Kunstsammler: Cornelius Gurlitt - Sohn und Versöhner
Das Auftauchen der Bilderkollektion von Cornelius Gurlitt war eine Sensation - und hat die Kunstwelt umgekrempelt. Jetzt ist der 81-Jährige Sammler an einem Herzleiden gestorben.
Dieser Mann hat die Kunstwelt umgekrempelt. Mehr als er es sich selbst vorstellen konnte und wohl auch alle anderen Beteiligten es für möglich gehalten hätten. Und das alles innerhalb kürzester Zeit. Das überraschende Auftauchen der Sammlung im Februar 2012 in seiner Münchner Privatwohnung war eine Sensation: ein millionenschwerer Schatz und zugleich ein Politikum mit internationaler Ausstrahlung. Ein halbes Jahr zuvor war Cornelius Gurlitt noch ein Unbekannter, nun steht sein Name für Raubkunst und Restitution, juristische Ranküne und deren späte Revision.
Öffentliche Vorwürfe und Presserummel
Der 81-Jährige hat die Kehrtwendung der Augsburger Staatsanwaltschaft gerade noch erlebt. Vor weniger als einem Monat hatte sie sich bereit erklärt, die konfiszierten Bilder – Matisse, Beckmann, Spitzweg, Chagall, die er lange im Geheimen hütete – endlich an ihn zurück zu geben. Die Beschlagnahmung habe sein Herz gebrochen, hatte er damals erklärt. Diese Bilder seien sein Leben. Am Dienstagnachmittag starb Cornelius Gurlitt in Schwabing in seiner Wohnung, in die er nach einer schweren Operation zurückgekehrt war. Die letzten Monate, der Presserummel, die öffentlichen Vorwürfe, das alles dürfte zu viel für den betagten Herrn gewesen sein, den ein Zufall ins Rampenlicht gerückt hatte.
Eigentlich war Cornelius Gurlitt immer nur Erbe gewesen. Er war der Sohn des legendären Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der anfänglich selbst unter den Verfolgungen der Nationalsozialisten gelitten und sich nach 1933 dann als Mittelsmann angedient hatte: zunächst um für den Staat aus den Museen entfernte „Entartete Kunst“ zu verkaufen und dann um etwa in Paris neue Bilder für Hitlers Führermuseum in Linz und Görings Privatsammlung zu besorgen. Nach dem frühen Unfalltod des Vaters 1956, der nach dem Krieg als Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins wieder Fuß fassen und der Moderne zu neuem Auftrieb verhelfen konnte, ging dessen Privatsammlung zunächst an die Mutter, später an den Sohn. In jenen Jahren des Wiederaufbaus fragte niemand nach der Herkunft der Bilder, die von den Alliierten offiziell zurück gegeben worden waren. Der Vater hatte sie durch den Krieg gebracht, der Sohn betrachtete es als Verpflichtung, dieses Vermächtnis still zu bewahren.
Eine Kettenreaktion wurde in Gang gesetzt
So sollte es bleiben, bis durch eine Stichprobe des Zolls Finanzbeamte auf den Reisenden im Zug aus der Schweiz zurück nach München aufmerksam wurden. Der trug die gerade noch erlaubte Summe Bares bei sich: etwas weniger als 10 000 Euro. Ein Mann dieses Namens, dessen Vater einer der vier offiziellen Nazi-Kunsthändler war, das löste nach einigen Recherchen Verdacht aus. Eine Kettenreaktion wurde in Gang gesetzt, die Auswirkung bis in die Bundespolitik hat.
Einmal auf dem Radar der Steuerfahndung, war Gurlitt plötzlich nicht mehr der inkognito lebende Erbe, der nur dann und wann in die Schweiz fuhr, um eines der Bilder seiner Sammlung für den eigenen, bescheidenen Lebensunterhalt zu versilbern. Mit dem Besuch der Behörden im Frühjahr 2011 bei ihm in Schwabing, der anschließenden Beschlagnahmung von 1280 Werken sollte sich herausstellen, dass der distinguierte grauhaarige Herr der Besitzer eines sagenhaftes Schatzes war. An den Wänden des hundert Quadratmeter großen Apartments, auf grob gezimmerten Holzregalen befanden sich Meisterwerke der Moderne. Es war, als öffnete sich Ali Babas Höhle, nur dass hier kein Räuber, sondern ein überforderter Erbe den alleinigen Zugang besaß.
Nur ein kleiner Kreis war eingeweiht
Die Monate später von der Bundesregierung gegründete Taskforce zur Erforschung der Hintergründe und zur Klärung der Provenienz bekam deshalb auch den sprechenden Namen „Schwabinger Kunstfund“, die Überraschung schwingt bis heute darin mit. Über Tage hinweg trugen die Steuerfahnder damals Bilder aus der Wohnung und verbrachten sie in ein geheimes Depot. Von einem Milliardenwert war in den ersten Meldungen nach überraschender Öffentlichwerdung des Fundes die Rede. Mit der Geheimhaltung der Augsburger Staatsanwaltschaft, die fast anderthalb Jahre Stillschweigen bewahren konnte, war es da vorbei. Nur ein kleiner Kreis war eingeweiht, eine einzige Kunsthistorikerin zur Begutachtung hinzugezogen worden. Der Fund wurde damit für die bayerische Justiz zum Skandal, denn sie hätte weitere jahrelange Geheimhaltung in Kauf genommen und Cornelius Gurlitt noch länger hingehalten.
Der Fall Gurlitt ist einmalig
Von Milliardenwert ist heute längst nicht mehr die Rede, seit bekannt ist, dass es sich zum größten Teil um Papierarbeiten handelt, doch die Sicht der Dinge hat sich geändert. Umso schwerer wiegt die Moral. Mit der Sammlung Gurlitt war ein Konvolut an die Oberfläche gelangt, das deutsche Vergangenheit plötzlich in die Gegenwart rückte und ein Bewusstsein für bis heute geltendes Unrecht weckte. Denn die Bilder gerieten erst einmal unter Generalverdacht, jüdischen Sammler gestohlen worden zu sein. Heute wissen wir es besser, nur für einen geringen Bruchteil scheint dies zuzutreffen. Gurlitt selbst ist es mit Hilfe seiner Anwälte noch in den letzten Lebenswochen gelungen, eine Hand jenen Nachfahren zu reichen, deren Kunst er womöglich besitzt.
Erst Anfang April hatte er sich bereit erklärt, diese Werke zurück zu geben, auch wenn sie ihm mittlerweile rechtmäßig gehören. Für Privatbesitz gilt die Verjährung. Juristisch lassen sich keine Ansprüche mehr geltend machen. Gurlitt aber bot an, auch jene Bestände durchforschen zu lassen, die vor wenigen Wochen an seinem früheren Wohnsitz in Österreich aufgetaucht waren. Die dortigen Behörden hatten sich übrigens nicht eingeschaltet; sie sahen keinen Handlungsbedarf. Schließlich handele es sich um privates Eigentum, lautete die Erklärung.
Er wollte vor allem in Ruhe gelassen werden
Mit seinem Angebot an jüdische Nachfahren ist Gurlitt weiter gegangen als so manches deutsche Museum, das offiziell in der Pflicht steht, seine Bestände auf Raubkunst zu durchforsten und doch lieber beide Augen zudrückt, um sich nicht von den Schätzen trennen zu müssen. Cornelius Gurlitt hat damit einen enormen Schritt gemacht, ist Vorbild geworden. Von dem verschreckten älteren Herrn, den kurz nach Bekanntwerden des Bilderschatzes alle zu fassen versuchten, war das nicht zu erwarten. Ein Fotograf von „Paris Match“ erwischte ihn in einer Einkaufspassage, ein alter Herr im Wintermantel, mit dem man Mitleid bekommen konnte. Einer Reporterin des „Spiegel“ gelang es, den verängstigten Mann zu einem seiner regelmäßigen auswärtigen Arztbesuche zu begleiten. Vor allem wollte er in Ruhe gelassen werden. Und seine Bilder wiederhaben.
Vom Täter zum Opfer
Gurlitts Glück dürfte es gewesen sein, dass sich der Münchner Anwalt Stephan Holzinger seiner als Sprecher annahm. Schritt für Schritt gelang es ihm sowohl die öffentliche Meinung als auch die Haltung der Augsburger Staatsanwaltschaft durch geschickte PR-Arbeit und juristische Verhandlungsangebote zu ändern. Innerhalb kürzester Zeit wandelte sich die Figur Cornelius Gurlitt in der allgemeinen Wahrnehmung vom Täter(sohn) zum (Justiz-)Opfer und schließlich zum Modell für andere Sammler, die womöglich Kunst unklarer Provenienz besitzen.
Der Fall Gurlitt ist einmalig, da mag der erstaunliche Schwabinger Kunstfund noch so sehr die Hoffnung auf manch andere verborgene Sammlung geweckt haben. Cornelius Gurlitt selbst aber ist es zu verdanken, dass Raubkunst und Restitution mehr denn je wieder ein allgemeines Anliegen geworden sind. Das Ende des Eisernen Vorhangs und die Wiedervereinigung hatten zwar Bewegung in die Forschung gebracht, aber ein öffentliches Thema war daraus nicht geworden. Durch die Sammlung Gurlitt und den von ihr im Ausland ausgelösten Skandal engagiert sich auch die Bundesregierung nochmals stärker und gibt weitere Gelder für die Recherchen. Noch innerhalb dieses Jahres soll eine eigene Forschungsstelle in Magdeburg gründen werden.
Wie es mit den Bildern weitergeht, bleibt zunächst offen. Zunächst wird nach Erben gesucht, Gurlitt hatte keine Kinder. Die Provenienzforschung wird fortgesetzt, möglicherweise gehen die Werke in eine Stiftung ein. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ soll Gurlitt sie einer Kunstinstitution im Ausland vermacht haben.
In seinem einzigen Interview hatte Gurlitt gesagt: „Die hätten doch warten können mit den Bildern, bis ich tot bin.“ In seinen letzten Lebenswochen hat er diese Bilder noch auf einen guten Weg gebracht. Sein Name steht nicht mehr für Raubkunst, sondern späte Versöhnung.
Nicola Kuhn