CDU-Parteitag: Angela Merkel lässt die Kritiker verstummen
Ihr Kabinettstück: Der Parteitag hätte für sie bitter ausgehen können. Doch die Regierungsliste der CDU-Chefin hat alle Rufe nach Erneuerung verstummen lassen. Ihrem größten Kritiker gibt sie eine Aufgabe mit.
Das vergleichsweise größte Problem besteht diesmal darin, 100 Prozent zu verhindern. Wahlen ohne Gegenstimmen sind ja in Verruf geraten, seit es der SPD-Kandidat binnen Jahresfrist vom Erlöser zum Niemand gebracht hat. Aber Angela Merkels Rede ist noch keine zehn Minuten alt, da bricht der CDU-Parteitag schon in heftigen Beifall aus. Dabei hat die CDU-Chefin weiter nichts getan als in gewohnt nüchternem Protokollton anzukündigen, dass sie den Delegierten gleich Annegret Kramp-Karrenbauer zur Wahl als Generalsekretärin vorschlagen werde.
Die Saalkamera schwenkt auf die Saarländerin. Kramp-Karrenbauer, kurz AKK, lächelt halb erfreut, halb verlegen in den Applaus, dann winkt sie rasch ab: Leute, nicht übertreiben, ist gut jetzt!
Die Delegierten folgen. Mit der Übertreibung haben sie’s an diesem Montag sowieso nicht. Dabei hätte der Parteitag eigentlich das Zeug zur sehr unangenehmen Veranstaltung für die Vorsitzende und Bundeskanzlerin.
Schließlich ist in den letzten Monaten, Wochen und Tagen viel Grummeln zu hören gewesen. Das Wort umschreibt in seiner übellaunigen Unschärfe recht gut den Zustand der politischen Magenverstimmung in der bürgerlichen Volkspartei.
Der 24. September tut noch weh
Dafür gibt es Anlässe. Da wären, erstens, die Verluste an Wählern. Der 24. September tut nach fünf Monaten noch weh. Merkels etwas nassforsche Schnellanalyse am Tag nach der Bundestagswahl, dass sie nichts hätte besser machen können, stößt manchem immer noch sauer auf. In ihrer Rede räumt sie Fehler ein, wenn auch auf vermerkelte Art: Ein Grund für die historisch schlechten Prozente sei ein „Unbehagen gegenüber der Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen“ gewesen, „verstärkt durch die Ankunft der Flüchtlinge“. So kann man das auch sagen, wenn man es eigentlich nicht sagen will. Der Parteitag geht darüber hinweg. Man kennt die Chefin ja nach 18 Jahren.
Dann wären da die Verluste an Köpfen. Hermann Gröhe bekommt einen sehr langen Applaus. Der Noch-Gesundheitsminister ist Opfer der Verjüngung im Kabinett geworden. Die herzliche Verabschiedung rührt ihn. Später wünscht der brave Parteisoldat dem Nachfolger viel Erfolg.
Thomas de Maizière bekommt einen noch längeren Applaus. Der Innenminister ist auch ein Opfer, allerdings nicht der Erneuerung, sondern der CSU. Er verzieht keine Miene. Was er von dem Mann hält, der ihn verdrängt hat, hat er gerade erst in einem Interview wissen lassen.
Nur ein „Weckruf“
Kurz zusammengefasst betrachtet er den Griff des Nichtjuristen Horst Seehofer nach einem Superinnenbauheimatminister als glatte Selbstüberschätzung. Später wird er sich kurz selber verabschieden, so wie man ihn kennt. „Ich gehe als stolzer und dankbarer Bundesminister“, sagt de Maizière, „und bleibe als stolzer und fröhlicher Christdemokrat“.
Den letzten Abschiedsapplaus bekommt Wolfgang Schäuble. Auch für ihn stehen die Delegierten auf. Man könnte in diesem Fall vermuten, dass sich in den Dank für lebenslange Kärrnerarbeit ein kritisches Moment mischt. Schließlich war der Verlust des Finanzministeriums an die SPD in den letzten Wochen Auslöser für öffentliche Aufschreie, in denen sogar „der Anfang vom Ende der Volkspartei CDU“ beschworen wurde.
Aber der Mann, der diesen Alarmschrei ausstieß, vermerkt jetzt bloß noch, dass der Koalitionsvertrag „schon wahrscheinlich besser sein“ hätte können respektive müssen sollen. Es sei ihm, versichert der Mittelstandschef Carsten Linnemann, nur um einen „Weckruf“ gegangen.
Der Erhard-Enkel lächelt von der Bühne herab
Weil, es könne ja nicht sein, dass eine kleinere Partei – also die SPD – einfach mal so nach drei Schwergewichtsministerien greifen könne. Ein Delegierter wird ihn später auf offener Bühne noch nachträglich für den Alarmruf zurechtweisen: So einen Unsinn dürfe ein verantwortlicher Politiker nicht daherreden!
Linnemanns Mittelstandsvereinigung hat ansonsten einen Antrag eingebracht, der die Parteiführung verpflichten soll, bis in technische Details hinein Schäubles Sparerbe zu verteidigen. Den womöglichen SPD-Finanzminister Olaf Scholz wird das bestimmt schwer beeindrucken.
Merkel widmet der ganzen Sache nur eine mittelschwer ironische Seitenbemerkung. Sie höre mit ein wenig Befremden, wie von einigen auf einmal über das Wirtschaftsministerium gesprochen werde, das ja immerhin das Haus Ludwig Erhards sei. „Es liegt an uns, dass wir daraus etwas machen“, sagt die Kanzlerin.
Der designierte Erhard-Enkel lächelt von der Bühne herab. Peter Altmaier hat sogar sehr präzise Vorstellungen, wie er sich aus der ebenso breitgefächerten wie unscharfen Zuständigkeit des künftigen Hauses ein kleines Nebenkanzleramt zurechtmachen will.
Gemurmel und Gerede
Über Merkels Kabinettstückchen wird gleich noch zu reden sein. Vorher muss aber doch kurz noch die Rede der Vorsitzenden erwähnt werden und die anschließende Aussprache. Die Rede ist schnell abgehandelt.
Eigentlich würde es sogar reichen, das allgemeine Gemurmel und Gerede in der Halle wiederzugeben, während die Vorsitzende spricht. Mag sein, dass die riesigen offenen Lüftungsrohre und die Stahlgerüste an der Decke der Station die Geräuschkulisse verstärken. Aber auch dann erinnert der Parteitag stark an ein unkonzentriertes Klassenzimmer.
Das klatscht an den richtigen Stellen den Wahlsiegern an der Saar, in Kiel und an Rhein und Ruhr zu und unterstützt mit ebenso starkem Applaus die Feststellung, dass Antisemitismus, egal von wem, in diesem Land nichts zu sagen habe. Man nimmt zur Kenntnis, dass die CDU sich durch ihr christliches Menschenbild von anderen unterscheide, außerdem in der Bereitschaft, „sich um das Schicksal unseres Vaterlandes zu kümmern“.
Der „rosa Elefant im Raum“
Andere moserten selbstbezogen rum – vor dem inneren Auge des einen oder anderen mag in dem Moment Christian Lindner erscheinen oder vielleicht auch der eine oder andere Sozialdemokrat –, die CDU hingegen sei bereit zum Regieren. „Das ist der Markenkern der CDU!“, sagt Merkel, ohne dass jemand ihr widersprechen würde. Stimmt ja irgendwie. Als sie fertig ist, steht der Parteitag auf – spürbar verblüfft, dass die Schulstunde schon rum sein soll – und applaudiert angemessene Minuten.
Die Aussprache muss man sich dann so vorstellen, dass der Vorsitzende des Wirtschaftsrats auf dem Podium den Koalitionsvertrag zerpflückt, was ein stellvertretender Parteivorsitzender nicht mal mitkriegt, weil er im Saal mit einem Kollegen aus dem Landesverband ein paar Dinge zu besprechen hat und danach schaut, wo es was zum Mittagessen gibt. Der Vorsitzende des Wirtschaftsrats ist der ehrenwerte Keksunternehmer Werner Bahlsen. Außer der Fachpresse weiß das kein Mensch.
Es fehlt nicht an Wortmeldungen – um kurz vor 15 Uhr muss der Sitzungsleiter Armin Laschet die Liste schließen. Einige üben auch heftige Kritik. Meist sind es die üblichen Verdächtigen wie der Kommunalpolitiker aus Baden-Württemberg, der seit Jahren auf jedem Parteitag sein Missfallen an der CDU der, grob gerechnet, letzten 28 Jahre äußert. „Die CDU hat mittlerweile das Profil eines abgefahrenen Reifens“, ruft er in den Saal. Ein Delegierter aus Sachsen-Anhalt beschwert sich, dass die Fehler in der Flüchtlingskrise weiter wie der berühmte „rosa Elefant im Raum“ ignoriert würden. Eine Delegierte vermerkt, dass die Basis „nicht ganz zufrieden“ sei mit dem Koalitionsvertrag.
27 Versprengte heben die Hand
Aber Nein sagen? 27 Versprengte heben die Hand gegen die Koalition.
Selbst eine wie Sylvia Pantel, Sprecherin des ultrakonservativen Berliner Kreises, muss sich die Begründung umständlich zurechtlegen.
Wenn man es richtig verstanden hat, hat die SPD-Vizefraktionsvorsitzende Eva Högl irgendetwas über den Paragraphen 219a gesagt, was Frau Panthel gezeigt hat, dass auf diese Roten kein Verlass sei.
Irgendwann zwischendurch fordert der Außenpolitiker Norbert Röttgen, man brauche nicht irgendeine, sondern „eine Regierung, die weiß wozu sie regiert“. Aber genau da liegt ein Problem der Kritiker. Merkels Kabinettsliste hat auf einen Schlag die Rufe nach Erneuerung und Verjüngung ersterben lassen, die bis zum Sonntag als Chiffre für alles Missfallen an der Chefin dienten. Dass sie sich verholpert, als sie die Namen dem Parteitag noch einmal präsentiert, sorgt bloß für Gekicher:
„Jens Spahn Bundeslandwirtschaft – ach nee!“ Hat sie vielleicht in Wahrheit...
Nein, hat sie nicht, das soll die Winzerstochter Julia Klöckner leiten.
„Jens Spahn hat immer Beinfreiheit“
Dem ehrgeizigen Jungkonservativen Spahn das Gesundheitsministerium anzubieten war kleine Bosheit genug. Der wollte nie ins alte Fach zurück. Er ist übrigens der Einzige, dem die Kanzlerin vom Podium einen Auftrag mitgibt: Er könne als Minister zeigen, „was für uns als Union das C im konkreten Handeln bedeutet“.
Dass er zum Chef-Samariter der CDU werden wolle, war Spahn vermutlich neu. Der hoch aufgeschossene Münsterländer zielt eher nach ganz oben.
Aber der Ministersessel kann die Stufe dorthin sein. „Wir können jetzt Wunden lecken oder wir sagen, wir machen was draus“, ruft er in der Aussprache. Darum sei er jetzt „im starken Team mit Angela Merkel an der Spitze“. Wie viel Raum ihm da noch bleiben wird für die Lieblingsrolle als stichelndes Idol der grummelnden Konservativen? „Jens Spahn hat immer Beinfreiheit“, ist einer aus seiner politischen Boygroup überzeugt.
Noch mal gut gegangen!
Nur hat er neuerdings Konkurrenz. Annegret Kramp-Karrenbauer hat den ersten Applaus bekommen, doch der war nichts gegen den, den ihre Bewerbungsrede lostritt. Konservativ, liberal, christlich-sozial – den Flügelstreit wischt sie einfach beiseite. Alle sind wichtig, auch alle Personen, aber vor allem die Partei. „Der Star ist die Mannschaft“, ruft AKK, „es geht darum, dass die Partei glänzt!“ Der Saal jubelt.
Diskussion verspricht die Neue, Diskussion in die Tiefe und in Offenheit und natürlich unter Einschluss der Kritiker. „Ich bin auch nicht in die Junge Union gegangen, um meinem Landesvorsitzenden zuzuhören, sondern um ihm Feuer unterm Hintern zu machen!“ Großes Juchhu im Saal.
Und Diskussion in aller Härte mit der Konkurrenz sagt AKK zu. Nein, es sei nicht bürgerlich-konservativ, Menschen in Schubladen nach Religion und Herkunft zu stecken und zu verachten. Nein, es sei auch nicht neu und bürgerlich, lieber nicht zu regieren als falsch. „Wenn das jeder Handwerker in Deutschland sagen würde – ganz Deutschland würde in Schutt und Asche liegen!“ Der Saal tobt und johlt. Dann wählt er. Annegret Kramp-Karrenbauer erhält 98,9 Prozent. Noch mal gut gegangen! Aber knapp.