht anfassen! Weiter, Kleine, immer weiter! Eine Viertelstunde fasst sie den Beckenrand nicht an, sondern schwimmt. Zwei Jahre ist sie damals erst alt. Später wird ein Artikel über dieses mysteriöse Erlebnis in einer Berliner Tageszeitung erscheinen. Sie hat den Ausriss aufgehoben. Denn mit zwei Jahren war sie das damals jüngste Berliner Kind, das den Freischwimmer machte. Bei vielem wird sie die Erste sein.

Sie komme aus einer „Wasserfamilie“, sagt sie. Schon ihr Vater war Bademeister, die Tochter imitierte die Art, in der Frösche sich reglos über Wasser halten, mit angewinkelten Beinen. So fing es an. Sie wurde Leistungsschwimmerin, trainierte sieben mal pro Woche, bekam Fieber vor Anstrengung, machte im Training nie, was sie sollte, war aber erstaunlich schnell. Als sie mit 16 die Ausbildung zur Schwimmmeisterin begann, war sie erschüttert von dem schroffen Umgangston in der Männerwelt. Sie weinte, aber sie stellte den unfreundlichsten Kollegen auch zur Rede. "Da wurde es interessant für mich", sagt sie heute, "denn der hatte es gar nicht böse gemeint. Seither muss ich ganz genau wissen, was der andere will." Anfang Juni dieses Jahres wollte sie das auch. Der Sicherheitsdienst hatte eine Rangelei auf der Grünfläche bemerkt, sie eilte hinzu. Jugendliche hatten sich geschubst und geschlagen. Später wird es heißen, dass sich auch Messer gezeigt wurden. „Aber da hatte das klärende Gespräch mit uns bereits eingesetzt“, sagt Wulf. „Weil wir sofort zur Stelle waren, ist nichts weiter passiert.“

"Niemand von uns kann die Probleme alleine lösen", sagt der Polizist

Bei den Berliner Bäderbetrieben ist man dieser Tage bemüht, den Gewaltszenen nicht zu viel Gewicht beizumessen. Tatsächlich handelt es sich immer um Einzelfälle. Wenn der Mensch sich seiner Kleidung entledigt, fühlt er sich schwach. Und manche tun sehr viel, um das zu überspielen. Sie werden dann sehr empfindlich.

Der Tag neigt sich dem Ende zu, da setzt mit den ersten Schlägen das Gebrüll ein. Das Bad sei zu 70 Prozent mit Bulgaren und Rumänen gefüllt, schätzt Herr Resai gerade, die gingen bei Streitereien nicht so weit wie Araber und Türken, sagt er noch. Schon gerät einer mit einem Klan aneinander. Fünf Männer, groß und schwer, prügeln im Nichtschwimmerbecken auf den Mann ein.

Herr Resai ist sofort da. Am Rand. Der Arm ausgestreckt. Gebieterisch. Unmissverständlich. Die Männer sollen zu ihm kommen. Sofort ist er von Dutzenden Menschen umringt. Aber er blickt durch die Schaulustigen einfach hindurch. Er pickt sich den Unruhestifter heraus. Und dann wird er wütend. Sein Zorn trifft nicht den Schläger, der nach ein paar Worten bullig und dumm davontrottet, als sei dieser Konflikt einfach verpufft. Herr Resais Zorn richtet sich gegen den Wachschutz, der nicht da war, als er ihn brauchte.

Eigentlich ist der Bademeister nur noch für das Becken selbst und dafür zuständig, dass niemand ertrinkt. Bei Streitereien soll der Sicherheitsdienst einschreiten und, wenn nötig, die Polizei. So ist die Aufgabenverteilung. „Niemand von uns kann die Probleme alleine lösen“, sagt ein hochrangiger Polizist am Mittwoch bei der Vorstellung eines Präventivprojekts im Sommerbad Pankow. In manchen Bädern werden ehrenamtliche Konfliktlotsen eingesetzt, die in ihren blauen ärmellosen Trikots wie Basketballspieler gekleidet und darauf trainiert sind, in Streitfällen möglichst früh einzuschreiten. Nun auch in Pankow, obwohl dort bis auf eine "Erstürmung" des Sprungturms im vergangenen Jahr noch gar nichts vorgefallen war.

Ob sie gegen einen Streit wie jetzt, der aus dem Nichts losbricht, etwas unternehmen können?

Zwei kleine Jungen am Beckenrand, sie schweben in Lebensgefahr

„Ich sage ihnen ehrlich, dass wir die Situation oft besser entschärfen können als das Wachpersonal, das die Beteiligten nicht so gut kennt“, sagt er. Die Männer in ihren schwarzen Klamotten und mit dunklen Sonnenbrillen fühlen sich von Resais Kritik in ihrer Ehre gekränkt. Sie versuchen dem Bademeister klar zu machen, dass sie nicht mehr ernst genommen würden, wenn er sie vor aller Augen zur Schnecke mache. „Das ist mir vollkommen egal“, sagt Herr Resai scharf. Knallhart, hatte er gesagt, die Gefühle der anderen kümmern ihn nicht.

Dass er die Statur eines Ringers hat, hilft ihm bei Konflikten vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Er lasse sich nichts gefallen, sagt er, „aber wenn sie bei einer Schlägerei schlichten wollen, und hunderte Leute stehen drum herum, bringt es sie nicht weiter, ein Kämpfer gewesen zu sein“. Bei jedem Konflikt gibt es mindestens einen aus jeder Partei, der ihn achte, dem er möglicherweise das Schwimmen beigebracht habe. „Ich rede mit jedem.“ Und: „Ich bleibe höflich.“ Höflich, aber unerbittlich.

Als Herr Resai zwei kleine Jungen am Rand des tiefen Beckens entdeckt, die irgendwie dorthin geraten sind, da rumort es in ihm, dunkel und ernst. Die Knaben in ihren Schwimmwindeln schweben in Lebensgefahr. Er kann nicht alles sehen. Manche Menschen, sagt er, würden ihre Verantwortung an ihn abgeben, sobald sie das Bad betreten. Er greift die Hände der beiden Kinder. Er wird sie nicht wieder loslassen, bis die Mutter um das Becken auf ihn zugeeilt kommt. Und auch dann noch hält er die kleinen Hände fest. Und sie ihn.

- Erschienen auf der Dritten Seite.

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