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Andreas Knieriem mit einem Vari im Tierpark.
© Thilo Rückeis

Chef von Zoo und Tierpark: Andreas Knieriem: Der Pfotenkönig

Er stößt an, hat Visionen, kümmert sich um Details. Jetzt bringt er Berlin die Pandabären zurück. Was Andreas Knieriem als Chef von Zoo und Tierpark verändert hat.

Von den vielen Entscheidungen seines Vorgängers, die Andreas Knieriem - jetzt mal höflich ausgedrückt - nicht nachvollziehen kann, ist das Vogelhaus womöglich die unansehnlichste. Von außen ginge der Betonklotz als Landesbibliothek durch. Die Wände sind so dick, als würde dahinter ein Tyrannosaurus rex gefangen gehalten. Wer im Innern eine der Freiflughallen betritt und die Vögel in der Luft beobachtet, starrt unweigerlich auf massive Holzbalken unter der Decke. Die kennt man aus Turnhallen oder Schulaulen, sagt Knieriem, aber garantiert nicht aus der Natur. Dann der erhöhte Aussichtspunkt, „Baumwipfelweg“ genannt. Von dem blickt man auf reihenweise Rohre und Metallverkleidungen. Wäre alles entschuldbar, sagt Knieriem, stammte das Haus aus dem vorigen Jahrhundert. Tut es aber nicht. Eröffnung war 2013, Baukosten: 12,4 Millionen Euro. Bei der Einweihung wurde es als „modernste Vogelhalle Europas“ gepriesen.

Um das Gebäude zu retten, hat Andreas Knieriem einen holländischen Künstler engagiert: Eddy Weverling, Spezialgebiet Holzarbeiten und Felsengestaltung. Weltweit hat er Zoos und Freizeitparks verschönert, zuletzt für Disney. Jetzt schreitet er mit Knieriem die geschlängelten Besucherpfade der Freiflughallen ab und kommt kaum hinterher, sich die Änderungswünsche des Berliner Zoodirektors zu notieren. Die Betonsäulen bitte mit Bambus verkleiden. Geht die Brandschutztür nicht weniger auffällig? Können wir hier eine Pergola anbringen? „Es wird viel Arbeit werden“, sagt Eddy Weverling. „Davon gehe ich aus“, sagt Andreas Knieriem.

Seit zwei Jahren ist Knieriem Chef von Zoo und Tierpark. Freunde wie Feinde konstatieren: Der Mann hat Tatendrang. Denkt neu, regt an, baut um, treibt voran. Gerade flog er nach China, um Details eines Coups auszuhandeln. Vier Jahre nach dem Tod des Pandas Bao Bao soll Berlin zwei neue Bären als Leihgabe erhalten.

14 Anlagen werden gerade saniert

Das Gehege, in dem die Pandas später leben sollen, muss noch errichtet werden. Das alte ist nicht zu gebrauchen, sagt Knieriem. 14 Anlagen werden derzeit saniert, etwa die der Flusspferde und Seelöwen, dazu der Adlerfelsen, Teile des Aquariums, der Kinderspielplatz. Wobei etliche weitere Projekte bereits in Vorbereitung sind, das ist ja das Wichtigste, sagt Knieriem: wegen der langen Planungs- und Genehmigungsphasen immer schon die nächsten Projekte anzuschieben.

Diese ganzen Bälle dann in der Luft halten, das sei das Geheimnis. Knieriem sagt auch: „Ich wünschte, wir wären schon viel weiter. Ich wünschte, der Tag hätte mehr Stunden.“

Vor Berlin hat er die Zoos in Hannover und München modernisiert, so erfolgreich, dass die Erwartungen bei seiner Ankunft 2014 riesig waren. Der Rbb nannte ihn „Messias“. Na Danke, sagt Knieriem heute, wie soll ich dem bitte gerecht werden?

Dazu der schwierige Start. Normalerweise wird ein Zoodirektor an seinem ersten Arbeitstag feierlich empfangen. Morgens Schlüsselübergabe, abends ein schönes Essen. Bei Knieriem lag nur ein Behördenbrief auf dem Schreibtisch. Eine Strafandrohung über 10 000 Euro - wegen der illegalen Schuttberge im Tierpark. Berge, von denen er nichts wusste und über deren Entstehung ihm zunächst keiner etwas sagen wollte. Erst im Lauf der nächsten Wochen begriff er das Ausmaß: 5 000 Lkw-Ladungen Bauschutt hatte sein berüchtigter Vorgänger Bernhard Blaszkiewitz auf dem Gelände deponieren lassen - und zwar zu einem Zeitpunkt, als Knieriem selbst schon in Vertragsverhandlungen steckte. „Hätte ich das geahnt, wäre ich persönlich mit dem Teppichklopfer hergefahren und hätte das verhindert.“ Knieriem sagt, dieser Berg sei durch ein Konvolut aus Illegalität, Laufenlassen, Negieren und Unkenntnis entstanden.

Warum er sich über seinen Vorgänger ärgert

Andreas Knieriem mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller am Elefantengehege.
Andreas Knieriem mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller am Elefantengehege.
© dpa

Dass der Vorgänger autokratisch geherrscht hatte, war bekannt. Beobachtern galt er als eigensinnig bis unbelehrbar. Wie wenig Transparenz und Kontrollmöglichkeiten es in seinem System gab, darüber war Andreas Knieriem dann aber doch überrascht. Die ersten Monate verbrachte er deshalb mit der Reorganisation der Verwaltung. „Wobei der Begriff in die Irre führt“, sagt er, „Der suggeriert ja, dass vorher überhaupt irgendwas organisiert war.“ Ein bisschen muss Knieriem über den Satz selbst schmunzeln. Aber er kann noch deutlicher, und das dann ironiefrei: Gerade im Tierpark sei der Betrieb „vor die Wand gefahren gewesen, es gab Korruption“. Knieriem überlegt kurz, findet das Wort Korruption zu hart, versucht es mit einer diplomatischeren Formulierung: „Es gab eine Menge Compliance-Fragen, die erst mal neu geklärt werden mussten.“

Knieriem ist ausgebildeter Tierarzt. Doch als Chef von zwei Standorten mit insgesamt 500 Mitarbeitern, mit 190 Hektar Fläche, die gepflegt werden müssen, seit er also den größten Zoobetrieb in Europa leitet, hat er kaum noch Kontakt zu den Tieren. Stattdessen: Fachplanertreffen, Arbeitssicherheits-Ausschusssitzungen, Personalgespräche, Coachings, Bereichsleitertreffen. Seiner Chinareise gingen monatelange Planungen voraus, jeden Freitagvormittag beim „Panda-Jour-fixe“. Als der Tagesspiegel anfragte, ob man dort einmal zuhören könne, hieß es: Aber auf gar keinen Fall - ist streng geheim!

Knieriem kramt ein Tablet raus, klickt rum, zeigt ein buntes Mosaik. Dies ist sein Wochenplan. Die meiste Zeit verbringt er im Zoo, hier wohnt er auch mit seiner Familie, gleich neben dem Aquarium. Dienstags und donnerstags fährt er rüber nach Friedrichsfelde in den Tierpark, dann hat er aber morgens schon eine Tour durch den Zoo hinter sich. Ein Tag, an dem er vor lauter Terminen erst abends um 18 Uhr dazu kommt, seine Post zu lesen, ist für Andreas Knieriem ein gewöhnlicher Arbeitstag.

Er vermisst den Kontakt zu den Tieren. Zum Beispiel das Meerkatzenbaby. Die Mutter hat es verstoßen, nun wird es von Hand aufgezogen. Er habe es noch kein einziges Mal auf dem Arm gehabt, sagt Knieriem.

Umso mehr wundert es dann, wenn man ihn über das Zoogelände laufen sieht, von einem Termin zum nächsten: Er bückt sich, sobald irgendwo Müll rumliegt. Rückt Schilder gerade. Drüben vor dem Affenfelsen hat ein Kind einen Handschuh verloren. Knieriem geht hin und kümmert sich.

Eine enge Mitarbeiterin sagt: „Er hebt jeden kleinen Papierschnipsel auf.“

„Nee“, sagt Knieriem, „nicht jeden.“

Abends besichtigt er die Baufortschritte

Im ersten Stock des Aquariums wird derzeit die Reptilienanlage saniert. Die Vitrinen werden neu eingerichtet, die Tiere nach Klimazonen sortiert. Drei Mal die Woche nimmt sich Knieriem abends, wenn die Besucher weg sind, den Schlüssel, knippst das Licht wieder an und begutachtet die Baufortschritte. Dort oben kommen sie gut voran, sagt er, und schon schwärmt er davon, wie detailreich und filigran die neuen Felsen modelliert sind. Und dass sich die Tiere hinter der Glasscheibe jetzt deutlich mehr bewegten. Das liege an der verbesserten Helligkeit, das Licht regt die sogenannten Zirbeldrüsen in deren Gehirnen an. „Allein die Burmapythons, die hat man vorher praktisch nie gesehen“, sagt Knieriem, „und jetzt kriechen die wild durch die Gegend, das kann man sich kaum vorstellen.“

Wie ist es eigentlich um die Zirbeldrüse von Andreas Knieriem bestellt?

Donnerstagmittag in Friedrichsfelde, der Direktor empfängt in seinem Büro. Das seines Vorgängers war ihm zu geräumig, er hat es in einen Konferenzraum umfunktioniert. Aus dem Fenster blickt man runter in den Park, in der Ferne sieht man zwei Besucher, sonst leere Wege. „Hier ist der Handlungsbedarf größer als im Zoo“, sagt Knieriem. Schon allein wegen der roten Zahlen. Während der Zoo seit 2012 keinen Cent Zuschuss mehr von der Stadt erhält, sind die Einnahmen des Tierparks weit geringer als dessen Betriebskosten. Als Knieriem kam, lag die Deckungslücke bei über 50 Prozent. „Weniger als 20 sollten es schon sein, besser zehn.“

„Geflieste Toilettenästhetik“

Die Misere des Parks hat für ihn mehrere Gründe. Ein wesentlicher sei die Gehegegestaltung, die nicht dem heutigen Stand der Ästhetik entspreche. Sämtliche Anlagen, die in den vergangenen 20 Jahren gebaut wurden, seien rein funktional gedacht. „Wenn man tatsächlich bloß Ställe haben will, die ihren Zweck erfüllen, wenn einen nicht interessiert, ob Besucher das ansprechend finden, dann kann man so etwas natürlich bauen.“ Im Kopf geht er verschiedene Anlagen durch. Es fallen Urteile wie „geflieste Toilettenästhetik“ und „Gefängnisatmo“. Da seien Gitter, durch die „doch kein Mensch freiwillig guckt. Die sehen aus wie vom Baumarkt“. Andreas Knieriem ist sehr gut darin, vernichtende Kritik so beiläufig auszusprechen, dass sie gar nicht böse klingt, eher liebevoll.

Nun könnte man annehmen, dass ein Chef, der sein Unternehmen aus den roten Zahlen bringen will, sparen muss. Dass die Politik ihn dazu zwingt.

Andreas Knieriem versucht das Gegenteil. Er hat einen Masterplan aufgestellt und kam zum Ergebnis, dass der Tierpark langfristig 92 Millionen Euro für Sanierungsmaßnahmen benötige. Danach sei die Anlage wesentlich attraktiver - und erwirtschafte viel höhere Einnahmen.

Sein Plan klingt abenteuerlich. Geradezu tollkühn. Das Verblüffende ist, dass er aufzugehen scheint. Regten sich vor drei Jahren noch Stimmen, die eine ernsthafte Diskussion darüber forderten, ob das verschuldete Berlin zwei Zoos benötige, hat die Sanierung des Tierparks inzwischen viele gewichtige Unterstützer, auch in Senat und Abgeordnetenhaus.

Will Knieriem die Zoos disneyfizieren?

Andreas Knieriem auf der Giraffenanlage.
Andreas Knieriem auf der Giraffenanlage.
© Mike Wolff

Knieriem möchte die Tiere neu sortieren, nach geografischen Zonen, in denen sie in freier Natur leben. Es soll einen Afrika- und einen Amerikabereich geben. Auf den Bauschuttbergen möchte er eine weitere Anlage errichten, einen Miniaturhimalaya, vielleicht sogar mit Seilbahn, um Besucher auf den Gipfel zu bringen. Beide Zoos zusammen sollen einmal zu den modernsten Tierparks der Welt zählen, in einer Reihe genannt werden mit New York, San Diego, Singapur. „Klar werden wir für diesen Weg lange brauchen.“ Aber das heiße doch nicht, dass man nicht endlich damit beginnen solle.

Für seine Vorstellung eines idealtypischen Zoos wird er auch angefeindet. Weil bei Knieriem nämlich alles dem Ziel untergeordnet werde, dass sich der Besucher wohlfühle - und dies geschehe, wenn ihm vorgetäuscht werde, Tiere lebten in einer natürlichen Umgebung. Puristen halten das für Täuschungsmanöver. Sie werfen Knieriem vor, er wolle die Zoos disneyfizieren.

Dazu kommen Besucher und auch Mitarbeiter, die Veränderungen grundsätzlich ablehnen. Weil manche Orte, nachdem Knieriem mit ihnen fertig ist, tatsächlich nicht mehr wiederzuerkennen sind. Wie das Restaurant im Tierpark. Knieriem sagt, es sei eine „grässliche Gastronomie“ gewesen. Die Kartoffeln waren oft kalt, die Entenkeulen lagen auf einem Tablett herum. Musik kam aus dem Ghettoblaster, der auf der Spüle stand. „Ich bin fast ausgerutscht vor lauter Fett auf dem Boden“, sagt er. Musste alles anders werden. Wurde alles anders.

Früher war er arrogant

Andreas Knieriem sagt, er hat sich in den vergangenen 15 Jahren auch selbst verändert. Einerseits könne er heute besser loslassen, müsse nicht mehr bei jedem Arbeitsschritt dabei sein. Andererseits habe er seine Arroganz abgelegt. In Zoos gibt es eine klare Hierarchie, die sich nicht anhand von Gehältern bemisst, sondern der Frage, wie eng einer mit den Tieren in Kontakt kommt. Bürokräfte, Gärtner und Elektriker genießen weniger Ansehen als Pfleger oder eben Tierärzte, wie Knieriem einer ist. „Ich hielt mich für besonders wichtig“, sagt er. „Ständig kam ich zu spät und dachte, müssen die anderen eben warten, ich bin schließlich der Mann, auf den es hier ankommt.“ Heute verspäte er sich zwar immer noch oft, doch mittlerweile entschuldige er sich dafür und meine es auch so.

Er mag nicht als Workaholic gelten. Schon gar nicht als besessen. Er sagt, er wäre abends eigentlich lieber im Kino als bei irgendeinem Stehempfang, um Werbung für seine Zoos zu machen. Und dass ihm zwischen den vielen Terminen und der Planerei das Wichtigste entgehe: die Magie des Zoos, das Glück, Tiere zu erleben.

Deshalb ist er auch an den Wochenenden da. Jeden Samstag geht er in den Zoo, jeden Sonntag in den Tierpark, dann aber aus der Perspektive des Besuchers. Die Tochter hat meist keine Lust mitzukommen, die bleibt lieber zu Hause, doch Knieriems Frau begleitet ihn. So ganz klappt es nicht immer mit der Besucherperspektive. Dann schickt er seinen engen Mitarbeitern hinterher Mails. Wie neulich die mit Betreff „Nebensächlichkeiten vom Wochenende“. Die Bänke vorm Giraffenhaus hätten schräg gestanden, schrieb er darin. Und dass er sie wieder gerade gerückt habe. „Bitte achtet beim nächsten Rundgang auch mit darauf.“

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