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Im Toleranzraum. Werktags ist im Görlitzer Park jeweils ein Parkläuferduo im Einsatz.
© Doris Spiekermann-Klaas

Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: Auf Augenhöhe mit den Drogendealern

Parkläufer sollen den Görlitzer Park befrieden. Den Drogenhandel wollen sie nicht stoppen. Aber die Stimmung verbessern - wenn sie kein Messer in den Rücken kriegen.

Ein Dealer hat nicht aufgepasst. Steht am Westeingang, Höhe Forster Straße, mit einem Kunden im Gebüsch und wickelt sein Geschäft ab, während keine zehn Meter weiter Veysel und Shpetim patrouillieren. Vielleicht liegt es daran, dass die beiden heute ihre grünen Fleecejacken mit dem Aufdruck „Parkläufer“ nicht angezogen haben. Ist einfach zu heiß an diesem Montagnachmittag, und die versprochenen T-Shirts wurden noch nicht geliefert. Also mussten Veysel und Shpetim improvisieren. Sie tragen ihre Jacken zusammengefaltet wie Staffelstäbe vor sich her. Als der Dealer die Parkläufer bemerkt, ist ihm das so peinlich, dass er sich vielmals entschuldigt. Er deutet eine Verbeugung an. Und gibt ein Versprechen ab: „Es kommt nicht wieder vor ... Inschallah.“

Seit fünf Wochen sind sie im Einsatz, immer zu zweit, immer im Uhrzeigersinn durch den Görlitzer Park. „Die meisten Dealer haben Respekt vor uns“, sagt Veysel. Sie grüßen, wünschen einen schönen Tag, manche wollen von ihrem Essen abgeben. Reinste Frühsommeridylle. Veysel sagt aber auch: Das hier funktioniere nur bis zum ersten offenen Streit mit einem der Dealer. „Wenn das passiert, bist du raus. Sonst hast du, ehe du dich versiehst, ein Messer im Rücken.“

Veysel, 40, und Shpetim, 25, ihre Nachnamen möchten sie lieber nicht nennen, sind Teil eines Pilotprojekts, das weltweit einmalig ist. Ihre Aufgabe: Präsenz zeigen. Darauf achten, dass im Park niemand bedroht, beleidigt oder belästigt wird. Das Dealen selbst sollen sie nicht unterbinden. Veysel sagt, die Drogenverkäufer würden ihnen noch nicht so ganz trauen. „Die fürchten, wir sind am Ende doch Zivilpolizisten und nehmen alle hoch.“

Es ist ja auch schwer zu glauben, was da geschieht. Seit Jahren gilt der Görlitzer Park als Dealerparadies. Als Angstraum, den Anwohner meiden. Es wurde geraubt und vergewaltigt, ein Kinderspielplatz als Drogendepot genutzt. Jahrelang versuchte die Polizei erfolglos, die meist afrikanischen Verkäufer durch Razzien zu vertreiben. Im März 2015 erklärte der damalige CDU-Innensenator Frank Henkel das Gebiet zur Nulltoleranzzone, schickte immer wieder Hundertschaften los. Das band Polizeikräfte, brachte aber nichts. Nach ein paar Stunden standen die Dealer wieder an den gewohnten Stellen.

25 Körperverletzungen, 17 Raubüberfälle, fast 200 Diebstähle

Der Görlitzer Park gilt nicht nur als einer der übelsten Drogenumschlagplätze der Stadt, sondern auch als Symbol dafür, wie wirkungslos Repression sein kann. Deshalb nun der gegenteilige Ansatz: Kann man, wenn sich die Dealer schon nicht dauerhaft aus dem Park vertreiben lassen, wenigstens ein Klima schaffen, in dem sich die anderen Parknutzer ungestört fühlen? Anwohner haben eine Arbeitsgemeinschaft gegründet und zusammen mit Bezirksvertretern ein Konzept entwickelt. Die Parkläufer sollen ausdrücklich nicht Polizei spielen, sondern als „niedrigschwellige Sozialkontrolle“ agieren. Die Gelegenheit scheint günstig wie nie: ein grün dominiertes Bezirksamt, ein rot-rot-grüner Senat. Und wo sollte man sich Derartiges trauen, wenn nicht in Kreuzberg?

Seit Jahresbeginn zählte die Polizei im Park und in den angrenzenden Straßen 25 Körperverletzungen, 17 Raubüberfälle, fast 200 Diebstähle. Ein Passant, der sich weigerte, Drogen zu kaufen, wurde mit einem Messer verletzt. Immerhin sind die Zahlen im Vorjahresvergleich gesunken.

Heute wirkt es ruhig. An der Senke in der Parkmitte sitzen nur ein paar Dutzend Besucher im Gras, auf den Bänken und im Schatten der Bäume hocken die Dealer. Dass kaum Griller da sind, liege am Ramadan, sagt Veysel. Pro Runde müssen die Läufer 17 Punkte ansteuern. An jeder Station hängt eine Plakette, mal an einen Mülleimer, mal einen Laternenpfahl geklebt. Die Läufer halten dann ihren taschenlampengroßen Metallstab dagegen, bis ein blaues Licht blinkt. So wird kontrolliert, dass sie sich tatsächlich auf der vorgeschriebenen Route durch den Park bewegen. Die Dealer sehen das und wundern sich, sagt Shpetim. „Manche glauben, wir hätten dort heimlich Überwachungskameras installiert.“

Drogen an Kinder? Werden sie nicht hinnehmen

Parkmanager Cengiz Demirci in seinem Bauwagen.
Parkmanager Cengiz Demirci in seinem Bauwagen.
© Doris Spiekermann-Klaas

Werktags ist jeweils ein Parkläuferduo im Einsatz, von 14 bis 22 Uhr. „Das ist zu wenig“, sagt Shpetim. Sobald sie eine Ecke passiert haben, wissen die Dealer, dass sie mindestens eine Stunde lang ungestört bleiben. An Wochenenden und Feiertagen patrouillieren die Parkläufer immerhin zu viert. In ihrem Team sind Türken, Araber, Albaner und Deutsche. Bald soll einer hinzustoßen, der auch viele afrikanische Sprachen beherrscht. „Der wird unser Dolmetscher“, sagt Veysel. An diesem Montag werden Shpetim und er auf der Nordostseite im Vorbeigehen von einem jungen Dealer angesprochen. Der fragt: „Weed?“ Shpetim antwortet: „Arbeit.“

Weil die Parkläufer kein Hausrecht haben, dürfen sie keine Platzverweise erteilen. Im Ernstfall können sie nur das Ordnungsamt oder die Polizei rufen. In welchen Ernstfällen so? „Wenn wir zum Beispiel sehen würden, dass Drogen an Kinder verkauft werden. Oder bei Gewalt.“

Das Areal ist unter den Dealern aufgeteilt. Im Innenbereich und an fast allen Eingängen stehen junge Männer aus ost- oder westafrikanischen Staaten. Veysel nennt sie „die Friedlichen und Entspannten“. Unangenehm sei bloß der kurze Abschnitt im Nordwesten zwischen dem ehemaligen Pamukkale-Brunnen und der Skalitzer Straße. Da operiert eine Gruppe Nordafrikaner. „Die schimpfen hinter uns her, sind aggressiv.“ Hier geschehen auch die meisten Raubüberfälle.

Absolute Sicherheit wird es nicht geben

Der Mann, der sich die Routen der Läufer ausgedacht hat, sitzt in einem bunt angemalten Bauwagen im Nordwestteil des Areals, direkt neben dem Café Edelweiß. Cengiz Demirci ist der Parkmanager. Er berichtet, er habe in den ersten Wochen viel Lob erhalten. „Parkbesucher sagen, alleine die Anwesenheit meiner Jungs bewirke einen Unterschied.“ Darum gehe es letztlich auch: das subjektive Sicherheitsgefühl zu verbessern. „Wir können keine absolute Sicherheit schaffen, das gelingt nicht mal der Polizei. Aber wir erzeugen ein Gefühl, das die Menschen dazu bringt, wieder hierherzukommen.“

Cengiz Demirci will den Park beleben. Für Räume und Ecken, die derzeit ungenutzt sind, Angebote schaffen. Tischtennisplatten und Fitnessstangen aufstellen, Felder für Beachvolleyball herrichten, auch einen Bouleplatz. Ein verwilderter Grünstreifen, der abgesperrt ist, seit dort vor sechs Jahren eine Frau vergewaltigt wurde, könnte zum Lernort werden, an dem Umweltschützer Schulkindern die Natur erklären. Auch Urban Gardening sei denkbar, ein Fußballturnier ... Demirci sagt: „Je mehr Aktivitäten wir hier starten, desto weniger Räume haben die Dealer und Abzocker. Die wollen schließlich keine Zeugen.“ Das sei ein natürlicher Verdrängungsmechanismus.

Auf ihrer Runde werden Veysel und Shpetim von einem Mann mit Rastalocken angesprochen. „Ihr seid doch die, die gegen Drogen vorgehen, oder?“ Bevor Veysel das Konzept erklären kann, erzählt der andere, seine Freunde würden gelegentlich durch die Büsche streifen, um nach Alupäckchen zu suchen. „Die nehmen sie dann mit. Als Zeichen für die Dealer, dass wir uns nicht alles gefallen lassen.“ Und geben sie die Drogen bei der Polizei ab? „Nee, eher nicht.“

Ein paar Meter weiter müssen die Läufer zum ersten Mal durchgreifen. In einer Ecke, direkt vor der Mauer zur Skalitzer Straße, versucht eine Familie zu grillen. „Entschuldigung, aber das geht hier nicht“, sagt Veysel. Grillen sei nur am entgegengesetzten Ende erlaubt.

Die Parkläufer standen früher am Lageso

Veysel (links) und Shpetim sind seit Ende April im Einsatz.
Veysel (links) und Shpetim sind seit Ende April im Einsatz.
© Doris Spiekermann-Klaas

Theoretisch sollen die Parkläufer auch einschreiten, wenn Hundehalter ihre Tiere nicht an die Leine nehmen. Im Moment sind sie noch nachsichtig. Sobald im Sommer auf dem Dach des angrenzenden Hallenbads das neue Hundeauslaufgebiet eröffnet werde, gebe es aber kein Pardon mehr.

Als die Anwohner, die sich das Konzept ausgedacht haben, ihre Ideen Ende März der Kreuzberger Öffentlichkeit vorstellten, stießen sie auf Verwunderung und Skepsis. Verständlich, sagte einer der Initiatoren. Angedacht sei schließlich ein völlig neues Berufsbild, da erwarteten „manche sicher die eierlegende Wollmilchsau“. 150 Menschen hatten sich in der Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz eingefunden. Als ihnen mitgeteilt wurde, Securityfirmen hätten sich für die Parkläuferjobs beworben, regte sich Widerspruch im Plenum. Einige fürchteten, die Aufpasser würden den Besuchern jeden Spaß verderben, am Ende noch das Rauchen von Joints unterbinden. Aber nicht doch, hat ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft da geantwortet. Es gebe schließlich einen Grund dafür, dass sie keine Polizei im Park wollten: „Weil die eben dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist und jedem Verstoß nachgehen muss.“

Andere wandten ein, Securitys hätten schon aus Prinzip nichts im Park verloren. Die stünden, systemtheoretisch gesehen, für Hierarchie und Kontrolle. Eine Frau warnte: „Da ist Stress doch garantiert.“ Auch auf diesen Einwand waren die Initiatoren vorbereitet. „Natürlich werden es nicht diese Muskelpakete sein, die abends vor den Diskos stehen.“ Vielmehr handele es sich um „hoch qualifizierte, speziell ausgebildete Leute, die über kommunikative und soziale Fähigkeiten verfügen“. Die eine Konfliktschulung durchlaufen hätten, Mediations- und Moderationserfahrung besäßen. Der Mann vom Bezirksamt verriet dann noch, dass es zwei Unternehmen in die engere Auswahl geschafft hätten.

Wie Spysec Security den Auftrag bekam

In seinem bunten Bauwagen erzählt Cengiz Demirci jetzt, wie die Entscheidung letztendlich fiel. Weil einer der Bewerber sein finales Angebot schriftlich einreichte, obwohl eine Einsendung per Mail vorgeschrieben war, erhielt der Konkurrent den Zuschlag. Es handelt sich um die Firma Spysec Security. Das ist ausgerechnet der Sicherheitsdienst, der lange die Wachmänner am Lageso stellte und dort in die Kritik geriet, als auf Youtube mehrere Videos auftauchten. Sie zeigten, wie Spysec-Mitarbeiter auf Geflüchtete einprügelten und -traten.

Cengiz Demirci sagt, aus Neutralitätsgründen habe die Ausschreibung natürlich allen offengestanden. Er habe dann selbst recherchiert und mit den Verantwortlichen der Firma gesprochen. „Die haben mir versichert, dass die Vorfälle damals in den Medien verzerrt wiedergegeben wurden. Die betroffenen Personen sind außerdem nicht mehr in dem Unternehmen tätig.“ Insgesamt seien die Erfahrungen, die am Lageso gemacht wurden, vermutlich eher hilfreich.

An den Wänden des Wohnwagenbüros hängen Unmengen von Visitenkarten. Vom Präventionsbeauftragten der Polizei, Streetworkern, Johannitern und Caritas, vom Verein „Transkulturelle Suchtarbeit“ und der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“. Mit allen hat der Parkmanager gesprochen, ist hingegangen und hat gefragt, was sie denn glaubten, wie dem Görlitzer Park geholfen werden könne.

Es gibt viele, die sich einen noch radikaleren Schritt wünschen - einen sogenannten „Toleranzraum“ in einer Ecke des Parks, in der Dealer ungestört ihren Geschäften nachgehen könnten, sofern sie Regeln beachten. Kein Verkauf außerhalb dieses Bereichs. Kein Verkauf an Minderjährige. Der Kunde kommt zum Dealer, nicht umgekehrt. Cengiz Demirci hält das für eine gute Idee, bezweifelt aber, dass die Politik sich derartiges traut. „Jemand im Senat müsste sich den Hut aufsetzen und sagen: Wir probieren das jetzt.“ So einen sieht er weit und breit nicht. SPD-Innensenator Andreas Geisel hat zwar verkündet, er finde das Konzept der Parkläufer interessant. Ein gleichzeitiges Zurückfahren der Polizeiarbeit gilt aber als unwahrscheinlich.

Sowieso glaubt Demirci, die meisten Dealer würden nicht eine Minute länger im Park stehen, hätten sie eine legale Möglichkeit zum Geldverdienen. Deshalb will er ihnen eine „Exit-Strategie“ anbieten. „Dafür müssen wir allerdings erst wissen, wer genau da eigentlich ist.“ Diesen Sommer will Demirci eine anonymisierte Umfrage unter den Dealern durchführen. Mit Punkten wie: Seit wann bist du hier und woher kommst du? Hast du schon mal eine Rechtsberatung gehabt? Wann warst du zuletzt beim Arzt?

Man solle ihn aber nicht falsch verstehen, sagt Demirci. Nur mit Verständnis, Milde und Gesprächen werde es nicht funktionieren. „Vieles ist bis jetzt konsequenzlos durchgegangen, das wollen wir ändern.“ Es brauche einen Maßnahmenkatalog, abgestimmt mit Polizei und Anwohnern. Zum Beispiel könnte man an den Ausgängen Zivilbeamte platzieren, die jeden Touristen dazu zwängen, seinen Rucksack zu leeren. „Das machen wir vier Mal, und die Nachfrage bricht ein.“ Weil Berlinbesucher dann wüssten: Im Görli kannst du zwar Drogen kaufen, aber das Mitnehmen wird schwierig.

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